Archiv - 2007
Martin Bruny am Freitag, den
9. März 2007 um 10:27 · gespeichert in Rezensionen, Bücher, 2007
Es ist das klassische Geschenkbuch für jeden Broadway-Fan. Auf 516 Seiten bietet das »Playbill Broadway Yearbook« zu allen 67 Produktionen, die in der Saison 2006/2007, also von Juni 2006 bis Mai 2007, am Great White Way zu sehen waren, ausführlichste Bild- und Textinformationen – zu neuen Musicals wie »Spring Awakening« oder »Curtains« genauso wie zu Dauerbrennern wie »Wicked« oder »Chicago«, Sprechstücken wie »The History Boys†oder »The Lieutenant of Inishmore«. Das Buch ist reich bebildert, und das ist noch untertrieben. Man muss es selbst gesehen haben. Robert Viagas hat buchstäblich tausende Fotos zusammengetragen, auf manchen Seiten bis zu 35. Abgebildet sind, zumindest mit Porträtfotos, alle Darsteller, Produzenten, Designer, Musiker, Maskenbildner, ja auch die Bühnenarbeiter und Billeteure der 67 Broadway-Shows. Alle bei Broadway-Produktionen Beschäftigte sind eingeladen, bei dieser Publikationsserie mitzumachen, und die Akzeptanz ist schon jetzt sehr groß. Die vorliegende dritte Ausgabe enthält, rein zahlenmäßig betrachtet, Informationen zu insgesamt 10.000 Menschen, die an den Broadway-Shows der Saison beteiligt waren – entsprechend umfangreich ist das Register ausgefallen. Sogenannte Korrespondenten liefern witzige Facts und Backstageberichte. Das können dann auch durchaus mal Musicalstars selbst sein, wie Victoria Clark, Darstellerin der Margaret Johnson in »The Light in the Piazza«, die von der emotionsgeladenen Derniere der Show erzählt und auch den Abdruck ihrer Rede anlässlich der letzten Vorstellung freigegeben hat. Andere Korrespondenten tragen lustige Facts zusammen wie Erzählungen über Backstagerituale, eine Auflistung der schnellsten Kostümwechsel oder Angaben zu den Spitznamen der Darsteller. Kris Koop Oulette, Mitglied des Ensembles von »The Phantom of the Opera«, erzählt von jenen Plätzen im Theater, an denen sich die Beschäftigten am liebsten treffen oder auch über den schönsten Moment in der Show. Im Anhang werden ausführlich Special Events wie »Broadway Bares«, »Broadway Under the Stars« und Preisverleihungen wie die Outer Critics Circle Awards« oder die »Tony Awards« dokumentiert.
Kurz zusammengefasst ist »The Playbill Broadway Yearbook« auf der einen Seite eine wertvolle Informationsquelle sowie Offline-Bilddatenbank und auf der anderen Seite eine amüsante Lektüre und ein Blick hinter die Kulissen. Das Ganze in Topqualität produziert und gebunden – und, was bei dieser Publikation vor allem auffällt – mit sichtlicher Begeisterung für das Theater zusammengestellt. Ein Buch, das man auch gerne immer wieder mal wie ein Erinnerungsalbum durchblättert. Playbill ist damit ein großer Wurf gelungen. Hat man einmal einen Band gekauft, ist man mit Sicherheit versucht, keinen mehr zu versäumen.
Robert Viagas (Herausgeber): The Playbill Broadway Yearbook – June 2006–May 2007. Third Annual Edition. Playbill Books, New York 2007, 516 S.; ISBN 978-1-55783-732-5. $ 35. www.playbill.com
Martin Bruny am Freitag, den
9. März 2007 um 10:25 · gespeichert in Rezensionen, Bücher, 2007
Der neue Direktor der Wiener Volksoper
Einen Relaunch in Pomp und Gloria erlebte die Wiener Volksoper am 1. September 2007. Es war der Tag der Inauguration von Robert Meyer als neuer Volksoperndirektor. Zum Start seiner ersten Saison lud der Herr Direktor zu einem Tag der offenen Tür und plante dessen Ablauf akribisch: »Kurz vor zehn Uhr werde ich, begleitet von einem Hornquartett und bei hoffentlich schönem Wetter, mit einer alten Straßenbahngarnitur vom Schottentor die Währinger Straße zur Volksoper herauffahren. Dann ertönt vom Balkon eine Fanfare.«
Die Wachablöse auf Direktionsebene (seit 1996 hat kein Volksoperndirektor die volle Amtszeit abgedient) wurde von kleineren Neuerungen an Nebenfronten flankiert: Die Website der Volksoper (www.volksoper.at) ist jetzt auch optisch für jedermann klar erkenntlich in die vier Säulen Operette, Oper, Musical und Ballett getrennt, auch bei der neuen Außenbeleuchtung der Wiener Volksoper spielen die vier Farben nun eine maßgebliche Rolle. Die bedeutendste Neuerung ist jedoch der Aspekt der Kundenverbindlichkeit, verkörpert durch Robert Meyer. Der Direktor des Hauses hat sich in den ersten Wochen seiner, man möchte fast sagen (wir sind ja in Wien) Regentschaft, zu einem volksnahen Kaiser der Volksoper stilisiert, da ist Mörbisch mit Herrn Serafin nur ein Sommerlüfterl dagegen. Meyer war im Vorfeld der Eröffnung in allen Medien präsent und beim Tag der offenen Tür für jedermann ansprechbar – man spürt, da ist jemand, der mit Lust an der Aufgabe an die Arbeit herangeht. Am 2. September gab’s ein Eröffnungskonzert, bei dem das Publikum mittels Stimmzettel das Programm bestimmt hatte, und am 10. September schließlich kam das nächste Element im Masterplan Robert Meyers ins Spiel: In der Wiener Volksoper wurde das Buch “”Es grünt so grün …” Musical an der Wiener Volksoper” in Form einer Soirà©e präsentiert.
