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Christoph Wagner-Trenkwitz: »Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper

Der neue Direktor der Wiener Volksoper
Einen Relaunch in Pomp und Gloria erlebte die Wiener Volksoper am 1. September 2007. Es war der Tag der Inauguration von Robert Meyer als neuer Volksoperndirektor. Zum Start seiner ersten Saison lud der Herr Direktor zu einem Tag der offenen Tür und plante dessen Ablauf akribisch: »Kurz vor zehn Uhr werde ich, begleitet von einem Hornquartett und bei hoffentlich schönem Wetter, mit einer alten Straßenbahngarnitur vom Schottentor die Währinger Straße zur Volksoper herauffahren. Dann ertönt vom Balkon eine Fanfare.«
Die Wachablöse auf Direktionsebene (seit 1996 hat kein Volksoperndirektor die volle Amtszeit abgedient) wurde von kleineren Neuerungen an Nebenfronten flankiert: Die Website der Volksoper (www.volksoper.at) ist jetzt auch optisch für jedermann klar erkenntlich in die vier Säulen Operette, Oper, Musical und Ballett getrennt, auch bei der neuen Außenbeleuchtung der Wiener Volksoper spielen die vier Farben nun eine maßgebliche Rolle. Die bedeutendste Neuerung ist jedoch der Aspekt der Kundenverbindlichkeit, verkörpert durch Robert Meyer. Der Direktor des Hauses hat sich in den ersten Wochen seiner, man möchte fast sagen (wir sind ja in Wien) Regentschaft, zu einem volksnahen Kaiser der Volksoper stilisiert, da ist Mörbisch mit Herrn Serafin nur ein Sommerlüfterl dagegen. Meyer war im Vorfeld der Eröffnung in allen Medien präsent und beim Tag der offenen Tür für jedermann ansprechbar – man spürt, da ist jemand, der mit Lust an der Aufgabe an die Arbeit herangeht. Am 2. September gab’s ein Eröffnungskonzert, bei dem das Publikum mittels Stimmzettel das Programm bestimmt hatte, und am 10. September schließlich kam das nächste Element im Masterplan Robert Meyers ins Spiel: In der Wiener Volksoper wurde das Buch “”Es grünt so grün …” Musical an der Wiener Volksoper” in Form einer Soirà©e präsentiert.

Soirà©e zur Buchpräsentation
Rund 100 Minuten schwelgte Moderator Christoph Wagner-Trenkwitz in Erinnerungen an die gute alte Zeit. TV-Clips und Wochenschaubeiträge wurden auf eine Leinwand projiziert, Norman Stehr versuchte sich an »I got plenty o‘ nuttin‘« aus »Porgy and Bess«, Erwin Windegger bewies mit einem »La Cage aux Folles«-Medley, dass Karlheinz Hackl unerreichbar als Zaza ist, und Stargast Michael Heltau plauderte vor allem über all die Musicalrollen, die er nicht angenommen hat. Auf die Frage »Es heißt, Harold Prince wollte Sie für die Titelrolle im »Phantom der Oper«« erzählte Heltau: »Das stimmt. Ich unterhielt mich lange mit ihm darüber, aber er konnte mir meine Zweifel nicht nehmen. Schließlich, nach sechs Wochen des Hin und Her, sagte ich: »Hal, gib mir einen Grund, nicht viele, sondern einen, warum ich das Phantom spielen soll.« Er antwortete: »Du bist eine Stunde vor Beginn der Show im Theater. Und wenn du aus der Maske kommst, erkennt dich keiner mehr.« Damit war die Sache für mich erledigt. »Hal ich arbeite ein Leben daran, dass mich die Leute erkennen. Ich bin nicht der Richtige für diese Rolle.« Da lachte er, umarmte mich und gab auf.« Diese Anekdote ist auch im Buch »Es grünt so grün …« abgedruckt, und es sind solche Momente, die Soirà©en dieser Art auf seltsam sentimentale Weise sympathisch machen. Heltau kann noch so sehr seinen Sermon gegen all die modernen Musicals dieser Welt ablassen, die alle »zu viel Tanz und zu wenig Scherze« haben (ein Zitat von Billy Wilder, der so den Misserfolg des Musicals »Das Appartement«, basierend auf seinem gleichnamigen Film, begründet hatte), man hört ihm dennoch gerne zu. Zum Abschluss der Soirà©e sangen Adrineh Simonian, Karl-Michael Ebner, Mathias Hausmann und Stefan Cerny ein jazziges »My Fair Lady«-Medley, erstklassig arrangiert von Bà©la Fischer.

