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Archiv - 2010

Friedrich Kurz mit Marcus Mockler: Der Musical-Mann

Es ist eine Art Entzauberung, die man beim Lesen des Buches »Der Musical-Mann«, der Autobiografie von Friedrich Kurz, erfährt. Vor dem Lesen ist das Image des Musical-Machers intakt, die Zeit hat ihren gnädigen Mantel über Niederlagen wie den Broadway-Flop »Carrie« gebreitet. Was zählt: Er brachte »Cats«, »Starlight Express« und »Das Phantom der Oper« nach Deutschland, machte aus Hamburg eine Musicalmetropole und schrieb mit dem Stella-Konzern Geschichte. Die Erwartungshaltung an das Buch ist geprägt von der Hoffnung, mehr darüber zu erfahren, wie diese Erfolgsproduktionen Gestalt annahmen.
Nach der Lektüre bietet sich dem Leser ein entzaubertes Bild. Kurz nutzt die Chance auf Öffentlichkeit für platte Selbststilisierung. Musicaldarsteller werden nur erwähnt, wenn man sich in ihrem Glanz spiegeln kann, Regisseure, anderes kreatives Personal meist mit Zusatz eines Possessivpronomens; nicht die »kreative Arbeit« an Musicalproduktionen steht im Vordergrund, der Manager legt vielmehr viel Wert auf die Schilderung seiner Existenz im Jet Set, seiner exklusiven Flüge mit der Concorde und seines Lebens in einem New Yorker Wolkenkratzer, in dem auch Mick Jagger wohnte. Namedropping ist in diesem Buch das Salz in der Suppe – nein, es ist die Suppe. Keine der wenigen erklärenden Fußzeilen betrifft das Musicalgenre, dem Leser wird vielmehr beispielsweise erläutert, was ein »Mach« ist, also die Kennzahl der Geschwindigkeit. Dies ganz genau zu wissen, um die Exklusivität eines Flugs mit der Concorde zu verstehen, schien den Autoren wohl unvermeidbar.
Das vorliegende Druckwerk ist auf der anderen Seite ein erheiterndes Dokument geschickter Geschichtsklitterung. Natürlich »muss« man nicht ausführlich auf die Wiener Stellung im Zuge von Lloyd Webbers Siegeszug im deutschsprachigen Raum eingehen, wenn man als Deutscher »Cats« in Hamburg etabliert hat, aber … die Wiener Produktionen von »Cats« und »Das Phantom der Oper« waren nun mal Jahre vor den deutschen Erstaufführungen als deutschsprachige Uraufführungen in Wien zu sehen. Wenn man völlig losgelöst von Wien agiert haben will, warum erwähnt man Wien nicht einfach gar nicht? Stattdessen nützt Kurz sein Buch als Anlass für ein spätes, niveauloses Intendantenbashing. Die Fehde, die Kurz nach Jahrzehnten mit dieser Autobiografie in Bezug auf Peter Weck wieder aufnimmt, ist aber nur eine von vielen. Fast hat man den Eindruck, als würde der Gescheiterte nach all den Jahren der Demütigung einfach mal gern nachtreten wollen. Es ist ein klein wenig billig, wenn Kurz über Peter Weck anlässlich einer »Bambi«-Verleihung schreibt: »Am nächsten Abend sah ich dann im Fernsehen, wie Andrew den populären Preis entgegennahm. Ausgezeichnet wurde er für »Cats«. Es tat mir ein bisschen weh, dass Peter Weck aus Wien die Trophäe überreichte. Dort lief »Cats« zur selben Zeit wie in Hamburg, allerdings mit staatlicher Hilfe. […] Weck hatte später jedenfalls viel Ärger, als publik wurde, dass »Cats« in Hamburg enorme Gewinne für die Investoren und die Stadt Hamburg einfuhr, während Wien mit dem Stück riesige Verluste machte. Hier wurde nun meiner Ansicht nach einmal öffentlich, wie schlecht organisiert und wenig profitorientiert Teile der Theaterlandschaft im deutschsprachigen Raum sind. Weck war wenig später nicht mehr Intendant. Persönlich getroffen haben wir uns nie, aber er hatte in der Planungsphase von »Cats« unzählige Lügenmärchen über mich verbreitet […].