Soirà©e zur Buchpräsentation
Rund 100 Minuten schwelgte Moderator Christoph Wagner-Trenkwitz in Erinnerungen an die gute alte Zeit. TV-Clips und Wochenschaubeiträge wurden auf eine Leinwand projiziert, Norman Stehr versuchte sich an »I got plenty o‘ nuttin‘« aus »Porgy and Bess«, Erwin Windegger bewies mit einem »La Cage aux Folles«-Medley, dass Karlheinz Hackl unerreichbar als Zaza ist, und Stargast Michael Heltau plauderte vor allem über all die Musicalrollen, die er nicht angenommen hat. Auf die Frage »Es heißt, Harold Prince wollte Sie für die Titelrolle im »Phantom der Oper«« erzählte Heltau: »Das stimmt. Ich unterhielt mich lange mit ihm darüber, aber er konnte mir meine Zweifel nicht nehmen. Schließlich, nach sechs Wochen des Hin und Her, sagte ich: »Hal, gib mir einen Grund, nicht viele, sondern einen, warum ich das Phantom spielen soll.« Er antwortete: »Du bist eine Stunde vor Beginn der Show im Theater. Und wenn du aus der Maske kommst, erkennt dich keiner mehr.« Damit war die Sache für mich erledigt. »Hal ich arbeite ein Leben daran, dass mich die Leute erkennen. Ich bin nicht der Richtige für diese Rolle.« Da lachte er, umarmte mich und gab auf.« Diese Anekdote ist auch im Buch »Es grünt so grün …« abgedruckt, und es sind solche Momente, die Soirà©en dieser Art auf seltsam sentimentale Weise sympathisch machen. Heltau kann noch so sehr seinen Sermon gegen all die modernen Musicals dieser Welt ablassen, die alle »zu viel Tanz und zu wenig Scherze« haben (ein Zitat von Billy Wilder, der so den Misserfolg des Musicals »Das Appartement«, basierend auf seinem gleichnamigen Film, begründet hatte), man hört ihm dennoch gerne zu. Zum Abschluss der Soirà©e sangen Adrineh Simonian, Karl-Michael Ebner, Mathias Hausmann und Stefan Cerny ein jazziges »My Fair Lady«-Medley, erstklassig arrangiert von Bà©la Fischer.
Das Buch
50 Jahre Musical an der Volksoper, das klingt nach einer geradezu berauschenden Anzahl von Produktionen, doch man kann sie fast an zwei Händen abzählen. Es sind 14, nicht mehr und nicht weniger. Insgesamt 1461 Musicalvorstellungen gingen bis 30. Juni 2007 über die Bühne der Wiener Volksoper. Zu sehen waren: «Kiss me, Kateâ€, â€Wonderful Townâ€, «Annie, Get Your Gunâ€, «Porgy and Bessâ€, «West Side Storyâ€, «Show Boatâ€, «Karussellâ€, «My Fair Ladyâ€, «Hello, Dolly!â€, «La Cage aux Follesâ€, «Der Mann von La Manchaâ€, «Gigiâ€, «Anatevka†und «The Sound of Musicâ€. Mehr als die Hälfte dieser Produktionen kann man als erfolgreich bezeichnen, der Rest floppte und genießt dennoch Legendenstatus: »Karussell« (1972) brachte es gerade mal auf 15 Vorstellungen, »Annie, Get Your Gun« (1957) auf 18, »Gigi« (1999)auf 20, »”Wonderful Town« (1956) auf 26, »Show Boat« (1971) auf 30, »Hello, Dolly!« (1984) auf 45.
Der Autor des Buches »Es grünt so grün …«, Christoph Wagner-Trenkwitz, mäandriert durch die österreichischen Medien einerseits als ironischer Seitenblickegesellschafts-Berichterstatter (beispielsweise als Moderator des Wiener Opernballs), andererseits war er Pressechef der Staats- und Volksoper und Chefdramaturg der Wiener Staatsoper. Seit 2003 ist er Direktionsmitglied der Volksoper und tänzelt mit von ihm moderierten Soirà©en auf den Spuren Marcel Prawys, wissend, dass die Erfolge des Großmeisters aus den 1950er und 1960er-Jahren heute schwer getoppt werden können.
»Es grünt so grün …« kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten »konsumieren«. Nehmen wir die 160 Fotos aus 50 Jahren Musical an der Volksoper. Hier sind es vor allem Momentaufnahmen aus den Anfängen, die am meisten Atmosphäre vermitteln. Beispielsweise jene von der Schallplattenpräsentation der »West Side Story« mit einem enthusiasmierten Marcel Prawy im Hintergrund, stimmungsvolle Bühnenfotos von den großen Stars jener Jahre wie Brenda Lewis, Olive Moorefield, Peter Minich, Fred Liewehr, William Warfield, Julia Migenes, Adolf Dallapozza oder Dagmar Koller.
