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Archiv - 2018

Musical Theater Today: The Anthology of Contemporary Musical Theater Vol. 2

In den letzten Jahren ist selbst im englischen Sprachraum ein signifikanter Rückgang der Zahl von Publikationen über das Musicalgenre zu bemerken. Die Verlagsbranche feuert zwar Biografie-Buchsalven zu bestimmten Jubiläen ab (Sondheim, Bernstein …), doch Fach-/Sachbücher zum aktuellen Musiktheater werden rarer. Musicalgeschichte wird allerdings nur geschrieben, indem sie geschrieben wird. Fehlt das Moment der selbstreflektierenden Analyse, geht Wertvolles verloren, das man nicht mehr nachholen kann. Sei es, weil man die handelnden Personen nicht mehr befragen kann oder notwendige Ressourcen und Quellen verschwinden – es ist allgemein bekannt, wie wenig sorgsam im Musiktheaterbereich oft mit Archivmaterial umgegangen wird. Indem man Musicalgeschichte schreibt, wird das Geschriebene selbst Teil des Archivs der Musicalgeschichte. Die Rückbetrachtung aus entfernter zeitlicher Perspektive bleibt natürlich, doch oft durch einen mal mehr, mal weniger geschmäcklerischen Filter geknetet.
Nun könnte man meinen, die Misere habe mit dem Wandel im Musicalgenre zu tun. Was könnte man über das x-te Disney-Musical schon veröffentlichen, außer hübsche Bilderbücher, und was gar über Jukebox-Musicals, Movicals – über all die Produktionen, die Michael John LaChiusa 2005 in seinem legendären Artikel »The Great Gray Way« für »Opera News« »faux musicals« nannte und mit den Labels »no challenge, no confrontation, no art« versah. Der Komponist meinte damit nicht einmal Disneyspektakel, sondern Shows wie »Hairspray« oder »The Producers«. Wobei man zugeben muss, dass das Totreden des Genres nicht etwa mit seiner Disneyfizierung begonnen hat. Schon 1992 meinte Burton Lane in einem Interview auf die Einleitungsbemerkung eines Journalisten »I want to ask you about musical theater today»: »Does it exist?« Die Firma Walt Disney Theatrical Productions wurde indes erst 1993 gegründet.
LaChiusas Essay machte jedenfalls damals auf einen jungen Mann großen Eindruck, diente ihm als Inspiration: Lucas Tahiruzzaman Syed. Syed studierte Musik und Literatur am Eugene Lang College: The New School for Liberal Arts, wo er eine Reihe von Sprechtheater- und Musiktheaterstücken schrieb und auch Regie führte. Jahre später, 2017, brachte er gemeinsam mit einem Kollegen, dem Komponisten und Musiker Ben Van Buren, eine Sammelbandreihe auf den Markt: »Musical Theater Today«. 2018 erschien der vorliegende Band 2. In einem Interview umriss Syed die Zielsetzung der Publikation folgendermaßen: »I hope that Musical Theater Today can encourage and facilitate more in-depth discourse and writing from theater professionals. Also, coming to musical theater writing from a very different educational background than most other writers my age, I’ve observed that so many strong communities of musical theater writers exist and individuals co-mingle but the entities themselves don’t seem to interact as much; by putting all of these names in a single volume, I’d like to think we are reminding everyone about each other’s work, you know?«
»Musical Theater Today« führt an die Front. Ein Beispiel: Casting. In einem dreiseitigen Artikel berichtet Kevin Ray Johnson unter dem Titel »Stop asking black performers to sound and /or talk blacker during auditions« von seinen Erfahrungen bei einem Vorsprechen: »The casting director said, Good job. Now I want you to sing it again and give me more church. Bring it back to the South. That really caught me off guard but I tried to do what this person said. Next they proceeded to ask me where I’m from and I said Minnesota and they responded with, Not surprised. You are like the whitest black person that has ever auditioned for me. […] when bring it back to the south and you act white was said I completely lost all interest in the show. (By the way the show doesn’t even take place in the south.)« Ausgehend von seinen Erfahrungen formuliert der Schauspieler vier Statements, »why it is never okay to ask black performers to sound and/or talk blacker«. Drei intensive Seiten.
Das Buch besteht aus drei verschiedenen Inhaltstypen: 1. Einzel-/Gruppeninterviews. 2. Essays und Editorials. 3. Dokumente aus dem aktuellen Schaffensprozess: Scans von Seiten aus Notizbüchern, Fotografien persönlicher Gegenstände der Künstler und von Gegenständen, die ihnen als Inspiration dienen, Faksimiles von Notenblättern, Lyrics-Entwürfe, oft verziert mit Doodles, Screenshots von PCs und Handys. All das dient nicht nur der Illustration, sondern wird bisweilen im Detail besprochen, um mehr von der Arbeitsweise der Künstler zu erfahren.
Die drei Inhaltstypen finden sich im Buch nicht in drei voneinander abgetrennte Sektionen aufgeteilt, vielmehr erkennt man sie an ihrem Design. Layout spielt eine große Rolle in diesem Werk. Es wirkt modern, leicht lesbar, macht neugierig. Überschriften in übergroßen Lettern, der Seitenspiegel mal normal, mal quer …
Band 2 enthält Beiträge von über 50 Künstlern wie Michael John LaChiusa (»The Wild Party«), Max Vernon (»The View Upstairs«), Rachel Bloom (»Crazy Ex-Girlfriend«), Christine Toy Johnson & Bobby Cronin (»Till Soon, Anne«), Stephanie Hsu (»SpongeBob SquarePants«), Michael Kushner (»The Dressing Room Project«), David Henry Hwang (»M. Butterfly«), Timothy Huang (»The View From Here«) …
Das Buch startet mit dem Abdruck einer Rede, die Michael John LaChiusa 2017 für die Rodgers & Hammerstein, Inc. bei einer Konferenz für Community Theatres hielt. Der Titel der Rede: Risk – Risiko. Er schließt mit den Worten: »I encourage all of us to change our audience’s expectations and not be afraid to risk doing so. Let’s not let risk be a dirty word. To not risk is dangerous if only because the rewards, the gratification, and the thrill is so damn worth it.«

Musical Theater Today: The Anthology of Contemporary Musical Theater Vol. 2. Yonkers International Press, Milton Keynes 2018. 474 Seiten. ISBN 978-1-38-821244-5. $ 25,00. yonkersinternational.press

Volkstheater Wien: »Lazarus« Ein Jukebox-Musical? (2018)

