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Archiv - 2010

Performing Center Austria: XMAS Gift [2010]

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Seit mittlerweile elf Jahren bietet das Wiener Performing Center Austria knapp vor den Feiertagen eine Weihnachtsproduktion für die ganze Familie. 37 junge Leute, das Durchschnittsalter beträgt 14 Jahre, spielen 2010 die Weihnachtsshow “XMAS Gift”. In diesem Jahr ist das Hauptthema freilich nicht Weihnachten an sich, “XMAS Gift” zeigt viel mehr Ansätze einer recht sozialkritischen Show, in der es unter anderem um den Gegensatz zwischen reich und arm geht, es werden gerade aktuelle Themen wie die unvermeidlichen Castingshows thematisiert, es geht um Außenseitertum, Konkurrenz, all das verpackt in eine sehr pfiffige Handlung rund um Engel, einen Castingwettbewerb an einer Schule und zwei Familien, eine reich und eine arm. Eines der faszinierendsten Themen vieler Hollywoodfilme, der Körpertausch, wo zwei Menschen sich auf einmal im Körper des jeweils anderen finden, mitreißende Choreographien zu für eine solche Produktion überraschenden Tunes wie “Fashionist” von Waldorf oder “Here comes the Hot Stepper” von Ini Kamoze oder auch “Engel” von Rammstein, und dann auch noch wirklich phantasievoll und passend in die Handlung eingebaut, sorgen für Stimmung, sehr gelungene deutsche, umgetextete Versionen von Kultsongs wie “I sing the body electric” aus “Fame” (hier nun: “Ich wünsch euch fröhliche Weihnacht”), all das macht “XMAS Gift” zu einer außerordentlich unterhaltsamen Show - auch zu einer Show mit Botschaft und auch zu einer Show am Puls der Zeit, denn auch zum Beispiel Jason Robert Browns “Being a Geek” (aus dem Musical “13″, in der deutschen Version “Streber zu sein”) ist mit dabei, und Jason Robert Brown hört man hierzulande viel zu selten.

Wer jetzt Musicaldarsteller bei “XMAS Gift” erwartet, die perfekt singen und tanzen, sollte sich zum Londoner West End begeben und dort glücklich werden, aber “Perfektionismus” zu präsentieren, das ist auch nicht das Ziel des Performing Center Austria mit dieser Show. Hier wird jungen Leuten eine Möglichkeit geboten, Interessen, die sie im Bereich der Performing Arts haben, auszutesten. Auszutesten in einem professionellen Umfeld, unter professionellen Produktionsbedingungen, in einer Reihe von Vorstellungen vor einer respektablen Menge an Zusehern. Da ist es auch legitim, dass jeder der jungen Leute im Zuge der Arbeit auf der Bühne erst lernt: Was kann ich, kann ich es live rüberbringen? Und wenn man merkt, dass die Interpretation vielleicht überzogen ist, dass bestimmte Elemente einer Figur vielleicht etwas dezenter noch wirkungsvoller wären, hat man die Chance, zu erfahren, wie es ist, wenn man auf der Bühne nicht jene Wirkung erzielt, die man erzielen will, ohne jetzt wirklich ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen, denn die Freude am Performen steht im Vordergrund. Die Weihnachtsshows des PCA sind nicht zuletzt deshalb so interessant, weil sie vielen Talenten eine erste Bühne gaben und geben, Talenten, die heute mit Musicals ihr Brot verdienen und in Zukunft verdienen werden. Hier hatte und hat man die Gelegenheit Talente zu sehen - wie sie sich entwickeln, wie sie am Anfang ihrer “Karriere” performen.

Es wäre fast unfair, jetzt einzelne Darsteller besonders hervorzuheben, aber da in der Show nur drei Burschen (und 34 Mädels) überhaupt zu sehen sind, vielleicht doch, im Sinne der Emanzipation :-): Robin Jentys als Geek fand ich sehr unterhaltsam. Noch mehr als er kann man sich wohl in eine Rolle schauspielerisch nicht reinsteigern, und noch mehr als er kann man in einer Nebenrolle wohl nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken und diese Rolle leben, bis in die letzte Faser des Körpers. Er schafft es sogar, wenn er nur am Boden sitzt und seine Schulbücher ordnet und abküsst, die Blicke der Zuschauer auf sich zu ziehen, obwohl sich die Haupthandlung gerade auf der anderen Seite der Bühne abspielt. Er macht aus seiner Nebenrolle allein durch seine unglaublich witzige Mimik etwas Großes. Zweifelsohne ein Talent.

Und um noch einmal auf den Frauenanteil zurückzukommen: Regie bei dieser Produktion führt Lisa Tatzber, die Musikalische Leitung hat Sandra Schennach, die Choreographie stammt von Sabine Arthold, Rita Sereinig und Lisa Tatzber. Buch und Liedtexte aber von Tommy Tatzber, Produktionsleitung: Alexander Tinodi. Bühnenbild: Sandor Coti, Thomas Poms, Licht: Gerhard Scherer, Ton: Tibor Barkoczy, Bühne: Manfred Puda.

Cast
Marjeta Urch, Vanessa Zips, Maria Scherbov, Michi Vögerle, Leonie Wagner, Carina Cerny, Jagoda Palecka, Viktoria Rosenbichler, Caecilia Freiberger, Mira Zeichmann, Carolina Gerstacker, Konstanze Barborik, Sophie Schüssler, Manuela Gartenmayer, Valerie Naderer, Vivien Mileder, Sina Löw, Sarah Sos, Michael Mayer, Ines Cihal, Theresa Barborik, Konstantin Frank, Sophie Schmidt, Yvonne Kellinger, Julia Greiler, Cosima Ebensteiner, Rebecca Fischer, Eszter Zakà¡rias, Magdalena Benakovic, Robin Jentys, Melanie Brunner, Hanna Resch, Sarah Wachter, Mirjam Kaar, Lena Barisic, Helena Gampe, Victoria Cerny, Larissa Langmann und Sarah Greiler.

Auf dem Nachhauseweg: Ein Junge, schätzungsweise 6 Jahre alt, fragt beim Einsteigen ins Auto seinen Vater: “Um ein Weihnachtsgeschenk ist es aber da gar nicht gegangen, oder?” Und beim Einstigen noch beginnt der Vater mit dem Erklären … Vielleicht ist letztlich auch das ein Geschenk: Dass man es nämlich mit einer Show zu tun hat, über die es sich lohnt nachzudenken und die auch Stoff bietet für ein Gespräch zwischen Vater und Sohn.

“XMAS Gift” ist noch am 18. Dezember um 19 Uhr, am 21. Dezember um 10 Uhr vormittags und um 14 Uhr nachmittags, am 22. Dezember um 10 Uhr vormittags und um 19 Uhr abends sowie am 23. Dezember um 10 Uhr vormittags zu sehen. Tickets und weitere Infos gibt es —> hier.

[Besuchte Vorstellung: 17. Dezember, 19 Uhr]

Ronacher: Musical Christmas [2010]

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Mit “Musical Christmas”, der weihnachtlichen Einstimmungsproduktion der Vereinigten Bühnen Wien, ist es wie mit den Familienfeiern am Heiligen Abend. Es ist einerseits schön, dass es sie gibt, andererseits spielt doch ein wenig Wehmut ab und an mit. Früher, da feierte die ganze Familie, Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkeln und Tanten. Im Laufe der Jahre lichtete sich der Kreis der Feiernden. Die Großeltern konnten bald nicht mehr kommen, weil es zu beschwerlich geworden war, die Geschwister feierten bald woanders, die Onkeln und Tanten blieben irgendwann auch lieber für sich, schließlich starben die Großeltern und die Eltern - und dann wird man den Heiligen Abend, wenn man ihn denn noch feiert, vielleicht alleine begehen.

Bei den Vereinigten Bühnen Wien und ihrer (fast) jährlichen Musical-Christmas-Produktion hat das Abbröckeln der Mitfeiernden schon früh eingesetzt. Von den 18 Solisten, 24 Mitgliedern des Weihnachtskammerchors und 13 Tänzern des Jahres 2003 ist nur mehr Dennis Kozeluh mit dabei. 55 Musicaldarsteller auf der Bühne, dazu 54 Musiker im Orchester, das war die Besetzung des Jahres 2003. Ein Spektakel sollte “Musical Christmas in Vienna” sein, mit Stars in Hülle und Fülle, mit einem großen Chor, einem eigenen Tanzensemble. Das alles ist Vergangenheit, von den furiosen Tanzszenen der ersten Jahre haben wir uns im Laufe der Jahre immer mehr verabschieden müssen: Murray Grant, Akos Tihanyi, Alexander Moitzi, Ramesh Nair, Steven Seale, Rita Sereinig, Sandra Miklautz, Silke Braas … das waren Tänzer, die mit ihrer Gabe echte Weihnachtsstimmung in die Theater zaubern konnten. 2010 ist tänzerisch der Polar-Express abgedampft, es gibt kein Tanzsensemble mehr, es wird ein wenig gemoved und in albernen Kostümen gesteppt, aber das wars dann auch schon, kein Vergleich mit den Anfangsjahren. Es gibt auch keine 18 Solisten mehr, sondern 6, und das Ensemble ist von insgesamt 37 auf 8 Leute geschrumpft. Dafür wird viel gelesen auf der Bühne. Lesungen waren zwar schon immer Bestandteil von “Musical Christmas”, aber derart Langatmiges und Bemühtes wie 2010, das hat es noch nie gegeben. Eine Ausnahme, bedingt, ist vielleicht Rasmus Borkowskis inszenierte Einlage mit der “Weihnachtsgeschichte” von Charles Dickens, aber dennoch, es wird zu viel gelesen - und zu wenig getanzt.

Der Hauptgrund allerdings, warum der ganze Abend so bemüht wirkt, ist, dass man sich so unendlich angestrengt hat, das Ganze in sagen wir eine Art szenisches Konzept zu gießen. Was genau dieses Konzept sein soll, wie man es benennen könnte? Keine Ahnung: “Tanz der Elfen” vielleicht. Das Ensemble wurde nämlich dazu vergattert, Elfenohren zu tragen. Wer sich darunter nix vorstellen kann: Spock-Ohren. Sieht ulkig aus, und wird noch ulkiger, wenn die Armen dann auch noch durch die Gegend hüpfen müssen wie Elfen (Wie hüpfen Elfen?). Natürlich ist dieses Konzept zum Scheitern verurteilt, weil entweder Elf oder nicht Elf, entweder man hüpft immer oder nie, und das Ensemble, das ja beispielsweise auch als Chor Weihnachtslieder interpretiert, hüpft natürlich dann nicht, wenn es Geschichten erzählt, hat natürlich - dann - auch keine Elfenohren auf, … aber, da muss man schon ein paar Mal in die Show, um das mitzubekommen, wann es heißt “Elfenohren auf” und wann “Elfenohren ab”, wann ein Elf ein Elf ist und wann nicht mehr, beim ersten Mal wundert man sich einfach nur über derlei Merkwürdiges. Kurz, man sieht, dass ein szenisches Konzept angedacht wurde, aber dass man es nicht zu Ende konzipiert hat. Zu verlockend war es vermutlich, einzelne fix und fertige Bestandteile vergangener Produktionen zu nehmen und zu einer “neuen” Show zusammenzusetzen.

Vielleicht wäre es an dieser Stelle ganz interessant, mal über die Kostüme der Produktion zu sprechen. Die Vereinigten Bühnen Wien verfügen ja über eine Kostümabteilung mit fixangestellten Mitarbeitern, ein Umstand, der bei all den Förderungen, die das Unternehmen erhält, immer wieder als Argument gebracht wird gegen all jene, die sich über all die Subventionen noch immer aufregen möchten. Eine eigene Kostümabteilung, Schneiderei, … das ist doch was. Nun, bei “Musical Christmas 2010″ hat man davon nicht wirklich etwas bemerkt. Vielmehr waren einige disaster moments auszumachen, wie beispielsweise jener Fetzen, den Caroline Vasicek bei “Who Would Imagine A King” tragen musste - ein buntes Stoffkonglomerat, enganliegend, in allen möglichen Orange-, Rot- und Gelbtönen, quasi das Red Bull unter all den Kostümen des Abends. Passend etwa zu einer Show wie “Hair” vielleicht, aber zu Weihnachten? Auch die Choreographie zu dem Song - ein Rätsel. Auftritt vom hinteren Teil der Bühne, und langsam geht die Künstlerin die Stufen des Podiums hinunter, auf dem das Orchester sitzt, wobei jeder einzelne der Musiker dreinschaut, als hätte gerade ein Schwall Magensaft Regionen erreicht, die wir gar nicht näher bestimmen wollen. Was war die Idee dahinter? Mal ein bisschen bunt in die Show? Und weil man immer von links und rechts auftritt, halt mal von hinten? Auch Wietske van Tongeren muss ein Lied in recht merkwürdiger Aufmachung auf der Bühne abbüßen: Bei “Koppà¥ngen” hat sie ein Krönchen auf und schaut aus wie Barbie leibhaftig, ein Krönchen, das nur dazu da ist, um am Ende des Songs als Halterung zu dienen, als Halterung für ein paar Tücher, die ein paar Mitglieder des Ensembles, während Wietske die ersten 3 Minuten des Liedes singt, durch die Luft eiern, eingetaucht in so viel Trockeneisnebel, dass man in den ersten Reihen geradezu daran ersäuft. Dann wirbeln die Tänzer in die Nähe von Barbies Krone, befestigen die Fetzen an derselben, und nun steht die arme Wietske halt da mit ihrem Krönchen und ein paar weißen Fetzen, die runterhängen. Fehlte gerade noch, dass ein paar Elfen auftauchen, sich an die Enden hängen, Wietske sich wild zu drehen beginnt und die Elfen weit in den Saal des Etablissement Ronacher schleudert - aber das wäre sicher gegen … keine Ahnung, aber es gibt ja so viele Bestimmungen. Ursprünglich wollte man ja auch bei “Tanz der Vampire” ein paar der Vampire tatsächlich fliegen lassen, musste aber, so hört man, den Plan aufgeben, weil das Denkmalschutzamt gegen die dafür nötigen technischen Vorrichtungen gevotet hat. Nur um nicht missverstanden zu werden, das ist nicht gegen die Qualitäten des Ensembles gerichtet, das kommt sympathisch rüber, aber man hat fast Mitleid mit den jungen Darstellern, die Elfenohren tragen müssen und derlei sinnfreie Choreos, die fast wie Parodien wirken, einstudieren müssen.

Von all den hektischen Kostümwechseln und all dem Choreographiewahnsinn (fast) ausgenommen ist nur einer: Uwe Kröger. Und Uwe Kröger ist auch der einzige der Herren, der für eine Gala standesgemäß gekleidet erscheint. Vermutlich daher, weil er seine eigene Kleidung tragen darf: eine Art Smoking, perfekt passend, auch die Hose dazu in passender Länge, und Lack-Stiefletten. Das setzt ihn von allen anderen Herren ab, die längst nicht so perfekt passende Garderobe zu tragen haben und mit Schuhen Vorlieb nehmen müssen, die wie sehr sehr günstige Straßenschuhe wirken. Auch muss sich Kröger nicht umkleiden, wozu auch. Das ganze Programm ist 2010 extrem balladenlastig, wozu muss man für jede einzelne Ballade ein anderes Outfit anhaben, und “Musical Christmas” war ja nicht als Modeschau konzipiert (hoffentlich). Natürlich gibt es auch nette Outfits bei einigen Songs, aber im Wesentlichen war die Auswahl der Kostüme unterirdisch. Bezeichnend für den unnötigen overkill an Outfitwechseln und Choreowahnsinn: “Es wird scho glei dumpa”, gesungen von Caroline Vasicek, Carin Filipcic, Markus Pol und Philipp Kreinbucher erhält fast den meisten Applaus des Abends - ein Auftritt, bei dem die Künstler alleine vor dem Vorhang stehen, sich nicht bewegen, die Kleidung völlig egal ist, die doofen Spock-Ohren für ein paar Minuten vergessen sind und es nur um eines geht: um die Kunst des Singens.

Interpretiert wurden die Lieder von den Damen fast durchwegs wunderschön, Carin Filipcic war stimmlich der Star der Show, da war kein Makel zu hören, da war nur mehr Strahlen und Arbeit an der Perfektion, auch ihre kurze Lesung (”Weihnachtslegende”, ein Gedicht von Manfred Koch) witzig, auf den Punkt, perfekt serviert. “Gabriella’s Sà¥ng”, ein Traum - wenn man sich diese Interpretation im Umfeld von 2003 vorstellen würde, was für eine Wucht. Wietske van Tongeren, ebenso stark, insgesamt aber viel zu viele Balladen in der Show.

Dennis Kozeluh hatte mit “Do You Hear What I Hear” einen starken Moment, nicht so stark wie auf der CD zur Show, da wäre arrangementmäßig und wirkungsmäßig mehr rauszuholen gewesen, aber auch hier fehlt einfach der große Chor, auch hier müsste das Orchester voller klingen, wir aber haben es mit einem Schrumpforchester zu tun, bei dem ganz vorne prominent Keyboards und Synthesizer platziert sind, das spricht Bände. Dazu kommt die nach wie vor katastrophale Akustik im Ronacher. Natürlich, in den ersten Reihen Parkett hört man ein gut abgestimmtes Klangbild, freilich mit viel zu wenig Bass. Im 2. Rang dagegen hört man lediglich akustische Reste, und wenn dann noch zwei Tage lang einer der Scheinwerfer defekt ist und laut rattert, bekommt man mitunter gar nichts mehr mit. Technische Defekte können passieren, keine Frage, doch bei einem ähnlichen Vorfall in einem Londoner Theater bekamen die Zuschauer in der Pause nicht nur complimentary snacks, sie erhielten auch Gutscheine für eine Vorstellung im selben Theater für eine Vorstellung ihrer Wahl - so viel zum Thema customer care. Auch die Choreographie bei “Do You Hear What I Hear” (und anderen Songs), eher grenzwertig. Als Bühnenelement hat man sich Würfel einfallen lassen, wie riesige Legobausteine, Legoquadrate. Die dienen für alles mögliche, mal sitzen die Darsteller drauf, und mal klettern sie völlig unmotiviert drauf rum und trällern dann von oben herab - nun gut, auch eine Möglichkeit. Kennen wir ja schon vom “Club der toten Dichter”, da lehrt Robin Williams auch seine Schüler, dass es wichtig ist, mal alles aus einer anderen Perspektive zu sehen, die Schüler klettern auf ihre Tische, die Darsteller auf ihre Würfel. Regiekonzept ist das für mich aber keines.

Uwe Krögers Auftreten war wie gewohnt professionell, ich persönlich höre in seiner Stimme allerdings ein enormes Maß an Angst und viel Anstrengung. Er versucht mt extrem viel Technik, sich in die hohen Töne zu zwingen, er wummert in den tiefen Tönen, er singt nur mehr laut oder leise, dazwischen spricht beziehungsweise zischt er die Lieder - ist das noch “Gesang”? Sehr sympathisch kommt er in seinem Duett (”Winter Wonderland”) mit Dennis Kozeluh rüber, da ist er auch gezwungen, endlich dieses alberne Einstudierte aufzugeben und tatsächlich spontan albern zu sein, denn Herr Kozeluh ist Improkünstler, und das ist auch gut so, er serviert seinen Text von Vorstellung zu Vorstellung immer ein klein wenig anders und bringt so etwas Pepp in die manchmal sehr getragene Show.

