Eine perfekt ins Programm passende Show, gut überlegtes Casting, eine umsichtige, phantasievolle, sehr genau ausgearbeitete Regie, eine gelungene Übersetzung, all das und noch viel mehr wünscht man sich bei Musicalproduktionen - und bekommt genau das doch eher selten zu sehen. All das und viel mehr erfüllte eine Show des Wiener Theaters der Jugend, die im Oktober und November 2010 in Wien zu sehen war: “Just so”.
Henry Mason, Oberspielleiter am Theater der Jugend in Wien, brachte “Just so” von George Stiles (Musik) und Anthony Drewe (Buch und Gesangstexte) in einer begeisternden, bunten, liebevollen und genau gearbeiteten Version auf die Bühne des größten Theater für junges Publikum in Europa. Er übersetzte den Text klug und stimmig. Da das Theater der Jugend letztlich auch eine pädagogische Aufgabe hat, die es mit vielerlei Aktionen und Angeboten erfüllt, musste er das sprachliche Niveau nun nicht unbedingt dort ansetzen, wo man den Beginn der Zielgruppe angesetzt hatte, nämlich bei 6 Jahren. Letztlich kann und soll auch das Theater als Motivation und Anreiz dazu dienen, einfach mal auch über das, was man gesehen hat, zu sprechen, und wenn das eine oder andere Wort noch nicht Teil des Wortschatzes eines der jüngeren Besucher ist, so kann man das im Anschluss an die Show oder in der Pause klären - oder aber man nutzt als Lehrer eines der Angebote des Theaters (siehe –> hier), fordert Materialien an, erarbeitet die Show mit der Klasse im Vorfeld, all das ist für diverse Produktionen des Hauses immer wieder möglich und dient dazu, junge Leute ans Theater heranzuführen. All das lohnt sich auch bei der Qualität der Stücke, die vom Theater der Jugend zur Aufführung gebracht werden. Die Abteilung Theaterpädagogik des Theaters der Jugend hat ein reiches Angebot für Lehrer und Schulen, das man nutzen sollte.
Was “Just so” allerdings auch auszeichnete: Es war es kein “Theater für Kinder”, nicht dieses “Theater für Kinder” im schlechten Sinn, wo noch in Babyslang und mit zuckersüßen Goscherln outriert wird, weil die Kleinen ja sonst vielleicht nicht mitkommen oder gar einschlafen. Sie kommen mit, man muss nur wissen, wie man eine Show anzupacken hat. “Just so” war eine jener Produktionen, für die man auch Abendvorstellungen für “erwachsenes” Publikum hätte ansetzen können, eine Idee, die bis dato noch nicht aufgegriffen wurde. “Just so” war letztlich eine der besten Musicalproduktionen in Wien 2010.
Auf der Bühne eine Cast, die man so auch bei jeder Produktion von sogenannten “großen” Musicalbühnen finden kann. Einen Namen im Musicalbusiness haben nicht nur Norman Stehr (”Cabaret der verlorenen Seelen”), Wolfgang Türks (”Frühlings Erwachen”), Jan Hutter (”Rudolf”) und Christoph Sommersguter (”Rebecca”). Für “Just so” suchte man die Idealbesetzung und fand sie auch in Thomas Smolej, Robert G. Neumayr, Christian Graf, Daniela Dett, Uwe Achilles, Julia Tiecher, Natalie Ananda Assmann und Lynne Williams.