»Lazarus«, flimmerndes Musiktheater, in dem die Zeit aufgehoben ist, stets alles parallel passieren kann, mit Vor- und Rück»blenden« gearbeitet wird, erzählt, wie es mit Thomas Jerome Newton, einem Außerirdischen, der »auf die Welt gefallen¡ ist, 40 Jahre nach seiner »Ankunft¡ bestellt ist. Und ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine Etikettendiskussion zur Diffamierung eines Genres führt. Auf der Verlags-Website ist zu lesen, Lazarus sei »weit entfernt davon, ein Jukebox-Musical zu sein, es ist vielmehr eine Meditation über den Tod als ungelebtes Leben und funktioniert in seiner Abgründigkeit und Poesie in glänzender Symbiose mit David Bowies Musik«. In der Realität funktioniert »Lazarus« auf der Bühne des Wiener Volkstheaters, wenn überhaupt, nur über die Songs und wurde ausschließlich als Jukebox-Musical rezipiert. Der ORF nannte die Produktion despektierlich »Nummernrevue«, in einer Rezension dann »Requiemrevue«, spricht also der Handlung jegliche Bedeutung ab. Das wird dem Stück nicht gerecht, dazu später mehr. Es liegt in der Hand des Regisseurs, welche Komponente er wie gestaltet. MiloÅ¡ Lolic ist immerhin die Herausarbeitung der Songs wunderbar gelungen.
Der Verlag schreibt weiter: »Für dieses Werk können an Amateurtheater leider keine Aufführungsrechte vergeben werden.« Verständlich, aber … Gespielt wird »Lazarus« im Volkstheater von Ensemblemitgliedern. Schauspielprofis, jedoch Gesangsamateure, durch die Bank. Geht da nichts verloren? Den mitunter vergeblichen Kampf mit den eigenen stimmlichen Möglichkeiten als geniale Interpretation des Songmaterials zu interpretieren – kann man machen, muss man aber nicht so sehen. Fakt: Musicals am Sprechtheater werden oft dann eingesetzt, wenn die Kassen leer sind und man sie wieder ein bisschen auffüllen möchte. Für das Volkstheater ist die Bowie-Show ein kommerzieller Volltreffer. Noch vor der Premiere war die erste Spielserie blendend wie kaum ein anderes Stück gebucht. Verkaufsargumente: Bowie + Musical. In der Promotionarbeit arbeitete man sich am Begriff (Broadway-)Musical negativ ab. Der Regisseur meinte etwa in einem Interview mit »profil«: »Wir wollen, dass der Sound dreckig und punkig klingt, nicht nach Broadway-Show.« Wo, wenn nicht am Broadway, erfindet sich das Genre immer wieder neu? Das Musical-Genre zu benutzen und gleichzeitig zu beschmutzen?
»Dreckig« hat der Regisseur wortwörtlich genommen. Die Intro-Szene der Show, die vor dem Eisernen Vorhang gespielt wird, noch in der »Realität«, gestaltet er grindig. Der versoffene Bresthafte liegt in abgetragenen Klamotten auf der Bühne. Das geht völlig an jeglicher Vorstellung von Bowies Stil, Ästhetik vorbei. Recht bald zeigt sich, dass Lolic’ Ansatz, den Text als Theaterstück zu spielen, scheitert. Da bedarf es anderer Mittel, und man darf gespannt sein, wie Kultregisseur Falk Richter dies bei seiner Interpretation in Hamburg lösen wird. Im Wiener Volkstheater geht nach dieser Intro-Szene der Vorhang auf, und ja, man mag es Kunstgriff nennen, sogar dem größten Simpl ist klar, dass sich ab nun alles in der Fantasie des Protagonisten abspielt. Was dem Ganzen etwas von seiner Vielschichtigkeit raubt. Der hohe, strahlende Raum, der sich auftut, ist vollgefüllt mit Vitrinen, Ausstellungsobjekten des Naturhistorischen Museums, Zerrspiegeln. Die Interpretation dazu gab es für Journalisten in einer Pressekonferenz, aber erschließt sich die Bedeutung auch den Zuschauern? Mit einem Loft in Manhattan (was es sein soll) hat das Ganze wenig zu tun. Es ist ein vollgeräumter Glitzerraum, steht vielleicht für Newtons Gedankenraum, vieles davon scheinbar Ramsch, zu viel, zu grell. Aber Gott sei Dank zwei Drehbühnen, die wird man noch brauchen. Im Orchestergraben geht die Band unter der Leitung von Bernhard Neumaier mit einer Intensität an die Sache, die von der Bühne mit derselben Kraft nur von Katharina Klar (Mädchen) kommt, gerade weil sie um ihre stimmlichen Dimensionen weiß und sie am Abend der Premiere sprengt – würde sie in aller Gelassenheit von oben auf die hohen Töne hinabschauen können und sie so im Wissen um ihr Können formen, wäre das freilich kein Schaden. Man muss Günter Franzmeier als Newton Gestaltungskraft zurechnen, mehr in den Songs als in den Spielszenen. Christoph Rothenbuchner (Valentine) gibt seiner Figur durch ein Choreografie-Element zusätzliche Tiefe, doch bleibt diese Ausgestaltung ein Ansatz, wenn auch ein sehr spannender. Gà¡bor Biedermanns (Ben) Interpretation von »All the Young Dudes« zeigt, dass dort, wo die Hooklines wirklich jeder kennt, der Applaus am heftigsten ausfällt. Und genau das ist der entscheidende Punkt. Das Stück selbst ist nicht zwingend ein Jukebox-Musical. Ausgerechnet ein anerkannter Theaterregisseur, Nestroy-Preisträger zumal, macht es aber zu einem solchen. Im Stück gibt es zentrale Themen, die alles andere als banal von den Autoren aufbereitet wurden: Tod, Vereinsamung etwa, jeweils mit zentralen Sätzen. Man könnte sich ganz andere Möglichkeiten der Umsetzung vorstellen, poetische, verstärkt performative. Ansatzweise ist das da, wenn Newton und das Mädchen eine Sternenkarte zeichnen … Es steht die Idee im Raum, noch einmal eine Rakete zu bauen. Eine wunderbare Szene. Muss Valentine tatsächlich sprechen und singen? Anders gefragt: Muss jeder Bowie-Song von den Darstellern gesungen werden? Lolic setzt im Lauf der Show zunehmend auf Dynamisierung, alles dreht sich, kriecht oder steht im Hintergrund auf der Bühne. Ja, das ist interpretierbar, doch ziemlich beliebig. Wäre man bös, könnte man sagen: fast typisch Musicalregie – im negativen Sinn.

Musik/Songtexte: David Bowie
Buch: Enda Walsh, nach dem Roman »The Man Who Fell To Earth« von Walter Tevis
Übersetzung: Peter Torberg
Regie: Miloš Lolic
Choreografie: Jasmin Avissar
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Jelena Miletic
Licht: Paul Grilj
Musikalische Leitung: Bernhard Neumaier.