Pepp, dafür gibts auch Rasmus Borkowski bei “Musical Christmas”. Dem wird er gerecht. Er ist großartig bei Stimme, hat nur furchtbar lahme Songs bekommen, muss sich auch dauernd albern verkleiden, aber was solls. Er hat das gewisse Etwas, was eine solche Show braucht. Gemeinsam mit Caroline Vasicek singt er “Santa vs. Christkind”, ein stilstisch etwas ausuferndes Lied, jazzig, für Caroline Vasicek, sonst in dieser Produktion in Top-Form, in manchen Tönen nicht leicht zu packen, dafür aber als Entertainment-Element in der Show goldrichtig. Bei “It’s beginning to look a lot like Christmas” muss Rasmus B. tatsächlich die alberne Choreographie, etwas variiert, übernehmen, die schon Andrà© Bauer vor Jahren die Verzweiflung ins Gesicht gesschrieben hat, doch, wie der Amerikaner oder Engländer sagt: “… having said that …” … wer zum ersten Mal sein “Musical Christmas” erlebt, wird dennoch einen schönen Abend haben und sich blendend unterhalten. Einem Vergleich mit den Anfangsjahren kann die Show nicht mehr bestehen, schon gar nicht die geplante Tourneeversion, in der jemand ganz ernsthaft die Idee verwirklichte, die Musik vom Band einzuspielen. Die Folge: 50 Prozent der Auftritte mussten schon im Vorfeld gecancelt werden, zum Teil musste man vor trauriger Zuschauerkulisse spielen und vernichtende Kritiken einstecken, so schrieb all-in.de (das allgäu online) über die Show in der Kemptener Big Box:

Gerade mal 400 Besucher saßen in der Kemptener Big Box, als sich für «A Musical Christmas» der Vorhang öffnete. Zum Vorschein kamen am Rande eineinhalb Christbäume, und hinter dem weiten schwarzen Feld funkelten zeitweise elektronische Sternchen. Dazwischen verlor sich ein sattes Dutzend mehr oder weniger bekannter Musicalsänger der Vereinigten Bühnen Wien. Für die in der ersten Halbzeit (53 Minuten) eher blasse, danach jedoch engagierteren Performance war der Eintritt zwischen 47 und 73 Euro schlichtweg zu hoch.
Für dieses Geld sind im Kemptener Musiktempel schon Weltstars mit einem ausgewachsenen Orchester aufgetreten. Anfängliche szenische Darstellungen mit Geschenkpaketen und Kartonquadern waren nicht die großen Weihnachts-Einstimmer.

Am Ende der Show, nach “War is Over”: die Zugabe - ein gelungener sudden death von “Musical Christmas” . Man spielt sämtliche 200 Strophen von “Stille Nacht”, die Experten erkennen, wir haben es mit der Originalversion zu tun, der Chor wird nur von Harry Peller an der Gitarre begleitet, kurzer Applaus, und die Show ist aus. So schickt man sein Publikum eigentlich nicht nach Hause. Aber es wird ja sicher ein Wiedersehen geben, 2011. Frohe Weihnachten!

Das Programm
Teil I
Ouvertüre- First Noel/Wunschzettel: Instrumental/Uwe Kröger
(Traditional – Arr. Günther Gürsch/Gedicht von Cilly Kehsler)

The Christmas Song: Carin Filipcic
(Mel Tormà©, Bob Wells – Arr. J. Bertl)

Driving home for Christmas: Rasmus Borkowski
(Chris Rea – Arr. Günther Gürsch)

When Christmas comes to town (aus dem Film «Polar Express”): Caroline Vasicek, Wietske van Tongeren
(Alan Silvestri, Glen Ballard, Matthew Hall, Meagan Moore, Arr. Günther Gürsch)

Weihnachtslegende: Carin Filipcic
(Gedicht von Manfred Koch)

White Christmas: Uwe Kröger und Ensemble
(Irving Berlin – Arr. Günther Gürsch)

Lebkuchenmärchen: Katrin Mersch, Philipp Kreinbucher, Christian Petru, Markus Pol, Robert Weixler
(Gedicht von Hanna Helwig)

Santa vs. Christkind: Caroline Vasicek, Rasmus Borkowski und Ensemble
(Sigrid Brandstetter, Alexander Wagendristel)

Winter Wonderland: Dennis Kozeluh und Uwe Kröger
(Felix Bernand, Richard B. Smith – Arr. Thomas Huber)

Koppà¥ngen: Wietske van Tongeren und Damenensemble
(Traditional – Arr. L. Juling – Niederländischer Text: Wietske van Tongeren)

Who would imagine a king: Caroline Vasicek
(Mervyn Warren, Hallerin Hilton Hill)

Amerikanisches Weihnachtsmedley: Let It Snow, Rocking around the Christmas tree, Rudolph the red-nosed reindeer, Grandma got run over by a reindeer: Carin Filipcic, Caroline Vasicek, Wietske van Tongeren, Rasmus Borkowski, Dennis Kozeluh, Uwe Kröger und Ensemble
(Arr. Thomas Huber)

Teil II
Polar Express (aus dem gleichnamigen Film): Dennis Kozeluh und Ensemble
(Alan Silvestri, Glen Gallard – Arr. Günther Gürsch)

Meine Herzwunschliste: Uwe Kröger
(David Foster, Linda Thompson, dt. Text: Pe Werner – Arr. Thomas Huber)

Weihnachtsgeschichte – Ein Weihnachtslied: Rasmus Borkowski, Anna Knott und Christian Petru
(Charles Dickens)

Es wird scho glei dumpa: Caroline Vasicek, Carin Filipcic, Markus Pol, Philipp Kreinbucher
(Österreichisches Weihnachtslied – Arr. Walter Lochmann)

Do you hear what I hear?: Dennis Kozeluh und Ensemble
(Gloria S. Baker, Noà«l Regney – Arr. Thomas Huber)

Cantique de Noà«l: Carin Filipcic und Wietske van Tongeren
(Adolphe Adam – Arr. Jeremy Roberts)

It’s beginning to look a lot like Christmas: Rasmus Borkowski und Damenensemble
(Meredith Willson – Arr. Günther Gürsch)

Lebhafte Winterstraße: Caroline Vasicek
(Gedicht von Joachim Ringelnatz)

Gabriella’s Sà¥ng: (aus dem Film »Wie im Himmel«): Carin Filipcic und Ensemble
(Stefan Nilsson, Py Bäckmann – Arr. Günther Gürsch)

Deutsches Weihnachtsmedley: Fröhliche Weihnacht (Volkslied), O Tannenbaum (Volkslied), Morgen kommt der Weihnachtsmann (Volkslied), Tochter Zion (Georg Friedrich Händel): Carin Filipcic, Caroline Vasicek, Wietske van Tongeren, Rasmus Borkowski, Dennis Kozeluh, Uwe Kröger und Ensemble
(Arr. Koen Shoots)

Weihnacht: Uwe Kröger
(Gedicht von Elisabeth Dauthendey)

War is over: Carin Filipcic, Caroline Vasicek, Wietske van Tongeren, Rasmus Borkowski, Dennis Kozeluh, Uwe Kröger und Ensemble
(John Lennon, Yoko Ono – Arr. Christian Kolonovits)

Stille Nacht: Harry Peller (Gitarre), Carin Filipcic, Caroline Vasicek, Wietske van Tongeren, Rasmus Borkowski, Dennis Kozeluh, Uwe Kröger und Ensemble
(Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr – Arr. Koen Shoots)

Solisten
Uwe Kröger, Carin Filipcic, Caroline Vasicek, Wietske van Tongeren, Rasmus Borkowski, Dennis Kozeluh

Ensemble
Katrin Mersch, Anna Kott, Tina Schöltzke, Bettina Schurek, Philipp Kreinbucher, Christian Petru, Markus Pol, Robert Weixler

Musikalische Leitung: Koen Schoots
Regie: Dennis Kozeluh
Choreographie: Katrin Mersch
Kostüme. Josef Sonnberger
Bühne: Robert Hirner
Technik: Ulfried Grabner
Licht: Gerhard Landauer
Sound: Matthias Reithofer
Es spielt das Orchester der VBW
Musikalische Einstudierung und Dirigenten: Koen Schoots und Carsten Paap
Zusätzliche Texte: Dennis Kozeluh

Theater der Jugend: Just so [2010]

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Eine perfekt ins Programm passende Show, gut überlegtes Casting, eine umsichtige, phantasievolle, sehr genau ausgearbeitete Regie, eine gelungene Übersetzung, all das und noch viel mehr wünscht man sich bei Musicalproduktionen - und bekommt genau das doch eher selten zu sehen. All das und viel mehr erfüllte eine Show des Wiener Theaters der Jugend, die im Oktober und November 2010 in Wien zu sehen war: “Just so”.

Henry Mason, Oberspielleiter am Theater der Jugend in Wien, brachte “Just so” von George Stiles (Musik) und Anthony Drewe (Buch und Gesangstexte) in einer begeisternden, bunten, liebevollen und genau gearbeiteten Version auf die Bühne des größten Theater für junges Publikum in Europa. Er übersetzte den Text klug und stimmig. Da das Theater der Jugend letztlich auch eine pädagogische Aufgabe hat, die es mit vielerlei Aktionen und Angeboten erfüllt, musste er das sprachliche Niveau nun nicht unbedingt dort ansetzen, wo man den Beginn der Zielgruppe angesetzt hatte, nämlich bei 6 Jahren. Letztlich kann und soll auch das Theater als Motivation und Anreiz dazu dienen, einfach mal auch über das, was man gesehen hat, zu sprechen, und wenn das eine oder andere Wort noch nicht Teil des Wortschatzes eines der jüngeren Besucher ist, so kann man das im Anschluss an die Show oder in der Pause klären - oder aber man nutzt als Lehrer eines der Angebote des Theaters (siehe –> hier), fordert Materialien an, erarbeitet die Show mit der Klasse im Vorfeld, all das ist für diverse Produktionen des Hauses immer wieder möglich und dient dazu, junge Leute ans Theater heranzuführen. All das lohnt sich auch bei der Qualität der Stücke, die vom Theater der Jugend zur Aufführung gebracht werden. Die Abteilung Theaterpädagogik des Theaters der Jugend hat ein reiches Angebot für Lehrer und Schulen, das man nutzen sollte.

Was “Just so” allerdings auch auszeichnete: Es war es kein “Theater für Kinder”, nicht dieses “Theater für Kinder” im schlechten Sinn, wo noch in Babyslang und mit zuckersüßen Goscherln outriert wird, weil die Kleinen ja sonst vielleicht nicht mitkommen oder gar einschlafen. Sie kommen mit, man muss nur wissen, wie man eine Show anzupacken hat. “Just so” war eine jener Produktionen, für die man auch Abendvorstellungen für “erwachsenes” Publikum hätte ansetzen können, eine Idee, die bis dato noch nicht aufgegriffen wurde. “Just so” war letztlich eine der besten Musicalproduktionen in Wien 2010.

Auf der Bühne eine Cast, die man so auch bei jeder Produktion von sogenannten “großen” Musicalbühnen finden kann. Einen Namen im Musicalbusiness haben nicht nur Norman Stehr (”Cabaret der verlorenen Seelen”), Wolfgang Türks (”Frühlings Erwachen”), Jan Hutter (”Rudolf”) und Christoph Sommersguter (”Rebecca”). Für “Just so” suchte man die Idealbesetzung und fand sie auch in Thomas Smolej, Robert G. Neumayr, Christian Graf, Daniela Dett, Uwe Achilles, Julia Tiecher, Natalie Ananda Assmann und Lynne Williams.

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Jedes Element der Show dient der Geschichte, die erzählt wird. Weder sind die Schauspielszenen dazu da, um die Pausen zwischen den einelnen Songs zu überbrücken, noch dienen die Songs dazu, um dem Ganzen überhaupt eine Musicalform zu verleihen, und auch die Tanzelemente sind nicht einfach da, weil halt in einem Musical getanzt werden muss, sondern sind großartig durchdacht und wichtiger Bestandteil der Charakterisierung jeder einzelnen Figur. Jede der Figuren ist von den Schauspielern genau erarbeitet, ist wiedererkennbar und einzigartig in Sprache, Kostüm, Mimik und Choreographie. Bis hin zu den kleinsten Details sind Figuren wie das Zebra oder der Kolokolovogel choreographiert, auch die Stimmführung ist der jeweiligen Figur angepasst. Für den Jaguar und den Leoparden hat man sich eine Art Wiener Strizzi-Dialekt einfallen lassen, die eingesetzten Tanzschritte, die Art und Weise, wie sich Thomas Smolej und Christoph Sommersguter bewegen - ein fein erarbeitets Konzept, das spielerisch durchgezogen wird, und so bleiben die Figuren auch noch Wochen, nachdem man die Aufführung gesehen hat, lebhaft im Gedächtnis. Jeder der Schauspieler spielt eine Vielzahl an Rollen und geht in der jeweiligen Rolle auf. Es ist schön zu beobachten, wie sie mit ihrem Schauspiel, mit ihrem Tanz und auch mit ihrem Gesang, gleichwertig, beim Publikum Emotionen auslösen. Denn darum geht es letztlich auch beim Theater: Emotionen auszulösen. Denn das ist es, was man dem Publikum schuldet: Emotionen auszulösen. Keiner hat im Publikum das Recht vom Schauspieler echte Emotion auf der Bühne zu fordern, aber der Schauspieler ist es seinem Publikum schuldig, es glauben zu machen, dass sie echt sind und echte Emotionen auszulösen. Dazu braucht man handwerkliches Können, Technik, dazu muss man Szenen genau erarbeitet haben - keiner hat etwas davon, wenn viel Geld in ein enormes Maß an Bühnentechnik, in 20 Tonnen Licht- und Soundequipment investiert wird und dann auf der Bühne, im entscheidenden Moment, wenn zwei Schauspieler sich einander gegenüberstehen, durch fehlende Technik nichts passiert außer schulisches Aufsagen von Text. Da haben dann nicht nur die Schauspieler versagt, sondern auch der Regisseur, und auch der Produzent, der nicht rechtzeitig eingegriffen hat. All das ist bei “Just so” in keiner Sekunde der Fall, und nicht zuletzt das, diese wohltuende umfassende Professionalität (im Umfeld so vieler Produktionen für “jugendliches” Publikum, die das in dem einen oder anderen Bereich nicht leisten können), die in Emotionalität mündet, war ein Erfolgsrezept dieser Produktion.

Auch wenn es Schauspieler gibt, die der Meinung sind, dass sie nicht verstehen, wie man überhaupt von einer guten oder schlechten Inszenierung sprechen kann, wie beispielsweise Otto Schenk auf der Buchwoche vor ein paar Wochen: Die Regie bei “Just so” war grandios. Keine Sekunde hatte man das Gefühl, dass man verloren gehen könnte in der Aufführung, immer war klar, dass und auch welche Geschichte erzählt wurde. Robert G. Neumayr als “Der älteste Magier” hatte da die Fäden in der Hand und erdete die Show immer wieder, nach jeder der vielen Einzelszenen, leitete und steuerte den Spielfluss, souverän, sympathisch. Das ist umso wichtiger, als es viele Shows gibt, bei denen man schon nach zehn Minuten eigentlich nicht mehr weiß, ob Regie überhaupt existiert. Es mag also sein, dass man hier etwas bewertet, was zu einem Großteil nur Intuition ist, oder ein Zusammenspiel von vielen Faktoren, dem man dann das Label “Regie” aufdrückt, aber “Just so” zeichnete auch das Gefühl aus, dass bestimmte Szenen gar nicht anders als genau so auszusehen haben, gleichzeitig wurde man immer wieder überrascht von großartig inszenierten Hymnen wie jener vom “Limpopo-River”, ein Showstopper schlechthin, von Solos wie jenem des Kolokolovogels, gegeben von Daniela Dett, die dem Publikum in einem einzelnen Song schon das ganze Leben und Schicksal dieser Figur eröffneten. Und das gesungen und gespielt mit wunderbaren Nuancen, mit einer Mimik und Gestik, die den Schauspieler gänzlich hinter die dargestellte Figur treten ließen. Jede der Einzelszenen, ohne Ausnahme, war ein Erlebnis, sei es jene des Krokodils (Wolfgang Türks), schaurig auch durch die Soundeffekte, jene des Nashorns (Jan Hutter), des Parsen und seiner Backkünste (Norman Stehr), des Kängurus (Wolfgang Türks), jene der beiden Strizzis Jaguar & Leopard und natürlich die Geschichte all dieser Geschichten, nämlich wie das ewig fragende und neugierige Elefantenkind (Christian Graf) alle vor dem bösen bösen Pau Amma, einem riesigen Krebs, rettet. Einfach ein herrlicher Spaß für Menschen, die Märchen mögen, egal, wie alt sie sind.

Das Theater der Jugend sollte auf diesem Weg bleiben, und am besten keine Produktionen mehr von anderen Bühnen für die eigene Klientel ins Programm nehmen, kein “Tanz der Vampire” mehr zum Beispiel. Schlicht und einfach, weil man es nicht nötig hat und über genügend Kompetenz verfügt, ein eigenes Profil im Musicalbereich, der ja nur ein Teil des Angebots ist, zu entwickeln. Ja, im Gegenteil, vielmehr sollte man eigene Produktionen anderen Häusern anbieten, sie auf Tour schicken, sie wiederaufnehmen, sie ganz lange spielen.

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Inhalt
Es ist die Zeit der ersten Anfänge: Noch hat das Nashorn keine Falten, der Leopard keine Flecken und der Elefant keinen Rüssel. Der älteste Magier ermutigt alle Tiere, zu ihrer Einzigartigkeit zu finden. Der Krebs schießt dabei übers Ziel hinaus: Gierig frisst er sich durch die Weltmeere und wächst dabei ins Riesenhafte, bis er bei der täglichen Futtersuche halb Afrika und Indien unter Wasser setzt. Die Flutopfer resignieren – gegen so einen Feind kann man nichts unternehmen.
Nur einer stellt das in Frage: das Elefantenkind. Es hat zum Leidwesen seiner Herde eine Frage zu allem: Warum ist der Himmel blau? Wenn es eine Missis Sippi gibt, gibt es dann auch einen Mister Sippi? Warum sagen wir dem Krebs nicht, er soll aufhören, so selbstsüchtig zu sein? Der älteste Magier stellt dem Elefantenkind den Kolokolovogel zur Seite, der sich zwar nicht fliegen traut, dafür aber auf alles eine Antwort hat. Auch auf die Frage, wo man den Krebs finden kann: am groß-grau-grünen Limpopo-Fluss nämlich.
So beginnt eine Segelfahrt ins Ungewisse, voller Überraschungen und Gefahren.
Wie der Krebs besiegt wird, wie das Nashorn Falten und der Leopard Flecken bekommt und wie die unersättliche Neugierde des Elefantenkinds ihm zu einem Rüssel verhilft, alles das erfährt man in George Stiles und Anthony Drewes bezauberndem und beschwingtem Familien-Musical. »Just So« erzählt aber auch vom Mut der Allerkleinsten und davon, wie man über den eigenen Schatten springt.

Cast
Der älteste Magier: Robert G. Neumayr
Das Elefantenkind / graues Tier: Christian Graf
Der Kolokolovogel / graues Tier: Daniela Dett
Der Parse / graues Tier / Elefant / Gnu / Wallaby: Norman Stehr
Der Kochherd / graues Tier / Elefant / Gnu / Wallaby: Uwe Achilles
Das Nashorn / graues Tier / Elefant / Gnu / Wallaby: Jan Hutter
Die Giraffe / graues Tier / Elefantenkönigin / Zutat / Wallaby: Julia Tiecher
Das Zebra / graues Tier / Elefant / Zutat / Wallaby: Lynne Williams
Der Jaguar / graues Tier / Elefantenkönig / Zutat / Gnu / Wallaby: Christoph Sommersguter
Der Leopard / graues Tier / Elefant / Zutat / Gnu / Wallaby: Thomas Smolej
Das Känguru / Das Krokodil / graues Tier / Elefant / Zutat / Gnu: Wolfgang Türks
Der Dingo / graues Tier / Elefant / Zutat / Gnu: Natalie Ananda Assmann
Die Stimme von Pau Amma: Henry Mason
Cover: Maxi Neuwirth / Wolfgang Türks

Musiker
Gerald Schuller, Bernd Alfanz, Sophie Hassfurther, Robert Pistracher, Bernd T. Rommel

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Leading Team
Musik: George Stiles
Buch und Gesangstexte: Anthony Drewe
Inspiriert durch die Geschichte von Rudyard Kipling
Deutsche Übersetzung: Henry Mason
Orchestrierung: Christopher Jahnke unter Mitarbeit von John Clancy
Regie: Henry Mason
Choreographie: Francesc Abà³s
Musikalische Leitung und Korrepetition: Gerald Schuller und Hannes Drobetz
Bühnenbild: Michaela Mandel
Kostüme: Jan Hax Halama
Licht: Frank Sobotta
Dramaturgie: Marlene Schneider
Assistenz und Inspizienz: Eva Maria Gsöllpointner
Hospitanz: Laura Söllner

Vindobona: “Mitten ins Herz” [2010]

Derzeit im VINDOBONA, im “Kabarett für Hiesige und Zuagraste”, zu sehen: “Mitten ins Herz”, eine Art Revue, eine Art Konzert, eine Art Erinnerungs-Singspiel an länger vergangene und nicht mal gar so lange vergangene “Schlagermusik”-Zeiten und auch an das, was Gerhard Bronner in seiner legendären Radiosendung “Schlager für Fortgeschrittene” nannte, wenn man denn beispielsweise manches von STS, Rod Stewart, Herbert Grönemeyer, Liza Minnelli et al Interpretierte dazureihen möchte, was ich befürworten würde. Schlager in neuen Arrangements, in witzigen Kombinationen.

