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Theater der Jugend: “Märchenherz” [Philip Ridley]

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Der britische Künstler Philip Ridley, geboren 1964 in London, studierte Malerei an der Central Saint Martins, präsentierte seine Bilder im Rahmen von Ausstellungen vor allem in Europa und Japan, und ein gewisses Maß an publicitywirksamem Schaffen war ihm schon als Student nicht fremd, malte er doch beispielsweise für einen Zyklus, den er »Corvus Cum« bezeichnete, das Bild »The Black Bird«, auf dem ein Mann zu sehen ist, der auf einen schwarzen Vogel ejakuliert. Als eben dieses Bild im Institute of Contemporary Arts seinerzeit ausgestellt wurde, gab es prompt erboste Anrufe von Besuchern der Ausstellung, die die Verantwortlichen aufforderten, das Kunstwerk hinter einem Vorhang auszustellen.

Philip Ridley ist aber nicht nur Maler, er ist auch Photograph, Regisseur und nicht zuletzt auch Autor. Der Schriftsteller Ridley schreibt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, und es ist einer seiner Einakter für Kinder, »Märchenherz« (»Fairytaleheart«), der derzeit, aber nur mehr bis zum 26. Juni, als österreichische Erstaufführung im Wiener Theater im Zentrum in einer Produktion des engagierten Theaters der Jugend zu sehen ist.

Das “Märchenherz” entstammt einer auf insgesamt elf Einakter angelegten Serie, die Ridley »The Storyteller Sequence« nennt. Erschienen sind bis dato fünf Werke: »Karamazoo«, »Fairytaleheart«, »Moonfleece«, »Sparkleshark« und »Brokenville«. Die Bezeichnung »The Storyteller Sequence« trifft das Thema von »Märchenherz« exakt. Es geht ums Geschichtenerzählen, es geht darum, wie man Geschichten erzählt, was man braucht, um Geschichten zu erzählen und darum, was man damit bewirken kann. Es geht auch darum, Geschichten gemeinsam zu erleben, oder wie in den Werbemitteln zur Show Hà©lder Cà¢mara treffend zitiert wird: “Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn Menschen gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.”
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Der Plot des Einakters ist recht schnell erzählt:

Kirsty hat ein Problem. Ihr Vater hat sich in eine neue Frau verliebt. Und diese Frau ist in Kirstys Augen grässlich, der Prototyp der “bösen Stiefmutter”. Sie will ihren Vater für sich selbst behalten. Bei der eigenen Geburtstagsparty reißt sie aus, um mit sich und ihrem Unglück alleine zu sein. Sie muss ihre Gedanken ordnen und landet mit ihrer hastig gepackten Reisetasche in einem verlassenen Gemeindesaal.
Dass hier nun Gideon auftaucht, passt ihr gar nicht. Und woher eigentlich kennt er ihren Namen? Warum quatscht er dauernd auf sie ein und will alles Mögliche von ihr wissen? Und was sollen all die vielen Farbtöpfe und diese große halbbemalte Leinwand?
Am besten wieder abhauen! – Doch Gideon ermuntert Kirsty dazu, mit ihm gemeinsam an seinem Bild zu malen und einzutauchen in eine Phantasiewelt – und die ist näher an der Wirklichkeit als vermutet. Für Kirsty erscheint vieles in einem neuen Licht. Vielleicht ist die neue Stiefmutter ja gar kein Monster? Vielleicht hat der Vater ja ein Recht auf eine neue Liebe? Vielleicht ist es ja Kirsty selbst, die nicht ganz richtig liegt mit ihren Ansichten und Meinungen …

Was beim Betreten des Zuschauerraums sofort ins Auge sticht, ist die Bühne. Und was für eine Bühne. Keine nackte, leere, sondern eine vollgepackte Bühne. Ein Kellerraum mit einer Nebennische, voller Utensilien, Becher, Körbe, Kisten, Eimer, Malbecher, Kerzen, Kerzen, Kerzen und vieles andere, Graffitis an den Wänden, viele Zeichnungen, unfertige Malarbeiten, Details, Details, Details - ein Schlaraffenland an Atmosphäre. Da wird nicht dem Trend der “nackten Bühne” nachgerannt, sondern mal ein Set geschaffen, in das man sich schon vor Beginn der Vorstellung einleben kann. Nicht, dass Phantasie nicht gefragt wäre in dieser Produktion, aber nicht auf dieser Ebene. Und das passt.