Mit u.a. Gà¡bor Biedermann (Ben), Günter Franzmeier (Newton), Rainer Galke (Michael), Anja Herden (Teenage Girl 3), Evi Kehrstephan (Teenage Girl 2 / Maemi), Katharina Klar (Girl), Isabella Knöll (Elli), Kaspar Locher (Zach), Christoph Rothenbuchner (Valentine), Claudia Sabitzer (Japanese Girl), Maria Stippich (Teenage Girl 1).
Off-Broadway-Premiere: 7.12.2015, New York Theatre Workshop, New York.
Deutschsprachige Erstaufführung: 3.2.2018, Schauspielhaus, Düsseldorf
Österreichische Erstaufführung: 9.5.2018, Volkstheater, Wien

Andrew Lloyd Webber: Unmasked

Andrew Lloyd Webber (geb. am 22.3.1948) gönnt sich zu seinem 70er eine Publicity-Offensive in Form der Autobiografie »Unmasked« in verschiedenen Ausstattungen (Hardcover, Hardcover-Special-Edition mit Schuber, Paperback-Version), einiger Tonträger und einer biografischen Revue, deren Uraufführung für September 2018 im Paper Mill Playhouse (USA) geplant war, aber Anfang Mai abgesagt wurde. Bei den Tonträgern handelt es sich um ein 4-CD-Set bzw. um ein 2-CD-Set. In der teuersten Version gibt es folgende Kombi: Ein Buchexemplar der Special Edition mit Schuber (signiert) und das 4-CD-Set »The Platinum Edition« in einer Limited Edition – zum Preis von 80,99 Pfund. Das CD-Set bietet drei bisher unveröffentlichte Aufnahmen: Lana Del Rey singt »You Must Love Me« (»Evita«), Nicole Scherzinger »Memory« (»Cats«) and Gregory Porter »Light at the End of the Tunnel« (»Starlight Express«). Der Rest der Best-of-Batterie reicht von Instrumentalversionen (u. a. »Aspects of Aspects«, gespielt vom Orchester der Vereinigten Bühnen Wien) bis zu einer Elvis-Presley-Einspielung (»It’s Easy For You«).
In einem Interview gab Lloyd Webber Einblicke in den Entstehungsprozess des Buches – so hat er es zur Gänze auf seinem iPad geschrieben, die Schilderung seines Privatlebens sei ihm am schwersten gefallen und er habe bewusst versucht, unterhaltsam zu sein. 528 Seiten dick ist das Werk geworden (die Paperback-Ausgabe hat 784 Seiten) – dabei behandelt es nur den Zeitraum bis zur Uraufführung des Musicals »Das Phantom der Oper« (9. Oktober 1986). Während es Lloyd Webber in seiner Biografie selbst offen lässt, ob es einen Nachfolgeband geben wird, sagte er im Mai 2018 in einem Interview: »I don’t intend to do the second. As much as I enjoyed writing it, I must get on and work.« Warum er auf einen zweiten Band verzichten könnte, deutet er im ersten im Kapitel »Playout Music« an: »My life up to Phantom was charmed by any standard – a few bumps and disappointments, but nothing like the bumps I will have to write about if ever there is a remote interest in a Volume Two.« Worüber er schreiben müsste, skizziert er: seine gescheiterte Ehe, seinen Umgang mit Alkohol, eine vier Jahre dauernde gesundheitliche Krise und den Umstand, dass es nur drei seiner sieben Shows seit dem »Phantom« an den Broadway geschafft haben: »Aspects of Love«, »The Woman in White« und »Sunset Boulevard«. Breiten Raum würde er wohl »School of Rock« einräumen, ist es doch nach »Jesus Christ Superstar« seine zweite Show, die am Broadway ihre Uraufführung feierte und, wichtiger, die erste Broadway-Show seit dem »Phantom«, die dort auch die Gewinnzone erreicht hat. Vielleicht ist das Abschlusskapitel ja doch nur ein Teaser für Band 2. Was verkauft sich besser als Drama, Baby!
Highlights des ersten Bandes sind Anekdoten aus den Entstehungsgeschichten der Shows des Komponisten. Mit clever gewählten Kapiteltiteln zoomt er sich in die Produktionen, nimmt sich Zeit, die Atmosphäre zu schildern oder pickt sich interessante Detail heraus. So schreibt er über das »Phantom«: »People say that Phantom has massive scenery. It hasn’t. All the sets are suggestions in another of Hal’s black boxes. The managers’ scenes are curtains with one door frame. The Phantom’s lair is no more than an empty mirror frame, a bed, the small organ on which he composes and candelabra silhouetted against a black cloth. Even the masquerade sequence is only a cutaway half-scaffolded staircase. Many of the costumed revelers are fixed mannequins. What Hal and Maria did do was revive some of the Victorian machinery in Her Majesty’s Theatre, our destined home. Raoul’s leap into the Phantom’s lake, for example, was born out of the discovery of a long-forgotten stage trap.«
Als es daran ging, die Rechte zu erlangen, Gedichte von T. S. Eliot als Basis für »Cats« zu verwenden, musste Lloyd Webber mit Valerie Eliot verhandeln, der zweiten Frau des Nobelpreisträgers: »I finally met with Valerie Eliot at the end of June in her Kensington flat in the heart of Mungojerrie and Rumpleteazer territory. She was a tall, good-looking woman with very blonde hair and from our first firm handshake it was clear that she was a fierce custodian of all things T.S. Eliot. I was very nervous but I think she was too. Almost the first thing she said was, You aren’t going to turn Tom’s cats into pussycats are you?, which I thought was hopeful. She then dropped a bombshell. Tom turned down a huge offer from Disney for Old Possum. This sounded ominous. Before I could ask why she lectured, Tom hated Fantasia. Did you like Fantasia, Mr Lloyd Webber? I muttered something about not really remembering what Fantasia was like, although I liked it a lot when I was small.«
Zu ausführlich ausgebreitet sind Liebesgeschichten und Heiratssachen. Wo er seinen Sarahs seine Liebe eingestanden hat? Geschichten über seine Hauskatzen? Besser wäre es gewesen, den Platz für einen fundierteren Anhang zu nutzen. Aber es ist ein kluger Schachzug, auch die klatschsüchtige Leserschaft zu bedienen. Lloyd Webber ist ein kluger Geschäftsmann.
Was auffällt, ist das etwas oberflächliche Korrektorat & Lekorat. Für eine penible Kontrolle der Zeichensetzung war vermutlich zu wenig Zeit, einige kurze Passagen stehen zusammenhanglos im Text, beziehen sich vermutlich auf Passagen, die aus einer älteren Version des Manuskripts gestrichen wurden, diverse Wiederholungen irritieren. Doch Lloyd Webbers trockene Selbstironie wiegt diese Schwächen locker auf, etwa zum Thema »Evita«: »I was particularly intrigued when Don’t Cry hit No. 1 in the disco charts. A dance hit with a one-minute adagio introduction played by a symphony orchestra suggested action on the dance floor that I didn’t know about. The chart triumph was easily explained. Discos were using Don’t Cry to clear people out last thing at night.« Lesenswert.

