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Archiv - März, 2003

Von “… you” bis “Fuck you” - J. D. Salingers “Der Fänger im Roggen” in neuer Übersetzung erschienen


“Der Fänger im Roggen” dürfte eigentlich jedem ein Begriff sein. Manchen liegt er unangenehm im Magen - auch als Resultat missglückten Englischunterrichts - manchen ist er so etwas wie ein ewiger Begleiter geworden.
Bis dato war der Kultroman in deutscher Sprache
1) in einer Übersetzung von Irene Muehlon aus dem Jahr 1954 (publiziert im Zürcher Diana Verlag) erhältlich;
2) ab 1962 in einer durch die Übersetzungsbrille von Heinrich Böll überarbeiteten Version, (bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht).
Beide Versionen beruhen auf der ersten britischen Ausgabe des Werks, die 1951 durch den Verleger Hamish Hamilton veröffentlicht wurde. 1958 wurde diese Version als Penguin-Ausgabe publiziert und war von da an praktisch 40 Jahre die Referenzausgabe weltweit.
Das Problem: Diese Ausgabe ist ein Torso des wahren Originals. Englischer Prüderie fielen große Teile des Originalslangs, der originellen Vulgärsprache zum Opfer. Erst 1995 erschien eine unzensierte englische Originalversion, und auf der beruht
3) eine Neuübersetzung durch Eike Schönfeld. In der FAZ kann man ein paar nette Gegenüberstellungen von Neuübersetzung und Böll-Version nachlesen. Kaufen!

Und dann kam doch alles anders … “Urban Cowboy” bekommt “letzte Chance”


In allerletzter Minute erhält das Broadway-Musical “Urban Cowboy” noch eine Chance. Am Ende der “letzten” Vorstellung kam Regisseur Lonny Price auf die Bühne und verkündete dem Publikum und der angesichts der vergangenen Ereignisse geschockten und völlig überraschten Cast, dass die Show weiter am Spielplan stehen werde. Wortwörtlich sagte Price:

We have the greatest producers in the world, Chase Mishkin and Leonard Soloway. And they just informed me that we are not going to close tonight!”

Na, wenn das nicht gute Nachrichten sind …

Der traurige “Urban Cowboy” oder wie Broadways Kritiker ein Musical in den Ruin treibe


Am 27. März 2003 feierte das neue Broadway-Musical “Urban Cowboy” seine Premiere. Alle Beteiligten hofften auf einen Triumph - und warteten auf die so gewichtigen Kritiken der New Yorker Kulturjournalisten. Konfrontiert sahen sich am Ende des Tages alle Beteiligten mit den verheerendsten Kritiken dieser Saison. So verheerend, dass die Produzenten beschlossen, die Show bereits am 29. März 2003 wieder abzusetzen, nach insgesamt 4 (in Worten: vier) regulären Vorstellungen.
Es trauern: Lonny Price (Regisseur der Show, verantwortlich unter anderem für Hits wie “A Class Act”), die Choreographin Melinda Roy, Aaron Latham (Book), Chase Mishkin (Produzent), Leonard Soloway (Produzent), Matt Cavenaugh (Hauptdarsteller) sowie die gesamte Cast (Leo Burmester, Marcus Chait, Sally Mayes, Rozz Morehead, Jodi Stevens,Michael Balderrama, Mark Bove, Gerrard Carter, Nicole Foret, Lisa Gadja, Justin Greer, Michelle Kittrell, Brian Letendre, Barrett Martin, Kimberly Dawn Neumann, Tera-Lee Pollin, Chad L. Schiro, Kelleia Sheerin und Paula Wise).
“Urban Cowboy” beruht auf dem gleichnamigen Filmhit, in dem John Travolta und Debra Winger weltweit begeisterten. Musikalisch wurde die Show von Musical-Genie Jason Robert Brown broadwaytauglich gemacht. Nach vielen Jahren der Entwicklung übernahm er im letzten Jahr den letzten Schliff an der Show. Seine Arbeit wurde während der Tryouts in Florida mit einer Reihe ausverkaufter Vorstellungen und wohlwollenden Kritiken belohnt.
Am Broadway hat der Cowboy ausgeritten! [story]