Jedes Element der Show dient der Geschichte, die erzählt wird. Weder sind die Schauspielszenen dazu da, um die Pausen zwischen den einelnen Songs zu überbrücken, noch dienen die Songs dazu, um dem Ganzen überhaupt eine Musicalform zu verleihen, und auch die Tanzelemente sind nicht einfach da, weil halt in einem Musical getanzt werden muss, sondern sind großartig durchdacht und wichtiger Bestandteil der Charakterisierung jeder einzelnen Figur. Jede der Figuren ist von den Schauspielern genau erarbeitet, ist wiedererkennbar und einzigartig in Sprache, Kostüm, Mimik und Choreographie. Bis hin zu den kleinsten Details sind Figuren wie das Zebra oder der Kolokolovogel choreographiert, auch die Stimmführung ist der jeweiligen Figur angepasst. Für den Jaguar und den Leoparden hat man sich eine Art Wiener Strizzi-Dialekt einfallen lassen, die eingesetzten Tanzschritte, die Art und Weise, wie sich Thomas Smolej und Christoph Sommersguter bewegen - ein fein erarbeitets Konzept, das spielerisch durchgezogen wird, und so bleiben die Figuren auch noch Wochen, nachdem man die Aufführung gesehen hat, lebhaft im Gedächtnis. Jeder der Schauspieler spielt eine Vielzahl an Rollen und geht in der jeweiligen Rolle auf. Es ist schön zu beobachten, wie sie mit ihrem Schauspiel, mit ihrem Tanz und auch mit ihrem Gesang, gleichwertig, beim Publikum Emotionen auslösen. Denn darum geht es letztlich auch beim Theater: Emotionen auszulösen. Denn das ist es, was man dem Publikum schuldet: Emotionen auszulösen. Keiner hat im Publikum das Recht vom Schauspieler echte Emotion auf der Bühne zu fordern, aber der Schauspieler ist es seinem Publikum schuldig, es glauben zu machen, dass sie echt sind und echte Emotionen auszulösen. Dazu braucht man handwerkliches Können, Technik, dazu muss man Szenen genau erarbeitet haben - keiner hat etwas davon, wenn viel Geld in ein enormes Maß an Bühnentechnik, in 20 Tonnen Licht- und Soundequipment investiert wird und dann auf der Bühne, im entscheidenden Moment, wenn zwei Schauspieler sich einander gegenüberstehen, durch fehlende Technik nichts passiert außer schulisches Aufsagen von Text. Da haben dann nicht nur die Schauspieler versagt, sondern auch der Regisseur, und auch der Produzent, der nicht rechtzeitig eingegriffen hat. All das ist bei “Just so” in keiner Sekunde der Fall, und nicht zuletzt das, diese wohltuende umfassende Professionalität (im Umfeld so vieler Produktionen für “jugendliches” Publikum, die das in dem einen oder anderen Bereich nicht leisten können), die in Emotionalität mündet, war ein Erfolgsrezept dieser Produktion.
Auch wenn es Schauspieler gibt, die der Meinung sind, dass sie nicht verstehen, wie man überhaupt von einer guten oder schlechten Inszenierung sprechen kann, wie beispielsweise Otto Schenk auf der Buchwoche vor ein paar Wochen: Die Regie bei “Just so” war grandios. Keine Sekunde hatte man das Gefühl, dass man verloren gehen könnte in der Aufführung, immer war klar, dass und auch welche Geschichte erzählt wurde. Robert G. Neumayr als “Der älteste Magier” hatte da die Fäden in der Hand und erdete die Show immer wieder, nach jeder der vielen Einzelszenen, leitete und steuerte den Spielfluss, souverän, sympathisch. Das ist umso wichtiger, als es viele Shows gibt, bei denen man schon nach zehn Minuten eigentlich nicht mehr weiß, ob Regie überhaupt existiert. Es mag also sein, dass man hier etwas bewertet, was zu einem Großteil nur Intuition ist, oder ein Zusammenspiel von vielen Faktoren, dem man dann das Label “Regie” aufdrückt, aber “Just so” zeichnete auch das Gefühl aus, dass bestimmte Szenen gar nicht anders als genau so auszusehen haben, gleichzeitig wurde man immer wieder überrascht von großartig inszenierten Hymnen wie jener vom “Limpopo-River”, ein Showstopper schlechthin, von Solos wie jenem des Kolokolovogels, gegeben von Daniela Dett, die dem Publikum in einem einzelnen Song schon das ganze Leben und Schicksal dieser Figur eröffneten. Und das gesungen und gespielt mit wunderbaren Nuancen, mit einer Mimik und Gestik, die den Schauspieler gänzlich hinter die dargestellte Figur treten ließen. Jede der Einzelszenen, ohne Ausnahme, war ein Erlebnis, sei es jene des Krokodils (Wolfgang Türks), schaurig auch durch die Soundeffekte, jene des Nashorns (Jan Hutter), des Parsen und seiner Backkünste (Norman Stehr), des Kängurus (Wolfgang Türks), jene der beiden Strizzis Jaguar & Leopard und natürlich die Geschichte all dieser Geschichten, nämlich wie das ewig fragende und neugierige Elefantenkind (Christian Graf) alle vor dem bösen bösen Pau Amma, einem riesigen Krebs, rettet. Einfach ein herrlicher Spaß für Menschen, die Märchen mögen, egal, wie alt sie sind.