Andrew Lloyd Webber: Unmasked. A Memoir. HarperCollins, London 2018. 528 Seiten; (Hardcover) ISBN 978-0-06-284803-1. $ 28,99. harpercollins.co.uk

Kulturszene Kottingbrunn: »Musical Unplugged 11« (2018)

Da stand ich also im Schlosspark in Kottingbrunn und musste laut lachen. Eben hatte ich im Programmheft eines Konzerts, das ich gleich besuchen würde, die programmatischen Richtlinien der Veranstaltung gelesen. Ein paar Wochen vorher hatte ich »Musical Unplugged« noch als »Hochamt der gepflegten Musicalparodie« angekündigt, nun hatte ich gelesen: »Man verzichtet auf jegliche Angriffe gegen Politik, Gesellschaft, Theaterproduktionen, Sängerkollegen usw. … und man bedient die Lieder mit Eigenironie.« Gegen dieses Konzept ist an sich nichts zu sagen, kann man machen. Solche Konzerte gibt es viele, man reiht sich damit in eine Reihe an typischen Veranstaltungen ein. Das Problem ist, dass das Repertoire, das man in Konzerten dieser Art hört, meist überschaubar ist. Als Veranstalter hofft man vermutlich auf zwei Zielgruppen: junge Musicalfans, die das eine oder andere Lied noch nicht kennen, für die etwa ein Mann wie Steve Barton eine Persönlichkeit aus der tiefsten Musicalsteinzeit ist. Die zweite Zielgruppe könnten Hardcore-Fans sein, die sich auch noch nach dem trillionsten Aufguss von »Tanz der Vampire« nicht langweilen. Hat man mich als Zielgruppe mitgemeint? Nicht unbedingt, aber es bleibt das Interesse an neuen Interpretationen (und auch an begabtem Musicalnachwuchs wie Lorenz Pojer und Moritz Mausser, die an diesem Abend Talentproben lieferten), auch wenn man das eine oder andere Lied nicht mehr hören kann. Das Problem mit der Eigenironie von Songs im typischen Musicalhits-Repertoire: Sie beschränkt sich bisweilen darauf, dass sie schlecht übersetzt wurden oder recht simpel gestrickt sind.
Wie auch immer. Wie konnte ich nur im Vorfeld »Musical Unplugged 11« so falsch einschätzen? Vor ein paar Jahren noch hatte ich ein Konzert aus dieser Serie als durchaus satirisch empfunden, da waren sehr wohl ein paar witzige Salven in Richtung VBW unterwegs gewesen. Gut, in der Zwischenzeit hat sich viel getan. Die Vereinigten Bühnen Wien haben die Musicallandschaft etwa mit einer »Revueoperette« (so der Regisseur Andreas Gergen) namens »I Am From Austria« gesegnet. Und wirklich jeder, dem ich erzählt habe, welcher Kategorie dieser Regisseur dieses Musical zugeordnet hat, musste zumindest lächeln. So blöd kann ein Tag gar nicht gelaufen sein, dass man da nicht zumindest lächelt. Lieder aus diesem Musical standen auch auf dem Programm von »Musical Unplugged« und zeigten tatsächlich überhaupt nicht ironisch, sondern ganz brutal, wie unsagbar dämlich »I Am From Austria«, das Musical, ist. Sie wirken nämlich nicht. Sie wirken nicht, wenn man sie in der Show im Raimund Theater hört, aufgefettet mit einem tranigen, schwülstigen Arrangement, sie wirken auch nicht in Musicalkonzerten. Da kann man sie so gut singen, wie man will, da kann sich Jakob Semotan, der ansonsten einen starken Abend hatte, noch so reinwerfen. Lieder von Rainhard Fendrich wirken dann, wenn Rainhard Fendrich sie singt. Zumindest für die Generation, die die Karriere von Fendrich und sein Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit miterlebt hat. Der Begriff Karaoke wäre vielleicht zu hart, aber Fendrichs Lieder nachzusingen, ist keine gute Idee. Hat denn jemals jemand Fendrich-Songs gecovert? Zumindest gab es den Versuch, aus dem Repertoire Fendrichs neben dem durch Struppeck & Co. vernichteten Bestand das eine oder andere Lied zu wählen, das sich eignet, gecovert zu werden. »Wart bis hamlich wird und stü« (gesungen von Florian Schützenhofer) kann man da als gelungenes Beispiel sehen.
Neben dem parodistischen Ansatz waren »Musical Unplugged«-Konzerte immer auch durch eine Mischung der Genres gekennzeichnet. Das hat sich nicht ganz geändert, auch wenn ich zumindest in Erinnerung habe, dass der Musicalanteil nicht immer ganz so dominant war. Immerhin, die Bandbreite reichte von Karl Hodina bis Konstantin Wecker und Leonard Cohen. Früher gab’s etwas originellere Einfälle und Umsetzungen aus dem Bereich der Kirchenmusik, aber das mag auch an den Vorlieben der musikalischen Leiter der einzelnen Veranstaltungen liegen.
Jetzt kommen wir zu Vermutungen. Warum mag das Parodistische scheinbar so in den Hintergrund getreten sein? Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man »Kooperationen« mit den VBW nicht machen könnte, wenn man sie gleichzeitig zu sehr auf die Schaufel nimmt. Wir sollten alle mal das Humorpotenzial von Christian Struppeck abchecken. Oder halt, nicht nötig. Einfach mal in »I Am From Austria« gehen. Wenn also zwei Mitglieder der aktuellen VBW-Cast von »Tanz der Vampire« bei »Musical Unplugged« mitwirkten, könnte man sich vorstellen, dass der Faktor Parodie eher dezent ausfallen musste. Dafür, das muss man zugeben, lieferten Charles Kreische und Christoph Apfelbeck, begleitet vom Ein-Mann-Orchester Walter Lochmann, eine geblockte Power-Performance ab, die sich sehen und hören lassen konnte.»Carpe Noctem« (»Tanz der Vampire«), »Wer ich wirklich war« (»Tarzan«), »Heut ist der Tag« (»3 Musketiere«), »Draußen« (»Der Glöckner von Notre Dame«), »Schwert und Stein« (»Artus – Excalibur«) und »Die Schatten werden länger« (»Elisabeth«). Diese Batterie an konzentrierter MusicalManPower war beeindruckend. Das klappte auch deswegen, weil es funktionierende Songs aus gut konzipierten Musicals sind. Hat man Kreische und Apfelbeck gefragt, ob sie nicht auch noch ein Liedchen von Udo Jürgens schmettern möchten? Dann wäre es ihnen in dieser Show vielleicht wie Kai Peterson ergangen, der mit zwei Songs (»Freudiana« aus Freudiana und »Verona II« aus »Romeo & Julia«) beeindruckte – und dann noch »Immer wieder geht die Sonne auf« von Udo Jürgens gab inkl. Nonsens-Moves. So zerstört man nachhaltig Wirkung. War das parodistisch gemeint?
Was sich nicht am Konzept geändert hat, ist das Element, das man in New York jedes Jahr groß als eigenes »Broadway Backwards«-Event aufzieht, als Show, in der Männer ursprünglich für Frauen geschriebene Songs singen. Das hat bisweilen Humorpotenzial, klar. Musikalischen Witz steuerte zu »Musical Unplugged« der musikalische Leiter Walter Lochmann bei, etwa, wenn er das Lied »Never Ending Story« mit einer Phrase aus »Let It Be« von den Beatles einleitete und die Sängerin Denise Schrenzer nahtlos in Limahls Song überging. In einem Instrumental-Medley am Klavier spielte Lochmann dann ausgehend von Sylvester Levays »Jeder Abschied ist der Anfang einer Reise« Phrasen aus diversen (Musical-)Songs und kam immer wieder auf Levays Ausgangslied zurück. Er spielte auf Kompositionsähnlichkeiten an, zitierte aus dem »Phantom der Oper«, aus »Elisabeth«, variierte die Themen, ging zu Udo Jürgens und »Ich war noch niemals in New York« über, zu »New York, New York« von Kander/Ebb und einigem mehr. Lochmann könnte ohne großen Aufwand simple Kompositionstricks schärfer aufs Korn nehmen, aber wozu? Elegante Anspielungen reichen.
Fazit: Es ist längst an der Zeit, wieder in den Forbidden-Musical-Modus zu schalten, Stellung zu beziehen. Nicht mitzuspielen, bei der völligen Trivialisierung des Musicalgenres in Wien. Das wäre keine Stellungnahme gegen die VBW als Unternehmen, es wäre eine Stellungnahme gegen die aktuelle Leitung dieser Firma. Das ist legitim. Letzten Endes gibt es nur zwei Möglichkeiten. Man kann den Quatsch hinnehmen, den man wohl noch jahrelang vorgesetzt bekommt, oder man kämpft dagegen an. Da bin ich doch eher für den Kampf, und sei es über den Weg des Humors und der Satire. Die ehemaligen Masterminds der Forbidden-Musical-Schiene wie Werner Sobotka hat das System längst geschluckt. Von ihnen ist vermutlich in der Richtung nichts mehr zu erwarten. Neue Leute sind gefragt. Dann kann man endlich wieder den Widerstand feiern, und zwar wie es in einem Song von Konstantin Wecker heißt, der ebenfalls bei »Musical Unplugged« gegeben wurde: »Freunde, rücken wir zusammen, denn es züngeln schon die Flammen, und die Dummheit macht sich wieder einmal breit.[…] Das wird ein Fest, ohne Marschmusik und Fahnen, ohne Waffen und Grenzen, lieber grenzenlos Wein.«