Die Show ist ein Hit, aber sie ist scheinbar kein Hit, was das Publikum betrifft. Das, so hört man, kommt einfach nicht. In der besuchten Vorstellung waren gerade mal 20 bis 30 Personen, die meisten davon weiblich und schon in etwas fortgeschrittenem Alter. Aber Halt, das ist kein Werturteil, denn was das Showbusiness betrifft, so fischt sich diese Branche ihr Publikum aus dem langen, langen Fluss des Lebens. An der Quelle holen die Teenies wie Justin Bieber sich ihr Publikum, und den ganzen Fluss entlang finden sich immer neue Richtungen, Ströme - für jeden Streckenabschnitt gibt es immer genau das Richtige, und ein Teil des Publikums für “Mitten ins Herz” würde man im Mündungsgebiet des Flusses finden. Das ist durchaus positiv zu werten, denn wenn man einmal so weit gekommen ist, hat man Zeit, man hat Geld und will sich was Schönes leisten, beispielsweise die Hirschsteaks oder die Jakobsmuscheln, die es heute in den Pausen der Show zum Bestellen gab.

Ohne Werbung allerdings wird man an die Menschen, die man in der Show als Zuschauer haben möchte, nicht rankommen. Und Werbung gibt es für “Mitten ins Herz” einfach zu wenig. Natürlich könnte man es über einen Umweg versuchen, denn ein Abend im Vindobona mit diesem Programm ist durchaus ein nettes Geschenk, das das Enkerl seiner Oma machen kann, der Sohn seiner Mutter, etwas, wo man sicher sein kann, dass es der Oma, der Mutter gefallen wird, weil sie mit dieser Musik gelebt hat und sie geliebt hat. Meiner Mutter, die vor einigen Wochen gestorben ist, hätte es großartig gefallen, und es wäre für sie ein schöner, sentimentaler Abend geworden, an dem sie in Erinnerungen geschwelgt hätte. Das ist durchaus ein Aspekt dieser Show - Impulse zu geben, die es erlauben, sich in diese vergangenen Zeiten hineinzuversetzen. Freilich ist das ganze Konzert mit reichlich Augenzwinkern und Ironie gewürzt, das passt dann für Alt und Jung, aber es hat schon auch seine tatsächlich sentimentalen Momente, die man dann doch gar nicht so schrecklich findet, wenn man mit der Mutter oder Oma oder gleichaltrigen FreundInnen im Vindobona sitzt.

Natürlich könnte man auch bei den Musicalfans fischen. Kerstin Ibald, Dennis Kozeluh sind neben dem Newcomer Christof Messner und der Sopranistin Agnes Palmisano auf der Bühne zu erleben - da kann man als Wiener Musicalfan doch nun nicht behaupten, dass das Namen wären, die man nicht kennt.

Natürlich sind das Konzept der Show und die Inszenierung ein Tanz auf einem schmalen Grat. Es kann schon vorkommen, dass man sich für einige wenige Momente wie in einem Lokal für Singles vorkommt, wo nur noch die roten Telefone am Tisch fehlen, dann wieder fühlt man sich viel eher in einen Nachtclub, in eine Bar versetzt. Ganz wird man wohl nicht schlau aus der Show, aber gerade das ist auch der Reiz, diese einerseits manchmal großartigen Arrangements von Liedern wie “Ich hab dich lieb” (Herbert Grönemeyer) und dem Gefühl, dass Großteile der Setlist in einer TV-Show von Peter Frankenfeld, Catarine Valente oder Peter Alexander auch nicht unpassend gewesen wären. Es ist ein Spiel, und es ist ein bewusst inszeniertes Spiel. Und manchmal macht es auch Spaß, die anderen Zuschauer zu beobachten, wie sie die Vorstellung erleben - man sieht in diesen zweieinhalb Stunden wohl keine Fadesse in den Gesichtern der Zuschauer. Die einen sind gerade begeistert, andere lachen sich einen ab und ein paar haben sich gerade in Christof Messner verliebt, während gleichzeitig einige Omis gerade in Erinnerungen abgetaucht sind. Ein wahrlich generationenübergreifendes Konzept, charmant von allen Darstellern präsentiert, die von Herbert Otahal mit seinem Herzkammerorchester begleitet werden.

Also, nichts wie hin ins Vindobona. Für eine Show von dieser Qualität sind die Eintrittspreise geradezu eine Okkasion. Schon ab 16,80 Euro ist man dabei, und die teuerste Karte kostet gerade mal 38,10 Euro. Dafür kommen Sie bei der “Tommy”-Produktion, die nächstes Jahr im MuseumsQuartier gastieren wird, gerade mal bis zur Kassa, um sich da eventuell die billigste Kategorie zu gönnen, die allerdings 50 Euro kostet.

Mitten ins Herz
Mit: Kerstin Ibald, Agnes Palmisano, Dennis Kozeluh und Christof Messner
Musik: Herbert Otahal live mit seinem Herzkammerorchester
Zu sehen am 30.11. sowie am 1.12. und vom 8.12. bis 13.12.2010

Tickets
Tel.: 01/ 512 39 03 (bis 12h) bzw. 01/ 512 47 42 (ab 14h)
bzw. direkt an der Kassa des Kabarett Simpl in der Wollzeile oder an der Abendkasse im Vindobona

[Besuchte Vorstellung: 29. November 2010]

Raimund Theater: Absolut Uwe - der letzte Tanz am Abgrund?

Uwe Kröger ist auf Tour - im Wiener Raimund Theater startete der Musicaldarsteller am 15. November 2010 die Tourproduktion seiner Soloshow “Absolut Uwe”, und lieferte insgesamt gesehen eine gute Show ab, wenngleich der Sänger Uwe Kröger an diesem Abend scheiterte, dafür aber sein Publikum mit attraktiven Gästen versöhnte.

Begonnen hat alles mit einer “Begrüßung” ohne jeglichen Sinn. Aber lesen Sie selbst:

“Einen wunderschönen guten Abend meine Damen und Herren zu ABSOLUT UWE hier im RAIMUND THEATER. Nein, wir spielen heute Abend nicht “Ich war noch niemals in New York”, wobei diese Lampen da vorne mich ein bisschen so an Bullaugen erinnern, die könnten fast so die Form eines Schiffes haben. Meine Damen und Herren ABSOLUT UWE hat natürlich nicht nur mit dem wunderbaren kühlen Nass zu tun, was ich hin und wieder mal, so, ganz selten natürlich, mir selbst kredenze, nein, sondern absolut ist mein absolut Lieblingswort. Man könnte auch den Abend nennen “Absolut Uwe” oder “Typisch Uwe”. (Warten auf Applaus — es kommt aber keiner.)”

Bullaugen, die an Schiffe erinnern? Lampen, die die Form von Schiffen haben? Sollte der zweite Teil der Ausführungen eine Begründung für den Titel des Programms beinhalten, fehlten da Sätze? Jüngst hat unser Absoluter ja in einer österreichischen TV-Comedy-Sendung (”Willkommen Österreich”) gestanden, dass er immer dann, wenn er auf der Bühne auf Autopilot läuft, Sätze vergisst. War das eine der berüchtigten Autopilot-Sequenzen? Wir werden es nie erfahren. Wurscht.

Das Hauptproblem Uwe Krögers an diesem Abend war nämlich nicht die misslungene Einleitung oder etwa, dass er eine Soloshow entertainermäßig nicht stemmen könnte, das gelang ihm sogar sehr sympathisch, da nahm er in Wien auch immer wieder gerne auf den Wiener Dialekt, die Taxler und den guten Kaffee Bezug, das lockerte auf und sorgte jederzeit für Lacher. Nein, das Hauptproblem, und das ist für einen Sänger ein existentielles Problem, war Krögers Stimme. Kaum ein Song, bei dem die Stimme nicht zumindest an einer Stelle leicht kippte oder wegbrach, wenig Nuancen, wenige leise Zwischentöne, sehr oft nur mehr recht lauter oder gar gebrüllter Gesang beziehungsweise gehauchter Gesang - alles Versuche, mit viel Technik und Anstrengung noch das Beste aus einer Grundsituation rauszuholen, die wohl nur der Darsteller selbst kennt.

Irgendwann, irgendwo, und warum auch immer, ist Kröger vor vielen Jahren die Fähigkeit zu einer gewissen Solidität abhanden gekommen, die seine Auftritte in Longrun-Produktionen lange Jahre ausgezeichnet hat. Müsste ich es zeitlich festmachen, so würde ich es in die Zeit nach “Napoleon” legen, also in den Beginn der 2000er Jahre. Seitdem ist fast jeder Auftritt ein leiser Abschied vom einstigen Gestalter Uwe Kröger hin zum Kämpfer um jeden Ton. Seit dieser Zeit kann man nicht mehr davon sprechen, dass er seine Auftritte jederzeit solide abliefern “kann”. Ich meine, der Zeitpunkt ist gekommen, da auch Uwe Kröger dazu Stellung nehmen muss (er kann das ja auch gerne hier machen). Er hat eine dermaßen getreue Gefolgschaft, dass er es einerseits seinen Fans schuldig ist, ihnen reinen Wein einzuschenken - aber vor allem auch all den anderen, die für Tickets bezahlt haben. Es ist fast berührend zu erleben, wie Kröger in seinem Konzertprogramm “Die Musik der Nacht” aus dem Musical “Das Phantom der Oper” völlig verhaut und dennoch sein Publikum vor Begeisterung tobt. Man darf das nicht mal mit Mitleid verwechseln, es ist, nach wie vor, ehrliche Begeisterung, als würde jeder dieser Fans einen Filter aktivieren, der jeden akustischen Fehltritt des Meisters absorbiert.

Wenn Uwe Kröger so weitermacht, dann besteht die Gefahr, dass er zur männlichen Florence Foster Jenkins mutiert, und das wird sein Ziel wohl nicht sein. Es kann, bei einem Alter von 45 Jahren, keine natürliche “Abnützungserscheinung” sein, die seine Stimme zu dem werden ließ, was sie jetzt ist.

Nach wie vor gilt Uwe Kröger als “der” Musicalstar im deutschsprachigen Raum. Das ist nicht nur ein Etikett, das man gerne als “Lob” akzeptiert, das sollte auch Verpflichtung sein, Qualität abzuliefern, oder, wenn das aus bestimmten Gründen nicht mehr der Fall ist, sich zu erklären. Derzeit ist es so, dass fast schon die Branche darunter leidet, wenn derjenige, der als eines der Flaggschiffe bezeichnet wird, dann Leistungen wie jene im Raimund Theater abliefert. Ich frage mich, warum Kröger Lieder versucht, von denen er wissen muss, dass er sie nicht astrein schaffen wird, bei deren Interpretation man ihm die höllischen Qualen ansieht, die er ganz offensichtlich beim Singen erleidet - beim Versuch, den einen oder anderen Ton aus sich herauszupressen. Warum?

Natürlich bemerkt man die immer raffinierteren Arrangements, bei denen Instrumentalparts Teile der für Kröger völlig unsingbaren Gesangsparts übernehmen, aber wenn auch der Rest nicht mehr funktioniert - warum? Natürlich kann das als Krögers Privatsache angesehen werden. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig. Wer ihn nicht sehen will, soll einfach keine Tickets mehr kaufen. Das passiert auf der einen Seite ohnedies, denn das Raimund Theater war alles andere als ausverkauft. Auf der anderen Seite sollte es kein Problem sein für all jene, die an den schiefen Tönen mehr als gelitten haben, sich ihr Eintrittsgeld einfach zurückzuholen. Wer nicht liefert oder liefern kann, sollte zurückerstatten. Oder?

Ein Uwe Kröger, der die Schlager der Musicalliteratur gesanglich nicht mehr schafft, muss deswegen ja noch lange nicht in Rente gehen. Starke Momente hatte Uwe Kröger nämlich auch im Raimund Theater in seiner derzeitigen Form, beispielsweise, wenn er es schaffte, persönliche Betroffenheit zu zeigen. Von Udo Jürgens sang er das Lied “Vater und Sohn” und widmete es seinem Vater. Da passte die Conference, da passte die brüchige Performance, da passten sogar die Unsicherheiten und die Art und Weise, wie er etwa mit Herwig Gratzer interagierte, so als wollte er auch ihm danken.

Nicht wirklich durchschaubar ist das Inszenierungskonzept der Show, was die Chorteile betrifft. So musste das Ensemble immer dann, wenn es Chorbegleitung ohne Tanz gab, auf der Seitenbühne, für das Publikum unsichtbar, singen. Das macht im Showbusiness genau niemand. Man hätte auch sicher ein nettes Plätzchen im hinteren Teil der Bühne gefunden - aber natürlich, wenn man sich zu praktisch jedem Song erstmal umziehen muss, dann wird das Ganze eine Hatz mit der Zeit. Was die Tanzszenen der Uwe Boys & Girls betrifft, so merkt man die Handschrift von Steven Seale (nach Vorarbeit von Simon Eichenberger), und leider sieht man auch, dass Seale der Eifrigste auf der Bühne ist, der ständig ein bisschen mehr geben will, als eigentlich nötig ist. So wirkt er zu sehr bemüht und killt die Einheit des Ensembles. Aber letztlich ist auch das egal, weil all die Kostümwechsel, all die verschiedenen Tanzsequenzen so unglaublich überambitioniert und bemüht wirken, dass man es nach einer gewissen Zeit fast nicht mehr aushält. Das liegt nicht an den Damen und Herren des Ensembles, die machen ihre Sache gut, es liegt einfach am Konzept. Sicher einer der Tiefpunkte: Die balletteusenhaften Bewegungen der Uwe Boys beim James-Bond-Segment des Konzerts - dieses absolut übergrazile fast nur mehr in der Luft Schweben, dieser Anneliese-Rothenberger-Fernsehballett-Abklatsch - da fühlte man sich in die billigste aller vorstellbaren Shows versetzt. Das konnte nur mehr getoppt werden von der “Musik der Nacht”, bei der das Arrangement klang, als wäre es für eine Pompfüneberer-Band erstellt worden.

Wirklich starke Szenen gabs erstmals, als die Gäste Krögers auf die Bühne kamen. Annemieke van Dam gab das unvermeidliche “Erinnerung” aus “Cats”, dafür aber schön gesungen (ebenso wie “Once Upon A Time” aus “Brooklyn”) und dann erschien, als Überraschungsgast, der koreanische Popstar Eun Tae Park, der extra für die Tourproduktion von “Absolut Uwe” engagiert wurde, auch in Deutschland auftreten wird und mit der koreanischen Version von “Wie wird man seinen Schatten los?” (”Mozart!”) zum ersten Mal an diesem Abend für wirklichen Beifall sorgte, wie man ihn von den Wiener Musicalfans gewohnt ist. Stark, dank der Gäste, aber auch sehr bühnenpräsent von Kröger gegeben: der gesamte “Elisabeth”-Block. Und wie auf Kommando waren sie wieder da im Publikum, die Hardcore-”Elisabeth”-Fans, die sich mit Mitdirigieren und lautlosem, aber gebrüllt lautlosem Mitsingen (man denke an Fischmäuler unter Wasser) bemerkbar machten. Fast herzig, die Musicalgoldfische - sie outen sich bei egal welchem ersten Takt zu welchem Lied aus “Elisabeth” auch immer. Wahnsinn pur, aber auch das ist Wien.

Fazit: Wer Uwe schön singen hören will, soll sich die DVD zur Show kaufen. Da passt alles. Klar, damals (am 4. Dezember 2009) in der Stadthalle, da war er halt noch in Form, da hat er NATÜRLICH keine falschen Töne serviert, da wurde danach nichts neu eingesungen, völlig logo. Wer vielleicht doch wissen möchte, wie die Realität klingt: Einfach Tickets kaufen für “Absolut Uwe” und sich selbst eine Meinung bilden.

ABSOLUT UWE (Tourversion 2010)

Teil 1
01 Chicago-Ouvertüre (”Chicago”)
02 Bin nur für die Liebe da: Uwe Kröger (”Chicago”)
03 Born Free: Uwe Kröger (OST “Born Free”)
04 California Dreamin’: Uwe Kröger (The Mamas and the Papas)
05 Is It Okay If I Call You Mine: Uwe Kröger (”Fame”)
06 Hair-Medley: Ensemble (”Hair”)
07 Starlight Express: Uwe Kröger (”Starlight Express”)
08 Fame-Medley: Ensemble (”Fame”)
09 (I’ve Had) The Time Of My Life: Uwe Kröger & Annemieke van Dam (”Dirty Dancing”)
10 Erinnerung: Annemieke van Dam (”Cats”)
11 Wie wird man seinen Schatten los?: Eun Tae Park (”Mozart!”)
12 Wenn ich tanzen will: Uwe Kröger & Annemieke van Dam (”Elisbeth”)
13 Die Schatten werden länger: Uwe Kröger & Eun Tae Park (”Elisabeth”)
14 Ich gehör nur mir: Annemieke van Dam (”Elisabeth”)
15 Der letzte Tanz: Uwe Kröger (”Elisabeth”)

Teil 2
16 Goldfinger: Uwe Kröger (”James Bond”)
17 Diamonds Are Forever: Annemieke van Dam (”James Bond”)
18 All I Want: Uwe Kröger
19 Vater und Sohn: Uwe Kröger (Udo Jürgens)
20 All That Jazz: Annemieke van Dam (”Chicago”)
21 Die Musik der Nacht: Uwe Kröger (”Das Phantom der Oper”)
22 Das Phantom der Oper: Uwe Kröger & Annemieke van Dam (”Das Phantom der Oper”)
23 Once Upon A Time: Annemieke van Dam (”Brooklyn”)
24 Dancin’ Fool - (”Barry Manilow’s Copacabana”)
25 Wind Beneath My Wings: Uwe Kröger (”Beaches”)
26 Sweet Transvestite: Uwe Kröger (”The Rocky Horror Show”)


Links

- RPOnline: Krefeld/Absolut Uwe mit Karusselpferd

Kröger hingegen presst seine Stimme oft inbrünstig durch die Nase, sie gerät scharf und ist nicht immer kompatibel mit der Musik. Wenn er spricht, und das mag an der Technik liegen, bewegt sich seine Stimme auf und ab wie die Durchsage auf einem Bahnhof.

- musical-total.de: Absolut Uwe – in München: Typisch Uwe?

Stimmlich konnte der Entertainer an diesem Abend leider nicht besonders hervorstechen, gerade neben einer so starken Partnerin, wie Annemieke van Dam. Schon in »Born free« brach Kröger hin und wieder die Stimme weg. Auch in den höheren Tonlagen wollte die Stimme nicht immer den richtigen Ton treffen, wodurch die Songauswahl, wie z.B. »Aquarius« aus »Hair« nicht wirklich glücklich schien.

- bloomberg: Uwe Kröger machte Kurzvisite in Berlin

Die Stimme ist bei Uwe Kröger an diesem Abend etwas angeschlagen, aber es verdient wirklich Bewunderung, wie er den Abend trotz der Erkältung meistert. […] Leider waren viele, viele Sitze im Theater leer – sehr schade bei einer solchen Show. Das trübt das Erlebnis für Künstler und Publikum. Doch wirklich erstaunen kann das nicht, denn Ankündigungen in der Presse oder auf Plakaten hat man vergeblich gesucht.

- stimme.de: Geschichtchen aus dem orangenen Koffer

In den Höhen wirkt seine Stimme brüchig und schwach, teils presst er die Töne heraus oder näselt. Die Tiefen hingegen hat er auf Abruf parat. Bei “Aquarius” und “Goldfinger” wendet er einen Kniff an. Das Ensemble hilft ihm über musikalische Schwachstellen hinweg.
Kuriose Situation Schließlich kommt es zu einer kuriosen Situation. Uwe Kröger holt seine Kollegin Annemieke van Dam auf die Bühne. Dieses 28-jährige Fräulein, das die Zuschauer aus Stuttgarter “Elisabeth”-Zeiten kennen dürften, singt den an die Wand, in dessen One-Man-Show sie sich befindet. Respekt.

- www.oberpfalznetz.de: Ein Musicalstar gerät ins Wanken

Da gelingen seine großen Erfolge wie «Starlight Express” und der «Letzte Tanz” aus Elisabeth nicht mehr und enden mit enormen Stimmproblemen. Seine Stimme versagt gerade in den hohen Tönen und beginnt zu flattern und man hat den Eindruck, als quäle er sich durch diese Lieder. Am Ende des Konzertes ist er ziemlich außer puste. […] Die wahren Fans von Kröger waren nicht enttäuscht und verzeihtem ihm wohl seine gesanglichen Patzer, denn er wurde mit viel Applaus verabschiedet. Jedoch waren auch sehr viele (wie auch ich) mehr als nur enttäuscht. Man kann ihm nur wünschen, dass er sich seinen guten Ruf nicht mit solchen Konzerten kaputt macht und sich und seiner Stimme etwas mehr Pause gönnt. Den Uwe mit der gigantischen Stimme und der unglaublichen Bühnenpräsenz - das wollen wir wieder sehen. Auch wenn wir einige Jahre ohne ihn auskommen müssten.