« Das dann doch Ärgerliche und wenig Erheiternde solcher Passagen? Es werden bewusst Tatsachen verdreht, die Autoren gehen großzügig mit dem Zeit-Raum-Gefüge um und einiges ist, mit dem Wissensstand von heute, einfach falsch. »Cats« lief zwar einige Zeit parallel mit Hamburg, aber seine deutschsprachige Uraufführung hatte das Stück drei Jahre vor der deutschen Produktion in Wien. Dass Kurz den »Cats«-Übersetzer der Wiener Version Michael Kunze in diesem Werk mit keinem Wort erwähnt, hat seinen Grund, spricht man doch in der Fachliteratur davon, dass der Impresario sich einfach die Tantiemen von Kunzes Übersetzung sparen wollte und sie daher von einigen Mitarbeitern abkupfern ließ. Dass das subventionierte Theaterwesen in Wien für die Stadt nicht Verluste einbringt, sondern über Umwegrentabilität satte Gewinne, ist heute allgemein bekannt, zählt für Kurz aber natürlich nicht. Dass er für das Theater, in dem »Cats« in Hamburg lief, keine Miete zahlen musste, rechnet er natürlich nicht zum Kapitel »staatliche Subventionen«, kann er auch schlecht, da er ja dagegen gebetsmühlenartig immer und immer wieder wettert. Dass auch Ute Lemper einen Seitenhieb abbekommt, weil sie an dem Abend der oben erwähnten Preisverleihung zufällig »Memory« gesungen hat, spricht Bände. Kurz: »Ute Lemper […] war als 19-jähriges Talent für das Musical in Wien entdeckt worden. Später klagte sie, was für ein unmenschliches System das gewesen sei. Sie habe unglaublich hart arbeiten müssen – achtmal in der Woche auf der Bühne stehen, singen und tanzen. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.« Dass das Buch stilistisch mehr einer Fortsetzungsreportage für die »Bunte« oder »Das Echo der Frau« ähnelt als einer wohl überlegten und ausformulierten Buchpublikation, Schwamm drüber. Nicht umsonst steht Marcus Mockler als »Mitautor« am Cover des Buches. Schön wäre es gewesen, nicht von all dem Selbstmitleid zu lesen, das Kurz schildert, weil Robert Redford ihm seine Freundin ausgespannt hat – während er gleichzeitig eingestehen muss, selbst fremdgegangen zu sein. Wenn ihm dann schließlich in einem ausführlichen Kapitel Gott in einem Hotelzimmer leibhaftig begegnet – dann spätestens ist es zumindest für mich vorbei mit dem Versuch, verstehen zu wollen.
Fazit: Wir erfahren in diesem Buch letztendlich über die Musicals, die Friedrich Kurz nach Deutschland brachte, nicht mehr, als aus alten Zeitungsberichten und Interviews bereits bekannt war, wir erfahren nichts Konkretes über den »Verkauf« von »Stella«, keine Details. Der Schlusssatz des Buches: »Ewiger Schöpfer, erleuchte die Welt.« Es soll der Schlusschorus eines Musicals sein, das Friedrich Kurz in einigen Jahren in Deutschland zur Aufführung bringen will: »Michelangelo«. Man kann nur hoffen, dass »Der Musical-Mann« als Promotionmaschine dafür keine Fehlzündung war. Amen!

Friedrich Kurz mit Marcus Mockler: Der Musical-Mann. Er brachte Cats, Starlight Express und Das Phantom der Oper nach Deutschland – Ein steiler Aufstieg, ein tiefer Fall und eine Begegnung mit Gott, die alles veränderte. Gerth Medien, Asslar 2010. 224 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-86591-405-7. EUR 14,95

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