Dumme weiße Menschen


Michael Moore ist schon ein mutiger Mann. Drehte in den Staaten einen Dokumentar-Film über us-amerikanischen Waffenfanatismus. Doch er wurde belohnt, und zwar mit einem Oscar. Und da wurde Michael Moore noch mutiger. Denn anstatt anlässlich der Oscar-Verleihung eine Rede zu halten, wie wir sie schon 1.000x gehört haben – »Ich danke dem Team und meiner Mami« –, schleuderte er harte Worte gen Washington D.C.; also richtig harte Worte und nicht etwa leise Zwischentöne: »Wir sind gegen diesen Krieg! Schande über Sie, Herr Bush, Schande über Sie!”
Schande, das war aber direkt! Doch schon nach ca. 45 Sekunden war Schluss mit lustig, man überspielte Moores Worte mit Musik. Der gab sich geschlagen und zog von der Bühne.
Aber mit einem Lächeln auf den Lippen und wohl wissend, dass man nun in aller Welt über ihn sprechen würde. Und der eine oder andere Journalist, der über ihn berichtet, wird wohl nun auch dezent auf Moores Buch verweisen: Stupid White Men. Erfolgreich war’s schon vorher, aber man kann eigentlich ja auch gar nicht erfolgreich genug sein.
Übrigens wird “Stupid White Men” gleich acht Mal im Rahmen der LitCologne, dem großen Literaturfest, das aus Köln so eine Art “Cannes der Literatur” macht, in einer szenischen Lesung zum Besten gegeben. Und zwar an acht verschiedenen Tagen in acht verschiedenen Veranstaltungsstätten. Los geht’s am Sonntag, 30. März 2003 im Comedia Theater. Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen. Man sieht sich?

Von “Stand by me” zum “Weblogger” des Jahres: “I blog, therefore I am”


Es war einmal … ein Junge, der mit einem Film für lange lange Jahre zum Filmstar per se avancierte. Sein Name: Wil Wheaton. Sein Durchbruch: Stand by me (1986), ein Film von Rob Reiner nach einer literarischen Vorlage von Stephen King. Mittlerweile hat es Wheaton auf bis dato 46 Filme gebracht, auf jede Menge Gastauftritte in bekannten TV-Serien, er ist nach wie vor gut im Geschäft … und er ist einer der prominentesten Blogger dieses Universums.
Wil Wheatons Weblogg bietet einen interessanten Einblick in das tägliche Leben eines “Prominenten”. Wer würde schon annehmen, dass ein Filmstar eine Art Tagebuch öffentlich zugänglich im Netz lanciert. Wheaton macht es, und was er schreibt, kann manchmal auch als wichtige Botschaft an alle seine Leser, vor allem seine amerikanischen Fans, verstanden werden:
“March 20, 2003: A time for war, a time for peace. I don’t support this war. I believe that Mr. Bush’s justifications for it are based on lies. I believe that he has lied to the American people, and to the world. I believe that there is a small group of people within Mr. Bush’s administration who have wanted to invade Iraq since the mid-1990s. The horriffic terrorist attacks on September 11th, which have nothing to do with Iraq and everything to do with Saudi Arabia, have been exploited by this small group of people to justify this invasion. While I believe that Saddam Hussein is a terrible despot, I do not believe that this action is worth one American life, and I hope for the speedy return of all military forces to their families. May Peace Prevail On Earth.”

Koji Suzuki - der japanische Stephen King?