Kultursommer Schloss Wolkersdorf: «Offene Zweierbeziehung” [2010]

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»Offene Zweierbeziehung«, so nennt sich ein Komödienklassiker des Theatermacher-Ehepaares Dario Fo und Franca Rame aus dem Jahre 1983, der am 30. Juli 2010 seine Wolkersdorfer Erstaufführung im Rahmen des Kultursommers Schloss Wolkersdorf erlebte.

Zum Inhalt

Antonia und ihr Mann führen eine «typische Ehe unter aufgeschlossenen Menschen”: Während sie ihm treu ist, geht er ständig fremd. Als er sie dann noch mit seiner Mutter vergleicht, reicht es Antonia. Sie droht mit Selbstmord, sucht sich dann aber lieber eine eigene Wohnung und Arbeit. Als sie schließlich einen Geliebten hat, beginnt die Krise für ihren Mann, der jetzt die Vereinbarung, eine «offene Zweierbeziehung” zu führen vergisst und hysterisch wird. Das zivilisierte Verhalten, das er von seiner Frau erwartet hatte, beherrscht er selbst nicht.

Fos und Rames Stück ist seit den 1980er Jahren bis heute ein Hit auf sämtlichen Bühnen Europas - und auch weltweit. So sehr das Werk so, wie es als Buchausgabe in der Übersetzung von Renate Chotjewitz-Häfner im Handel erhältlich ist, ein Kind der 1980er Jahre sein mag in einzelnen Zügen, so wenig ist es eines vom eigentlichen Thema her. In der »Offenen Zweierbeziehung«, und da darf man sich nicht zu krampfhaft an den Begriff als solchen halten, der als Schlagwort in den 1960er Jahren geprägt wurde, geht es um die Gestaltung und Demontage einer Partnerschaft, einer Liebesbeziehung, einer Freundschaft, um Machtverhältnisse in einer Partnerschaft, um, ganz allgemein, Liebe und Eifersucht, um Psychosen, neurotische Anfälle, Depressionen, Selbstmord, Mordversuch, um all das, was einem passieren kann, wenn man auf dem schmalen Grat der Liebe, links und rechts nur der Abgrund des Wahnsinns, tänzelt, in einer Ehe, in die Langeweile eingekehrt ist, in der sich einer der Partner die Lust von auswärts holt und Frustration mitunter in Gewalt oder Autoaggression zu eskalieren droht. Das ist heute genauso aktuell wie vor 10, 20, 100 oder 1000 Jahren.

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Oder, wie Dario Fo es formuliert:

»Früher, in der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, hatte jeder Mann das Recht auf eine Geliebte, vorausgesetzt, er stellte sie nicht schamlos zur Schau. Das war ein Muss. Ja, einer, der keine Geliebte hatte, erregte das Misstrauen der anderen, als sei er abartig. Jede historische Epoche hat andere Moden und bringt Verhaltensweisen hervor, die sie verdient. Die offene Zweierbeziehung ist eine Modeerscheinung, und noch dazu ungesund, sie produziert bloß Neurosen und Frustrationen bis hin zu somatischen Reaktionen.«

Die Aufgabe, die für die Wolkersdorfer Fassung zu lösen war: Mit Hilfe einer zeitgemäßen Bearbeitung und Inszenierung das Stück als heutiges, das es ohnedies vom Thema her ist, erkennbar zu machen.

Etwas antiquiert ist der Begriff »offene Zweierbeziehung« so, wie er in der Ehefarce Fos und Rames verarbeitet wurde, natürlich schon. »Offene Zweierbeziehung«, damit meinten die beiden Autoren nämlich tatsächlich genau jene Begrifflichkeit, die in den 1960er Jahren zum Schlagwort wurde. Im Original basierten Fo und Rame ihren Handlungsablauf auf einem umfangreichen ernsthaft politisch gemeinten Fundament. Sie wollten eine Boulevardkomödie als politisches Theater auf die Bühne bringen, und so sehr das in den 1980er Jahren sicherlich möglich war – heute ist die Frau längst nicht mehr das Opfer, wie sie es in den 1960er Jahren gewesen sein mag. Heute ist eine »offene Zweierbeziehung« alles andere als zwingend nach einer Seite, nämlich der des Mannes, offen.

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Wenn Rame in einem Interview in den 1980er Jahren meinte:

»Das Private ist politisch. Deshalb ist dieses Stück, das die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau zur Diskussion stellt, ein politischer Text, weil dein Verhalten im täglichen Leben abhängt von der Ideologie in deinem Kopf, aber wie« …

… so ist das ein Statement, das man hinterfragen kann – oder man entsorgt einfach all den antiquierten politischen Ballast, der im Stück angelegt ist, reduziert ihn auf ein Minimum, zieht die Geschichte nicht als aufklärerische politische Emanzipationsshow auf, sondern konzentriert sich auf das Wesentliche: Wie gehen zwei Menschen, die einander lieb(t)en, miteinander um, wenn die große Liebe vorbei ist.

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Mit viel Einfühlungsvermögen hat Regisseur Thomas Smolej sich, bevor es ans tatsächliche Inszenieren ging, daran gemacht, den Text aus den 1980er Jahren spielbar zu schreiben, den Textkörper feinzuschleifen und die Gags aufzupeppen.

Möchte man heutzutage die »Offene Zweierbeziehung« auf die Bühne bringen, erhält man als Ausgangsbasis auch jetzt noch die gültige Übersetzung des Stücks aus dem Italienischen ins sagen wir Bundesdeutsche. Eine solche Version könnte man in Deutschland spielen, in Österreich muss man schon bei Grundlegendem eine Bearbeitung vornehmen und beispielsweise das Vokabular aus dem deutschen Sprachraum in den österreichischen transponieren, um überhaupt eine gefühlsmäßige Verbindung zwischen Darstellern und Publikum erreichen zu können.

Doch das ist noch lange nicht alles. Im Prinzip ist die erhältliche Fassung des Stücks nicht wirklich spielbar. Es hakt und knattert bei fast jedem Satz. Allzu oft hat die Übersetzerin es nicht verstanden, das Stück nicht einfach zu übersetzen, sondern es in einen anderen Sprachraum zu »übertragen«. So finden wir beispielsweise im Text die Passage

»Sie müssen weinen, Signora, weinen Sie.«

In der Wolkersdorfer Fassung heißt es an dieser Stelle:

»Sie müssen weinen, Frau Antonia, lassen Sie’s raus!«

Hauptdarstellerin Angelika Niedetzky imitiert bei diesem Satz einen leicht altertümlichen Wiener Dialekt, wie man ihn Freud zuschreiben könnte. Es sind kleine und gravierendere Änderungen dieser Art, die sich übrigens insgesamt zu einer ganz schönen Menge an Textänderungen summieren, die aus der »Offenen Zweierbeziehung« der 1980er Jahre ein für jede österreichische Bühne maßgeschneidertes Stück machen.

Wichtig war es, das Stück in die Jetztzeit zu beamen. Das geht mitunter ganz einfach. Wenn Antonias Mann sich beispielsweise darüber aufregt, dass seine Frau dem Publikum all die intimen Details ihrer Ehekrise erzählt, heißt es:

Mann: Du sag mal, muss das sein, dass du da jetzt vor all den Leuten unser Privatleben ausplauderst? Wie du Geschmack daran finden kannst, alles so auszuposaunen.
Antonia: Das ärgert dich, oder?
Mann:
Schreibs doch gleich ins Facebook!
Antonia: Gute Idee!

Facebook – ein Wort reicht, um elegant den Konnex mit der Gegenwart herzustellen. Ein weiteres Mittel, diesen Bezug herzustellen, ist der Einsatz von Musik. So hören wir am Beginn »Alles aus Liebe« von den Toten Hosen, und als Antonia von ihrem Sohn dazu ermuntert wird, sich doch auch einen Lover zu angeln, kommt beispielsweise Skeros »Kabinenparty« zum Einsatz.

Thomas Smolej hat sein Bühnenhandwerk und sein Gefühl für die Sprache unter anderem als fixes Mitglied des Kabarett Simpl verfeinert, wo Timing und ein großes Gefühl für Sprachmelodie, für den Variantenreichtum an Dialektfärbungen zum Alltag gehören. Authentizität auf der Bühne ist nur möglich mit dem passenden Sprachmaterial. Hat man als Schauspieler gestelzte Sätze im Skript, wird man höchstwahrscheinlich auch gestelzt wirkende Schauspieler auf der Bühne erleben. Allzu lange Monologe der Schauspieler bei einer zuweilen slapstickhaften Komödie wirken mitunter lähmend - auch hier wurde in den Text eingegriffen, allzu dozierende Momente getilgt, um nicht den Drive zu verlieren.

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Liest man den Text aus heutiger Sicht, könnte er auch einfach als Titel »Antonia« haben, gesetzt in jener Schriftart, in der man bei den berühmten Boxer-Filmen von Sylvester Stallone das Wort »ROCKY« gesetzt hat. Die »Offene Zweierbeziehung« ist, so gesehen und abgehend von der etwas larmoyant angelegten Deutung im Sinne der 1960er Jahre, die die Frau als reines Opfer des Mannes sieht, die Geschichte der Rache oder meinetwegen Emanzipation einer Frau.

Antonia und ihr Mann, der natürlich als idealtypisches pathologisch furzendes (tatsächlich!) Machoschwein konzipiert ist und für den Mann an sich steht, daher auch im Stück keinen Namen hat (zumindest in der ab 1987 gespielten Fassung), führen eine Ehe, die gescheitert ist. Die beiden haben ein Kind, der Mann sucht seine sexuelle Erfüllung außerhalb der Beziehung, die Frau weiß davon.

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Logische Konsequenzen könnten beispielsweise sein: Eheberatung, Trennung, Trennung auf Zeit. Fo und Rame konstruieren eine andere Konsequenz: der Mann »überredet« die Frau zu einer »offenen Zweierbeziehung«. Er kann sich nun ganz offen seinen diversen Liebschaften widmen und tut das auch genüsslich, sie ist natürlich weiterhin nicht glücklich damit, war ja aber einverstanden – schachmatt.

Natürlich ist sie eifersüchtig, natürlich will sie alles über seine Liebschaften wissen, natürlich will sie ihr Leben beenden, natürlich muss man das alles ernst nehmen. Glücklicherweise aber wird die Handlung fast wie eine Doppelconfà©rence dargebracht, was den beiden Hauptdarstellern, Christoph Fälbl und Angelika Niedetzky, beide Simpl-geeicht, enorm zugutekommt. Die Vorkommnisse werden in einer Art Retrospektive geschildert, die Frau lacht schon längst über all das Geschehene, sie schildert selbstironisch, bisweilen bitter, im direkten Kontakt zum Publikum, wie blöde sie sich doch verhalten hat –all die missglückten Selbstmordversuche, all die Auseinandersetzungen bis Handgreiflichkeiten mit ihrem Mann.

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Aber schließlich konnte sie sich ja doch auffangen. Nach anfänglichem Zögern gibt sie sich doch tatsächlich ganz dem Aschenputtel-Makeover hin und beschließt, ihr Leben umzukrempeln und sich einen Lover zu angeln. Ihr Sohn leistet die Überzeugungsarbeit.

In einer von Christoph Fälbl phänomenal gespielten Szene, tanzt der Sohn (gespielt von Fälbl) zu Skeros »Kabinenparty« auf die Bühne. Die Hip Hop-Einlage ist einerseits Parodie, andererseits aber auch verdammt lässig getanzt, Szenenapplaus - selbstverständlich. Der Dialog der Mutter mit dem Sohn, Fälbl ganz im Slang eines typischen Weana Hip Hoppers:

Sohn: Mama, so geht das voll nicht weiter. Ihr zwei bringt euch ja noch gegenseitig um! Schau, zuerst musst du endlich aufhören, nur ein Anhängsel von Papa zu sein, werd autodrom!
Antonia: Du meinst autonom, mein Schatz.
Sohn: Lass den Papa weiter zu seinen Girls gehen, und du … nicht aus Rache, sondern weil es einfach fair ist, das steht dir zu, du suchst dir … und gut für die Gesundheit ist es auch … du suchst dir halt einfach einen anderen!
Antonia: Aber Schatz, was redest du denn da? So ein Blödsinn!
Sohn: Geh Mum, spiel doch nicht immer die Klosterschwester! Du findest schon einen. Einen sympathischen, vielleicht jünger als der Papa. Muum!! Versuch es wenigstens! So, ich muss jetzt wieder. Ciao!

Die Szene im Originaltext:

Wenn die Frau den Sohn zitiert, imitiert sie die Haltung der Jugendlichen, ansonsten mimt sie die unerfahrene Mutter:

Jetzt hör mal Mamma … so geht es nicht weiter mit Papa und dir. Ihr bringt euch ja noch um gegenseitig! Ihr müsst mal was Neues erfinden! Zuerst musst du endlich aufhören, bloß ein Anhängsel von Papa zu sein. Werd autonom! Papa geht weiter zu seinen Frauen, und du, du suchst dir … nicht aus Rache, sondern weil das gerecht ist, das steht jedem zu, und gesund ist es außerdem … du suchst dir halt einen andern!

Oh Junge, Roberto, was redest du da?

Ach Mama, hör doch auf! Du findest schon einen. Einen sympathischen, womöglich jünger als Papa, vielleicht sogar einen Genossen, aber bitte keinen Sozi, damit der dich nicht auch noch bekämpft.

Aber Robert, wie redest du mit deiner Mutter? Sieh mich doch an, ich bin ganz durcheinander, ich schwitze vielleicht … ich als Frau in meinem Alter kann doch nicht durch die Gegend laufen und Männer anmachen.

Und er: Ach was, es reicht schon, wenn du dich darauf einlässt, nicht so verkrampft bist .. leb dein eigenes Leben! Mama! Versuch es doch wenigstens!

Durch Tilgung unnötiger politischer Passagen, Verknappung und Feinschliff wird aus einer etwas antiquierten, gestelzten Fassung die Basis für eine Szene gelegt, die man mit Sicherheit nicht vergisst. Aus einem langen Monolog, in dem die weibliche Hauptdarstellerin alleine auf der Bühne steht, wird eine witzige Tanzszene mit einem pointierten, knapp gehaltenen, heutigen Dialog. Tosender Applaus.

Aus der weinerlichen Antonia wird im Laufe des Stücks ein Vamp, der sich einen Physikprofessor angelt, der noch dazu geil aussieht, 15 Jahre jünger als der noch hörnende, aber bald gehörnte Ehemann ist, Gitarre spielt, Songs komponiert, die in den Charts landen, und natürlich für den Nobelpreis nominiert ist – von anderen möglichen Superlativen, was seinen Körperbau betrifft, gar nicht zu sprechen, es handelt sich ja nicht um eine Show der Chippendales. Dass dieser Idealtypus eines Mannes, dieses zu Fleisch gewordene Testosteronzapferl von einem Mann ebenfalls keinen Namen hat, sondern nur den Titel »Professor«, na das hätten wir uns doch alle denken können. In Wolkersdorf spielt Philipp Reichel diesen Inbegriff des Schachmatts für Antonios Mann auf sexueller Front. Zwei Sätze darf der Professor sagen, und schon stürzt der Ehemann ins Bad und köpfelt samt Fön ins nasse Nirvana.

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Doch halt: Das Wolkersdorfer Ende der »Offenen Zweierbeziehung« in der Fassung von Thomas Smolej ist fast ein wenig verschmitzt, und ganz im Sinne Dario Fos. Der Nobelpreisträger hätte nämlich ein witziges Finale vorgezogen, und zwar dergestalt, dass der Konkurrent des Ehemanns tatsächlich nur eine Phantasiegeburt Antonias sein sollte, ein Phantommann sozusagen. Da konnte sich aber Dario Fos Frau Franca Rame durchsetzen, und so endet das Stück im Original letztlich tragisch. Der Liebhaber kommt auf die Bühne, spricht zwei Sätze, der Ehemann stürzt sich ins Bad und begeht Selbstmord. Dieses Originalende wird zwar auch in Wolkersdorf gegeben, aber letztlich doch mit Hilfe eines großartigen Gags in Richtung des von Fo geplanten Endes ein wenig happy-endisiert, denn über die Schlussszene wird die Abspannmusik der deutschen Endlos-Serie »Lindenstraße« gelegt. Und in einer Soap, das wissen wir doch alle, muss ein tragisches Ende nicht wirklich tragisch enden. Letztlich also ein offener Schluss in der »Offenen Zweierbeziehung«.

Die »Offene Zweierbeziehung« ist ein herrlich auf die Bühne gestelltes Gaggewitter, mit einigen wunderbar ausgeflippten Slapstick-Szenen. Thomas Smolej hat für und mit Christoph Fälbl und Angelika Niedetzky eine exakt getimte Choreographie erarbeitet für jede Szene, in der die beiden aus ihrer Rolle heraustreten und direkt zum Publikum sprechen. In einer Kombination aus Licht, Ton und Bewegung der Darsteller wird der Erzählperspektivenwechsel angezeigt. Ohne Präzision aller Beteiligten würde das nicht wirken, und doch hat es eine unglaublich spielerische, fast tänzerische Leichtigkeit, wenn Fälbl und Niedetzky in ihre Szenen wechseln.

Gespielt wird in einem Setting, das liebevoll geplant (Thomas Smolej) und nicht minder liebevoll gestaltet (Michale Ferner) wurde. Ein Bühnenbild kann etwas Magisches haben. Es gibt Schauspieler, die meinen, schon allein von der Gestaltung des Bühnenbilds ableiten zu können, ob ein Stück beim Publikum ankommen wird oder nicht. Es sind oft die kleinen Details, die zählen, und in Wolkersdorf haben wir ein Setting mit jeder Menge kleiner Details. Man mag vielleicht gar nicht jede Einzelheit für sich aufnehmen können, aber die Summe der Einzelheiten erzeugt Stimmung, erzeugt eine bestimmte Atmosphäre. Man ist sofort drinnen in der Szene, fühlt sich wohl und kann sich ganz dem Geschehen widmen, ohne es sich erst mal ausmalen zu müssen.

Effektvoll auch die Kostüme, vor allem jene für Angelika Niedetzky, die ihre Entwicklung vom grauen Opfer zum Vamp ganz in Rot mehr als deutlich unterstützen. Diese »Transformation« wird vom Publikum deutlich hörbar als »wow«-Effekt wahrgenommen.

Dass die »Offene Zweierbeziehung« auch heute noch den Nerv der Zuseher trifft, war den vielen Gesprächen in der Pause der Premierenshow zu entnehmen. Das Wolkersdorfer Publikum schwärmte einerseits von den Schauspielern, und war andererseits fasziniert davon, wie viel man aus dem Stück doch lernen kann, sah teilweise das Ganze gar stellenweise wie eine Art von »Seminarkabarett«.

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Fazit: Ein Theaterabend mit zwei großartig agierenden Hauptdarstellern, die den Abend als Gesamtpackage zum Erlebnis machen, für großes Vergnügen sorgen und, wenn man will, auch viel Stoff zum Nachdenken bieten.

Drei Mal noch steht die »Offene Zweierbeziehung« auf dem Spielplan des Kultursommers Schloss Wolkersdorf: am 8. 8., 13. 8. und 14. 8. Von Wien aus ist der Spielort sehr bequem auch öffentlich zu erreichen. Vom Bahnhof Praterstern fährt alle 20 Minuten ein Zug Richtung Wolkersdorf, und auch nach Ende der Vorstellung sind Züge zurück (der letzte fährt um 23.07 Uhr) ganz leicht zu erwischen. Der Weg vom Bahnhof zum Festspielgelände ist einfach zu finden und kurz, keine 10 Minuten.

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»Offene Zweierbeziehung« [Coppia aperta, quasi spalancata]
Komödie von Franca Rame und Dario Fo
aus dem Italienischen von Renate Chotjewitz-Häfner
Besuchte Vorstellung: 30. Juli 2010

Besetzung
Antonia: Angelika Niedetzky
Ihr Ehemann: Christoph Fälbl
Professor: Philipp Reichel

Leading Team
Regie: Thomas Smolej
Bühnenbild: Michaela Ferner
Kostüme: Daniela Tidl
Regie-Assistenz: Lydia Nassal
Intendanz: Josef Romstorfer

Musical Forever 2 - Caspar Richters musicalische Abrechnung

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Am 27. Juni 2010 verabschiedete sich Caspar Richter, der Musikalische Direktor der Vereinigten Bühnen Wien, mit einem Musicalkonzert von seinem Publikum. Richter und das Orchester der VBW, das war über viele Jahre eine Erfolgsgeschichte. Über 20 Jahre hat der Künstler Uraufführungen für Wien erarbeitet, neue Konzepte entwickelt und dafür gesorgt, dass das Orchester auch außerhalb der Theater der VBW ein Standing erreichte, auf das das Haus stolz sein konnte.

