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Archiv - 2011

Drew Sarich: »Silent Symphony« [2011]

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»I got scars on my right hand, after a drunken argument in London. The Beach Boys’ ‚In My Room‘ makes me feel like I’m eight again. Faces of people I’ve disappointed still make me shake my head ten years after I’ve already been forgiven. I’ve got ghosts, man!«

Das schreibt Drew Sarich als Einleitung im Booklet zu seiner neuen CD »Silent Symphony«, die seit einigen Wochen im Handel ist. Die Geister, die man nicht mehr los wird, formen eine »Silent Symphony«. Gefühle, mit denen man höchstens lernt zu leben, deren überfallsartiges Auftauchen aber man nicht gänzlich abblocken kann. Still ist da manchmal sehr laut, ruhig bisweilen Camouflage. Sich alles bis aufs Essenzielle abzuschminken, ist ein Prozess, auf den sich Drew Sarich in der Entstehungszeit des Albums einließ. Kein »BAMM« – jetzt rocken wir die Bude, wie noch unlängst. Ein Experiment. Sarich:

»Reducing everything to its basic form, guitar and voice, blew doors open in terms of interpretation. My songs suddenly became more theatrical, the more ‚performance‘ I stripped away.«

Ausgehend vom Minimum, Gitarre und Gesang, baute Produzent Titus Vadon eine dem Projekt angemessene Wall of Sound. Der Titelsong mag hier als Beispiel dienen: »Silent Symphony« startet mit Gitarrenbegleitung, dazu kommt ab dem ersten Refrain ein Chorelement, danach im Laufe des Songs noch weitere Chorelemente, Xylophon, Clavinet, Bassstimmen, Soundsamples von Gewitterdonner und Regenprasseln, Flötenelemente, Kontrabass. Ausgehend also von der geplanten Reduktion eine doch – gewaltige Soundcloud.

Der Prozess des Reduzierens war freilich mit Erscheinen der CD nicht abgeschlossen. Für die CD-Präsentation, die im Wiener Klub Ost am 19. Oktober 2011 als Livekonzert über die Bühne ging, wurde einerseits mit einem Chor bei einigen Liedern ein zusätzliches »theatralisches« Element hinzugefügt, andererseits gerade der Titelsong des Albums, »Silent Symphony«, nun tatsächlich auf ein absolutes Minimum, Stimme und Gitarre, reduziert – und damit wohl die schönste und reinste Form, mein subjektiver Eindruck, für dieses Lied geschaffen. Erst wenn man die klare, einfache Form erlebt, kann man das erkennen, was den Song in eine ganz andere Richtung geführt hat und eine ganz andere Atmosphäre geschaffen hat. Daher mag die CD-Version dieses Lieds nur eine mögliche Zwischenstufe sein – und man müsste überlegen, ob die »Wall of Sound« hier dienlich oder ablenkend ist. Sind Elemente wie eine zweite Stimme nicht in Wirklichkeit bei diesem Lied zu viel? Durch die Reduktion beim Livekonzert und die geniale Interpretation konnte Sarich jedenfalls genau das erreichen, was er oben beschrieben hat. Es war – ein kleiner Moment für die Ewigkeit, den man in Form eines YouTube-Videos vielleicht nachvollziehen kann:

Now we’re turning down the show ..
Turning off the sound …
And turning on the long, sweet, silent symphony …

»Silent Symphony« ist, Track für Track, ein Erlebnis, was die Konstruktion von Sound betrifft, was den ungemein phantasiereichen Einsatz von Instrumenten angeht, angefangen von der Pontischen Lyra bis hin Klangeffekten, die entstanden, indem man diversen Restmüll als Schlagwerk verwendet hat. Es ist ein modernes Singer-/Songwriter-Album, vielleicht in etwa der Tradition eines Tom Waits, aber mit einer eigenen Qualität. Wer wissen möchte, aus welchen Stimmungen und konkreten Erlebnissen die poetischen Texte entstanden sind, sollte eines der Livekonzerte besuchen, die Drew Sarich im nächsten Jahr geben wird. Durch die kleinen Geschichten, die er zu seinen Songs bei seinen Livegigs erzählt, erschließt sich auch die Bedeutung, die die Texte für ihn haben – was nicht ausschließt, dass man bis dahin einen ganz eigenen Zugang findet. Poesie ist interpretierbar.

Silent Symphony
All Songs written and performed by Drew Sarich
Produced and all additional instrument arrangements, recorded and mixed by Titus Vadon
Mastered by Martin Scheer

Matthias Bartolomey - Cello
Georg Wimmer - Violine
Katharina Steyrleitner - Kontrabass
Isabella Fink - Cello, Pontische Lyra
Antonia-Alexa Georgiew - Violine
Andrea Fränzel - Kontrabass
Manfred Franzmeier - Saxofon
Karin Vadon - Flöte
Ralf Gugel - Bass, Pedal Steel, Slide Guitar
Margit Schoberleitner - Xylophon
Thomas Mora - Bass
Jakob Schell - Kontrabass
Erwin Bader - Reed Organ, Clavinet, Orgel

EAN-Code: 9006472019725
Katalohnr.: ER-001
2011 Endwerk Records
Vertrieb: Hoanzl
Web: www.drewsarich.com

«Everybody Wants To Be A Cat: Disney Jazz, Volume 1” (Walt Disney Records, 2011)

