Martin Bruny am Mittwoch, den
30. März 2016 um 18:56 · gespeichert in Musical, Wien
Dieser Tage hatte Jacqueline Braun, eine Musicaldarstellerin, die ich persönlich sehr schätze, in Bristol Premiere mit einer Tourproduktion des Musicals »Mamma Mia!« (die Show gastiert auch in Manchester und Edinburgh). Auf Facebook postete sie eine Kritik, die der Produktion die allerbesten Noten ausstellt (–> hier nachzulesen).
Als Reaktion auf dieses Posting kam von einem Facebook-User eine Meldung ungefähr folgenden Inhalts: »Musicalkritiken können also auch nett und gut sein und am Punkt. Etwas, was Wiener Kritiker auch mal überlegen könnten.«
Okay. Nehmen wir mal an, jemand wollte diese Tourproduktion mit einer Produktion der VBW vergleichen … Stopp. Und da endet auch schon jeder sinnvolle Versuch, das zu tun. Denn an Produktionen der VBW muss man andere Maßstäbe anlegen als an eine englische Tourproduktion.
Eines der wertvollsten Assets der VBW ist das Orchester. Gut, schauen wir uns mal an, was die »Bristol Post« zum Orchester … Nein, gibt es nicht. In Ordnung, also zur Band schreibt: nada. Nichts. Da steht: »The music is simply fabulous.« Und das hat nichts mit der Qualität der Band zu tun, zumindest meiner Interpretation nach, sondern einzig und allein mit ABBA.
Das ist also eine gute, ausgewogene Kritik? Wissen Sie, könnte man da antworten. So schreibt man natürlich gerne über Stadttheater-Produktionen, die handwerklich prima gemacht sind, mit Darstellern, die überzeugen. Da spricht dann auch nichts dagegen, dass eben eine Band, von mir aus auch in kleiner Bandversion, die Musik liefert und jede Menge Musik vom Band kommt. Aber wenn die VBW mit ihren Millionensubventionen »Mamma Mia!« machen, dann erwarte ich mir einen Flash. Und nicht Erklärungen, dass man eine bestimmte Version spielen musste, mit der kleinsten oder zweitkleinsten Besetzung. Dann erwarte ich mir nicht einen dermaßen hohen Playbackanteil. Ich erwarte mir vor allem nicht ausgerechnet von den VBW Produktionen, die längst zum Stadttheater-Repertoire gehören.
In einem der vielen Musicalforen habe ich unlängst gelesen: »Ja, wie haben sie denn begonnen, die VBW, gab’s denn da Eigenproduktionen?« Nein, am Anfang lag die Leistung der Intendanz Peter Weck auf anderen Gebieten, aber er hat eine Entwicklung in Richtung Eigenproduktionen eingeleitet. Da war das Ziel klar, in der Umsetzung gab es Erfolge und Misserfolge, aber immer Mut. Und Mut vermisse ich derzeit. Mit Ausnahmen.
Martin Bruny am Samstag, den
26. März 2016 um 14:17 · gespeichert in Musical
Nichts ist schrecklicher in der superbunten Musicalwelt, als wenn jemand mal Wahres sagt. Mit der Wahrheit ist es in diesem Genre nicht so gut bestellt. Zu viel Politik und Business geigen da hinter den Kulissen, als dass man als Konsument auch nur annähernd die Wahrheit erfährt. Beispiele? Nicht nur blöd herumreden? Okay.
Also. Beispiel Ronacher. Und formulieren wir es als Fragen, auf die ich gerne Antworten hätte. Gut. Ist es richtig, dass sich im Zuschauerraum des Ronacher mehrere Überwachungskameras befinden? Wie viele sind es? Wo genau stehen sie? Wird mit diesen Kameras aufgezeichnet? Werden die Streams gespeichert? Wer sieht diese? Wer hat entschieden, Überwachungssysteme im Ronacher zu installieren? Was haben sie gekostet? Laufen die Kameras auch bei Mitarbeiterversammlungen mit?