Mit “Musical Forever 2″ demonstrierte Caspar Richter unter anderem noch ein Mal eindrucksvoll und mit Nachdruck, was er unter dem Begriff Musical versteht. All die Statements, die im Laufe jenes Abends von Moderator Peter Fröhlich, Dirigent Richter und Intendantin Zechner gebracht wurden, ließen im Wiener Ronacher eine Spannung entstehen, die geradezu mit Händen greifbar war. Auf der einen Seite standen das künstlerische Ich des Musikalischen Direktors, all seine Ideen, seine Pläne und Hoffnungen, sein Verständnis von den Aufgaben des Orchesters, aber auch des Unternehmens VBW, auf der anderen Seite standen die Krisenmanager Zechner und Drozda, die angesichts der Flops der letzen Jahre künstlerisch schon lange w. o. geben mussten und mit Schlager und Revivals die Cashcow wieder, zumindest kurfristig, zum Muhen brachten. Der 27. Juni 2010 war der Tag, wenn man so will, an dem nun Caspar Richter aufgab, aber noch einmal eindrucksvoll zeigen konnte, wofür dieses Orchester gegründet wurde und was alles mit ihm und dem Orchester möglich gewesen wäre. Denn diese Musiker sind nicht dazu da, um als Spiegelung von Udo Jürgens’ Pepe Lienhard Band im Orchestergraben des Raimund Theaters den eigenen Ruf nachhaltig zu beschädigen.

Um zu verstehen, was Caspar Richter in “Musical Forver 2″ für das Publikum vorbereitet hatte, denken wir uns am besten ins Jahr 2005 zurück, genauer gesagt klinken wir uns am 6. Dezember 2005 ein. Den Vereinigten Bühnen Wien geht es gut, “Romeo und Julia”, seit 24. Februar 2005 im Raimund Theater zu sehen, ist mit einer Auslastung von 95 Prozent ein Hit, “Elisabeth” ist seit 4. Dezember 2005 Geschichte, höchst erfolgreich konnte man dieses Revival beenden, und die Fanlandschaft ist mit “Sisi”-CDs, DVDs, Special Editions und Fan Packages zugespoilt - da kündigt am 6. Dezember 2005 Intendantin Kathi Zechner in einer gut besuchten Pressekonferenz die nächste Eigenproduktion des Hauses an, die Uraufführung von “Rebecca”, einem Musical von Sylvester Levay und Michael Kunze. Die Krise, in die die VBW bald schlittern, ist weit entfernt, alles ist wunderbar. Im Rahmen dieser Pressekonferenz führte ich mit Caspar Richter ein kurzes Gespräch:

Martin Bruny: “Herr Richter, was halten Sie denn von Musicals wie “Mamma Mia!” oder “We Will Rock You”"?

Caspar Richter: “Also Musicals, die eigentlich keine Musicals sind. Ich finde, bei “Mamma Mia!” ist das ganz lustig gelöst. Ich bin aber kein großer Freund von “Collagen”. Da kann man ein Konzert machen, nicht? Und irgendeine Geschichte draufstülpen? Bei “Mamma Mia!” haben die Glück gehabt. Es ist lustig, ich habs gesehen, hab mich sehr gut amüsiert. Aber ich kenn auch sehr viele andere Collagen … das ist dasselbe wie beim Ballett. Ich komm ja auch von der Oper und war erst hier an der Staatsoper und hab sehr viel Ballett dirigiert. Da gabs immer diese berühmten Ballettabende über irgendein Thema, zum Beispiel “Manon Lescaut”. Da wurde irgendein Komponist vergewaltigt und es wurde aus … oder Schostakowitsch … da wurde aus allen Sinfonien zusammengebröselt. Das ist für mich nicht akzeptabel. Es gibt so tolle Ballette, es gibt so tolle Musicals. Wieso muss man jetzt irgendwas zusammenstoppeln? Und auch diese Lebensgeschichte von Falco … für mich ist das furchtbar. Man soll vielmehr Autoren die Gelegenheit geben, neue Stücke zu schreiben. Wir tun das ja hier Gott sei Dank, und darauf bin ich ganz stolz, dass ich meinen Beitrag dazu geleistet habe von Anfang an, und der Peter Weck noch damals. Wir fingen an mit “Freudiana”, was ich sehr mag, immer noch.

Martin Bruny: “Daraus hat ja bei “Musical Christmas” Luzia Nistler eine der schönsten Nummern des Abends gesungen.”

Caspar Richter: “Ja, und ich verspreche Ihnen, dass ich da dran bin, mindestens eine Konzertfassung herzustellen von “Freudiana”. Ich find die Musik genial, und das Stück find ich sowieso genial. Es gehört nach Wien. Wenn es nach mir gehen würde, ich fände eine Neubearbeitung sehr lohnenswert. Das ist ein so typisches wienerisches Stück, es kann von Wien auch wieder um die Welt gehen. Das ist meine Meinung.”

Martin Bruny: “Freudiana” ist ja damals aufgrund der Inszenierung gefloppt?”

Caspar Richter: “Ja, aber nicht vergessen, das war unser erster Versuch damals, unsere erste Uraufführung, und dafür gings eigentlich ganz gut. Die zweite Uraufführung, “Elisabeth”, war ja dann schon der Hit. Aber ich versprech Ihnen, dass ich mich um die Musik von “Freudiana” immer kümmern werde. Ich hab auch auf der Donauinsel drei Nummern wieder gespielt. Ich spiele es immer wieder, manchmal auch gegen gewisse andere Meinung, aber langsam setzt sich die positive Meinung diesem Stück gegenüber durch, und das freut mich sehr. Ich finde diese Musik und auch die Texte wirklich genial. Mein Lieblingswunsch ist, ich habs mit der Kathi Zechner schon besprochen, wir sind fast soweit, ich will aber nicht vorgreifen, eine Mischung zwischen “Freudiana” und “Lady in the Dark” von Kurt Weill. Eine Hälfte das und die andere Hälfte Weill. Ich bin ein großer Fan von Kurt Weill, und ich finde, Kurt Weill wird überhaupt nicht gespielt. Der amerikanische Weill so überhaupt nicht, höchstens “Die Dreigroschenoper”, aber die großen Musicals von Weill wie “The Firebrand of Florence” oder “Down in the Valley”, das sind Meisterwerke, oder auch “Street Scene”, aber das ist fast ne Oper … aber “Lady in the Dark” ist für mich das große Meisterwerk. Und da kann ich mir vorstellen, dass Sona MacDonald - oder die Pia würde das auch toll machen.”

Martin Bruny: “Welches Musical würden Sie als Ihr Lieblingsmusical bezeichnen?”

Caspar Richter:
“Ne Menge, und zwar ganz verschiedene. Eines meiner Lieblingsmusicals war “Les Misà©rables”. Das war ja auch eine tolle Produktion. Ich würde sagen, eine der besten überhaupt. Ich liebe “Carousel”, und das möchte ich auch hierher bringen. Es gab so eine tolle Inszenierung in London vom English National Theatre. Und “Carousel” ist eigentlich auch ein Wiener Stück irgendwo. Dann bin ich natürlich ein ganz ganz großer Bernstein-Fan. Ich hab von Bernstein eigentlich fast alles dirigiert und bin auch derjenige, der “Mass” nach Europa gebracht hat, damals mit Marcel Prawy. Ich hab die deutsche Erstaufführung gemacht. Das gabs zwar vorher schon an der Staatsoper im Original, aber ich habe die deutsche Erstaufführung in Berlin damals dirgiert. In der Deutschlandhalle 1982 mit Prawy. Ich bin auch ein großer Anhänger von “Candide”, ein geniales Stück, schwer zu inszenieren, aber es geht. Ich habs schon mal erlebt.

Martin Bruny: “Im Rahmen der VBW?”

Caspar Richter: “Ich habe in Innsbruck ein Bernstein-Festival gehabt, das ist schon ein bissl länger her. Wir haben mit unserem Orchester und den Solisten dort gespielt: “Mass”, “Candide” szenisch, und dann haben wir große Konzerte mit Bernstein Werken gespielt. Im März [2006] gibt es auch ein großes Konzert hier, in dieser Reihe. Wir machen jetzt sehr viel neue Konzerte. Im März “Tribute to Bernstein”.”

Martin Bruny: “Im Konzerthaus?”

Caspar Richter: “Nein, hier. Ich will nur im Theater spielen. Das gehört ins Theater.”

Martin Bruny: “Das wurde aber noch nicht angekündigt.”

Caspar Richter: “Ist aber schon fixiert. Anfang März, vier Konzerte. Vorstellen möchte ich das Musicalgesamtwerk von Bernstein. Stücke aus “Mass”, “West Side Story”, “On the Town”, “Wonderful Town”, “Peter Pan” usw. - und dazwischen immer ein paar ganz tolle Orchesterstücke. Unser Orchester spielt das ganz hervorragend. Und sogar Solostücke. Ein Stück aus nem Cello-Konzert, weil wir ja tolle Solisten haben. Das wird ein toller Abend. Wir haben schon tolle Solisten dafür. Ich wünschte mir sehr, dass die Dagmar Hellberg wieder herkommt, aber die hat auch schon zugesagt, mal sehen, ob wir uns mit ihr einigen. Solche Leute brauchen wir, die hat dann die Jazz-Nummern drauf.”

Martin Bruny: “In “Sweeney Todd” war sie ja auch großartig.”

Caspar Richter: “Ja. Ja, das war toll. Übrigens, Sondheim ist auch ein Thema. Wird auch überhaupt nicht gespielt.”

Martin Bruny: “Nur kleine Produktionen.”

Caspar Richter: “”Sweeney Tod” ist auch eines meiner Lieblingsstücke, da haben Sie ganz recht. Und dann wünschte ich mir sehr, dass wir zwischen den ganzen Uraufführungen, die ich für sehr sehr wichtig halte, weil man weitergehen sollte, immer ein schönes Revival macht. Und es gibt in den sogenannten “alten Musicals” so hervorragende Meisterwerke, die man nicht unter den Tisch fallen lassen sollte. Ich möchte gerne “The Secret Garden” machen, das ist auch eines meiner Lieblingsstücke, “Carousel”, Richard Rodgers sowieso und dann: Ich möchte “Funny Girl” machen, oder “Gypsy”.

Martin Bruny: “Wär das auch was für Pia Douwes?

Caspar Richter: “Das wär auch etwas für die Maya. Wir haben so tolle Leute, die können das alles. Ich bin auch sehr froh, dass wir hier in Wien so ein “Grundensemble” haben. Obwohl sie immer wieder zu Audition kommen, auch sollen, aber irgendwie haben wir einen großen Ensembletopf, der typisch wienerisch ist. Zum Beispiel das Ensemble von “Elisabeth”, die sind genial. Mit denen kann ich auch so ein Weihnachtskonzert machen. Das kann ich nur mit einem Team machen, das so zusammengewachsen ist, und das gibts woanders überhaupt nicht.”

Soweit Caspar Richter im Originalton, am 6. Dezember 2005. Das Schickal wollte es, dass gerade Bernstein dem Musikalischen Direktor zum Verhängnis wurde. Groß war die Vorfreude auf Richters Konzertserie “A Tribute to Bernstein”, die am 5. und 6 sowie am 12. und 13. März 2006 im Wiener Raimund Theater über die Bühne ging. Der erste Dämpfer: Eine geplante Einführungsveranstaltung, ein Publikumsgespräch, in dem der Dirigent Bernsteins Werk erklären wollte, wurde abgesagt, man sagt aus mangelndem Publikumsinteresse. Am 24. Februar 2006 wurde an alle für diese Veranstaltung Angemeldeten die Mail verschickt: “Mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass das Publikumsgespräch zu A TRIBUTE TO BERNSTEIN leider nicht stattfinden kann.”

Die erfolgsverwöhnten Vereinigten Bühnen Wien konnten damals mit “The Little Matchgirl” (7. bis 19. Februar 2006) eine Auslastung von 96,5 Prozent erzielen, die “Mozart!”-Konzertserie (4. bis 11. Februar 2006) kam gar auf 99,97 Prozent Auslastung. “A Tribute to Bernstein” schaffte lediglich eine Auslastung von 60 Prozent, und so war der 13. März 2006 der letzte Tag, an dem Caspar Richter in Wien einen der “alten Meister” im Rahmen eines themenorientierten Konzerts dirigieren sollte. Alle seine anderen Pläne konnte oder durfte er nicht mehr verwirklichen. Was blieb, war “Jesus Christ Superstar”, jährlich zu Ostern, doch auch damit war bald darauf Schluss, was man noch weiterverfolgte, war “Musical Christmas”, und selbst dieses Erfolgsformat schrumpfte man so ein, dass nichts mehr übrigblieb, als eine Pause einzulegen.

Der ansteckende Enthusiasmus Richters aus dem Jahre 2005 musste schwinden, angesichts eingekaufter Produktionen wie “We Will Rock You” (Premiere: Donnerstag, 24.01.2008) oder der Revue “Ich war noch niemals in New York” (2010). Beides Shows, von denen bei “Musical Forever 2″ natürlich nichts zu hören war.

Im Rückblick könnte man die Frage stellen, ob es den VBW mit der RonacheMobile-Schiene unter einem Programmverantwortlichen Richter nicht gelungen wäre, neues Stammpublikum zu gewinnen, statt mit grenzwertigen Produktionen vorhandenes Stammpublikum abzuschrecken. Die zum Motto erhobene “Vielfalt” des Programms entpuppte sich schon bald eher als Einfalt der Vielfalt, mit Shows, die mit dem Musicalgenre praktisch nichts zu tun hatten und bestenfalls mit dem Stempel “bemüht, setzen” versehen werden können.

“Carousel”, “Gypsy”, konzertante Aufführungen von “Freudiana”, Themenabende zu Kurt Weill, “The Secret Garden” - alle Ideen mussten weichen, und so wurde letztlich aus den VBW, den Produzenten von Uraufführungen, ein Zukäufer von abgespielten deutschen Produktionen. Nicht verwunderlich, wenn Caspar Richter in seiner Abschiedsrede meinte (streichen wir mal alle beschönigenden Nebensätze): “Besinnen Sie sich auch auf die Werte, die wir selber in uns haben, nämlich unsere Kreativität. Wir brauchen einfach wieder richtige Kreationen von uns heraus. Das ist unsere Einmaligkeit gegenüber allen anderen Häusern auf der ganzen Welt, das hat Wien immer ausgezeichnet.”

musicalforever2.JPGMit dem Programm, das Richter für “Musical Forever 2″ zusammengestellt hat, skizziert er noch ein Mal in Ansätzen den Weg, den er gehen wollte. Wenn die Show mit der Ouvertüre aus “Gypsy” beginnt, dann ist das vor allem programmatisch gemeint. Nie klingt das Orchester so beeindruckend wie bei den “alten Meistern”. In dem Moment, in dem die ersten Klänge von Richard Rodgers’ “State Fair” erklingen, fühlt man sich geradezu wie ein Kinobesucher, der nach der Werbung und all den ätzenden Trailern früher, in der guten alten Zeit, im Kino den Vorhang aufgehen sah - für den Hauptfilm. Immer breiter wurde die Leinwand … Cinemascope, die Vielschichtigkeit der Kompositionen, die vielen Feinheiten der Instrumentierung, der Arrangements, der Einfallsreichtum der Komponisten, das ist Musical.

Die VBW waren natürlich nie Lieferanten für diese “klassische” Musicalschiene, aber worauf man sich lange Jahre verlassen konnte, war, dass man zumindest Musicals zu sehen bekam. Das ist heute so nicht mehr unbedingt der Fall. Richter zeigt mit seiner Auswahl, was er unter Musical versteht und er zeigt, bis wohin er bereit ist zu gehen. Mit dabei: Ausschnitte aus “Wonderful Town”, “On the Town” und “Freudiana” oder “Sweet Charity”, neben den Hits der VBW “Elisabeth”, “Mozart!”, “Tanz der Vampire”, “Romeo und Julia”, “Rebecca”, “Rudolf” und einigen anderen.

Auf der Bühne einige der Stars der VBW wie Lukas Perman, Marjan Shaki, Carin Filipcic, Lisa Antoni, Thomas Borchert … und Rob Fowler, der schon lange nicht mehr eingeladen war, seine Kunst in den Tempeln der VBW zu zeigen.

Würde man nun die Zusammenstellung des Programms kritisieren wollen, so ließe sich etwa anmerken, dass “Musical Forever 2″ in großen Teilen eine Art “Greatest Hits Medley” (im Programm zur Show als “Collagen” bezeichnet) war, wie es seinerzeit, um es mal krass zu formulieren, Peter Alexander auf seinen Tourneen eine Zeitlang gemacht hat. Alexander hatte ein Unmenge an Hits, und statt einige auszuwählen und zu singen, entschloss er sich, sie fast alle zu bringen und nur Ausschnitte davon, manchmal nur die Refrains oder etwaige andere besten Stellen zum Besten zu geben. Das ist ein gefährliches Spiel, denn man könnte Richter vorwerfen, dass er damit das macht, was man mit Musik nicht machen sollte, sie schlagzeilenmäßig einzusetzen, wie das die Kleinformate mit News im Printbereich machen.

Wenn man “A Chorus Line” bringen möchte, ist es schon erstaunlich, dass man sich dazu entschließt, das Opening in 1:16 Minuten runterzuspielen, um dem Tanzensemble die Möglichkeit zu geben, ein wengerl eine Variante der Originalchoreographie zu zeigen. Das wird weder der Show gerecht, noch macht es irgendeinen positiven Eindruck. Wenn man einem Musical nur 1:16 Minuten gönnen möchte, dann wäre es besser, es ganz zu lassen. Aber 1:16 kann man noch unterbieten. “The Producers” bekommt in “Musical Forever 2″ genau 55 Sekunden, aus “Les Misà©rables” werden drei Nummern gespielt, und dennoch, mehr als 4:40 Minuten sind nicht drin, ebenso bei “Elisabeth”: vier Nummern in knapp 5:00 Minuten. Ebenso “Mozart!”: vier Nummern in 7:00 Minuten, aber auch nur deswegen etwas länger, weil Peter Fröhlich für seine Version von “Ein bissel fürs Hirn und ein bissel fürs Herz” zwei Anläufe benötigt hat und dennoch die meisten Textpassagen improvisieren musste. Auch “Romeo und Julia” gehts nicht besser: zwei Nummern in 3:30 Minuten. Ganz schlimm triffts “Rebecca”. Da scheint der Wahnsinn vom Programmmacher Besitz ergriffen zu haben, stand doch tatsächlich das unnötigste Lied, seit es Musicals gibt, auf dem Programm von “Musical Forever 2″: “Golf”, ansonsten: drei Nummern in 4:00 Minuten. “Rudolf”: zwei Songs in 3:10 Minuten.

Natürlich könnte man auch vermuten, dass Caspar Richter sich einfach jenen Nummern besonders ausführlich widmen wollte, die ihm besonders am Herzen liegen. Das wären dann folgende gewesen:

Ouverture – instrumental (»Gypsy«) [5:00]
Das Phantom der Oper – Lisa Antoni, Thomas Borchert, Ensemble (»Das Phantom der Oper«) [4:00]
Das Ödipus-Dreieck – Carin Flipcic, Thomas Borchert, Lukas Perman (»Freudiana«) [3:40]
Die Schöne und das Biest – Carin Filipcic, Lisa Antoni, Ensemble (”Die Schöne und das Biest”) [3:10]
Suite – instrumental (»State Fair«) [6:00]
Conga – instrumental (»Wonderful Town«) [5:40]
A world of wonder – Marjan Shaki («Sophie’s World”) [5:00]
Gethsemane – Rob Fowler (”Jesus Christ Superstar”) [8:30]
I love a piano – Thomas Borchert, (K.: Irving Berlin) [4:30]
Totale Finsternis – Marjan Shaki, Thomas Borchert (»Tanz der Vampire«) [3:50]
Gabriella’s Song – Ensemble (»Wie im Himmel«) [3:50]

Keine so schlechte Auswahl, eine teilweise jenseits des Mainstream liegende. Generell aber muss man sich fragen, warum die Moderationen und Ansprachen bei “Musical Forever 2″ derart dominant waren. Bei einer Gesamtdauer der Veranstaltung ohne Pause von 2 Stunden und 43 Minuten wurden rund 1 Stunde und 33 Minuten Musik geboten und 1 Stunde war den Moderationen und Ansprachen gewidmet. So charmant-schusselig Peter Fröhlich als Moderator auch gewesen sein mag, generell gesehen war sein Part überdimensioniert. Die Entstehungsgeschichte des “Phantoms der Oper”, die Beziehungsgeschichte von Lukas Perman & Marjan Shaki, Anekdotchen, ganz unterhaltend, ja … aber waren die meisten nicht doch wegen der Musik gekommen?