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600 Songs aus Disney-Filmen, das war die Ausgangsbasis. Das Ziel: die bekannten Hits aus den Animationsblockbustern unser aller Jugend in neuem Gewand zu zeigen, diesmal im Jazzgewand. So neu ist dieses Ziel natürlich nicht. Disneys Filmhits wurden schon in den unterschiedlichsten Stilmäntelchen veröffentlicht, und Disneys Faible für Jazz lässt sich bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen. Umgekehrt wählten einige der prominentesten Jazzer der Welt immer wieder Disney-Songs in ihr Repertoire, wie Bunny Berigan, Artie Shaw, Glenn Miller, Louis Armstrong, Dave Brubeck, Miles Davis oder John Coltrane, um nur einige zu nennen. Dieses Mal sollte das Projekt mit aktuellen Jazzgrößen umgesetzt werden. Herausgekommen ist die CD «Everybody Wants To Be A Cat: Disney Jazz, Volume 1” (Walt Disney Records), produziert von Jason Olaine.

Olaine startete vor zwei Jahren mit der Umsetzung und kontaktierte renommierte Jazzmusiker. Der Auftrag an alle Interessierten war, in einem Satz formuliert, einen Disney-Klassiker neu zu interpretieren, in welchem Arrangement und in welchem musikalischen Stil auch immer.

Olaine dazu:

I wanted to get a group of people together who would represent the many styles of jazz, such as getting The Bad Plus for an adventurous take, Regina Carter for a world music-oriented rendering and Joshua Redman for a well-rounded sound. We wanted to get the breadth and depth of what jazz is, as well as represent the generations of players, ranging from Dave Brubeck, who recorded a full album of Disney music, Dave Digs Disney, in 1957, to Nikki Yanofsky, who’s still a teenager.

Zusagen bekam der Produzent von Dave Brubeck, Joshua Redman, Roy Hargrove, Mark Rapp, Dianne Reeves, Roberta Gambarini, The Bad Plus, Nikki Yanofsky, Esperanza Spalding, Regina Carter, Gilad Hekselman, Kurt Rosenwinkel und Alfredo Rodriguez.

Tracklist
01. «Ev’rybody Wants To Be a Cat” [The Aristocats] – Roy Hargrove
02. «Chim Chim Cher-ee” [Mary Poppins] – Esperanza Spalding
03. «Some Day My Prince Will Come” [Snow White and the Seven Dwarfs]– Dave Brubeck
04. «Find Yourself” [Cars] – Regina Carter
05. «You’ve Got a Friend in Me” [Toy Story] – Joshua Redman
06. «He’s a Tramp” [Lady and the Tramp] – Dianne Reeves
07. «Feed the Birds (Tuppence a Bag)” [Mary Poppins] – Kurt Rosenwinkel
08. «Gaston” [Beauty and the Beast] – The Bad Plus
09. «Alice in Wonderland” [Alice in Wonderland] – Roberta Gambrini with The Dave Brubeck Trio
10. «The Bare Necessities” [The Jungle Book] – Alfredo Rodriguez
11. «It’s a Small World” [It’s A Small World] – Nikki Yanofsky
12. «Belle” [Beauty and the Beast] – Gilad Heckselman
13. «Circle of Life” [The Lion King] – Mark Rapp

Bemerkenswert an dieser CD ist beispielsweise, dass es sich um den ersten Tonträger mit einer Aufnahme von Esperanza Spalding nach ihrem Grammy-Gewinn 2011 handelt. Als “Best New Artist” wurde die Künstlerin ausgezeichnet, für Disney interpretiert sie “Chim Chim Cher-ee” aus “Mary Poppins”. Spalding über ihre Wahl:

I’ve always been haunted by this song since I first saw Mary Poppins as a child. It has been such a treat to re-visit this music as an adult and explore the magic of the melody. The melody of ‘Chim Chim Ceree’ is sweet and lilting, yet has a bitter tinge of melancholy. …Finding a way to add to this song without burying the magic of it’s simplicity was challenging.

Einer der prominenten Produzenten dieser CD: Quincy Jones. Unter seiner Obhut entstand Alfredo Rodriguez’ Neuinterpretation von «The Bare Necessities” [The Jungle Book]. Der kubanische Klaviervirtuose liefert ein sensationelles, atemberaubendes Meisterstück.

Die kanadische Jazzsängerin Nikki Yanofsky war gerade mal 15 Jahre alt, als sie ihre Version von “It’s A Small World” eingesungen hat, eine Big-Band-Version, in der sie ihren beeindruckenden Stimmumfang gekonnt demonstriert, mit einer großartigen Scat-Einlage.

Der 90-jährige Dave Brubeck spielte “Someday My Prince Will Come” schon 1957 ein für seine CD “Dave Digs Disney”. 54 Jahre danach sieht er sich in einem swingenden Walzer-Arrangement mit diesem Hit gut aufgehoben, eine klassische Brubeck-Version. Gemeinsam mit Roberta Gambrini ist er auch auf “Alice in Wonderland” zu hören.

Die innovativste Version eines Disney-Hits (”Gaston” aus “The Beauty and the Beast”) liefert sicher “The Bad Plus”: abstrakt, verrückt, wunderbar, eine Mischung aus Dekonstruktion und Verspieltheit. Schon diese Version allein ist es wert, sich die CD zuzulegen.