Pia Douwes: Augen.Blicke aus dem Barock
Pia Douwes hat ein Buch am Markt. Es ist keine Autobiografie, und das ist vielleicht sogar eine gute Sache. Sicher würden Fans der Künstlerin und auch viele andere am Musicalgenre Interessierte gerne eine Autobiografie der Musicalsängerin lesen, vielleicht würden sie dann aber auch enttäuscht werden, denn: Wie oft wird mit der Wahrheit in diesen Druckwerken ein wenig zwangsoriginell umgegangen. Man möchte kein »Kollegenschwein« sein – andererseits, warum sollte man Kollegen loben, oder überhaupt erwähnen? Und wen? Man muss aufpassen bei der Preisgabe von Informationen, die eventuellen weiteren Karriereschritten hinderlich sein könnten. Schwer. Am besten schreibt man wohl erst über sein Leben, wenn man in Rente ist. Wobei: Rente als Künstlerin? Also dann eher ab 80.
Nein, Pia Douwes hat gemeinsam mit der Wiener Fotografin Simone Leonhartsberger einen Bildband herausgebracht. Thema: das Barock.
Leonhartsberger hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien studiert, orientierte sich dann in Richtung Grafik, Design und Fotografie. Seit 13 Jahren arbeitet sie als selbstständige Fotografin. Beim vorliegenden Bildband, der im Eigenverlag erschienen ist, fungiert sie gemeinsam mit Pia Douwes als Herausgeberin. Daneben war sie verantwortlich für die Fotos (Set Design: Matthias Büchse; Make-up & Hair: Bobby Renooij), Cover, Satz und Layout. »Augen.Blicke« ist im Moment exklusiv über die Website von Pia Douwes erhältlich (piadouwes.com/webshop). Apropos Website. Auch die ist eines von mehreren Projekten, die Leonhartsberger mit/für Douwes konzeptuell und grafisch umgesetzt hat. Als Teil der Wiener Designfirma KOMO (»Büro für visuelle Angelegenheiten«) gestaltete sie aber nicht nur die Website der Künstlerin, sondern auch zum Beispiel das Artwork der CD »Dezemberlieder«.
Ein Bildband also. Aber mit Texten. Da wird die Sache interessant. Ein Teil der Texte besteht aus Zitaten von Künstlern aus der wohl eher kunst-, nicht literaturgeschichtlich definierten Zeit des Barock, also in etwa aus dem 17. Jahrhundert. Das Problem der Zuordnung zu einem bestimmten Stil betrifft die im Buch zitierten Dichter Ben Johnson und Shakespeare. Barock, oder doch Renaissance beziehungsweise Manierismus? Darüber werden aber wohl nur Literaturwissenschafter diskutieren wollen. Weiters mit dabei: Robert Herrick, Angelus Silesius, Anna Maria van Schurman, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Friedrich von Logau, Joost van den Vondel und Andreas Gryphius. Es sind also auf jeden Fall ein paar echte Barock-Götter dabei. Eine bunte Mischung. Großteils werden die Texte auf Deutsch gebracht, einen Ausschnitt aus dem Brief der holländischen Kurtisane, Salonià¨re und des Stars am Hofe Ludwigs XIV., Ninon de Lenclos, an Marquis de Sà©vigne bekommen wir auf Holländisch, ebenso ein kurzes Gedicht von Joost van den Vondel. Alles nachvollziehbar, bis auf die Zitate von Molià¨re, die wir im Buch auf Englisch finden, eines etwa aus dem Stück »Der Bürger als Edelmann« (1670).
All die Texte, die Pia Douwes selbst zu diesem Buch beigesteuert hat, sind auf Deutsch, Englisch und Holländisch abgedruckt. Es sind die Gedanken der Darstellerin unter anderem zu Schlüsselbegriffen des Barock, wie etwa »Melancholie«. Douwes: »Manchmal frage ich mich, warum die Melancholie mich begleitet hat. Hat sie mich eingehüllt, fast liebevoll, in der Sicherheit der bereits gelebten Erfahrungen? Oder hat sie mich beschützt, wie eine fürsorgliche Mutter, vor einem Alltag, der nicht zu bewältigen war? Sich von der Schwere der Vergangenheit zu befreien, bedeutete Abschied zu nehmen, loszulassen, das gehen zu lassen, was ohnehin schon gegangen war. Nach diesem Abschied erwartete mich die Leichtigkeit der Gegenwart – das Leben!« Weitere Schlüsselbegriffe: »Begierde«, »Schein und Sein«, »Langeweile«, »Sinnlichkeit«, »Opulenz«, »Memento Mori«/»Carpe Diem«, »Selbstverwirklichung«. Es sind die Extreme, die Polaritäten, die Douwes am Barock faszinieren. Der Tod war im Barock allgegenwärtig. Pia Douwes über das Älterwerden: »Mein Vater möchte alles noch abschließen, alles ordentlich hinterlassen und noch jeden Tag genießen, bevor er von dieser Welt gehen muss. Deshalb digitalisiert er alle Familienfotos und Dokumente, als Nachlass für uns jüngere Generationen. Meine Mutter lebt in ihrer eigenen inneren Welt, und ihre Antwort auf die Frage, wie es ihr geht, lautet immer: ‚Wir sind jetzt Tages-Menschen …‘ Sie leben von Tag zu Tag, nicht wissend, ob auf den einen Tag der nächste folgen wird.« Am Ende bekommen wir zwar keine Autobiografie, aber Texte, von denen wir wohl ausgehen können, dass die wahr sind. Das zählt doch einiges.
Pia Douwes’ Lust am Verkleiden, am Hineinschlüpfen in andere Rollen, all das macht aus dem Buch einen optischen Genuss. An die 100 Fotos von Douwes in opulenten Kostümen, prächtigen Perücken, geschminkt, eingeleuchtet und in Szene gesetzt bietet das Buch. Tolle Fotos. Ein großer Wunsch sei es gewesen, schreibt die Künstlerin im Vorwort, für ein paar Augenblicke in ein längst vergessenes Zeitalter einzutauchen und so ein paar Erfahrungen zu dieser Zeit zu machen, wie »Suske en Wiske« (ein holländischer Comic), »die in einer Zeitmaschine ins Mittelalter oder in die Urzeit zurückversetzt wurden. Was für ein Abenteuer!«. Schöne, lustige und berührende Bilder sind es geworden. Für mich das beste: auf Seite 68/69. Pia Douwes, in schlafender Pose, in vollem Barockkostüm am Boden liegend. Beim Lesen ist sie eingeschlafen. Das Buch liegt neben ihrem Gesicht, die (wenig geschminkten) Hände liegen auf dem Buch. Sie scheint entspannt und glücklich. Das Foto strahlt etwas aus, sodass man eine Weile auf dieser Seite bleibt. Auf den letzten Seiten des Buchs findet man ein kleines Making-of in Form einer Bildserie, bekommt einen kleinen Eindruck davon, wie groß der Aufwand war, der in dieses Buch investiert wurde. Er hat sich gelohnt.
Pia Douwes: Augen.Blicke aus dem Barock. Herausgeber: Pia Douwes und Simone Leonhartsberger, Wien 2016. 128 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-200-04460-9. EUR 29,90. www.piadouwes.com / www.leonhartsberger.net