Star des Abends, alle seine Performances zusammen als Basis nehmend, war Thomas Borchert, die beeindruckendste Leistung zeigte allerdings Rob Fowler mit einem gigantischen “Gethsemane”, eine Nummer, die der Künstler und das Orchester geradezu zelebrierten, vom Publikum mit Beifallsorkanen umjubelt. Die meiste Stimmung wiederum brachte “Romeo und Julia” in den Saal: “Herrscher der Welt” - wie auf Knopfdruck klatschten da alle bei der Boygroup Lukas Perman, Rob Fowler und Kai Hüsgen mit. Auch das Musicaltraumpaar Perman-Shaki wirkte bei “Dich kennen heißt dich lieben” oder “Ohne sie”. Unnötigste Nimmer neben “Golf”? Sicherlich “Das Phantom der Oper” aus dem Musical “Das Phantom der Oper”. Der Song war auch in “Musical Forever 1″ zu hören. Ja, damals wurde er so grauenvoll von einem Darsteller abserviert, dass man ihn am Ende nicht mal in der im Konzert gesungenen Form am Tonträger zur Show vorfand. Schon damals musste Thomas Borchert übernehmen und das Lied im Studio gemeinsam mit Pia Douwes neu einsingen. Nun, diesmal konnte Borchert also live das “Phantom” geben, und wenn wir alle eines wissen, dann das, dass er es kann. Dennoch hätte es wesentlich Spannenderes aus dem “Phantom” gegeben, und Lisa Antoni ist zwar eine entzückende Sängerin, aber an diesem Abend war bei ihr das Zielen auf die hohen Töne mitunter eher im Vordergrund als das exakte Treffen derselben. “Wie nemmas denn” haben sie und Carin Filipcic sich wohl bei “Die Schöne und das Biest” gedacht. Den Song setzten beide zu hoch an und beendeten ihn dann einstimmig. Sicher einer der merkwürdigsten Momente des Abends.

Thomas Borchert war durchgehend, bis auf eine Ausnahme, eine allerdings sehr unterhaltende, höchst konzentriert am Werk. Nicht mal der schnoddrig, fast bis zum Anfangston von “Schließ dein Herz in Eisen ein” moderierende Peter Fröhlich konnte ihn aus dem Konzept bringen. Borchert war exakt im Moment in seiner Rolle, spielte sie hervorragend und lieferte selbst in dieser Kürzestversion eine beeindruckende Leistung. Was genau bei “Jekyll & Hyde” auf der Bühne des Ronacher an jenem Abend passierte, und zwar genauer gesagt beim Titel “Mörder”, man weiß es nicht. Es hörte sich so an, als würde der Chor am Anfang “eingeblendet”, ganz bestimmt waren aber mehr als jene acht Stimmen, aus denen das Ensemble bestand, zu hören. War alles live? Mit Sicherheit wars die darauf folgende Nummer “Die Welt ist völlig irr”, jenes Lied, zu dem der Darsteller des Jekyll/Hyde in der tatsächlichen Bühnenshow, an Seilen hängend, seinen Gesang immer nur zu mimen hatte. Sicher kein Zufall, dass Richter ausgerechnet dieses Lied für Thomas Borchert ausgesucht hat. Fast eine “Premiere”.

Schwungvoll und mitreißend Borchert mit “I love a Piano”, damit näherte er sich jenem Genre, für das er seine Stimme nicht fast killen muss, um annähernd so zu klingen, wie berühmte Vorbilder. Am Klavier, als Pianoman, ist Borchert authentisch, da ist er Musiker und Entertainer, nicht nur “Musicaldarsteller”.

Nicht immer leicht hatte es Carin Filipcic an diesem Abend. Nicht, weil sie etwa schlecht bei Stimme war, ganz im Gegenteil, sie hatte Glanznummern wie “Gabriella’s Song”, wie ein hinreißendes “I can cook too” oder ein sehr schön gesungenes “Gold von den Sternen” … aber sie hatte auch Lieder zu interpretieren, die nicht ganz die ihren waren. Peter Fröhlich beispielsweise schickte sie mit folgender Anmoderation auf die Bühne:

“Wir erleben da eine Elisabeth, so ganz anders als das übliche Sisi-Bild. Sie züchtet ihre Originalität, sie hegt genauso ihre kranke Seele wie ihren wunderschönen Körper, den sie mit einem Taillenumfang von 48 Zentimetern und einem Gewicht von 40 Kilo immer gleichzuhalten bestrebt war, was ihr natürlich nicht immer leicht gefallen ist, vor allem in Wien. Wahrscheinlich war sie deshalb so selten da. Sie hat sich sehr oft in Irrenhäusern aufgehalten, hat die Öffentlichkeit immer mehr gemieden und hatte einen steten, liebgewonnenen Freund, den Tod.”

Berühmt ist das Wiener Publikum für sein Gekreische und den frenetischen Applaus. Nun, man musste den “Elisabeth”-Fans an diesem Abend verzeihen, dass sie Carin Filipcic mit ihrem Gejohle fast aus den Tönen gekippt hätten. Sowohl bei den Anfangstönen von “Ich gehör nur mir” als auch vor dem Schlusston kreischten sie ein wenig überambitioniert. Aber man darf es ihnen nicht übelnehmen, mit “Elisabeth” ists ja schon lang vorbei in der Bundeshauptstadt, und bis 2012, wenn die Kaiserin so sicher, wie die Kaisersemmeln auch dann noch blond sein werden, wieder in einem der VBW-Häuser zu sehen sein wird, ist es noch eine Zeit hin. Zum Teil wars natürlich auch das Arrangement, das die Fans austrickste. Es gab bei dieser Kürzestversion des “Elisabeth”-Hits keine Zeit vor dem langen, hohen Schlusston, und danach war wohl dann einigen auch gar nicht mehr so nach Klatschen und Johlen, denn Filipcic wurde vermutlich vom Jubel so getroffen, dass die reine Intonation flötenging. Generell wirkte die Ballade in ihrer Interpretation beschaulich, dann wieder angestrengt kreischig, gefühlsmäßig nicht mittig, wobei das Arrangement nicht wirklich gelungen war. Ohne Pause gings mit “Die Schatten werden länger” weiter. Wozu die Hektik, wieso die Songs nicht mit Ruhe auf die Bühne setzen … man wird es nie erfahren. Fowler verpatzte die “Schatten” mit Phrasierungen, die von der Idee großartig waren, die er aber nicht ausgestalten konnte; Lukas Perman lieferte das, was er auch im Theater an der Wien zu liefern imstande war. Auch die “Schatten” - bis ins Verstümmeln verkürzt auf knapp eine Minute.

Würde man noch einen Punkt kritisieren wollen, so könnte man die zahlreichen Mikro-Pannen anführen. Ganz schlimm erwischte es Lukas Perman ausgerechnet beim Song aus “Freudiana”: “Das Ödipus Dreieck”. Exakt bei seinem Einsatz eine extrem laute Störung. Perman meisterte die Panne souverän und so konnten Carin Filipcic, Thomas Borchert und er den Song aus “Freudiana” dennoch zu einem der Highlights des Abends gestalten. Marjan Shaki sorgte mit einem Lied für besonders großen Applaus: “A World of Wonder” aus dem Musical “Sophie’s World”. Und als Thomas Borchert ein einziges Mal an diesem Abend unkonzentriert war und den Einsatz bei “Totale Finsternis” verpatzte, war das nicht nur einer der sympathischsten Momente der Show, sondern auch einer der witzigsten, weil Shaki das ganze Lied hindurch von einem Lachkrampf zum nächsten taumelte, und dennoch die Nummer, sogar mit einem überraschenden Ende, nach Hause brachte. Natürlichkeit ist manchmal die halbe Miete.

Der Tanz stand bei “Musical Forever 2″ nicht wirklich im Mittelpunkt. Zum Teil waren es den Originalshows nachempfundene Andeutungen, die Jerome Knols mit seinem Ensemble einstudiert hatte, das klappte bei “Herrscher der Welt” sehr gut, auch bei “A Chorus Line” - in mattem Posing endete es aber bei “Rhythm of Life” aus “Sweet Charity”. Bemüht, aber sehr hölzern. Ganz im Gegenteil zum Gesamteindruck den “Rhythm of Life” beim jubelnden Publikum hinterlassen hat. In Anlehnung an Andrà© Heller könnte man meinen: Die wahren Musicals sind im Kopf, und sind sie nicht in deinem Kopf, dann sind sie nirgendwo. Einer jener Musical-”Köpfe”, Caspar Richter, hat sich mit “Musical Forever 2 ” aus Wien verabschiedet - man wird ihn vermissen.

Musical Forever 2
Musikalische Einstudierung: Caspar Richter
Regiekonzept/Choreographie: Jerome Knols
Künstlerische Leitung: Brigitta Thelen
Choreinstudierung und Korrepetition: Carsten Paap
Solisten: Marjan Shaki, Lisa Antoni, Carin Filipcic, Thomas Borchert, Lukas Perman und Rob Fowler
Ensemble: Daniela Harbauer, Martin Planz, Nina Weiss, Esther Mink, Barbara Obermeier, Fernand Delosch, Kai Hüsgen und Max Niemeyer

Akt 1
Ouverture – instrumental (»Gypsy«) [5:00]
Moderation - Peter Fröhlich [6:00]
Opening – Ensemble (»A Chorus Line«) [1:20]
Moderation - Peter Fröhlich [2:45]
Der erste Angriff – instrumental (»Les Misà©rables«) [0:38]
Der doppelte Schwur – Rob Fowler, Thomas Borchert (»Les Misà©rables«) [1:44]
Mein Herz ruft nach Dir – Lukas Perman, Lisa Antoni, Marjan Shaki (»Les Misà©rables«) [2:20]
Das Phantom der Oper – Lisa Antoni, Thomas Borchert, Ensemble (»Das Phantom der Oper«) [4:00]
Moderation - Peter Fröhlich [3:20]
Das Ödipus-Dreieck – Carin Flipcic, Thomas Borchert, Lukas Perman (»Freudiana«) [3:40]
Todzeitwalzer – instrumental (»Elisabeth«) [0:50]
Der letzte Tanz – Rob Fowler (»Elisabeth«) [1:20]
Ich gehör nur mir – Carin Filipcic (»Elisabeth«) [1:40]
Die Schatten werden länger – Rob Fowler, Lukas Perman, Ensemble (»Elisabeth«) [1:15]
Moderation - Peter Fröhlich [1:10]
Die Schöne und das Biest – Carin Filipcic, Lisa Antoni, Ensemble (”Die Schöne und das Biest”) [3:10]
“Chicago”-Signation [00:05]
Moderation - Peter Fröhlich [0:30]
Ein bissel für’s Hirn und ein bissel für’s Herz (2 Anläufe) – Peter Fröhlich (»Mozart!«) [1:30]
Moderation - Peter Fröhlich [0:30]
Schließ dein Herz in Eisen ein – Thomas Borchert (»Mozart!«) [1:45]
Dich kennen heißt dich lieben – Lukas Perman, Marjan Shaki (»Mozart!«) [1:40]
Gold von den Sternen – Carin Filipcic (»Mozart!«) [2:20]
Moderation - Peter Fröhlich [2_00]
Suite – instrumental (»State Fair«) [6:00]
Mörder – Ensemble (»Jekyll und Hyde«) [1:00]
Die Welt ist völlig irr – Thomas Borchert, Ensemble (»Jekyll und Hyde«) [1:30]
Moderation - Peter Fröhlich [3:20]
Rhythm of life – Rob Fowler, Lukas Perman, Ensemble (»Sweet Charity«) [2:25]

Akt 2
Moderation - Peter Fröhlich [3:41]
Conga – instrumental (»Wonderful Town«) [5:40]
Lonely town – Thomas Borchert (»On the Town«) [2:25]
Lucky to be me – Lukas Perman (»On the Town«) [2:45]
I can cook too – Carin Filipcic («On the Town”) [2:30]
A world of wonder – Marjan Shaki («Sophie’s World”) [5:00]
Moderation - Peter Fröhlich [2:00]
Herrscher der Welt – Lukas Perman, Rob Fowler, Kai Hüsgen, Ensemble («Romeo und Julia”) [1:20]
Ohne Sie – Marjan Shaki, Lukas Perman («Romeo und Julia”) [2:10]
Gethsemane – Rob Fowler (”Jesus Christ Superstar”) [8:30]
Moderation - Peter Fröhlich [3:00]
Ich hab geträumt von Manderley – Lisa Antoni (»Rebecca«) [1:40]
Golf – Ensemble (»Rebecca«) [0:50]
Rebecca – Carin Filipcic, Lisa Antoni (»Rebecca«) [1:30]
Moderation - Peter Fröhlich [2:10]
Ouverture – instrumental (»The Producers«) [0:55]
I love a piano – Thomas Borchert, (K.: Irving Berlin) [4:30]
Moderation - Peter Fröhlich [2:00]
Walzer – Ensemble (»Rudolf”) [1:00]
Vertrau in uns – Lisa Antoni (»Rudolf«) [2:10]
Totale Finsternis – Marjan Shaki, Thomas Borchert (»Tanz der Vampire«) [3:50]
Ansprache Caspar Richter [9:00]
Gabriella’s Song – Ensemble (»Wie im Himmel«) [3:50]
Moderation - Peter Fröhlich [1:00]
Tanz der Vampire (Finale II. Akt) – Ensemble (»Tanz der Vampire«) [2:10]
Ehrungen [11:00]
Zugabe: Rhythm of life – Alle (»Sweet Charity«) [2:25]

Statistiken
Moderation 1. Akt: 19:35
Musik 1. Akt: 42:47

Moderation, Ansprachen2. Akt: 34:51
Musik 2. Akt: 56 Minuten

Insgesamt
Musik: rund 99 Minuten
Ansprachen, Moderationen: 55 Minuten
Gesamtdauer: 2 Stunden und 42 Minuten inkl. Applaus

Theater der Jugend: “Märchenherz” [Philip Ridley]

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Der britische Künstler Philip Ridley, geboren 1964 in London, studierte Malerei an der Central Saint Martins, präsentierte seine Bilder im Rahmen von Ausstellungen vor allem in Europa und Japan, und ein gewisses Maß an publicitywirksamem Schaffen war ihm schon als Student nicht fremd, malte er doch beispielsweise für einen Zyklus, den er »Corvus Cum« bezeichnete, das Bild »The Black Bird«, auf dem ein Mann zu sehen ist, der auf einen schwarzen Vogel ejakuliert. Als eben dieses Bild im Institute of Contemporary Arts seinerzeit ausgestellt wurde, gab es prompt erboste Anrufe von Besuchern der Ausstellung, die die Verantwortlichen aufforderten, das Kunstwerk hinter einem Vorhang auszustellen.

Philip Ridley ist aber nicht nur Maler, er ist auch Photograph, Regisseur und nicht zuletzt auch Autor. Der Schriftsteller Ridley schreibt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, und es ist einer seiner Einakter für Kinder, »Märchenherz« (»Fairytaleheart«), der derzeit, aber nur mehr bis zum 26. Juni, als österreichische Erstaufführung im Wiener Theater im Zentrum in einer Produktion des engagierten Theaters der Jugend zu sehen ist.

Das “Märchenherz” entstammt einer auf insgesamt elf Einakter angelegten Serie, die Ridley »The Storyteller Sequence« nennt. Erschienen sind bis dato fünf Werke: »Karamazoo«, »Fairytaleheart«, »Moonfleece«, »Sparkleshark« und »Brokenville«. Die Bezeichnung »The Storyteller Sequence« trifft das Thema von »Märchenherz« exakt. Es geht ums Geschichtenerzählen, es geht darum, wie man Geschichten erzählt, was man braucht, um Geschichten zu erzählen und darum, was man damit bewirken kann. Es geht auch darum, Geschichten gemeinsam zu erleben, oder wie in den Werbemitteln zur Show Hà©lder Cà¢mara treffend zitiert wird: “Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn Menschen gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.”
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Der Plot des Einakters ist recht schnell erzählt:

Kirsty hat ein Problem. Ihr Vater hat sich in eine neue Frau verliebt. Und diese Frau ist in Kirstys Augen grässlich, der Prototyp der “bösen Stiefmutter”. Sie will ihren Vater für sich selbst behalten. Bei der eigenen Geburtstagsparty reißt sie aus, um mit sich und ihrem Unglück alleine zu sein. Sie muss ihre Gedanken ordnen und landet mit ihrer hastig gepackten Reisetasche in einem verlassenen Gemeindesaal.
Dass hier nun Gideon auftaucht, passt ihr gar nicht. Und woher eigentlich kennt er ihren Namen? Warum quatscht er dauernd auf sie ein und will alles Mögliche von ihr wissen? Und was sollen all die vielen Farbtöpfe und diese große halbbemalte Leinwand?
Am besten wieder abhauen! – Doch Gideon ermuntert Kirsty dazu, mit ihm gemeinsam an seinem Bild zu malen und einzutauchen in eine Phantasiewelt – und die ist näher an der Wirklichkeit als vermutet. Für Kirsty erscheint vieles in einem neuen Licht. Vielleicht ist die neue Stiefmutter ja gar kein Monster? Vielleicht hat der Vater ja ein Recht auf eine neue Liebe? Vielleicht ist es ja Kirsty selbst, die nicht ganz richtig liegt mit ihren Ansichten und Meinungen …

Was beim Betreten des Zuschauerraums sofort ins Auge sticht, ist die Bühne. Und was für eine Bühne. Keine nackte, leere, sondern eine vollgepackte Bühne. Ein Kellerraum mit einer Nebennische, voller Utensilien, Becher, Körbe, Kisten, Eimer, Malbecher, Kerzen, Kerzen, Kerzen und vieles andere, Graffitis an den Wänden, viele Zeichnungen, unfertige Malarbeiten, Details, Details, Details - ein Schlaraffenland an Atmosphäre. Da wird nicht dem Trend der “nackten Bühne” nachgerannt, sondern mal ein Set geschaffen, in das man sich schon vor Beginn der Vorstellung einleben kann. Nicht, dass Phantasie nicht gefragt wäre in dieser Produktion, aber nicht auf dieser Ebene. Und das passt.

“Märchenherz” ist, neben allem anderen, was man darüber schreiben könnte, ein Stück, das vermittelt, wie man Menschen motivieren kann. Die Zuschauer erleben, wie schwer es sein kann, verschlossene, frustrierte, verzweifelte und oft enttäuschte Menschen zu motivieren, wie anstrengend, auch körperlich, es ist und wie sehr man sich selbst öffnen muss, damit sich der andere auch nur ein bisschen öffnet.

“Märchenherz” ist fast wie eine Art Workshop und demonstriert, wie man mit Phantasie Geschichten zum Klingen bringt, wie Geschichten die Phantasie zu Höchstleistungen anstacheln und wie man Menschen mit Phantasie und Geschichten zum Strahlen bringt, ihnen neue Hoffnung gibt, neue Perspektiven aufzeigt, wie Geschichten helfen können, über akute Krisensituationen hinwegzukommen.
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All das erlebt man in Echtzeit, in 90 Minuten Spielzeit. Markus Schöttl spielt diesen grandiosen Geschichtenerzähler, dieses quirlige Powerpaket Gideon, der alles versucht, um Kirsty, gespielt von Nadine Kiesewalter, zunächst einmal abzulenken von ihren Problemen. Er macht alles an Faxen, was man in dem (Spiel-)Alter nur machen kann, und Philip Ridley weiß, wie man Kinder der angepeilten Altersstufe (ab 11 Jahren) erreicht. Markus Schöttl setzt das mit einer lebensfrohen, offenen, fröhlichen, in Phasen ekstatischen Darstellung des Jungen Gideon glaubhaft und mit viel Emotion, Kraft, Hingabe und Herz gespielt ungemein sympathisch um. In Nadine Kiesewalter hat er eine ideale Partnerin.

