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9Q - Caspar Richter: “Musical ist ALLES” [2011]

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Am 27. Juni 2010 verabschiedete sich Caspar Richter, der Musikalische Direktor der Vereinigten Bühnen Wien, mit dem Konzert “Musical Forever 2″ im Etablissement Ronacher von seinem Publikum.
Richter und das Orchester der VBW, das war über viele Jahre eine Erfolgsgeschichte. Über 20 Jahre hat der Künstler Uraufführungen für Wien erarbeitet, neue Konzepte entwickelt und dafür gesorgt, dass das Orchester auch außerhalb der Theater der VBW ein Standing erreichte, auf das das Haus stolz sein konnte.

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Mit “Musical Forever 2″ demonstrierte Caspar Richter unter anderem noch ein Mal eindrucksvoll und mit Nachdruck, was er unter dem Begriff Musical versteht.
Seit dem 26. April 2011 ist ein Mitschnitt von Teilen des Konzerts als CD im Handel erhältlich. Anlässlich dieser CD-Neuerscheinung von MG-Sound im Folgenden 9 Fragen an Caspar Richter zum Zustand des Musicals in diesem Lande, zu Details, aber wichtigen Details, des Musicalgenres … und zur Zukunft des neuen Musik- und Opernchefs von Brno.

Martin Bruny: Lieber Herr Richter, wir haben anlässlich der Pressekonferenz von “Rebecca” im Dezember 2005 über Ihre Pläne gesprochen, die Sie mit dem Orchester der Vereinigten Bühnen Wien verwirklichen wollten. Vorgeschwebt sind Ihnen konzertante Produktionen etwa von “The Secret Garden”, “Carousel”, “Funny Girl” oder “Gypsy”.
Nach der “Bernstein”-Konzertserie 2006 im Raimund Theater, die nicht ganz ausverkauft war, konnte von diesen Planungen nichts verwirklicht werden.
Hat Sie das getroffen? Hat diese Entwicklung Ihren Abschied 2010 von den VBW erleichtert? Wären Sie, um mit den Gerüchten aufzuräumen, jetzt noch bei den VBW, wenn Sie Ihre Wunschprojekte verwirklichen hätten dürfen? Woran ist das alles letztlich gescheitert?

Caspar Richter: Daß die Bernstein Konzerte nicht alle ausverkauft waren, spricht nicht gegen diese Idee, Bernstein dem Vergessen zu entreißen, es spricht nur gegen viele Teile des Publikums, sich nicht sehr für gute Musicalmusik zu interessieren. Außerdem, zwei Konzerte hätten genügt, und bei entsprechender Werbung wäre man auch auf großes Interesse gestoßen.
Mein Abgang hat aber damit nichts zu tun. Für mich stand fest, daß 2010 der Schluß meiner Beschäftigung mit dem Musical sein wird. Ich wollte meine Tätigkeit wieder auf die klassische Musik, sprich Oper und Konzert, konzentrieren. Ich hätte mir natürlich gewünscht, auch ab und zu Revivals klassischer Musicals zu machen, wie das ja auch sehr erfolgreich am Broadway geschieht. Aber dafür hat man hier leider keinen Sinn. Die Stückeentwicklung hierin vor allem in Mitteleuropa ist sowieso mehr als fragwürdig.

Martin Bruny: Im Booklet zur CD “Musical Forever 2″ schreiben Sie vom “Mangel an guten, gehaltvollen Musicals”. Beschreiben Sie doch bitte, wie Sie den Musicalmarkt in Österreich sehen und was Sie gerne ändern würden. Gab es eine Musicalproduktion der VBW, bei der Sie am liebsten mit Arbeitsverweigerung gedroht hätten oder auch gedroht haben.

Caspar Richter: Man hat es versäumt, rechtzeitig neue Autoren und Komponisten zu fördern, in Workshops etc. Das ist einfach abgelehnt worden, und nun ist fast nichts Gutes nachgewachsen. Ideen dafür hätte ich genügend gehabt. Eine Produktion, der ich mich am liebsten verweigert hätte, gab es eigentlich nicht wirklich, bei “Freudiana” war nur die Umsetzung eines tollen Stücks noch nicht entwickelt und nicht gut genug. Auch “Wake Up” hätte ein gutes, krasses Musical werden können, wenn man einen richtigen Regisseur gehabt hätte. Da gab es einige Fehlentscheidungen.

Martin Bruny: Peter Weck meint in seiner Autobiographie “War’s das?”, dass man ihm den Erfolg von “Cats” künstlich und mit Absicht durch zwei Opernpremieren verkürzt habe. Eine davon: Gottfried von Einems Oper “Tulifant”, die Sie im Booklet der CD “Musical Forever 2″ erwähnen. Wie sehen Sie das Ende von “Cats” - war es ein “erzwungenes”, wie Weck es formuliert: “Damit wurde unsere Erfolgsproduktion “Cats” regelrecht abgewürgt.”?