Sehr gelungen ist der Statistik-Teil des Buches. Auf 20 Seiten konzentriert bietet dieses von Felix Brachetka zusammengestellte Aufführungsverzeichnis sämtliche statistische Daten zu allen Musicalproduktionen. Hier kann man nachschlagen, wann wer welche Rolle gespielt hat, welche Rolle wann nicht (mehr) besetzt war, wer welche Aufführung dirigiert hat – ein wahrer Datenregen, sehr informativ und umfassend.
»Es grünt so grün« ist in 14 Hauptkapitel eingeteilt. Jeder Musicalproduktion ist ein Kapitel gewidmet. Der erste Teil des Buches umfasst alle Shows, die Marcel Prawy bis zu seinem Wechsel an die Wiener Staatsoper Anfang der 1970er Jahre betreut hat. Diese ersten Kapitel sind nicht extra hervorgehoben, aber deutlich vom Rest des Buches zu trennen, vor allem, was ihren Informationsgehalt und Witz betrifft. Prawy, der Pionier des Musicals im deutschsprachigen Raum, hat ein reichhaltiges Archiv hinterlassen, in dem unter anderem auch seine Korrespondenz zu finden ist, mit deren Hilfe Wagner-Trenkwitz spannende und lustige Szenen aus dem Produktionsalltag an der Wiener Volksoper rekonstruieren konnte. Prawys Aufzeichnungen sind teilweise so unterhaltend, dass man damit mühelos einen eigenen Rezitationsabend gestalten könnte. Erinnerungen von Zeitzeugen machen diese Kapitel zusätzlich lebendig. Adolf Dallapozza, Star der »West Side Story«, über den Premierenabend des Werks von Bernstein: »Es war ein Riesenerfolg! Während des Schlussapplauses ist Prawy neben der Bühne herumgesprungen und rief immer wieder: »Wo ist der Eiserne?!« Er wollte unbedingt melden, dass das Publikum nach Fallen des Eisernen noch weitergetobt hat. [Alan] Johnson und Prawy haben die Aufführungen weiter überwacht. Wenn etwas nicht gestimmt hat, wurde sofort eine Probe angesetzt. Prawy hat stets seine berühmten kleinen Notizen in den Garderoben hinterlassen: »Dallapozza – heute wieder sensationell! B besonders schön!« oder: »Deine Rufe »Chino, erschieß mich!« Unvergesslich!«
Die Prawy-Ära endete mit zwei Flops: »Show Boat« und »Karussell«. Als der Meister Anfang der 1970er die Volksoper verließ und Karl Dönch Volksoperndirektor wurde, war es für sieben Jahre vorbei mit Musicals an der Volksoper. Mit dem Jahr 1979 – »My Fair Lady«, 362 Vorstellungen machen es zum erfolgreichsten Musical des Hauses – setzt der zweite Teil des Buches ein. Ab diesem Zeitpunkt stützt sich der Autor vor allem auf Interviews mit den Stars der Produktionen und leider allzu sehr auf Zitate aus den Kritiken der Tageszeitungen, wobei Wagner-Trenkwitz wenig Scheu kennt und von »Die Presse« bis hin zu »Täglich Alles« und dem »Frauenblatt« alles zitiert, auch wenn es keinen Rang und Namen hat.
Ein wenig bedauerlich, wenn auch nachvollziehbar, ist die Tendenz des Autors, Musicalproduktionen der jüngeren Zeit in etwas verklärtem Licht zu präsentieren. So beispielsweise »The Sound of Music«, wo das Problem der stimmklangmäßig uneinheitlichen Besetzung (Popsängerin Sandra Pires versus Operetten- und Opernsänger) als gelöst verkauft wird, dank der »hervorragenden Akustik-Abteilung des Hauses«, die, so Wagner-Trenkwitz, mit Mikroports alles in den Griff bekommen habe. Wer die Show besucht hat, weiß, dass das, gelinde gesagt, eine etwas übertriebene Behauptung ist.
Wo das Buch also abdriftet von der objektiven Zusammenfassung bereits vorhandener Quellen hin zu einer Neu- und Umschreibung der Kritik, wird es inhaltlich angreifbar. So auch, was die latente Rivalität mit den Vereinigten Bühnen Wien betrifft. Wagner-Trenkwitz erklärt beispielsweise an Hand der Volksopern-Produktion »Der Mann von La Mancha« (Premiere 1994, Wiederaufnahme 2007) sein Haus im ewig währenden Kampf gegen die VBW mit folgender Passage zum Rundensieger: »Diese Runde im Konkurrenzkampf mit den Vereinigten Bühnen entschied die Volksoper für sich. In einem »Barometer der Wiener Musicals« verkündete »News« im September 1994: »Die Volksoper produzierte den konkurrenzlosen Hit«, während »Elisabeth«, »das erfolgreiche Relikt aus der oft geschmähten Ära Weck«, sich nur »einigermaßen im Theater an der Wien« behauptete und »My one and only« im Ronacher sowie »Mama, I want to sing« im Austria Center gar unter die »Flops« gerechnet wurde (…)” Bei allem Verständnis für einen gewissen Level an Volksopernpatriotismus, aber eine solche Aussage, formuliert im Jahre 2007, angesichts der Erfolgsgeschichte von »Elisabeth«, verwundert. »Der Mann von La Mancha« brachte es in der Volksoper auf bisher 70 Aufführungen, »Elisabeth« im Theater an der Wien auf 1752.