Philip Ridleys Ziel als Autor ist es, gutes Theater für Jugendliche zu machen. Das, so ist er überzeugt, sei keinesfalls leichter als gutes Theater für Erwachsene. In jedem Fall muss Theater etwas sein, so der Autor, das uns berührt, das Antworten auf die Fragen sucht, die uns in unserer Lebenswirklichkeit beschäftigen. Ridley glaubt fest daran, dass man durch Geschichten etwas bewegen kann, auf der Bühne und im wirklichen Leben. Mit “Märchenherz” setzt er diese Ansprüche an sich selbst glaubhaft um, und auf einer gewissen Ebene ist diese spannende und berührende Theateraufführung mit Sicherheit motivierender und hilfreicher in punkto Lebenbejahung als so manch teures Selbsthilfeseminar bei hochbezahlten Motivationstrainern.

Ab 11 Jahren ist das Stück empfohlen, gespielt wird es vom “Theater der Jugend”. Darf man sich als Erwachsener in dieses Stück reintrauen? Ja, man darf und man sollte noch die Chance nutzen, sich anzusehen, wie man Theater für Kinder und Jugendliche auch machen kann. Sieben Vorstellungen gibt es noch, und bestellen kann man problemlos die letzten Restkarten online mit Kreditkarte –> hier. Wer zuvor noch etwas Motivation braucht, kann sich auch Kritiken zum Stück durchlesen –> hier. Und dann nichts wie ab ins Theater - allein oder mit der ganzen Familie.

Märchenherz
von Philip Ridley / Deutsch von Andreas Pegler

Darsteller
Kristy: Nadine Kiesewalter
Gideon: Markus Schöttl

Leading Team
Regie: Frank Panhans
Bühne und Licht: Tom Presting
Kostüme: Katharina Mayer und Erika Peherstorfer
Malercoach: Kurt Urban
Dramaturgie: Marlene Schneider
Assistenz und Inspizienz: Clemens Pötsch
Hospitanz: Felix Metzner

“The Wild Party” - da geht was ab an der Konservatorium Wien Privatuniversität

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An der Konservatorium Wien Privatuniversität scheinen in der Abteilung Musikalisches Unterhaltungstheater derzeit spannende Umstellungen im Gang zu sein. Nehmen wir als Beispiel die Aufführungen der Musicalabteilung. Lange Zeit gab es die Möglichkeit, den ersten Jahrgang der Ausbildungsstätte im Laufe der ersten Monate eines Jahres im Rahmen einer kleinen Show zu erleben. Diese Shows, meistens Revuen, waren ohne Ausnahme sehenswert. Manches Mal wurde etwas prominenter auf die Aufführungen verwiesen, manchmal eher zurückhaltender, aber man wusste fast immer Bescheid und konnte so einen Jahrgang vom ersten öffentlichen Auftreten innerhalb des Studiums bis zur Diplomshow vier Jahre später im Auge behalten. 2010 ist man von diesem Prinzip abgegangen und hat eine “geheime” Aufführungssession in den institutseigenen Proberäumen abgehalten. Keine Ankündigung, kein Newsletter. Schade, ist doch das Vermitteln von Aufführungspraxis unter möglichst realitätsnahen Bedingungen ein blendend gewähltes Ziel des Konservatoriums. Die Show des ersten Jahrgangs intern abzuhalten, kommt ein wenig so rüber als wären a) die Neuen so schlecht, dass man sie extern nicht zeigen kann b) die finanziellen Mittel so knapp, dass man sie streichen musste, wobei da auch c) die Streichung der Show des 4. Jahrgangs mit ins Spiel kommt. Denn ab 2010 gibt es am Konservatorium zwar eine sogenannte Bachelor-Show, die entweder die klassische Revue ist, die man bisher gewohnt war, dann aber die Einzelperformances, die für die Abschlussprüfungen immer einstudiert und von den Studenten individuell gestaltet werden konnten, ersatzlos ablöst. Natürlich könnte sich auch d) die Meinung des einen oder anderen durchgesetzt haben, dass man ja ohnedies nur im ersten Jahr am Kons genügend Zeit “zum Lernen” zur Verfügung hat und es nur gut sei, dass es nicht durch Aufführungen gestört wird - was aber andererseits kein Argument ist, weil es ohnedies eine Aufführung gegeben hat, nur eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit, daher also doch eher a) bis b). Wie auch immer, es scheint sich also was zu tun am Konservatorium, und es scheint darauf hinauszulaufen, dass die neuen Studenten im Rahmen ihrer Ausbildung zwei Shows weniger die Möglichkeit haben, sich - nach außen - zu präsentieren. Aber vielleicht kommt auch alles anders - oder mehr Zeit “zum Lernen”?

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Blendend präsentieren konnte sich die Abteilung Musikalisches Unterhaltungstheater jedenfalls vom 26. Mai bis 1. Juni 2010 mit der Aufführung von Andrew Lippas Musical “The Wild Party” (zum Inhalt der Show siehe –> hier). Im Vorfeld wurde in einer Kulturpostille Lippas Werk als für das Genre “nicht unbedingt typisch” bezeichnet: Man würde in dieser Show, die am 24. Februar 2000 ihre Off-Broadway-Premiere gefeiert hat, Gewalt, Sex, physische und psychische Härte zu sehen bekommen. Oh Gott oh Gott, ob man das dem typischen Musicalfan, der sich nur “berieseln” lassen möchte, vorsetzen darf, so die ungefähr ableitbare Frage? Man konnte beim Lesen des Artikels fast den Eindruck bekommen, Musical sei die Löwingerbühnenfraktion des Musikalischen Unterhaltungstheaters, Andrà© Rieu wäre dagegen fast schon ein Goth der Unterhaltungsmusik. Was waren gleich noch mal die Themen von Shows wie “Rudolf”, “Rebecca”, “Jekyll & Hyde”, “West Side Story” und wie sie alle heißen? Verwechseln wir den Begriff Thema mit der Umsetzung? Aber nehmen wir das alles nicht so ernst, die Autorin zitiert ja auch Alexandra Frankmann-Koepp mit dem Satz: “”The Wild party” ist kein Mainstream-Musical, aber es ist toll.” - was für eine “fast” gefährlich verwirrende oder verwirrte Aussage. Am Off-Broadway war die Party im Manhattan Theatre Club übrigens nach 54 Vorstellungen am 9. April 2000 wieder vorbei. So viel zum Thema Reality-Check. So viel man nämlich auch von Lippas Show halten mag, könnte man sie auch als Musical bezeichnen, in dem sich eifersüchtige Männer prügeln und besaufen beziehungsweise diesen Eindruck erwecken, während sie tatsächlich singen und tanzen. So ganz war sich da die Kritik, was die Beurteilung der Show betrifft, nicht einig. Letzten Endes vielleicht doch nur eine Art Mainstream mit etwas besserer Musik?

Geht man davon aus, um wieder zum Anfangsstatement zurückzukommen, dass man an der Konservatorium Wien Privatuniversität Musicals unter anderem deshalb aufführt, um die Studenten an eine gewisse Realitätsnähe (hier allerdings, was die Arbeit am Theater betrifft) zu gewöhnen, dann, müsste man meinen, ist wohl eines der wichtigsten Ziele, auch den “Castingprozess” für eben diese Shows nicht so zu gestalten, als würde man sich in einer Märchenwelt à  la Alice’s Wonderland befinden. Das Casting als kleiner Reality-Check, damit wird man im Alltag draußen, außerhalb der Schule, rasch konfrontiert, und wenn man vier Jahre lang in all den Schulproduktionen nur die kleinsten Rollen bekommen hat, dann stellt man sich mit Sicherheit schon lange vorher Fragen.

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Natürlich ist man an einer Musicalschule etwas limitiert. Man hat all jene Studenten mit Rollen zu versorgen, die gerade eingeschrieben sind. Entscheidet man sich dafür, dass es wichtiger ist, ein bestimmtes Musical aufzuführen, als ein Musical zu finden, das man mit dem vorhandenen Potential aufführen kann, dann ist ein solcher Castingprozess etwas tricky (dafür die Wahl der Show unkomplizierter) - mitunter kann es vorkommen, dass man Rollen zu besetzen hat, die von den abteilungseigenen Studenten unmöglich alle abgedeckt werden können. Interessanterweise setzt das Konservatorium in letzer Zeit auf recht tanzbetonte Stücke. Ein Ruf als tanzorientierte Ausbildungsstätte indes wäre neu, auch wenn es vor ein paar Jahren Ansätze gab mit der kurzfristigen Verpflichtung eines Choreographen, der einen irren Kick in einen der Jahrgänge brachte. Doch in diesem Jahr greift ein anderer Ansatz verstärkt: das abteilungsverbindende Element, wir lieben ja alle das Schlagwort Vernetzung. Auf der Bühne sehen wir nicht nur die Studenten der Abteilung Musikalisches Unterhaltungstheater, sondern auch Kollegen aus der Abteilung Ballett: Yi Yi Wang (mit einem fantastischen Tanzsolo im 2. Akt: “Jackies letzter Tanz”), Anna Schumacher, Kyra Chlebowski, Yue Yating und Manaho Shimokawa durchmischen sich mit dem Musical-Ensemble, und tatsächlich ist ihre virtuose Körperbeherrschung stellenweise so fesselnd, dass sie von den dagegen teilweise und fallweise abfallenden guten Movern der Musicalabteilung ablenken. Nur ein Problem gibts, oder zwei. Es ist nicht immer ganz der Rhythmus, den die Balletttänzer gewohnt sind, und: ist das Musicalgenre nicht jene Disziplin, die auf drei Fundamenten aufbaut: Gesang, Schauspiel … und Tanz? Wie auch immer, besser, man erkennt Defizite im eigenen Potential und versucht diese mit Talenten aus anderen Abteilungen bühnenwirksam zu kaschieren, als man blamiert sich auf offener Bühne. Die Tanzszenen bleiben allerdings vergleichsweise der Schwachpunkt der Aufführung. Gerade Glanznummern wie der Titelsong “Die wilde Party” leben von mehreren parallel ablaufenden Tanzeinheiten. Da matchen sich normalerweise mehrere Formationen, da liefert das Ensemble dazu eine perfekt auszuckende Tanzeinheit, das alles kann man nicht machen, wenn das Potential der einzelnen Studenten dafür (jetzt noch) nicht ausreicht. Die Lösung ist das rasche Übergehen in eine immer noch sehr wirksame Gruppenchoreographie, in der wieder die Kollegen aus der Ballettabteilung abtanzen, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her, während einige andere vergleichsweise spazierentanzen. Insgesamt gesehen aber kommen Szenen wie “Der Juggernaut” gut rüber.

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Realitätsnähe scheint allerdings auch bei der Besetzung einer der Hauptrollen nicht ganz oben auf der Liste gestanden zu haben. Martina Lechner (3. Jahrgang) für die Rolle der Queenie zu besetzen, ist eine etwas eigenwillige Interpretation von Realitätsnähe. Da geht es nicht einfach darum, wie gut oder schlecht sich die Studentin macht, denn sie macht ihre Sache gut, sie passt einfach nicht in die Rolle. Weder Stimme noch Optik, und auch nicht die Art, wie sie sich zu bewegen imstande ist. Ist das für Martina Lechner eine große Belastung, sieht sie das anders? Man weiß es nicht. Man kann aber definitiv sagen, dass sie ihr Bestes gibt - und kann im Übrigen jegliche weitere Kritik unterlassen. Ihre Alternativbesetzung Miriam Mayr dagegen ist eine Queenie, vom ersten Moment an. Sie muss sich da nicht erst viel erarbeiten, sie hat das gewisse Etwas, das man sich nicht anschminken kann. Es hat auch etwas mit Körperhaltung, Körpersprache zu tun, das reicht bis hin zu Maske und Kostüm, das bei der einen Darstellerin ein harmonisches Ganzes ergibt und bei der anderen nicht. Mayr hat jetzt vielleicht (noch) nicht die Mörderstimme, aber ihre Interpretation der Queenie ist vielschichtig, sie hat eine ausdrucksstarke Mimik und kann der von ihr dargestellten Figur eine gewisse Tiefe verleihen, wobei es noch ein bisschen intensiver hätte sein können beispielsweise bei “Maybe I like it that way”, dessen zweideutige Eindeutigkeit ein wenig verloren geht.

Wunderbar Lena Brandt, die als Kate auf der Bühne steht. Spielt sie mit Martina Lechner ist ihr erstes Erscheinen auf der Bühne wie ein Bombeneinschlag, so als wäre der Broadway mitten im Leonie-Rysanek-Saal eingefahren, so verschieden wirken die Welten, die hier aufeinanderprallen. Im Zusammenspiel mit Miriam Mayr ist das ein vorzügliches Theatererlebnis. Lena Brandt ist vortrefflich bei Stimme, ihr “Juggernaut” ist sicher eines der Highlights des Abends.

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Sie ist aber nicht der einzige Volltreffer. Laura Hempel beispielsweise, die als Mae die durchgeknallte Freundin von Eddie, dem Boxer, gibt, entspricht in ihrem Auftreten genau dem, was sie laut Rollenbeschreibung sein soll: klein, beknackt und süß. Bei ihr passt alles, Schauspiel, Gesang, Tanz, eine perfekte Rolle, ein Glücksfall. Auch Konstantin Zander als Boxer Eddie ist vom Typ her gut besetzt und schauspielerisch übezeugend, nur mit einer noch sehr belegten Stimme mit dabei. Als Lesbe Madelaine True verkauft Petra Straussova ihre große Solonummer “Eine altmodische Love-Story” schauspielerisch blendend, stimmlich okay.

Sind viele der Charaktere vom Buch her gut herausgeabeitet, so gibts dann auch noch die kleineren und ganz kleinen Partien wie Phil und Oscar, gespielt von Timo Verse und Sebastian Brandner. Timo Verse punktet mit guter Stimme, wo er die Chance bekommt, aber im Gegensatz zu den meisten “Typen” in “The Wild Party” sind Phil und Oscar fast statistenhafte Rollen, dasselbe trifft auf Max zu, gespielt von Johannes Sorgner. Er steht als “Partygast” als einziger Student des 1. Jahrgangs der Abteilung Musikalisches Unterhaltungstheater auf der Bühne, hat eine kleine Gesangseinlage im Titelsong “Die wilde Party” und zeigt dabei, dass er Stimme mit Potential und eine natürliche, sympathische Bühnenpräsenz hat, vermutlich gut tanzen kann und ein kleiner großer vielversprechender Strahler ist - und das ist ja letztlich für eine Show, in der der 1. Jahrgang normalerweise gar nicht antritt, sehr viel.

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In den männlichen Hauptrollen sind Oliver Liebl als Black und Christoph Messner als Burrs zu sehen. Messner ist in der Rolle eine Wucht, da steht jemand auf der Bühne, dem man gerne zusieht und in den man auch Vertrauen hat, dass er imstande ist, alles richtig zu machen. Da muss man nicht mitzittern, ob ein Ton richtig sitzt, sondern man freut sich am Variantenreichtum des Ausdrucks in jeder Beziehung, da versteht man vor allem auch jedes Wort, da sieht so gut wie nichts aufgesetzt aus, ein irrer Körpereinsatz fasziniert, das passt - mit Sicherheit die überragende Leistung im Rahmen der Show. Mit Oliver Liebl ist die Rolle einerseits nicht wirklich vom Konzept her ideal besetzt, aber die Gründe, warum Black so besetzt ist, und nicht anders, liegen auf der Hand. Schauspielerisch war Liebl auf einem guten, aber nicht beeindruckenden Niveau, stimmlich ebenso. Was er ausstrahlt, ist eine gewisse Selbstsicherheit, und am Rest arbeitet er noch.

Interessant das Bühnenbild, das einerseits aus eher leichten Elementen wie Tisch, Bett, Couch besteht und auf der anderen Seite ein schweres Hebe-Element aufweist, das eine andere Ebene der Handlung auf die Bühne trägt und dessen Heben und Senken an zwei wesentlichen Punkten des Musicals stehen. So spiegeln sich die Schwere der Themen und die manchmal vorhandene Leichtigkeit des Scores im Bühnenbild. Schön gemacht, wenn das die Idee dahinter war. Verantwortlich für das Bühnenbild ist Timo Verse, Student des 2. Jahrgangs (und in der Rolle des Phil auf der Bühne).

Die Inszenierung (Alexandra Frankmann-Koepp), die auf der Amstettener Fassung der Show von Hannes Muik und Werner Sobotka beruht, bietet an die zwei Stunden Top-Unterhaltung ohne jegliche Länge, nur ein Punkt stört: die Crux mit der Statisterie. Viele der Studenten haben, wenn sie nicht gerade ein Solo zu singen haben, die Aufgabe, Partygäste zu mimen. Sie tun das mitunter wie Karpfen, mit weit aufgerissenen Mündern - und hemmungslos übertriebener Gestik. Das ist ein Schwachpunkt, denn das lenkt vom Geschehen ab, zerreißt die Schärfentiefe, die eigentlich aufgebaut werden sollte, mit dem Fokus auf den Solisten und dem unscharfen Bereich der Statisterie.

Andrew Lippa verwendet für die Kompositionen in seiner Show zeitgenössische Stile, zitiert gleich mit dem ersten Ton des Scores Duke Ellingtons Jungle-Style mit seinem typischen Growling, und auch Kurt Weill ist ihm ein Begriff, andererseits bleibt er diesen Stilen nicht treu, sondern durchmischt Elemente der 1920er- bis 1990er-Jahre kunterbunt, bringt zum Jazz auch den Rock, R&B und Pop. Das spiegelt sich beispielsweise auch bei den Arrangements der Cast-CD aus dem Jahre 2000, wenn da im Opener “Queenie Was A Blonde” auf einmal E-Gitarren Verwendung finden. In der Version des Konservatoriums (Musikalische Leitung, Arrangements: Peter Uwira) sind keine E-Gitarren zu hören, den Bruch hat man sich erspart, und das ist gut so. Die Band hat ein Alt- und Tenorsaxophon sowie Klarinette und Querflöte (alle: Lisi Steiger) zur Verfügung, weiters am Klavier Peter Uwira, am Kontrabass Sebastian Küberl und am Schlagwerk Gerfried Krainer. Einziges Manko beim Schlagwerk, wofür der Schlagwerker nichts kann: In den Momenten, in denen die E-Drums auch tatsächlich wie kleine Plastikdöschen klingen, weil sie nunmal manchmal, nicht immer, so klingen, hinterlassen sie einen schlechten Eindruck. Aber ökonomische- und Platzgründe … ok. Die Band spielt um ihr Leben und bringt den aufregenden Vibe der Musik, die sexuelle Spannung bis hin zum dramaturgischen Höhepunkt großartig auf den Punkt.

Fazit: Zwei Stunden beste Unterhaltung auf für eine Schulproduktion sehr hohem Niveau mit einem beeindruckenden Christof Messner, und einer wunderbar spielenden Lena Brandt.

Leading Team
Buch, Musik und Liedtexte: Andrew Lippa
Original-Arrangements: Michael Gibson
Deutsche Übersetzung: Wolfgang Adenberg
Bearbeitung: Hannes Muik, Werner Sobotka
Musikalische Leitung, Arrangement: Peter Uwira
Regie, Produktionsleitung: Alexandra Frankmann-Koepp
Choreographie: Marcus Tesch
Dancecaptain: Astrid Nowak
Stage Combat: Mel Stein
Bühne: Timo Verse
Lichtdesign: Dulcinea Jan
Kostümdesign, Inspizienz, Requisite: Doris Richter
Kostüme: Kostümhaus Lippitsch
Konsultantin: Alexandra Fitzinger
Maske: Wilhelm Galli, Regina Tichy
Technische Koordination: Ernst Wilfinger
Bühnenmeister: Harald Lindermann
Bühnenbildbau: Stefan Michelfeit
Ton: Markus Urban, Florian Bogner
Verfolger: Vera Ledel
Garderobe: Heike Portisch

Band
Alt-, Tenorsaxophon, Klarinette, Querflöte: Lisi Stiger
Klavier: Peter Uwira
Kontrabass: Sebastian Küberl
E-Drums, Percussion: Gerfried Krainer

Cast
Queenie: Martina Lechner (3)* 27.05./29.05./01.06./Miriam Mayr (3) 26.05./28.05./31.05.
Burrs: Christof Messner (3)
Kate: Lena Brandt (3)
Black: Oliver Liebl (2)
Madelaine: Petra Straussova (3)
Oscar: Sebastian Brandmeir (2)
Phil: Timo Verse (2)
Eddie: Konstantin Zander (2)
Mae: Laura Hempel (2)
Nadine: Andreja Zidaric (2)
Dolores: Caroline Zins (2)
Sam: Florian Stanek (2)
Max: Johannes Sorgner (1)
Jackie: Yi Yi Wang (als Gast)**
Rose: Anna Schumacher (als Gast)**
Peggy: Kyra Chlebowski (als Gast)**
Babe: Yue Yating (als Gast)**
Ellie: Manaho Shimokawa (als Gast)**
Chor: Tanja Petrasek (1)(Franziska Kemna (1)/Salka Weber (1)/Alixa Klemm (1)/Dieter Hörmann (1)/Manuel Heuser (1)/Manuel Walcherberger (1)
* (3): Jahrgang, in dem sich der/die Studierende befindet
** Studierende(r) der Abteilung Ballett

Eine andere Meinung zur Show gibts –> hier, und eine nochmals andere, geschrieben von Sascha Sautner, wird in der nächsten Ausgabe von “musicals” erscheinen (August/September 2010).