“Märchenherz” ist, neben allem anderen, was man darüber schreiben könnte, ein Stück, das vermittelt, wie man Menschen motivieren kann. Die Zuschauer erleben, wie schwer es sein kann, verschlossene, frustrierte, verzweifelte und oft enttäuschte Menschen zu motivieren, wie anstrengend, auch körperlich, es ist und wie sehr man sich selbst öffnen muss, damit sich der andere auch nur ein bisschen öffnet.

“Märchenherz” ist fast wie eine Art Workshop und demonstriert, wie man mit Phantasie Geschichten zum Klingen bringt, wie Geschichten die Phantasie zu Höchstleistungen anstacheln und wie man Menschen mit Phantasie und Geschichten zum Strahlen bringt, ihnen neue Hoffnung gibt, neue Perspektiven aufzeigt, wie Geschichten helfen können, über akute Krisensituationen hinwegzukommen.
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All das erlebt man in Echtzeit, in 90 Minuten Spielzeit. Markus Schöttl spielt diesen grandiosen Geschichtenerzähler, dieses quirlige Powerpaket Gideon, der alles versucht, um Kirsty, gespielt von Nadine Kiesewalter, zunächst einmal abzulenken von ihren Problemen. Er macht alles an Faxen, was man in dem (Spiel-)Alter nur machen kann, und Philip Ridley weiß, wie man Kinder der angepeilten Altersstufe (ab 11 Jahren) erreicht. Markus Schöttl setzt das mit einer lebensfrohen, offenen, fröhlichen, in Phasen ekstatischen Darstellung des Jungen Gideon glaubhaft und mit viel Emotion, Kraft, Hingabe und Herz gespielt ungemein sympathisch um. In Nadine Kiesewalter hat er eine ideale Partnerin.

Philip Ridleys Ziel als Autor ist es, gutes Theater für Jugendliche zu machen. Das, so ist er überzeugt, sei keinesfalls leichter als gutes Theater für Erwachsene. In jedem Fall muss Theater etwas sein, so der Autor, das uns berührt, das Antworten auf die Fragen sucht, die uns in unserer Lebenswirklichkeit beschäftigen. Ridley glaubt fest daran, dass man durch Geschichten etwas bewegen kann, auf der Bühne und im wirklichen Leben. Mit “Märchenherz” setzt er diese Ansprüche an sich selbst glaubhaft um, und auf einer gewissen Ebene ist diese spannende und berührende Theateraufführung mit Sicherheit motivierender und hilfreicher in punkto Lebenbejahung als so manch teures Selbsthilfeseminar bei hochbezahlten Motivationstrainern.

Ab 11 Jahren ist das Stück empfohlen, gespielt wird es vom “Theater der Jugend”. Darf man sich als Erwachsener in dieses Stück reintrauen? Ja, man darf und man sollte noch die Chance nutzen, sich anzusehen, wie man Theater für Kinder und Jugendliche auch machen kann. Sieben Vorstellungen gibt es noch, und bestellen kann man problemlos die letzten Restkarten online mit Kreditkarte –> hier. Wer zuvor noch etwas Motivation braucht, kann sich auch Kritiken zum Stück durchlesen –> hier. Und dann nichts wie ab ins Theater - allein oder mit der ganzen Familie.

Märchenherz
von Philip Ridley / Deutsch von Andreas Pegler

Darsteller
Kristy: Nadine Kiesewalter
Gideon: Markus Schöttl

Leading Team
Regie: Frank Panhans
Bühne und Licht: Tom Presting
Kostüme: Katharina Mayer und Erika Peherstorfer
Malercoach: Kurt Urban
Dramaturgie: Marlene Schneider
Assistenz und Inspizienz: Clemens Pötsch
Hospitanz: Felix Metzner

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