Die Erfolgsformel der Wiener Volksoper ist gleichzeitig auch ihr größter Hemmschuh. Man sieht sich, zielgruppentechnisch, folgendermaßen: Stellen wir uns das Leben als langen ruhigen Fluss vor. Am Quell dieses Flusses steht die Geburt, an der Mündung ins Meer, der Tod. Die Volksoper fischt den Großteil der Menschen erst im letzten Drittel des Flusses ab und verlässt sich darauf, dass früher oder später einmal jeder an ihr vorbeischwimmt. Der Erfolg in manchem Bereich mag diese Strategie rechtfertigen, nur würde man sich manchmal wünschen, dass Impulse, die das Theater selbst setzt in Richtung jüngerer Zielgruppe, nicht gar so sehr ignoriert würden. So feierte am 4. März 2007 die Produktion »Tanzhommage an Queen« Premiere, ein Ballettabend zur Musik von Queen, der durchaus moderne Musical-Elemente enthält, vielleicht sogar mehr als die musikalische Komödie »Die Weberischen«, eine Produktion der Vereinigten Bühnen Wien, die 2008 ins Volksopern-Programm aufgenommen wird. Christoph Wagner-Trenkwitz hat sich dagegen entschieden, die »Tanzhommage an Queen« in sein Buch aufzunehmen. Das ist natürlich ganz im Sinne des klassischen Musicals, das im Haus am Gürtel regiert, andererseits eine verpasste Chance, die Erfolgsgeschichte des Musicals an der Volksoper noch ein wenig umfangreicher zu gestalten. Vermutlich »zu viel Tanz und zu wenig Scherze«.
Fazit: »»Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper« schildert auf spannende und unterhaltende Weise, wie Marcel Prawy es schaffte, 1956 mit der Volksopernproduktion von »Kiss me, Kate« das erste Musical in Kontinentaleuropa auf eine Bühne zu stellen. Von dieser europäischen Perspektive ausgehend, die das Haus für kurze Zeit kennzeichnete, dokumentiert das Buch dann 13 weitere Produktionen, deren Bedeutung zunehmend als regional und lokal einzustufen ist. Ein Buch voller Anekdoten, stimmungsvoller Momentaufnahmen, vor allem ein Ausflug in eine Vergangenheit voller Publikumslieblinge. Was wird die Zukunft bringen? Robert Meyer in seinem Vorwort: »Musiktheater im Allgemeinen und das Musical im Besonderen ist keineswegs, wie einige meinen, ein abgestorbener Ast. Im Gegenteil: »Es grünt so grün …««
Christoph Wagner-Trenkwitz (Mitarbeit: Felix Brachetka): »Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper. Mit einem Vorwort von Robert Meyer. Amalthea Signum Verlag, Wien 2007, 184 S.; ISBN: 978-3-85002-632-1. € 29,90 (Hardcover). www.amalthea.at
Martin Bruny am Donnerstag, den
8. März 2007 um 14:39 · gespeichert in Musical, Rezensionen, Bücher, 2007
Ein »Handbuch des Musicals« in deutscher Sprache, 732 Seiten stark, randvoll mit Informationen zu den “wichtigsten Titeln von A bis Z” – was kann sich ein Musicalinteressierter mehr wünschen? Dem Pressetext zum Werk ist zu entnehmen: »Das Buch ist eine Antwort auf die Frage »Was ist Musical?« und behandelt alle Facetten des jüngsten Genres des Musiktheaters. Es beschreibt im internationalen Kontext und zum ersten Mal in diesem detaillierten Format die Entstehung, die Blüte, das enorme Geschäft, die Flops und die Chancen des Musicals.« Wird ja immer besser, ich freue mich auf die Analyse der Werke von beispielsweise Jason Robert Brown, William Finn, Bill Russell oder gar Adam Guettel! Mitten im als »Opening« betitelten Kapitel »Was ist Musical? Versuch einer Antwort aus deutscher Sicht«, auf Seite 22, dann folgende Passage:
»Es gibt durchaus Momente, die am eigenen Engagement für dieses Metier zweifeln lassen, wenn zu erkennen ist, dass man sich vor argen Fehlentwicklungen zu fürchten hat. Etwa vor dem Missverständnis, aus dem Leben eines Menschen, der, anders als Kaiserin Elisabeth von Österreich, nicht mit seiner Biographie, sondern durch seine Musik zu unsterblichem Ruhm gelangte, ein Musical anzubieten, dessen ohrenbetäubende, nur oberflächlich Stimmungen andeutende Musik nicht mehr als eine Beleidigung für Mozart! [sic!] ist.«
Nicht nur stilistisch ist das ein Satz, der nicht passt. Nicht nur die Schreibweise “Mozart!” ist falsch, gemeint ist ja der Komponist und nicht das Musical, auch inhaltlich ist diese Aussage nicht haltbar. Oder um es mit Oscar Hammerstein II. (oder wahlweise Jerome Kern, auch ihm wird das Zitat zugeschrieben) zu formulieren: »Ein Musical kann alles sein, was es will, es muss nur eines haben: Musik!« Es gibt unter den kreativen Menschen dieser Welt wohl nur wenige, die sich der von Siedhoff vertretenen Ansicht anschließen würden, man dürfe zum Beispiel über einen Komponisten kein Musical schreiben. Auch das von Siedhoff gefällte Urteil über die Kompositionen Sylvester Levays kann man nur verwundert schmunzelnd zur Kenntnis nehmen. Levay steht, soviel ist sicher, auf der Abschussliste des Autors. So findet sich auf Seite 21 folgendes Zitat:
»Levay und Kunze setzten für die deutschsprachige Szene mit (…) »Elisabeth« in der Inszenierung von Harry Kupfer ein sehr bemerkenswertes Signal, mit einem stringenten, wirkungsvollen Buch, aber mit einer Musik, die den Charakter der Konfektion kaum abstreifen kann, der ein wirklich eigenes kompositorisches Profil fehlt. Derart prominent eingeführt und damit einen Welterfolg hervorgebracht habend, folgten die nur noch routinierten Nachfolger dieses Gespanns mit MOZART! und REBECCA.”