John Wills: Disney Culture

Drei der fünf erfolgreichsten US-Kinofilme des Jahres 2017 stammen aus dem Hause Disney: Platz 1: »Star Wars: The Last Jedi«. Platz 2: »Beauty and the Beast« und Platz 4: »Guardians of the Galaxy. Vol. 2«. Stage Entertainment zeigt in Deutschland derzeit fünf Disney-Musicals. Eines davon, »The Lion King«, läuft bereits im 21. Jahr am Broadway und im 17. Jahr in Deutschland. John Wills unternimmt in seinem kleinen Reader der Reihe »Quick Takes« den Versuch, das Unternehmen Disney kritisch abzuklopfen. Er stellt provokante Fragen und mahnt zur Vorsicht. Indem man Kinder quasi mit Disney aufzieht, setzt man sie auch den Werten aus, die das Unternehmen, durchaus gewollt, transportiert. »The company has promoted a range of fundamental notions and ideals through its movies: universal love, good conquering evil, and simple happy endings. It also has also pushed a range of cultural and social values: a Protestant-style work ethic, absolute morality, and traditional family roles.« Er geht dabei zurück bis in die Gründungsphase von Disney Anfang der 1920er-Jahre und liefert spannende Storys über die Unternehmenskultur bei Disney, die im Wesentlichen auf strikten Geboten basiert. »Walt Disney corporate trainers explain, We don’t put people in Disney, we put Disney in people. Corporate culture employs techniques to strip away the self of employees and remake them as Disney cast members.« Für Wills liegt auf der Hand, dass Filme wie »Frozen« oder »The Lion King« Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, sie sind Teil der »Disneyfication of childhood«. Spannende Lektüre, die ein Ausgangspunkt für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Disney sein kann. Auf 15 Seiten gibt es jede Menge Tipps zu weiterführender Lektüre.

John Wills: Disney Culture. Rutgers University Press, New Brunswick 2017. 160 S.; (Paperback) ISBN 978-0813583327. $ 17,95. rutgersuniversitypress.org