Kabarett Simpl: “Ich bin viele” [2010]

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“Ich bin viele”, so lautete der Titel jener Simpl-Revue, die bis Anfang Mai 2010 im Stammhaus des Unternehmens Simpl, dem Kabarett Simpl in der Wollzeile, zu sehen war. “Ich bin viele”, also die Bezeichnung des Programms, spiegelt eine kleine Misere der äußerst erfolgreichen Spaßschneiderei Simpl wider: Die Titel der stets ausverkauften Revuen stehen oft dermaßen lange vor dem Schreiben derselben fest, dass Bezeichnung und Inhalt bisweilen eher lose miteinander zu tun haben. Man wagt ja gar nicht daran zu denken, dass im kommenden September die neue Revue “Nach der Krise” an den Start geht, wir aber eigentlich noch mitten in selbiger stecken (werden). Mit ein bisschen Geschick wird sich da aber schon ein Weg finden lassen, klar. Man darf gespannt sein.

Getauft wurde das Programm “Ich bin viele” jedenfalls, weil man damit signalisieren wollte (damals, vor einem Jahr, als das Programm benannt und noch nicht geschrieben war), dass das Simpl sich “vermehrt” hat. Das Kabarett Vindobona gehört nun ebenso wie das Palais Nowak mit dazu zum Spaßimperium. Das war am Beginn der Spielzeit 2009/2010 noch neu, da war man voller Hoffnung, so richtig durchzustarten mit einer “Grätzl-Soap” im Vindobona und einem Boulevardklassiker im Palais Nowak. Mag sein, dass sich die ganz ganz großen Erwartungen diesbezüglich nicht zu 100 Prozent erfüllt haben. Aber “Nach der Krise”, also daran kann man sich ja halten, nach der Krise also wirds sicher ganz steil bergauf gehen. Doch auch schon mit der derzeit laufenden Wiederaufnahme im Palais Nowak, dem dem Meidlinger “L” frönenden Musical “Krawutzi Kaputzi”, sollte ein Erfolg gelingen. Und worauf wir uns alle gern freuen würden, wäre ein Nachfolger dieser Erfolgsproduktion aus der Feder von Johannes Glück. Sicher, Musicals sind eine schwierige Sache, es gibt keine Erfolgsgarantie, und doch sollte man dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Studiert man das Programmheft zur Show “Ich bin viele” vor der Show nicht, vertieft man sich nicht ein bisschen in das Vorwort, in dem traditionellerweise das Motto der Show so erklärt wird, dass man auch dann nicht wirklich eine Ahnung hat, worums gehen wird, weiß man diesmal noch weniger als sonst, womit mans zu tun bekommt. In der gesungenen Eröffnungsnummer erfahren wir, was wir alles sind: Studenten, Konsumenten, Arbeiter, Angestellte, Bettler, Philosophen, Spieler, Verlierer, … In der Confà©rence gleich daran anschließend erklärt man uns, dass das Motto “Ich bin viele” eine tiefenpsychologische Erkenntnis ist und auf Sigmund Freud zurückgeht - und Kinder, das wars praktisch. Ab da wird kaum mehr auf den Titel Bezug genommen, was folgt sind eine Reihe von Sketche und Gstanzln, die nicht wirklich unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Lassen wir also Titel Titel sein, is eh wurscht.

Neu dabei im Ensemble des Simpl: Roman Frankl, Wilbirg Helml und Claudia Rohnefeld. Alle drei haben “auch” einen musicalischen Background. So war Rohnefeld vor gar nicht allzu langer Zeit in Baden als Gavroche im Musical “Les Misà©rables” zu sehen und steht derzeit im Palais Nowak im Puppenmusical “Krawutzi Kaputzi” auf der Bühne. Wilbirg Helml hat 2009 ihre Ausbildung zur Musicaldarstellerin am Performing Center Austria beendet - und Roman Frankl kann, neben allem anderen, was er drauf hat, auch Musical (was er in dem diffusen geschichtsklitternden Habsburger-Musical der VBW, benannt “Die Habsburgischen”, zu beweisen wusste).

Aus den letzten Programmen kennt man die anderen Mitwirkenden: Thomas Smolej, Alexandra Schmid, Bernhard Murg und Ciro de Luca, der sich auch als Confà©rencier betätigt. Die Confà©rence, da hätte ich gerne mal einen Sir wie Roman Frankl gesehen und mal zur Abwechslung nicht Luca, der ein bisschen zu sehr auf der Schleim-Schiene fährt und bisweilen nervt. Andererseits kann er nichts für die teils platten Pointen, die man ihm geschrieben hat. Ein Beispiel? Na bitte:

Werner Faymann und Josef Pröll. In Fachkreisen werden sie Stan und Olli genannt, die Polen nennen sie Bolek und Lolek. Und wenn man den Pepi Pröll so anschaut, ich möcht ja glauben, sei Kernkompetenz is Fressen. Ein voller Bauch studiert nicht gern. Er schaut aus, wia zwa aufeinanderglegte Germknödel. Hams erm gesehn am Opernball? Zwa Schärpen: ane am Bauch und ane am Goder. Hat eine Rede gehalten in der Loge: “Meine Herren, die Koalition ist vor dem Platzen …”

Mit Verlaub: Auch für ein Programm, das sich nicht in Schneyder’sche Dimensionen schwingen möchte, reicht vulgäres Bashing nicht. Oder anders formuliert: Wir haben an Randgruppen die Raucher, das sind sie elitären Süchtler, die Damen und Herren Abgeordneten oder die Stammtischliteraten, die vielleicht an Lungenkrebs krepieren, aber quasi ihr Schicksal in Würde zu Ende pfauchen. Ein Raucher, vom Krebs abgemagert, grau im Gesicht - nicht witzig, geht gar nicht. Dann haben wir die bemitleidenswerten, aber doch meist liebenswert gezeichneten Säufer, für deren Suchtverhalten man natürlich im Weinland Österreich Verständnis hat und ein Tränchen verdrückt oder mit ihnen und über sie herzlich lacht, und in beiden Fällen ist es, trotz ärgster Überzeichnung, keine menschenverachtende Häme, vor allem in den Programmen des Simpl. Und dann haben wir eine Gruppe, auf die können wir spucken und sie mit unserer geifigen Häme übergießen, das sind die Bladen. Die sind das ja gewohnt, Mobbing von der Wiege bis zur Bahre. Alle drei Gruppen sind Süchtler, nur würde es nie jemandem einfallen, einen Raucher oder Säufer ausschließlich auf seine Sucht zu reduzieren. Man benutzt die Sucht quasi als Setting und führt die Süchtler in Szenen vor, parodiert sie gekonnt. Bei den Dicken reicht der Hinweis: “Schau, der Blade” - und schön gröhlt das Publikum, auch jenes des Simpl. Im aktuellen Simpl-Programm ist ein Dicker im Zentrum: Vizekanzler Josef Pröll. Ich meine, es ist eine Sache, den Vizekanzler aufgrund seiner völlig wahnwitzigen Amtsführung, aufgrund seiner primitiven Rhetorik und hoffnungsfroh bemühten Mimik und Gestik zu persiflieren und zu karikieren, da gäbe es weiß Gott viele Ansätze, und eine andere, gefühlte hundert Mal vom Bladen zu reden und den Mensch Pröll ausschließlich auf sein Äußeres zu reduzieren. Mit ein bisschen mehr Hirn kann man den Politiker Pröll satirisch überzeichnet wunderbar darstellen. Gerade das würde Sinn machen, denn das bloße Reduzieren, genau diese Mache ist völlig abstrahiert vom Politiker Pröll, zielt nur auf den Menschen ab und kann nur als Instrument des Verletzens in dieser Kurzform verwendet werden. Hier geht es allein darum, eine Gruppe von Suchtkranken der Häme preiszugeben. “Die blade Sau”, das ist das geflügelte Wort. Oh ja, sehr witzig, darüber lacht das Publikum. Besonders schön ist es ja, wenn die Essgestörten als Randgruppe von anderen Randgruppen mit Häme übergossen werden. Das erleben wir im alltäglichen Leben live genauso wie digital in Facebook, Twitter oder was auch immer. Eines ist sicher, an der untersten Stelle der Imageskala steht der Blade, alles andere kommt darüber, das bekommen die Kinder in der Schule mit und die Erwachsenen lachen darüber im Simpl. Auf seine Weise ist das ein Symptom, wie es zu Vorgängen kommen konnte, die wir alle schon vergessen wollten. Ich persönlich kann mit diesen bösartigen, billigen und brutalen Sequenzen des Programms nichts anfangen, ich kann mich aber auch schwer damit anfreunden, dass man eine Frau, so verwerflich ihre politische Gesinnung und ihr Tun auch ist, als “Legebatterie” bezeichnet, das alles ist widerwärtiger Gossenspaß, egal wie tatsächlich verachtenswert das Ziel des Angriffs sein mag. Da haben es sich die Autoren etwas zu leicht gemacht. Solche Scherze sind auch für einen Confà©rencier eher ein Bumerang, denn etwas von diesem billigen Bashing bleibt an seiner Person kleben.

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Nun sind diese Momente in der Simpl-Revue eben genau das: Momente. Die Confà©rence ist das schächste Glied in der Kette, da kommt auch noch mit Herrn Rogan ein Schwimmer von gestern vor, da wird der Papst exakt wie im letzten Programm kurz auf die Schippe genommen, das ist dann doch etwas schleißig. Dominiert wird das restliche Programm aber von einigen wirklich lustigen Sketchen wie beispielsweise dem “Nachsendeauftrag”, einem skurrilen Spaß, in dem Roman Frankl einen Polizeibeamten spielt, der mit Hilfe des Postjargons für eine verlorengegangene Omi eine “Nachsendeauftrag” erstellt. “Soll ma die Omi priority oder eingeschrieben zurückschicken?”

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In der Nummer “Harte Eisen” wird auf die nach wie vor aktuelle Einbrecherwelle eingegangen. Da tauschen sich die harten Burschen de Luca, Murg und Frankl über das beste Einbrecherwerkzeug aus, dessen Härte in Fekter gemessen wird, und da kommt das Programm dann sprachwitzmäßig endlich in Fahrt.

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Das ändert auch nicht die “Schottermitzi”, die als Sadomaso-Gesangsnummer angelegte Parodie der Innenministerin Fekter, die - etwas aus der Rolle - von der kleinen und so gar nicht nach Fekter aussehenden Claudia Rohnefeld gegeben wird. Der Text ist eine glasklare, beinharte Abrechnung mit der mitunter menschenverachtenden Politik von Maria Fekter, von Pressezensur bis zum Abschiebungsthema.

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Ein Klassiker schon jetzt: “Die Beichte”. Bernhard Murg spielt den als Prister verkleideten allmächtigen Zeitungsherausgeber Hans Dichand, der den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann zur Buße nötigt. Als Faymann mit dabei und großartig: Ciro de Luca.

Dichand: Ich hab dich nicht nicht zu dem gemacht, der du bist, damit du denkst, sondern damit du glaubst, was in der Krone steht.
Faymann: Schaun sie, Herr Dichand, ich denke, auch als Sozialdemokrat muss man 2 bis 3 Prozent Eigenmeinung haben.

In diesem Sketch reiht sich eine Lachsalve an die andere. Schade ist, dass die Nummer nach der Bundespräsidentenwahl umgeschrieben werden musste und die neuen Pointen, was die Präsidentschaftskandidaten betrifft, nicht mehr wirklich punktgenau passen, dazu kommt eine schlaffe Schlusspointe, und wie schnell sich manche Personen aus dem öffentlichen Interesse verabschieden, kann man an diesem Sketch ebenfalls erleben. Markus Rogan wird als Vizekanzler ins Spiel gebracht. Lange ist es her, dass der ehemalige Liebling aller Wassersportler seine Karriere in einer römischen Provinzdisse versenkt hat. Ungefähr ebenso lange muss es her sein, dass die Sketchautoren Rogan in ihr Werk aufgenommen haben, ohne damals ahnen zu können, wie out er ein Jahr später sein würde. Sicher kann man nicht ständig ein Programm umschreiben, aber andererseits, man kann schon, wenn man will. Und man sollte vielleicht. Schlusspointe:

Dichand: Faymann, als Buße wirst du in Hinkunft deine Regierung nicht so führen als wärs eine rot-schwarze, sondern eine schwarz-blaue.
Faymann: Ja, das nehme ich gerne an und sage danke. Ich glaub, den Unterschied wird eh kana merken.

Was das Simpl immer im Programm hat, sind absolute Skurrilitäten. Kabarettdada, um Themen durch die völlig absurde Aufbereitung recht einprägsam rüberzubringen. Ein Sketch, bei dem das recht gelungen passiert, ist der “Kundenüberfall”. Hier überfallen mal nicht Kunden eine Bank, sondern die Angestellten die Kunden, weil sie in Finanznöten unterzugehen drohen. Wie eine kleine Screwball-Comedy aufgezwirbelt ist das unterhaltsamer Schmäh mit relevantem Hintergrund.

Herrlich der Sketch “Schutzschirm für alle”, in dem die Täter der aktuellen Finanzkrise, Banken und Industrielle, im Ministerium vorsprechen, um ihren finanziellen “Schutzschirm” abzuholen. Pointe sitzt an Pointe, und wenn dann mit Bernhard Murg ein kleiner bsoffener Spekulant reinplatzt, dann ist das Spaßfeuerwerk gezündet.

Sind Sie ein internationaler Banker, der sich an der Börse verspekuliert hat?
Nein ich bin ein nationaler Trinker, der sich am Gürtel verspekuliert hat.

Ciro de Luca, Thomas Smolej und Bernhard Murg harmonieren in dem Spaß wunderbar, inklusive einem vermutlich inszenierten “aus der Rolle Lehnen”, um das etwas zache Publikum aus der Reserve zu locken. Da verrutscht dann mal schnell “unabsichtlich” ein Toupet, einer der Schauspieler “vergisst” seinen Einsatz und improvisiert. Einer neckt den anderen, überrascht mit Fragen, die nicht in die Szene passen, wie “Bist du traurig?” - und am Ende hätten sogar noch alle Uwe Kröger-Fans einen Grund gehabt, ins Simpl zu gehen, denn der Name - fällt. Andererseits, inszeniert oder nicht, es ist so und so fast unmöglich, nicht über Bernhard Murg zu lachen, wenn er aufdreht. Der Mann ist wie eine Lachlawine, die alle mitreißt, ob sie wollen oder nicht. Auch seinen Kollegen Thomas Smolej, der gekonnt und mit ansteckender Spiellaune den toupetverrrutschten, mit Uwe Kröger verwechselten Ministeriumssekretär gibt. Ein Highlight des Abends. Ein relevanter Hintergrund, anfangs satirisch in Szene gesetzt, driftet mit Murg in wunderbar verspielte und großartig geschauspielerte Blödelei ab und lehnt sich dann, wenns nur mehr ums Toupetverrutschen und “Du schaust aus wie der Uwe Kröger” geht, ins völlig Abstruse Spaß machen. Mehr geht nicht. Keiner spielt Bsoffene so gut wie Murg, ein Virtuose der Artikulation und der Mimik und Gestik. Zum Zerkugeln.

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“Ich bin viele” ist zusammenfassend eine gelungene Sketchparade mit einem starken Team. Neuzugang Wilbirg Helml ist noch ein wenig unterschäftigt, andererseits zeigt sie auch schon in ihrem ersten Jahr am Simpl eine Qualität, die man nicht lernen kann: Wenn sie lacht, dann strahlt sie, und wenn sie strahlt, dann tut sie das ansteckend bis in die letzte Reihe. Eine Hoffnung für die Zukunft.

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Thomas Smolej hat sich in den letzten fünf Jahren zum Simpl-Allrounder entwickelt: Er ist ein Schauspieler mit viel Gespür für Dialekte, mit einer sehr sensitiven Art, die von ihm gespielten Charaktere anzulegen, und er ist Sänger, also genau das, was es braucht, um das Publikum überzeugend in die Sketche reinzuziehen, und ähnlich wie Wilbirg Helml hat er den Schalk in den Augen. In seiner Rollengestaltung outriert er, im Gegensatz zu Bernhard Murg, nicht auf Teufel komm raus, nein, da ist die Rollenaufteilung fixiert, und genau weil die beiden ihre Parts so perfekt umsetzen, gelingen ihnen immer wieder herrliche Szenen. In seinen Auftritten mit Murg ist Smolej eine angenehme Insel des Realen im Meer des Humorwahnsinns, auch wenn da immer wieder doch eine Portion Abseitiges mitschwingt, wie im Sketch “Auf der Wippe”, wo sich zwei verrückte Väter am Spielplatz unterhalten - der eine eine Karikatur eines Laissez-faire-Papis (Murg) und der andere der kühle besessene Hightech-Daddy, der jeden Pups seines Sohnemanns mit ausgeklügelten digitalen Messgeräten erfasst und die Daten als SMS sofort übermittelt bekommt. Auch dieser Sketch würde in einem “Best-off” der Saison sicher nicht fehlen.

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Roman Frankl ist der Schauspieler in der Truppe der Kabarettisten. Er serviert am besten knochentrocken seine Pointen, wenn er beispielsweise in einem Sktech als Arzt seiner Patientin lakonisch mitteilt:

Oh, liebe gnädige Frau, das gefällt mir aber gar nicht. Sie haben eine vergrößerte Prostata.

Was für ein perfekter Einstieg in einen hinreißenden Sketch. Und noch lustiger wird es, wenn Frankl dann und wann aus seiner Rolle kippt, Texte vergisst oder sich nicht mehr das Schmunzeln verkneifen kann angesichts eben jener Szenen, die er teilweise zu spielen hat.

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“A Ruah is im Hof” bietet Claudia Rohnefeld Gelegenheit, ihr Gespür für all die Prolopolitikerinnen auszupacken, die mit Meidlinger LLLLLs, keinem Gespür für Rhetorik und grundsätzlich falsch betonten Worten einfach - die Sprache des Mobs sprechen und das bei diversen Reden, Eröffnungen und Ansprachen so herrlich immer wieder beweisen. Manche davon schaffen es mitunter bis an die Spitze von Unternehmen wie Siemens oder an die Spitze der Wiener Grünen. Vielseitig ist Claudia Rohnefeld, mal toughe Fekter, dann, gemeinsam mit Ulknudel Alexandra Schmid, als Tussi am Damenklo, in einem der typischen reduziert verbalen Sketches des Simpl. Zwei Dummtussis am Klo vor dem Spiegel, vor sich hin schminkend Nonsens brabbelnd - eine Studie der Bambi-, Hasi-, Schmatzigesellschaft.

Fazit: Lustig wars wieder im Simpl. Ein bestens harmonierendes und gut gelauntes, verspieltes Ensemble hat so manche starke Nummer auf die Bühne gezaubert. Wir sehen uns “Nach der Krise”.

Kabarett Simpl: “Ich bin viele”
Eine kabarettistische Revue von Michael Niavarani und Albert Schmidleitner
Mit Beiträgen von Joachim Brandl, Martin Buchgraber, Roman Frankl, Johannes Glück, Hannes Muik, Claudia Rohnefeld und Fritz Schnidlecker.

Mitwirkende:
Mit: Wilbirg Helml, Claudia Rohnefeld, Alexandra Schmid, Roman Frankl, Ciro de Luca, Bernhard Murg und Thomas Smolej

Confà©rence: Ciro de Luca
Musikalische Leitung: Erwin Bader
Choreografie: Cedric Lee Bradley
Bühnenbild: Markus Windberger
Kostüme: Gaby Rajtora
Regie: Hannes Muik
Produktion: Albert Schmidleitner
Regieassistenz: Mag. Andrea Kern
Kostüme: Gaby Rajtora
Assistenz: Erika Brausewetter
Maske: Aurie Humme/Karoline Hatzl
Lichtdesign: Pepe Starmann
Sounddesign: Raphael Spannocchi
Licht und Ton: Christoph Skorjanec
Bühnentechnik: Mate Farago/Robert Glass/Linus Riepler