»Elisabeth« reiht der Autor dann doch überraschenderweise in die seiner Meinung nach rund 250 wichtigsten Musicals ein. Freilich nicht ohne, stilistisch wieder problematisch, zu vermerken: »Levay erfand für die Titelfigur ein schlichtes durchgängiges Thema, quasi als Pop-Konstante, das ihre Balladen »Ich gehör’ nur mir« und »Ich will dir nur sagen«, aber auch Rudolfs »Wenn ich dein Spiegel wär’« beherrscht. Luchenis aggressiv skandierende Ballade »Kitsch!«, deren Duktus mit geringerem Tonumfang in »Mein neues Sortiment« aufgegriffen wurde, gehört ebenso zu den wenigen musikalischen Höhepunkten wie die zynischen Kommentare des Wiener Hofstaat-Ensembles »Sie passt nicht« und dem gespenstischen Marsch der Kaffeehausbesucher in der »Fröhlichen Apokalypse«. Dramatische Steigerungen werden in der bisweilen eindimensionalen Instrumentation leider allzu häufig nur durch Lautstärke suggeriert, weniger durch wirkliche Melodieerfindungen.«
Das »Handbuch des Musicals« ist für alle jene enttäuschend, die sich gerade in Bezug auf die jüngsten Entwicklungen dieses Genres eine tiefergehende Analyse erwartet haben. Vom Zeitraum 1998 bis 2007 haben es gerade mal zwölf Musicals in das Buch geschafft, aus den Jahren 1988 bis 1997 25. Insofern gibt es wenig neue Erkenntnisse, sind doch die Werke vor 1987 längst von diversen, auch deutschsprachigen, Werken von verschiedensten Gesichtspunkten aus durchleuchtet worden. Nicht ganz nachvollziehbar sind die Auswahlkriterien des Autors, so pickte er beispielsweise aus sämtlichen Premieren der Jahre 1988/89 die Musicals »Ragtime«, »Der Glöckner von Notre Dame« und »Contact« heraus, ignorierte aber »Hedwig and the Angry Inch«, »Mamma Mia!«, »Mozart!«, »Parade« oder »Fosse«, um nur einige zu nennen. Thomas Siedhoff hat sich weiters dazu entschlossen, kein einziges Werk von William Finn (»A New Brain«, »Falsetto«-Trilogie, »25th Annual Putnam County Spelling Bee«, »Elegies – A Song Cycle«) aufzunehmen, nicht einmal in eine als »Chronologie« bezeichnete Übersicht, die neben den rund »250« wichtigsten noch weitere wichtige Premieren auflistet. Kein Werk von Jason Robert Brown hat Eingang gefunden in dieses Buch, keines von Adam Guettel. Bill Russell (»Elegies for Angels, Punks and Raging Queens«, »Side Show«) wird nicht einmal in seiner Funktion als Komponist erwähnt. Aus den Jahren 2004 bis 2007 hat Siedhoff nur ein einziges Musical aufgenommen: »Spamalot«. Nicht vertreten sind zum Beispiel »Spring Awakening«, »Grey Gardens«, »The Drowsy Chaperone«, »Jersey Boys«, »The Color Purple«, »The Boy from Oz« oder »Taboo«. Was man stattdessen im Buch findet: Ausführungen zu »Im Weißen Rössl«, »Linie 1«, »Helden, Helden« oder »Ludwig II. Sehnsucht nach dem Paradies«.