Adrian Wright: Must Close Saturday

Der Schauspieler, Sänger und Autor Adrian Wright hat sich mit drei seiner Sachbücher, »Tanner’s Worth. Rediscovering The Post-War British Musical« (2010), »West End Broadway. The Golden Age of the American Musical in London« (2012) und dem vorliegenden Buch »Must Close Saturday« (2017), als Experte auf dem Gebiet der britischen Musicalgeschichte etabliert. Mit kleinen Einschränkungen. Diese Einschränkungen betreffen zum einen den Forschungsgegenstand an sich. Erst in den letzten Jahren ist ein verstärktes Interesse in England zu bemerken, die eigene Musicalgeschichte aufzuarbeiten. Da kann man sich natürlich etwas leichter als Autorität einen Namen machen. Die Einschränkung betrifft zweitens den Zugang, den Wright wählt, beziehungsweise seinen Background. Nicht selten wird bezüglich seiner Publikationen der Plauderton thematisiert, den er wählt, sein nicht-wissenschaftlicher Zugang zum Thema. Und ja, es finden sich in seinen Büchern immer wieder mal fachliche Fehler (falsche Daten, Verwechslungen, was Namen betrifft). Ja, sein Stil ist subjektiv, klar wertend. Aber wie schrieb einst Kurt Tucholsky: »Alles ist richtig, auch das Gegenteil. Nur zwar … aber, das ist nie richtig.« Insofern ist diese Art der subjektiven, populären Geschichtsbetrachtung legitim.
Fun Fact: Drei der von Wright besprochenen Flops waren bisher in Österreich zu sehen. In Amstetten lief 2001 als Österreichische Erstaufführung »Moby Dick«, ein Musical von Hereward Kaye und Robert Longdon, das 1992 in London auf 127 Vorstellungen kam. Im Wiener Raimund Theater brachte Kathi Zechner 2005 Gà©rard Presgurvics »Romà©o et Juliette « zur Aufführung. Die englischsprachige Version des vielleicht bisher erfolgreichsten französischen Musicals überhaupt mit mehr als sechs Millionen Besuchern weltweit stand 2002 in London nur 112 Mal am Spielplan. Und 2018 brachte das Landestheater Linz den West-End-Flop »Betty Blue Eyes« von George Stiles und Anthony Drewe auf die Bühne. In London schaffte die Show 2011 189 Vorstellungen.
Aber was ist eigentlich ein Flop? Adrian Wright definiert dies anhand der Anzahl der Aufführungen. Shows mit weniger als 250 Aufführungen fielen für sein Buch in die Kategorie »Flop«. In dem von ihm behandelten Zeitraum von 1960 bis 2016 (Flop-Musicals vor dieser Periode bespricht er in seinem Buch »Tanner’s Worth«) sind das rund 170 Produktionen. Eigentlich müsste man, wollte man besonders kritisch sein, hinterfragen, was Wright unter einem »british Musical« versteht, wenn er auch aus Frankreich stammende Musicals wie »Romà©o et Juliette « dazuzählt, aber er hat dafür ohnedies eine Erklärung parat: »Some shows that originated in other countries but were subsequently seen in London are included, generally when the West End production was significantly different from that seen elsewhere.« (Off-)Broadway-Shows, die in New York ihre Erstaufführung erlebten, hat Wright übrigens ausgeschlossen. Musicalgeschichte ist keine exakte Wissenschaft, das geht schon in Ordnung.
Die Megaflops unter den Flops könnte man isolieren. Vier Shows mit weniger als zehn Aufführungen gibt es im besprochenen Zeitraum: »Big Sin City« (Neil, Lea und John Heather, 1978, 6 Vorstellungen), »Call It Love?« (Sandy Wilson, Robert Tanitch; 1960, 5 Vorstellungen), »Joie De Vivre« (Robert Stolz, Paul Dehn, Terence Rattigan, 1960, 4 Vorstellungen), »Money To Burn« (Daniel Abineri, 2003, 2 Vorstellungen) und »Romance« (Charles Ross, John Spurling, 1971, 6 Vorstellungen).
Wrights System schließt nicht aus, dass langfristig betrachtet so mancher Hit des West Ends eigentlich auch als Flop kategorisiert werden könnte. Das Musical »Charlie Girl«, ab Mitte der 1960er-Jahre immerhin 2202 Mal am Spielplan und 1986 noch einmal für ein halbes Jahr, ist heute vergessen. Ist es als Hit oder Flop zu werten? Lionel Barts »Oliver!« erlebte am 10. Juni 1960 seine Uraufführung im Wimbledon Theatre. Die zweieinhalbwöchige Spielzeit erbrachte einen Verlust von 4500 Pfund. Impresario Donald Albery meinte damals: »I thought is was the biggest flop I’d ever had. All the backers tried to get out.« Am 30. Juni desselben Jahres stieg die Premiere der Show im New Theatre (dem heutigen Noà«l Coward Theatre) und lief dort 2618 Mal. Der Beginn einer Erfolgsstory.
Dass das Interesse der Briten daran, ihre Musicalgeschichte aufzuarbeiten, doch noch nicht, sagen wir: überbordend ist, könnte man einem Satz der Danksagung Wrights entnehmen, wenn er schreibt: »My main debt of gratitude must be to the staff of the Victoria and Albert Theatre and Performance Archive for their friendly and ever-willing assistance, even when they gazed mysteriously at what I had summoned from their vaults and said You are the only person that ever asks for this stuff.«
Wrights Buch ist eine Fundgrube an Fakten und Anekdoten zur britischen Musicalgeschichte, man bekommt Lust, im Web weiter zu recherchieren. Mit Bildmaterial geht er eher sparsam um, im Anhang bietet er ein Register der Showtitel und ein allgemeines Register, den Endnoten kann man viele Zeitschriften-Verweise entnehmen, die Bibliografie auf zwei Seiten ist recht knapp gehalten. Die Auflistung aller im Buch behandelten Produktionen mit Angaben zu Autoren/Komponisten, Ort der Aufführung, Hauptdarstellern, Songs und Anzahl der Aufführungen hätte man noch um Details zu Regisseur, Choreograf und weiteren Mitgliedern des Kreativteams ergänzen können. Aber es ist durchaus Pionierarbeit, die Wright hier leistet, und was noch viel schlimmer it: Man weiß nicht, ob noch Ausführlicheres nachkommt. Daher gilt für dieses wie auch die beiden anderen erwähnten Bücher des Autors: sehr empfehlenswert.

Adrian Wright: Must Close Saturday. The decline and Fall of the British Musical Flop. The Boydell Press, Woodbridge 2017. 352 S.; (Hardcover) ISBN 978-178327. £ 25.00. boydellandbrewer.com

Wolfgang Kos: 99 Songs

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, gespiegelt in 99 für diesen Zeitraum essenziellen Songs, was »gesellschaftliche Hintergründe, kollektive Sehnsüchte oder Konsumentwicklungen und Zeitbrüche« betrifft, versucht der Journalist und ehemalige Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos, in seinem neuen Buch zu skizzieren. Mit dabei jede Menge Musicalsongs. Jede Menge vor allem deswegen, weil seit dem Zeitalter des Jukebox-Musicals ja praktisch jeder Song der Musikgeschichte Teil eines Musicals werden kann. Konzentriert man sich nun auf den Musicalaspekt in diesem Buch, zeigen sich Schwachstellen. Okay, dass Andrew Lloyd Webber im Register unter W wie Webber und nicht unter L wie Lloyd Webber eingereiht ist, kann passieren. Problematischer wird es beim Song »Don’t Cry For Me Argentina«. Da schreibt Kos: »Kennen Sie zwei Songs aus Cats? Oder zumindest einen aus Phantom der Oper [sic!]? Wer kein Musical-Fan ist, wird sich mit den Antworten schwertun. Anders als Melodien aus klassischen Musicals wie Kiss Me Cate [sic!] oder My Fair Lady haben die Songs der Ära von Andrew Lloyd Webber so gut wie nie den Weg in das breite populäre Gedächtnis gefunden. Es gab kaum Auskoppelungen, Grenzüberschreitungen in Richtung Hitparadenpop. Cats wurde zwar weltberühmt, sein bekanntester Song Memories [sic!] wurde aber kaum im Radio gespielt.«
Flapsig formuliert könnte man diese gesamte Passage als Quatsch bezeichnen. Allein von dem von Kos falsch geschriebenen Song »Memory« aus »Cats« gibt es drei Single-Veröffentlichungen: von Barry Manilow, Barbra Streisand und Elaine Paige. »The Music of the Night« kam zwei Mal in die Charts (Michael Crawford 1987, David Cook 2008). »Any Dream Will Do« aus »Joseph« war in der Version von Jason Donovan 1991 auf Platz 3 sogar der österreichischen Charts zu finden, »No Matter What« aus dem Musical »Whistle Down the Wind« darf man als globalen Hit bezeichnen, und das sind nur einige der Chartstreffer von Lloyd Webber. Kos nimmt auch ABBAs »Dancing Queen« auf, vergisst aber ABBAs Jukebox-Musical »Mamma Mia!« zu erwähnen, über dessen Wirkung bereits kulturtheoretische Werke publiziert wurden. Nichtsdestotrotz ist »99 Songs« ein sehr empfehlenswertes Buch, das, wie eben bewiesen, Ausgangspunkt vieler Diskussionen sein kann.