Das Buch
50 Jahre Musical an der Volksoper, das klingt nach einer geradezu berauschenden Anzahl von Produktionen, doch man kann sie fast an zwei Händen abzählen. Es sind 14, nicht mehr und nicht weniger. Insgesamt 1461 Musicalvorstellungen gingen bis 30. Juni 2007 über die Bühne der Wiener Volksoper. Zu sehen waren: «Kiss me, Kate”, ”Wonderful Town”, «Annie, Get Your Gun”, «Porgy and Bess”, «West Side Story”, «Show Boat”, «Karussell”, «My Fair Lady”, «Hello, Dolly!”, «La Cage aux Folles”, «Der Mann von La Mancha”, «Gigi”, «Anatevka” und «The Sound of Music”. Mehr als die Hälfte dieser Produktionen kann man als erfolgreich bezeichnen, der Rest floppte und genießt dennoch Legendenstatus: »Karussell« (1972) brachte es gerade mal auf 15 Vorstellungen, »Annie, Get Your Gun« (1957) auf 18, »Gigi« (1999)auf 20, »”Wonderful Town« (1956) auf 26, »Show Boat« (1971) auf 30, »Hello, Dolly!« (1984) auf 45.
Der Autor des Buches »Es grünt so grün …«, Christoph Wagner-Trenkwitz, mäandriert durch die österreichischen Medien einerseits als ironischer Seitenblickegesellschafts-Berichterstatter (beispielsweise als Moderator des Wiener Opernballs), andererseits war er Pressechef der Staats- und Volksoper und Chefdramaturg der Wiener Staatsoper. Seit 2003 ist er Direktionsmitglied der Volksoper und tänzelt mit von ihm moderierten Soirà©en auf den Spuren Marcel Prawys, wissend, dass die Erfolge des Großmeisters aus den 1950er und 1960er-Jahren heute schwer getoppt werden können.
»Es grünt so grün …« kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten »konsumieren«. Nehmen wir die 160 Fotos aus 50 Jahren Musical an der Volksoper. Hier sind es vor allem Momentaufnahmen aus den Anfängen, die am meisten Atmosphäre vermitteln. Beispielsweise jene von der Schallplattenpräsentation der »West Side Story« mit einem enthusiasmierten Marcel Prawy im Hintergrund, stimmungsvolle Bühnenfotos von den großen Stars jener Jahre wie Brenda Lewis, Olive Moorefield, Peter Minich, Fred Liewehr, William Warfield, Julia Migenes, Adolf Dallapozza oder Dagmar Koller.
Sehr gelungen ist der Statistik-Teil des Buches. Auf 20 Seiten konzentriert bietet dieses von Felix Brachetka zusammengestellte Aufführungsverzeichnis sämtliche statistische Daten zu allen Musicalproduktionen. Hier kann man nachschlagen, wann wer welche Rolle gespielt hat, welche Rolle wann nicht (mehr) besetzt war, wer welche Aufführung dirigiert hat – ein wahrer Datenregen, sehr informativ und umfassend.
»Es grünt so grün« ist in 14 Hauptkapitel eingeteilt. Jeder Musicalproduktion ist ein Kapitel gewidmet. Der erste Teil des Buches umfasst alle Shows, die Marcel Prawy bis zu seinem Wechsel an die Wiener Staatsoper Anfang der 1970er Jahre betreut hat. Diese ersten Kapitel sind nicht extra hervorgehoben, aber deutlich vom Rest des Buches zu trennen, vor allem, was ihren Informationsgehalt und Witz betrifft. Prawy, der Pionier des Musicals im deutschsprachigen Raum, hat ein reichhaltiges Archiv hinterlassen, in dem unter anderem auch seine Korrespondenz zu finden ist, mit deren Hilfe Wagner-Trenkwitz spannende und lustige Szenen aus dem Produktionsalltag an der Wiener Volksoper rekonstruieren konnte. Prawys Aufzeichnungen sind teilweise so unterhaltend, dass man damit mühelos einen eigenen Rezitationsabend gestalten könnte. Erinnerungen von Zeitzeugen machen diese Kapitel zusätzlich lebendig. Adolf Dallapozza, Star der »West Side Story«, über den Premierenabend des Werks von Bernstein: »Es war ein Riesenerfolg! Während des Schlussapplauses ist Prawy neben der Bühne herumgesprungen und rief immer wieder: »Wo ist der Eiserne?!« Er wollte unbedingt melden, dass das Publikum nach Fallen des Eisernen noch weitergetobt hat. [Alan] Johnson und Prawy haben die Aufführungen weiter überwacht. Wenn etwas nicht gestimmt hat, wurde sofort eine Probe angesetzt. Prawy hat stets seine berühmten kleinen Notizen in den Garderoben hinterlassen: »Dallapozza – heute wieder sensationell! B besonders schön!« oder: »Deine Rufe »Chino, erschieß mich!« Unvergesslich!«
Die Prawy-Ära endete mit zwei Flops: »Show Boat« und »Karussell«. Als der Meister Anfang der 1970er die Volksoper verließ und Karl Dönch Volksoperndirektor wurde, war es für sieben Jahre vorbei mit Musicals an der Volksoper. Mit dem Jahr 1979 – »My Fair Lady«, 362 Vorstellungen machen es zum erfolgreichsten Musical des Hauses – setzt der zweite Teil des Buches ein. Ab diesem Zeitpunkt stützt sich der Autor vor allem auf Interviews mit den Stars der Produktionen und leider allzu sehr auf Zitate aus den Kritiken der Tageszeitungen, wobei Wagner-Trenkwitz wenig Scheu kennt und von »Die Presse« bis hin zu »Täglich Alles« und dem »Frauenblatt« alles zitiert, auch wenn es keinen Rang und Namen hat.