Zu jedem der ausgewählten Werke bietet Siedhoff Angaben zu Werktitelei (gebräuchliche Titel in der Originalsprache, alternative originalsprachliche Titel, gebräuchliche Übersetzungstitel und leider auch eigentlich völlig unnötige wörtlich übersetzte Titel), Komponist, Autor der Gesangs- bzw. Liedtexte, Autor der Dialoge und des Szenariums, Choreografie, Tryouts, Uraufführung, Verfilmungen, Musiknummern, Inhalt, Rollenbezeichnungen, Stimmfachbezeichnungen, Cast und Orchesterbesetzung, Inhaber der Rechte, Literaturangaben, Hinweise zu Notendrucken und Textbüchern und zu erschienenen Tonträgern (CDs, DVDs). Weiters einen Kommentar, der mitunter verzopft formulierte und sehr eigenwillige Wertungen der besprochenen Musicals enthält. Im Anhang findet sich ein »Verzeichnis der wichtigsten Werke der Musicalgeschichte« und ein Nachweis der verwendeten Literatur, eine Beschreibung der wichtigsten choreografischen Erscheinungsformen des Musicals, eine Liste der »wichtigsten und zuverlässigsten Internetadressen«, wobei es ruhig ein paar mehr hätten sein dürfen. 24 Stück sind nicht ausreichend, und es ist auch nicht wirklich nachvollziehbar, warum der Link zu einer Sondheim-Site angegeben ist, aber sonst keine Hinweise auf Websites anderer Komponisten und Autoren vorhanden sind. Lückenhaft auch die Auflistung der Anschriften der »wichtigsten Rechtsinhaber«.
Im Buch sind zwei Bildteile zu je 16 Seiten vorhanden. Die Bilder sind alle in Schwarzweiß und zum Teil von entsetzlich schlechter Qualität. Die Beschriftung ist zum Teil falsch. So ist das stiefmütterlich behandelte Levay/Kunze-Musical »Elisabeth« auch im Bildteil Opfer einer gewissen Lieblosigkeit geworden: Abbildung 14 zeigt laut Bildlegende »Pia Douwes als Elisabeth und Uwe Kröger als Tod”, zu sehen sind aber Maya Hakvoort als Elisabeth und Leon van Leeuwenberg als Franz Joseph. Als Musterbeispiel, wie man es einfach nicht machen sollte, kann Abbildung 35 gelten. Zu sehen ist eine Szene aus »Les Misà©rables« – völlig verschwommen und unscharf. Bei vielen Abbildungen fehlt die Angabe der Darsteller gleich ganz. Auch bei der Konzeption des Buches für den Buchbinder ist einiges schiefgegangen. Der Einband bricht schon beim ersten Aufbiegen. Schlussendlich hat man das Buch dann im hinteren Bereich fast als Einzelblätter vorliegen.
Auf dem Cover des Buches sehen wir ein Szenenfoto aus «Wickedâ€. Man sollte sich allerdings nicht täuschen lassen und etwa davon ausgehen, dass ausgerechnet dieses Musical bei Thomas Siedhoff Gnade findet: »Bei der Lektüre des Buchs, das Vieles aus einer sprachlich bewusst alltäglich gehaltenen Märchenwelt in die heutige Zeit zu bringen vermag, gewinnen die Figuren manches Leben. Hört man die Musik, bleiben sie durch das Ausbleiben aller märchenhafter Assoziationen eindimensional, und, mit Ausnahme der exzentrischen Madame Morrible, zudem verwechselbar.« Es wäre nur logisch gewesen, wenn der Autor für das Cover beispielsweise eine Szene aus »Kiss me, Kate« oder »Das Wirtshaus im Spessart« ausgewählt hätte, da hat man sich aber wohl dann doch von Verlagsseite dazu entschieden, etwas Modernes zu nehmen. Und während sich die deutschen Produzenten begreiflicherweise dazu entschlossen haben, den Titel «Wicked« nicht ins Deutsche zu übersetzen, kann man bei Thomas Siedhoff nun nachlesen, was »Wicked« auf Deutsch heißt, nämlich »Verwünscht«. Abgefahren!
Thomas Siedhoff: Handbuch des Musicals – Die wichtigsten Titel von A bis Z. Schott Music GmbH & Co KG, Mainz 2007, 732 S.; ISBN 978-3-7957-0154-3. €29,95. www.schott-music.com
Martin Bruny am Donnerstag, den
8. März 2007 um 14:36 · gespeichert in Rezensionen, Bücher, 2007
Alfons Haider ist im Österreichischen Fernsehen im Fasching Mr. “Opernball”, im Winter Mr. “Dancing Star”, im Herbst Mr. “Musical! Die Show!« Seit 1998 ist er Künstlerischer Leiter der Stockerauer Festspiele, wo er neben seiner leitenden Funktion auch jeweils die Hauptrolle des gerade angesetzten Musicals übernimmt (2008 die Zaza in “La Cage aux Folles”). Nebenbei ist Haider bei Neuproduktionen seiner alten Musicalerfolge immer wieder mit dabei, wie zum Beispiel ab Mai 2008 im Innsbrucker Landestheater als König in “The King and I” von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II.