Beispiel Ronacher. Ist es richtig, dass Billeteure vor ein paar Wochen auf ein billigeres Gehaltsschema umgestellt wurden? Wie viel bekommen Billeteure nun pro Stunde, wie viel davor? Ist es richtig, dass die Volksoper nun viel mehr bezahlt? Wer hat das entschieden?
Beispiel Raimund Theater. Wer hat entschieden, dass »Ich war noch niemals in New York« wieder auf den Spielplan kommt? Was waren die Gründe? War die Entscheidung umstritten? Wer war dagegen, und warum? Wer war dafür, und warum?
Beispiel Raimund Theater, Silvester. Wie viele Streicher waren im Orchester?
Ein heikles Thema hat dieser Tage auch Sänger und Moderator Gunther Emmerich auf welt.de thematisiert. Er meinte, an Musicalschulen werde nach einem bestimmten Schema ausgebildet, und es kämen verwechselbare Künstler heraus, nichts Außergewöhnliches. Natürlich mag das etwas übertrieben sein. Und doch ist es völlig richtig. Wie viel Prozent der Absolventen von Musicalschulen sind denn nach fünf Jahren noch regelmäßig im Business beschäftigt? Wie viele sind fünf Minuten nach dem Abschluss wieder hauptberuflich als Finanzberater, Fitnesscoachs, Fashionisters oder in anderen Jobs tätig? Wie viele bieten sich, noch bevor sie auch nur eine relevante Rolle bekommen haben, als Lehrer an? Spricht man mit Leitern von Musicalschulen, so wird nicht selten der Aspekt betont, dass eine Musicalausbildung als Teil der Persönlichkeitsentwicklung betrachtet werden muss. Völlig richtig. Erkennt jemand, dass sein Talent doch woanders liegt, dann ist das eben so. Freilich. Man könnte auch andere Auswahlkriterien anlegen. Man könnte mit Sicherheit einen Teil der angehenden Pizzaverkäufer mit Musicalausbildung minimieren. Sicher nicht alle. Doch hier kommt wieder der Aspekt der Wahrheit ins Spiel. Gehen wir lieber nicht drauf ein.
Noch interessanter wird es, wenn Musicalsänger eine Meldung wie jene Emmerichs als Basis für eine »We fight back«-Initiative hernehmen, weil sie angesichts des schlechten Rufs des Musicalbusiness im deutschsprachigen Raum, und nur hier, völlig frustriert sind. Niemand behauptet etwa, dass Musicalsänger generell schlechte Schauspieler sind. Aber sehr viele von ihnen. Oft werden gerade die eher mäßig Talentierten von triebgesteuerten Minderjährigen in den Musicalhimmel gehpyt, weil sie im Theater ihres Vertrauens offensichtlich zum ersten Mal einen halbnackten Mann LIVE gesehen haben (der auch nach ganz passabel singt). Billiges Argument. Trotzdem. Kein guter Musicaldarsteller müsste Ablehnung im Business begegnen, wenn er sich nicht für Schrott hergeben würde. Und das ist der Punkt. Nicht »die anderen« sind schuld. Da ist das Musicalgenre im deutschsprachigen Raum schon selbst schuld. Wer so viel Schrott bietet, dem wird eben auch irgendwann imagemäßig die Rechnung präsentiert. Es gibt genug Theater, die tatsächlich Ansprüche an ihre Musicalproduktionen stellen. Suchen sie dann geeignete Musicaldarsteller aus dem Pool der Absolventen, spielt sich bei den Auditions Grausames ab, so hört man. Ist es da ein Wunder, wenn lieber auf Schauspieler, die auch singen können, zurückgegriffen wird. Das Reinhardt Seminar etwa bietet mitunter Musicalproduktionen, die um Welten interessanter sind als das mit Millionensubventionen hochgejazzte Musicalnichts, das die großen Theatertanker bisweilen in die Lust blasen.
PS: Man ist kein Musicalhasser, wenn man »Ich war noch niemals in New York« ablehnt. Im Gegenteil, man ist einer, wenn man diese Show mag.