Wolfgang Kos: 99 Songs. Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts. Brandstätter Verlag, Wien 2017. 320 S.; (Hardcover) ISBN 978-3710600227. EUR 39,90. brandstaetterverlag.com

Dogfight: Youth Company / Vienna’s English Theatre, Wien (2018)

Als »Dogfight« im Juli 2012 seine Off-Broadway-Premiere feierte, waren die Songwriter Benj Pasek und Justin Paul 27 Jahre alt. 2006 hatten sie an der renommierten, 1880 gegründeten University of Michigan School of Music, Theatre and Dance ihren Abschluss gemacht, bereits 2005 ihren Songzyklus »Edges« zur Aufführung gebracht. 2009 fand die Premiere ihrer Show »A Christmas Story« statt, die es 2012 an den Broadway schaffte und 2017 als TV-Live-Spektakel von Fox produziert wurde.
»Dogfight« war ihr New-York-Debüt und in ihrem Schaffen, was die Qualität der Songs betrifft, ein Höhepunkt – stilistisch noch nicht dermaßen auf Rhythmus und Hookline fixiert wie spätere Arbeiten für Bühne, TV und Film, finessenreicher im Bau der Melodien. Nur wenige Pastiche-Stücke im Stil der 60er-Jahre definieren die Zeit, in der die Show spielt. Von Anklängen an Stephen Sondheim bis zu Jason Robert Brown schrieb die Presse. So gesehen war die Show eine Art Turning Point: Erfolg statt Raffinement war ab da (vorläufig) die Devise. »Dogfight« war in New York nach knapp einem Monat Geschichte.
Am 6. März 2018 feierte »Dogfight« Wien-Premiere. Aufgeführt von der Youth Company von Vienna’s English Theatre auf Englisch. Die Show setzt am 21. November 1963 ein, dem Tag vor dem Attentat auf John F. Kennedy, und handelt von einer Gruppe junger Marines am Abend vor ihrer Verlegung nach Vietnam. Der Höhepunkt dieser Nacht ist für sie der Dogfight, ein Wettstreit, wer von ihnen das hässlichste Mädchen zum Tanz anschleppt. Es ist eines jener Stücke, die durch die #MeToo-Debatte neue Brisanz erhalten. Birdlace, der Protagonist, reißt die junge Kellnerin Rose auf. Als die das brutale Spiel durchschaut, brüllt sie ihn an: »I hope there is a war, and you get killed. All of you, that’s what I hope.« Genau so kommt es. Wenige Szenen später sind alle Marines, bis auf Birdlace, tot, verblutet in Vietnam. Ein Rachedrama? Dazwischen liegt eine zarte Romanze zwischen Birdlace und der Kellnerin. Am Ende haben wir einen traumatisierten Mann, der sich nach wahrer Liebe sehnt.
»Dogfight« basiert auf dem gleichnamigen Film aus 1992, in dem der jung verstorbene Kultmime River Phoenix und die fabelhafte Lili Taylor spielten. Die Musicalversion bietet nicht die Möglichkeit, deren sublimes Spiel auf die Bühne zu transferieren. Der Buchautor der Show (Peter Duchan) setzt mehr auf Komik als auf Zärtlichkeit. Verdeutlicht anhand einer Szene: Als Rose und Birdlace sich für ihre gemeinsame Nacht bereitmachen, drapiert River Phoenix in der Filmversion vorsichtig, liebevoll ein Kondom unter die Kleidung eines Stoffteddys. In der Musicalversion wirft der Hauptdarsteller unbeholfen hastig das Kondom unter einen nackten Teddy. So kann man Lacher generieren, aber es verändert die Charakterzeichnung. Das Problem der Produktion der Youth Company ist, dass die ohnedies angelegte Komik noch verstärkt wird. Als die beiden im Bett liegen und das Licht abgeblendet wird, bumsen zwei Bühnenelemente, die zum Szenenwechsel eingesetzt werden, mit Absicht aufeinander. Sogar dieser intime Moment wird ins Lächerliche gezogen. Im Zentrum steht als Rose Helena Lenn, die stimmlich die Show trägt. Das Problem der Produktion ist die Regie (Adrienne Ferguson), die beim Finetuning versagt und den Moment verpasst, ab dem Rose auf der Bühne zur eindeutig dominanten Kraft wird. Da wäre mehr Fokus erforderlich gewesen. Die starken Solosongs von Rose kommen zu beiläufig, die Schlussszene ist erstaunlich wirkungsarm getimt. Daniele Spampinato ist bemüht, die Wandlung von Birdlace zu zeigen, stimmlich ist er an seinen Grenzen und bei seinem letzten Solo überfordert. Starke Momente und eine großartige Stimme hat Eduardo Medina Barcenas als Boland. Bei dieser Produktion leistet sich Vienna’s English Theatre eine Liveband. Großartig! Das Bühnenbild von Richard Panzenböck mit bewegbaren Trennelementen, die mit Stars & Stripes besprüht sind – ein Hingucker. Roberta Ajello gibt sehr bühnenwirksam die schrille Hure Marcy, die sich kaufen lässt, um mit falschen Zähnen als hässlichstes Mädchen den Dogfight zu gewinnen. Doch auch als sie Rose am Ende des ersten Akts die Regeln des Dogfight enthüllt, und in ihrem Solo »Dogfight«, ist sie durchgehend schrill. Es fehlen die Zwischentöne, andere würden sagen glaubhaftes Schauspiel – ein grundlegendes Problem dieser Produktion. Aber vergessen wir nicht, dass dies die Arbeit einer Youth Company ist, und dafür ist es erstaunlich, was dieses Theater da auf die Bühne gebracht hat.