Ein wenig bedauerlich, wenn auch nachvollziehbar, ist die Tendenz des Autors, Musicalproduktionen der jüngeren Zeit in etwas verklärtem Licht zu präsentieren. So beispielsweise »The Sound of Music«, wo das Problem der stimmklangmäßig uneinheitlichen Besetzung (Popsängerin Sandra Pires versus Operetten- und Opernsänger) als gelöst verkauft wird, dank der »hervorragenden Akustik-Abteilung des Hauses«, die, so Wagner-Trenkwitz, mit Mikroports alles in den Griff bekommen habe. Wer die Show besucht hat, weiß, dass das, gelinde gesagt, eine etwas übertriebene Behauptung ist.
Wo das Buch also abdriftet von der objektiven Zusammenfassung bereits vorhandener Quellen hin zu einer Neu- und Umschreibung der Kritik, wird es inhaltlich angreifbar. So auch, was die latente Rivalität mit den Vereinigten Bühnen Wien betrifft. Wagner-Trenkwitz erklärt beispielsweise an Hand der Volksopern-Produktion »Der Mann von La Mancha« (Premiere 1994, Wiederaufnahme 2007) sein Haus im ewig währenden Kampf gegen die VBW mit folgender Passage zum Rundensieger: »Diese Runde im Konkurrenzkampf mit den Vereinigten Bühnen entschied die Volksoper für sich. In einem »Barometer der Wiener Musicals« verkündete »News« im September 1994: »Die Volksoper produzierte den konkurrenzlosen Hit«, während »Elisabeth«, »das erfolgreiche Relikt aus der oft geschmähten Ära Weck«, sich nur »einigermaßen im Theater an der Wien« behauptete und »My one and only« im Ronacher sowie »Mama, I want to sing« im Austria Center gar unter die »Flops« gerechnet wurde (…)” Bei allem Verständnis für einen gewissen Level an Volksopernpatriotismus, aber eine solche Aussage, formuliert im Jahre 2007, angesichts der Erfolgsgeschichte von »Elisabeth«, verwundert. »Der Mann von La Mancha« brachte es in der Volksoper auf bisher 70 Aufführungen, »Elisabeth« im Theater an der Wien auf 1752.
Die Erfolgsformel der Wiener Volksoper ist gleichzeitig auch ihr größter Hemmschuh. Man sieht sich, zielgruppentechnisch, folgendermaßen: Stellen wir uns das Leben als langen ruhigen Fluss vor. Am Quell dieses Flusses steht die Geburt, an der Mündung ins Meer, der Tod. Die Volksoper fischt den Großteil der Menschen erst im letzten Drittel des Flusses ab und verlässt sich darauf, dass früher oder später einmal jeder an ihr vorbeischwimmt. Der Erfolg in manchem Bereich mag diese Strategie rechtfertigen, nur würde man sich manchmal wünschen, dass Impulse, die das Theater selbst setzt in Richtung jüngerer Zielgruppe, nicht gar so sehr ignoriert würden. So feierte am 4. März 2007 die Produktion »Tanzhommage an Queen« Premiere, ein Ballettabend zur Musik von Queen, der durchaus moderne Musical-Elemente enthält, vielleicht sogar mehr als die musikalische Komödie »Die Weberischen«, eine Produktion der Vereinigten Bühnen Wien, die 2008 ins Volksopern-Programm aufgenommen wird. Christoph Wagner-Trenkwitz hat sich dagegen entschieden, die »Tanzhommage an Queen« in sein Buch aufzunehmen. Das ist natürlich ganz im Sinne des klassischen Musicals, das im Haus am Gürtel regiert, andererseits eine verpasste Chance, die Erfolgsgeschichte des Musicals an der Volksoper noch ein wenig umfangreicher zu gestalten. Vermutlich »zu viel Tanz und zu wenig Scherze«.
Fazit: »»Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper« schildert auf spannende und unterhaltende Weise, wie Marcel Prawy es schaffte, 1956 mit der Volksopernproduktion von »Kiss me, Kate« das erste Musical in Kontinentaleuropa auf eine Bühne zu stellen. Von dieser europäischen Perspektive ausgehend, die das Haus für kurze Zeit kennzeichnete, dokumentiert das Buch dann 13 weitere Produktionen, deren Bedeutung zunehmend als regional und lokal einzustufen ist. Ein Buch voller Anekdoten, stimmungsvoller Momentaufnahmen, vor allem ein Ausflug in eine Vergangenheit voller Publikumslieblinge. Was wird die Zukunft bringen? Robert Meyer in seinem Vorwort: »Musiktheater im Allgemeinen und das Musical im Besonderen ist keineswegs, wie einige meinen, ein abgestorbener Ast. Im Gegenteil: »Es grünt so grün …««

Christoph Wagner-Trenkwitz (Mitarbeit: Felix Brachetka): »Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper. Mit einem Vorwort von Robert Meyer. Amalthea Signum Verlag, Wien 2007, 184 S.; ISBN: 978-3-85002-632-1. € 29,90 (Hardcover). www.amalthea.at

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