In Österreich ist Haider ein Star von äußerst professioneller US-amerikanischer Prägung – eine Marke, die er im Laufe der letzten Jahre mit viel Kraftaufwendung kreiert hat. Haider ist als Entertainer ein Mann der Seitenblickegesellschaft, nicht negativ gemeint, sondern feststellend, – in dem Sinn, dass er diese professionell bedient. Wenn jemand eine Homestory möchte und den Inhalt von Haiders Kühlschrank featuren will, wird dieser Wunsch vermutlich in Erfüllung gehen, so das Medium kein unbedeutendes ist. Ein Beitrag in einer Fernsehklatschsendung wie “Seitenblicke” (ORF) bringt zirka 1000 verkaufte Tickets der aktuellen Produktion. (O-Ton Haider)
Was für den Entertainer zählt, ist die Quote, das hat er im Laufe seines Lebens gelernt. Und Quote in großem Ausmaß erzielt man im Fernsehen. Oder um es anders zu formulieren. Alles andere außer dem Fernsehen hat im gegenwärtigen Stadium der Karriere des Entertainers dem Fernsehen zu dienen. Haider hat sich vor zirka zehn Jahren entschlossen, im Brotberuf “Moderator” zu sein. Die Folgen merkt man deutlich auch an seiner im Ueberreuter erschienenen Autobiografie. Denn obwohl Haider einen Gutteil des Jahres als Musicaldarsteller und Entertainer, der sehr stark musicalhafte Elemente in seinen Shows einsetzt, auf der Bühne verbringt, füllen die Zeilen über seine Erfahrungen im Musicalbusiness kaum eine Seite.
Stilistisch betrachtet ist Haiders Autobiographie wie ein Interview angelegt, aus dem man die Fragen ausgeblendet hat. Aus 127 Stunden und 42 Minuten Tonmaterial hat Walter Pohl, Gründungsmitglied und einer der Chefredakteure des österreichischen Wochenmagazins NEWS ein Buch zusammengefügt, das wie ein überlanges Interview wirkt. So könnten die einzelnen Abschnitte durchaus auch als Folgen in einer Zeitschrift erscheinen. Das hat Vor- und Nachteile. Positiv kann man bewerten, dass Haiders Autobiographie dadurch sehr authentisch wirkt. Ja, so würde er tatsächlich bei Interviews rüberkommen. Andererseits haben Haider und Pohl dadurch ein Buch auf den Markt gebracht, das sich dem Storytelling eher verweigert. Kleine Anekdoten, die von wenigen Sätzen bis maximal einer halben Buchseite reichen, erzeugen beim Leser einen hastigen, gerafften Eindruck. Der Interviewstil ist einer, der möglichst rasch auf den Punkt kommen will, um die Aufmerksamkeit des Zuhörenden nicht zu verlieren. Hier aber sind wir, die Konsumenten, Lesende, und wären bereit, auch über viele Seiten hinweg Gedankengänge nachzuvollziehen.
Durch die, so wirkt es, nahezu ungebrochene und wenig bearbeitete Transkription des mündlichen Vortrags in die schriftliche Sprache ist Haiders Autobiografie auf jeden Fall sehr leicht lesbar, wie geschaffen, um als Audiobook auf den Markt zu kommen, eigentlich perfekter als Vorlage für ein Audiobuch geeignet denn als literarisches Produkt. Die Umfokussierung vom Interview auf einen Erzähltext erfolgt großteils nur durch nachträglich eingefügte Füllpartikel wie “geneigter Leser”, die wie Fremdpartikel aus dem Buch hervorragen.
Distanz ist eines der Keywords im Medienleben Haiders. So offen er sich der Seitenblickegesellschaft gibt, so sehr ist diese Offenheit auch eine exzellent konstruierte und dosierte, von ihm bewusst gesteuerte. Haiders Autobiografie ist somit ein ideales Mittel der Selbststilisierung. So wie die Fiaker in Wien ihre Pferdchen durch die historischen Straßen lenken und nur auf Ausgewähltes hinweisen, schildert sich Haider als Star in der Carnegy Hall, als internationaler Star einer Fernsehsoap, analysiert aus wohlüberlegter Selbstdistanz auch die Tiefpunkte seiner Karriere. Packend sind durchaus jene Passagen des Buches, die die schwierigste Phase seiner Karriere behandeln: jene nach seinem Outing 1997 im Theater Akzent auf offener Bühne und die Folgen für ihn privat und beruflich.
»geliebt. verteufelt« nennt Haider sein Buch und widmet ein Kapitel den Medien, von denen er sich ungerecht behandelt fühlt: »Ja, ich habe ein Problem mit den Medien, und es ist seit Jahren immer das gleiche: Die sogenannte intellektuelle Presse will mich entweder nicht wahrhaben, oder, was eigentlich schlimmer ist, sie verspottet oder verteufelt mich.« Haiders Medienschelte ist ein Tiefpunkt des Buches, nicht, weil man seinen Ansatz nicht verstehen will, sondern weil er genau das macht, was er seinen »Mediengegnern« vorwirft: Er pauschaliert klischeehaft: »Viele Vertreter dieses Berufes, das wissen wir ja, haben in frühen Jahren Theaterwissenschaften studiert. Fertig oder halbfertig oder sonst wie was.« Er spricht von »journalistischen Kleinkrämern« und von »gnadenloser Jagd« durch die Yellow Press. Vielleicht ist dieses Kapitel andererseits das ehrlichste des Buches, in dem der Entertainer in einem Moment des Angriffs die Deckung fallen lässt und Einblick gewährt in eine verletzte, oftmals unverstandene Persönlichkeit.