Marika Lichter: Mut kann man nicht kaufen

Der Plan war, zuerst im Register des Buchs nachzusehen, wie oft der Name »Uwe Kröger« erwähnt wird. Marika Lichter und Uwe Kröger, das war in musicalaffinen Kreisen immerhin viele Jahre ein Faktor. Doch in der Autobiografie der Agenturchefin und Künstlerin gibt es kein Register. Der schnelle Zugriff auf die gewünschte Information war also nicht möglich. Zurück zum Anfang.
Lichters Werk, in Zusammenarbeit mit der Biografienspezialistin Silke Rabus entstanden, ist gut strukturiert. Die Themenblöcke reichen zurück bis in jene Zeit, als sich ihre Eltern kennengelernt haben, 1946, beim Fünf-Uhr-Tee im Cafà© New York in Budapest (und im Epilog bis zurück in die 1930er-Jahre). Klar in der Sprache, dicht an Informationsgehalt, angenehm und auch spannend zu lesen ist Lichters Lebensgeschichte. Lakonisch und bisweilen knochentrocken kommt die Künstlerin heute, gefiltert durch die Presse, manchmal rüber. Beim Lesen des Buches erkennt man, dass sie das von ihrer Mutter »geerbt« haben könnte. Die soll bekannt gewesen sein für markige Sprüche wie »Wer nicht älter werden will, muss sich rechtzeitig aufhängen« oder »Es gibt immer einen Grund, sich von einem Mann scheiden zu lassen.« Skurrile Sprüche findet man in Lichters Buch jede Menge, so gesehen kann man es fast als Aphorismen-Sammlung betrachten: Alice Gross-Jiresch, eine ehemals bekannte Sängerin, gab Lichter vor ihrer ersten Unterrichtsstunde am Konservatorium Wien den Rat: »Wenn du singst, darfst du niemals die Stirn runzeln. Sonst wirst du furchtbare Falten bekommen und siehst ganz hässlich aus.«
Lichter nahm an Schlagerfestivals noch vor der Matura teil, gewann Preise wie einen Filmvertrag mit Franz Antel. Aus den Filmplänen wurde freilich nichts, denn auf Lichters Frage »Herr Antel, wie wird der Film heißen?« antwortete der Regisseur: »Zieh dich aus, Liebling.« Lichter darauf: »Den Vertrag können Sie sich behalten.« Vor ihrem 18. Geburtstag textete und komponierte Lichter Schlager, interpretierte Songs etwa von Andrà© Heller und entschied, dass man mit Schlager zwar viel Geld verdienen kann (»Für einen Auftritt als Schlagersängerin bekam ich 7000 Schilling, das war Ende der 60er-Jahre ein Vermögen! Nie wieder habe ich so viel verdient wie damals.«), sie aber einen anderen Weg gehen will. Mit 18 begann sie an Oscar Bronners Cabaret Fledermaus zu singen, machte fünf Jahre sechs Tage die Woche dort Programm. Nach vielen Engagements als Operettensängerin prophezeite Lichter eine Handleserin 1977: »Sie werden eine weite Reise übers Meer machen.« Was folgte, war ihr erstes Musical-Engagement: »Mayflower« (Premiere: 2.12.1977, Theater an der Wien). Christoph Waltz, ein »Mayflower«-Kollege, wurde ein guter Freund. »Zu Weihnachten schenkte er mir ein Holzspielzeug mit einer Schnur daran. Das war ein Erfolgskletterer, und wenn ich anzog, kletterte er ein Stück nach oben.« Auch Lichters Liebes- und Familienleben kommt nicht zu kurz in diesem Buch. Sie erzählt entspannt, ohne Peinlichkeiten. Ihre gescheiterte Ehe resümiert sie so: »Als mein Sohn acht oder neun Jahre alt war, fragte er mich: Mama, was war die schwerste Entscheidung in deinem Leben? Ich antwortete, weil mir nichts Besseres einfiel: Ob ich dich zum Storch zurückschicke. Und er: War es nicht die Entscheidung, ob du den Papi rausschmeißt oder nicht? Da brach ich in Tränen aus. Warum muss ein kleines Kind so etwas wissen?« Ende der 1980er-Jahre macht Lichter Karriere als Musicalsängerin bei den VBW, gründet später ihre Agentur Glanzlichter und den Verein »Wider die Gewalt«, wird Jurymitglied bei der Castingshow »Starmania« und nimmt an »Dancing Stars« teil. Sie erzählt eine Fülle an Backstage-Storys. Lesenswert, berührend, unterhaltsam. Ach ja, Uwe Kröger kommt auch kurz vor, an vier Stellen im Buch. Keine Schmutzwäsche. Gute Entscheidung.

Marika Lichter: Mut kann man nicht kaufen. Das war’s noch lange nicht. Ueberreuter, Wien 2017. 192 S.; (Hardcover) ISBN 978-3800076840. EUR 19,95 ueberreuter-sachbuch.at

Pasek & Paul, Jason Robert Brown, David Bowie … Top-Musicals & Musical Unplugged in und rund um Wien 2018

Sehr erfreulich ist das Angebot an sehenswerten Musicals 2018 in Wien und Umgebung. Ein kurzer Rundblick.

Noch bis 20. März ist in Vienna’s English Theatre das Musical »Dogfight« von Benj Pasek und Justin Paul (Buch Peter Duchan) zu sehen. Gespielt wird in englischer Sprache, man muss also keine tollpatschige Nachdichtung in Kauf nehmen, wie bei den meisten Musicals, die hierzulande am Spielplan stehen. Mehr über »Dogfight« gibt es ab Anfang April in der Zeitschrift »musicals«. Infos findet man –> hier.

Die Performing Academy bringt in Kooperation mit dem Theater der Jugend vom 4. bis 7. April Jason Robert Browns (Buch: Dan Elish und Robert Horn) Show »13« als Österreichische Erstaufführung in die Wiener Gasometer – Music Hall. Angesetzt sind sechs Vorstellungen in der rund 1500 Plätze fassenden Veranstaltungshalle. Fünf Vorstellungen sind für das Theater der Jugend reserviert und daher nicht im freien Verkauf. Für die Aufführung am 5. April gibt es Tickets –> hier.

Das Wiener Volkstheater zeigt ab 9. Mai »Lazarus«, das Musical von David Bowie (Buch: Enda Walsh). Infos und Tickets –> hier.

An der Wiener Volksoper, seit Jahren die wichtigste Musical-Bühne in Wien, gibt es im Frühjahr eine Reihe an sehenswerten Produktionen: So feiert dort kommenden Samstag Richard Rodgers’ Musical »Carousel« Premiere, im April und Mai sind Richard Rodgers’ »The Sound of Music« zu sehen sowie Harold Arlens »Der Zauberer von Oz«, und am 12. Juni gibt es eine Wiederaufnahme von Stephen Sondheims »Sweeney Todd«. Weitere Infos –> hier.

Die Bühne Baden bietet ab 28. Juli die Österreichische Erstaufführung von Frank Wildhorns Musical »Bonnie & Clyde« (Buch: Ivan Menchell, Liedtexte: Don Black). Die Show basiert auf dem gleichnamigen Film, dem wahre Begebenheiten zugrunde liegen. Erzählt wird die Geschichte des Gangsterpärchens Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Champion Barrow, beginnend von deren 20. Lebensjahr bis zu ihrem Tod mit 24 Jahren. In der berühmten Verfilmung spielte der 27-jährige Warren Beatty die männliche Hauptrolle, in der Broadway-Produktion 2011 der 27-jährige Jeremy Jordan. Infos zur Produktion von Baden und deren Besetzung gibt es –> hier.

Keine Musicalproduktion, aber ein Hochamt der gepflegten Musicalparodie ist neben vielem anderen die Veranstaltungsreihe »Musical Unplugged« von Florian Schützenhofer mit wechselnder Besetzung und am 23. April auch mit einem neuen musikalischen Leiter. In dieser Reihe wird Musical genau so ernst genommen, wie es sich das verdient. Mit Walter Lochmann als musikalischem Leiter hat man diesmal einen Mastermind an Bord, der ganze Abende auch solo damit gestalten könnte, auf humorvolle und gescheite Art zu erklären, worin sich etwa ein Levay von einem Sondheim unterscheidet. Fixpunkt von »Musical Unplugged« sind die bereits angesprochenen Musicalparodien, und auf dem Gebiet macht es einem das Jagdrevier Numero uno, die VBW, schon länger nicht einfach. Sämtliche Produktionen der letzten Jahre sind nur ernst zu nehmen, wenn man sie als Parodie rezipiert, sozusagen als Musical-Version der Löwinger Bühne oder einfach für alle jene, denen die theatralischen Experimente eines Gerald Pichowetz zu komplex sind. Man darf also gespannt sein, was dem Team um Lochmann zu diesem Thema einfällt. Infos –> hier.

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