Seit mittlerweile elf Jahren bietet das Wiener Performing Center Austria knapp vor den Feiertagen eine Weihnachtsproduktion für die ganze Familie. 37 junge Leute, das Durchschnittsalter beträgt 14 Jahre, spielen 2010 die Weihnachtsshow “XMAS Gift”. In diesem Jahr ist das Hauptthema freilich nicht Weihnachten an sich, “XMAS Gift” zeigt viel mehr Ansätze einer recht sozialkritischen Show, in der es unter anderem um den Gegensatz zwischen reich und arm geht, es werden gerade aktuelle Themen wie die unvermeidlichen Castingshows thematisiert, es geht um Außenseitertum, Konkurrenz, all das verpackt in eine sehr pfiffige Handlung rund um Engel, einen Castingwettbewerb an einer Schule und zwei Familien, eine reich und eine arm. Eines der faszinierendsten Themen vieler Hollywoodfilme, der Körpertausch, wo zwei Menschen sich auf einmal im Körper des jeweils anderen finden, mitreißende Choreographien zu für eine solche Produktion überraschenden Tunes wie “Fashionist” von Waldorf oder “Here comes the Hot Stepper” von Ini Kamoze oder auch “Engel” von Rammstein, und dann auch noch wirklich phantasievoll und passend in die Handlung eingebaut, sorgen für Stimmung, sehr gelungene deutsche, umgetextete Versionen von Kultsongs wie “I sing the body electric” aus “Fame” (hier nun: “Ich wünsch euch fröhliche Weihnacht”), all das macht “XMAS Gift” zu einer außerordentlich unterhaltsamen Show - auch zu einer Show mit Botschaft und auch zu einer Show am Puls der Zeit, denn auch zum Beispiel Jason Robert Browns “Being a Geek” (aus dem Musical “13″, in der deutschen Version “Streber zu sein”) ist mit dabei, und Jason Robert Brown hört man hierzulande viel zu selten.
Wer jetzt Musicaldarsteller bei “XMAS Gift” erwartet, die perfekt singen und tanzen, sollte sich zum Londoner West End begeben und dort glücklich werden, aber “Perfektionismus” zu präsentieren, das ist auch nicht das Ziel des Performing Center Austria mit dieser Show. Hier wird jungen Leuten eine Möglichkeit geboten, Interessen, die sie im Bereich der Performing Arts haben, auszutesten. Auszutesten in einem professionellen Umfeld, unter professionellen Produktionsbedingungen, in einer Reihe von Vorstellungen vor einer respektablen Menge an Zusehern. Da ist es auch legitim, dass jeder der jungen Leute im Zuge der Arbeit auf der Bühne erst lernt: Was kann ich, kann ich es live rüberbringen? Und wenn man merkt, dass die Interpretation vielleicht überzogen ist, dass bestimmte Elemente einer Figur vielleicht etwas dezenter noch wirkungsvoller wären, hat man die Chance, zu erfahren, wie es ist, wenn man auf der Bühne nicht jene Wirkung erzielt, die man erzielen will, ohne jetzt wirklich ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen, denn die Freude am Performen steht im Vordergrund. Die Weihnachtsshows des PCA sind nicht zuletzt deshalb so interessant, weil sie vielen Talenten eine erste Bühne gaben und geben, Talenten, die heute mit Musicals ihr Brot verdienen und in Zukunft verdienen werden. Hier hatte und hat man die Gelegenheit Talente zu sehen - wie sie sich entwickeln, wie sie am Anfang ihrer “Karriere” performen.
Es wäre fast unfair, jetzt einzelne Darsteller besonders hervorzuheben, aber da in der Show nur drei Burschen (und 34 Mädels) überhaupt zu sehen sind, vielleicht doch, im Sinne der Emanzipation :-): Robin Jentys als Geek fand ich sehr unterhaltsam. Noch mehr als er kann man sich wohl in eine Rolle schauspielerisch nicht reinsteigern, und noch mehr als er kann man in einer Nebenrolle wohl nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken und diese Rolle leben, bis in die letzte Faser des Körpers. Er schafft es sogar, wenn er nur am Boden sitzt und seine Schulbücher ordnet und abküsst, die Blicke der Zuschauer auf sich zu ziehen, obwohl sich die Haupthandlung gerade auf der anderen Seite der Bühne abspielt. Er macht aus seiner Nebenrolle allein durch seine unglaublich witzige Mimik etwas Großes. Zweifelsohne ein Talent.
Und um noch einmal auf den Frauenanteil zurückzukommen: Regie bei dieser Produktion führt Lisa Tatzber, die Musikalische Leitung hat Sandra Schennach, die Choreographie stammt von Sabine Arthold, Rita Sereinig und Lisa Tatzber. Buch und Liedtexte aber von Tommy Tatzber, Produktionsleitung: Alexander Tinodi. Bühnenbild: Sandor Coti, Thomas Poms, Licht: Gerhard Scherer, Ton: Tibor Barkoczy, Bühne: Manfred Puda.
Cast
Marjeta Urch, Vanessa Zips, Maria Scherbov, Michi Vögerle, Leonie Wagner, Carina Cerny, Jagoda Palecka, Viktoria Rosenbichler, Caecilia Freiberger, Mira Zeichmann, Carolina Gerstacker, Konstanze Barborik, Sophie Schüssler, Manuela Gartenmayer, Valerie Naderer, Vivien Mileder, Sina Löw, Sarah Sos, Michael Mayer, Ines Cihal, Theresa Barborik, Konstantin Frank, Sophie Schmidt, Yvonne Kellinger, Julia Greiler, Cosima Ebensteiner, Rebecca Fischer, Eszter Zakà¡rias, Magdalena Benakovic, Robin Jentys, Melanie Brunner, Hanna Resch, Sarah Wachter, Mirjam Kaar, Lena Barisic, Helena Gampe, Victoria Cerny, Larissa Langmann und Sarah Greiler.
Auf dem Nachhauseweg: Ein Junge, schätzungsweise 6 Jahre alt, fragt beim Einsteigen ins Auto seinen Vater: “Um ein Weihnachtsgeschenk ist es aber da gar nicht gegangen, oder?” Und beim Einstigen noch beginnt der Vater mit dem Erklären … Vielleicht ist letztlich auch das ein Geschenk: Dass man es nämlich mit einer Show zu tun hat, über die es sich lohnt nachzudenken und die auch Stoff bietet für ein Gespräch zwischen Vater und Sohn.
“XMAS Gift” ist noch am 18. Dezember um 19 Uhr, am 21. Dezember um 10 Uhr vormittags und um 14 Uhr nachmittags, am 22. Dezember um 10 Uhr vormittags und um 19 Uhr abends sowie am 23. Dezember um 10 Uhr vormittags zu sehen. Tickets und weitere Infos gibt es —> hier.
[Besuchte Vorstellung: 17. Dezember, 19 Uhr]