Fazit: Alfons Haiders Autobiografie ist sehr leicht zu lesen, reich illustriert (65 der 240 Seiten sind bebildert), im Anhang gut recherchiert (hier findet man eine Chronologie aller Bühnen-, Film- und Fernsehauftritte) und als Merchandisingartikel für Fans bestens geeignet. Alfons Haider, der Musicaldarsteller, kommt in »geliebt. verteufelt« praktisch nicht vor. Mit Musical macht man wohl keine Quote. Schade, denn es ist bekannt, dass Haider das Musicalgenre ein Anliegen ist und er hinter den Kulissen, beispielsweise an den Wiener Musicalschulen, sei es nun das Performing Center Austria oder die Konservatorium Wien Privatuniversität Wien, immer wieder eine Rolle spielt.
Alfons Haider: geliebt. verteufelt. Die Autobiografie. Aufgezeichnet von Walter Pohl. Ueberreuter, Wien 2007, 240 S.; ISBN: 978-3-8000-7288-0. € 22,95 (Hardcover). www.ueberreuter.at
Martin Bruny am Donnerstag, den
8. März 2007 um 14:32 · gespeichert in Bücher, 2007
»Broadway may only be a street to some people, but to some of us it’s a religion« – mit diesem Zitat von Eddie Foy Sr., dem legendären Schauspieler, Komödianten und Tänzer (1865–1928), startet Ken Bloom in seine Einleitung zu dem, was er Broadway-Guide, also Führer, Orientierungshilfe oder Leidfaden, ganz wie man es auffassen möchte, nennt. Ursprünglich konzipiert für Studenten der Theaterwissenschaften, der Regie, des Schauspiels, ist dieses Buch im Prinzip für alle eine höchst informative Lektüre, die sich näher mit den wichtigsten Broadway-Begriffen beschäftigen wollen, wobei mit dem Wort »Begriffe« hier gemeint ist: Komponisten, Autoren, Darsteller, Theater, Awards.
Autor Ken Bloom ist eine Autorität, was die Geschichte des Broadways, des Musicals, des Theaters betrifft. Er hat mittlerweile zu Klassikern avancierte Bücher verfasst wie »American Song: The Complete Musical Theatre Companion«, in dem jedes Lied, das für das amerikanische Theater geschrieben wurde, aufgelistet ist. Oder »Hollywood Song«, in dem er Informationen zu Songs von über 7000 Kinofilmen bietet. Das von ihm und Frank Vlastnik verfasste Werk »Broadway Musicals: The 101 Greatest Shows of All Time« wurde zum veritablen Bestseller. Neben seiner Karriere als Autor ist Bloom seit einem Jahrzehnt als Berater für Decca Broadway tätig, und auch als Autor macht er von sich reden. Gemeinsam mit Barry Kleinbort schrieb er das Off-Broadway-Musical »A Brief History of White Music«.
Für all jene, die in nächster Zeit vielleicht zum ersten Mal eine Broadwayshow besuchen und sich vorab informieren wollen, beispielsweise über das Theater, in dem die Show gegeben wird, bietet Ken Bloom unter anderem auch sehr ins Praktische gehende Passagen. So schreibt er im Eintrag über das Minskoff Theatre: »Though the walk to the auditorium is well designed, the theater is not. The balcony overhangs too far from the front of the stage and the uppermost seats are also too distant. The orchestra area has what is called continental seating – no center aisles, only two aisles on either side of the seats. Row T, for example, is fifty-two seats wide. Patrons who have tickets in the center of the row must cross over the feet of twenty-five people to get to their seats. On a matinee day, when many audience members have shopping bags, this can be extremely difficult. In its favor, however, the Minskoff was the first New York theater to be fully accessible to handicapped patrons.†Bloom hat ein richtiges Buch zum Schmökern verfasst. Die Auswahl der im Guide enthaltenen Komponisten und Darsteller ist eher konservativ gestaltet. Die legendären Klassiker sind dabei, Größen wie Sondheim, Bernstein, die Gershwins natürlich, nicht aber Jason Robert Brown oder Frank Wildhorn. Darstellerlegenden wie Maude Adams, die Barrymores, nicht aber aktuelle wie Patti Lupone oder Nathan Lane. Die Gliederung des Buches ist alphabetisch, es gibt keine Kapitel, keinen Index, kein Quellenverzeichnis, aber man vermisst das alles auch nicht. Hier schreibt jemand, dem man das, was er erzählt, auch abnimmt. Vielleicht resultiert das auch ein wenig aus der Erzählerperspektive. Es geht Bloom nicht darum, das abzuqualifizieren, was für ihn nicht zu dem gehört, was er »Broadway key figures« nennt, sondern mit Empathie all das zu vermitteln, was den Broadway zur Legende werden ließ. Wenn er die Geschichte eines Theaters auf wenigen Seiten Revue passieren lässt, dann erzählt er auch die eine oder andere Anekdote über die Hits und Flops des Theaters, und er tut dies in einem typisch amerikanischen Stil: lebendig, sehr kompetent, ohne den verbissenen Drang, die Musicalgeschichte umdeuten zu wollen nach eigenem Gutdünken oder Theoriegebäude skizzieren zu wollen. Am Ende setzte sich wie von selbst aus all den Puzzlesteinen eine Art von Musicalgeschichte der letzten 100 Jahre zusammen. In diesem Buch lebt der Broadway – sehr empfehlenswert.
Ken Bloom: The Routledge Guide to Broadway. Routledge – Taylor & Francis Group, New York 2007, 290 S.; (Papaerback) ISBN 978-0415973809. $ 22,95. www.routledge-ny.com