Das Theater der Jugend sollte auf diesem Weg bleiben, und am besten keine Produktionen mehr von anderen Bühnen für die eigene Klientel ins Programm nehmen, kein “Tanz der Vampire” mehr zum Beispiel. Schlicht und einfach, weil man es nicht nötig hat und über genügend Kompetenz verfügt, ein eigenes Profil im Musicalbereich, der ja nur ein Teil des Angebots ist, zu entwickeln. Ja, im Gegenteil, vielmehr sollte man eigene Produktionen anderen Häusern anbieten, sie auf Tour schicken, sie wiederaufnehmen, sie ganz lange spielen.
Inhalt
Es ist die Zeit der ersten Anfänge: Noch hat das Nashorn keine Falten, der Leopard keine Flecken und der Elefant keinen Rüssel. Der älteste Magier ermutigt alle Tiere, zu ihrer Einzigartigkeit zu finden. Der Krebs schießt dabei übers Ziel hinaus: Gierig frisst er sich durch die Weltmeere und wächst dabei ins Riesenhafte, bis er bei der täglichen Futtersuche halb Afrika und Indien unter Wasser setzt. Die Flutopfer resignieren – gegen so einen Feind kann man nichts unternehmen.
Nur einer stellt das in Frage: das Elefantenkind. Es hat zum Leidwesen seiner Herde eine Frage zu allem: Warum ist der Himmel blau? Wenn es eine Missis Sippi gibt, gibt es dann auch einen Mister Sippi? Warum sagen wir dem Krebs nicht, er soll aufhören, so selbstsüchtig zu sein? Der älteste Magier stellt dem Elefantenkind den Kolokolovogel zur Seite, der sich zwar nicht fliegen traut, dafür aber auf alles eine Antwort hat. Auch auf die Frage, wo man den Krebs finden kann: am groß-grau-grünen Limpopo-Fluss nämlich.
So beginnt eine Segelfahrt ins Ungewisse, voller Überraschungen und Gefahren.
Wie der Krebs besiegt wird, wie das Nashorn Falten und der Leopard Flecken bekommt und wie die unersättliche Neugierde des Elefantenkinds ihm zu einem Rüssel verhilft, alles das erfährt man in George Stiles und Anthony Drewes bezauberndem und beschwingtem Familien-Musical. »Just So« erzählt aber auch vom Mut der Allerkleinsten und davon, wie man über den eigenen Schatten springt.
Cast
Der älteste Magier: Robert G. Neumayr
Das Elefantenkind / graues Tier: Christian Graf
Der Kolokolovogel / graues Tier: Daniela Dett
Der Parse / graues Tier / Elefant / Gnu / Wallaby: Norman Stehr
Der Kochherd / graues Tier / Elefant / Gnu / Wallaby: Uwe Achilles
Das Nashorn / graues Tier / Elefant / Gnu / Wallaby: Jan Hutter
Die Giraffe / graues Tier / Elefantenkönigin / Zutat / Wallaby: Julia Tiecher
Das Zebra / graues Tier / Elefant / Zutat / Wallaby: Lynne Williams
Der Jaguar / graues Tier / Elefantenkönig / Zutat / Gnu / Wallaby: Christoph Sommersguter
Der Leopard / graues Tier / Elefant / Zutat / Gnu / Wallaby: Thomas Smolej
Das Känguru / Das Krokodil / graues Tier / Elefant / Zutat / Gnu: Wolfgang Türks
Der Dingo / graues Tier / Elefant / Zutat / Gnu: Natalie Ananda Assmann
Die Stimme von Pau Amma: Henry Mason
Cover: Maxi Neuwirth / Wolfgang Türks
Musiker
Gerald Schuller, Bernd Alfanz, Sophie Hassfurther, Robert Pistracher, Bernd T. Rommel
Leading Team
Musik: George Stiles
Buch und Gesangstexte: Anthony Drewe
Inspiriert durch die Geschichte von Rudyard Kipling
Deutsche Übersetzung: Henry Mason
Orchestrierung: Christopher Jahnke unter Mitarbeit von John Clancy
Regie: Henry Mason
Choreographie: Francesc Abà³s
Musikalische Leitung und Korrepetition: Gerald Schuller und Hannes Drobetz
Bühnenbild: Michaela Mandel
Kostüme: Jan Hax Halama
Licht: Frank Sobotta
Dramaturgie: Marlene Schneider
Assistenz und Inspizienz: Eva Maria Gsöllpointner
Hospitanz: Laura Söllner