Der Horror beginnt 1995. Der japanische Autor Koji Suzuki veröffentlicht sein Werk The Ring - und landet damit einen Volltreffer. Das Buch wird fürs Fernsehen verfilmt, danach von Hideo Nakata fürs Kino. Der große Erfolg pusht drei weitere “Ring”-Streifen Kino, ein Prequel (”Ring 0″) und zwei Sequels (”Ring 2″ und “Spiral”). Spätestens nun war es klar, dass Hollywood auf den Erfolgsrun aufmerksam wird. Mit dem US-Remake (2002) gelingt ein Sensationserfolg. Der zweite Teil ist bereits in Vorbereitung.
Koji Suzuki hat von seinem “Ring”-Zyklus laut Verlag mittlerweile acht Millionen Bände verkauft. Als “Japans Antwort auf Stephen King” (Cover) wird er beworben. Der deutsche Heyne-Verlag greift bei der Übersetzung des Horrorschockers nicht auf das japanische Original zurück, sondern auf die amerikanische Lizenzausgabe. Ouh, was für ein Fehler. Wenn man bedenkt, dass das japanische Original schon bei der Übersetzung ins Englische viel eingebüßt haben muss, kann man sich vorstellen, wieviel an Urkraft bei der Übertragung vom Englischen ins Deutsche auf der Strecke geblieben ist. Nicht zu sprechen von den wirklich heftigen Rechtschreibfehlern, die man da auf den 352 Seiten findet.
Während in der westlichen Welt also der “Ring”-Rummel so richtig durchstartet, treibt er in Japan heftigste Blüten: “The Ring” hat so ziemlich alle Medien, die es gibt, geentert, es gibt eine TV-Serie, ein Manga und weitere auf dem “Ring”-Thema basierende Geschichten von Suzuki.
Eine Frage bleibt allerdings offen: Ist Suzuki tatsächlich die japanische Antwort auf Stephen King? Und wer will das beurteilen können aufgrund einer Übersetzung, die wohl aufgrund des deutschen Kinostarts ziemlich überhastet und fehlerhaft auf den Markt geschmissen wurde?

Kultur kostet - der Stadt Wien offensichtlich zu viel


Das Wiener Künstlerhaus am Karlsplatz wird demnächst seinen Ausstellungsbetrieb einstellen. Die meisten Mitarbeiter werden per September gekündigt. Nein, wir wundern uns nicht, dass dies in der politischen Ära schwarz/blau passiert. Wir wussten das schon immer. Draken sind teuer.

“Sticky Fingers: A Tale of Saks, Lies and Videotape” - Art imitating Life

Eine Gruppe von High-School-Studenten bringt dieser Tage in San Diego das Musical “Sticky Fingers: A Tale of Saks, Lies and Videotape” auf die Bühne. Als Stoff haben die Guten nicht etwa einen Klassiker wie den Lord of the Rings genommen, sondern mal was Handfestes aus dem Gerichtsboulevard Marke Hollywood, kurz, die Shoplifting-Affäre von Winona Ryder. Einer der Lehrer zur Themenwahl:

We’re inspired by the old Mickey Rooney-Judy Garland, ‘Hey, let’s put on a show,’ kind of spirit.

Winona wurde zur Premiere geladen, ob sie auch kommen wird?

“Natürlich, ich denke jeden Tag an den Tod.”


Das On-& Offline-Magazin Volltext hat in seiner Februar/März-Ausgabe 2003 ein ziemlich interessantes Interview mit Hugo Claus gebracht. Seit langer Zeit ist Claus legitimer Anwärter auf den Nobelpreis für Literatur, erst jüngst ist sein sehr zu empfehlendes Werk Der Schlafwandler in deutscher Sprache erschienen. Zum Thema Tod/Selbstmord meint Hugo Claus:

“Ich habe ein schlimmes Rückenleiden und werde andauernd auf die Tatsache hingewiesen, dass die Maschinerie nicht nur sehr viele Unglücke überlebt hat, sondern auch, dass sie langsam einrostet. Ich habe einmal Kenzaburo Oe in Tokio getroffen. »Hallo«, sage ich, »wie geht’s?«. »I’m preparing for my death«, antwortet er. – Ja, genau so ist es, aber dürfen wir das den Leuten sagen?”

19. März 2008:
Hugo Claus starb am 19. März 2008, das meldete der flämische Rundfunksender VRT. Der Autor wurde 78 Jahre alt.