Caspar Richter: Ich fand das Ende von “Cats” sehr notwendig. Es ist doch nervig und geistiger Stillstand, wenn man 7 Jahre immer dasselbe macht!!!

Martin Bruny: Der Einsatz von klassisch ausgebildeten Stimmen, oder sagen wir gleich, Opernsängern und Opernsängerinnen, in einem Musical wie “Les Misà©rables”. Ist das für Sie legitim, logisch? Ist die Mischung von Opernsängern und “Musicalsängern” in “Les Mis” optimal? Was wäre zu beachten?

Caspar Richter: Es gibt viele Musicals, wo man klassische Stimmen braucht - bei “Les Misà©rables”: Cosette, einen lyrischen Sopran, bei Javert einen finsteren Bariton, bei Enjolras einen jungen Heldentenor etc. Bei “Phantom” kann man eigentlich alles mit Opernstimmen besetzen. Man braucht nur eine große Persönlichkeit als Phantom. Ich habe das schon mit Ramon Vargas gemacht und Jerry Hadley etc. Die Männerstimmen sind eh eher klassischer Natur. Manchmal ist eine tolle Mischung von Klassik und Pop wichtig wie bei “Jekyll & Hyde”.

Martin Bruny: 2005 meinten Sie in einem Interview mit der “Bühne”: “Ich komme ja ursprünglich von der Klassik. Und mein Ehrgeiz war es, die Professionalität und Qualität des Klassik-Bereichs ins Musical zu transportieren. Das haben wir alle zusammen realisiert, denn ein Musical kann man nicht mit fünf Musikern spielen.”
Nun läuft “Cats” derzeit als deutsche Tourneeproduktion und wird 2012 auch in Wien Station machen. Im “Orchester”: laut neuestem Stand angeblich schon bald nur mehr 6 Musiker. Macht das noch Sinn?

Caspar Richter: Wie gesagt, so wie auch die Stücke immer schlechter und unkünstlerischer werden, so schlecht wird auch das Orchester als unwichtig und verzichtbar behandelt. Die Klangfarbe eines Orchesters und der ausgewogene Orchestersound sind wichtig, immer weniger Streicher, eine Katastrophe. 6 Musiker bei Cats ist absolut unakzeptabel und äußert dumm und zerstörerisch, gemacht von Managern, die keine Ahnung von Musik haben. So wird die Kunstform Musical langsam zerstört.

Martin Bruny: Neue Musicals scheinen Mangelware zu sein in Wien derzeit, wir sind zum Käufer bundesdeutscher Ware geworden. Welche Komponisten, Texter der jüngeren Generation würden Sie für so spannend und kreativ einschätzen, dass man Sie mit der Erarbeitung eines Musicals beauftragen sollte. Welche Stoffe, Themen würden Sie diesbezüglich interessieren?

Caspar Richter: Spannende Texte gibt es genug, man muß nur die große Literatur von Aristophanes bis Thomas Mann “entdecken”, anstatt nur noch Movies nachzuspielen oder uninteressante Komponistencollagen zu verarbeiten. Es gibt wunderbare junge Komponisten sogar in den eigenen Reihen der VBW, habe ich öfters in kleinen Dingen ausprobiert.

Martin Bruny: Roman Polanski sagte anlässlich der “Tanz der Vampire”-Uraufführung: “Der wesentliche Unterschied zwischen Oper und Musical besteht im Publikum. In die Oper gehen prätentiöse Leute, die sich für die höchsten musikalischen Richter halten. Ich teile nicht die Meinung irgendwelcher Puristen, die das Musical verachten. Im Gegenteil: Es ist für ein breites Publikum gemacht, und das Publikum liebt dieses Theater.«
Ist Musical Kunst? Ist das, was derzeit im Raimund Theater läuft, ein Musical? Ist es Kunst?

Caspar Richter: Natürlich ist Musical große Kunst, Rodgers, Gershwin, Bernstein, Sondheim, Styne etc. Schon die “Zauberflöte” war ein interessanter Vorläufer musikalischen Unterhaltungstheaters, die Übergänge sind fließend, auch von der Operette und Oper her kommend. Musical ist ALLES. Das beste Beispiel: “Candide” von Bernstein.

Martin Bruny: Aus dem Leben eines Dirigenten der VBW. Gabs einmal ein lustiges Hoppala, das Sie uns erzählen könnten?

Caspar Richter: Es gab sicherlich viele Hoppalas, wie immer am Theater, aber an ein bestimmtes kann ich mich nun nicht erinnern.

Martin Bruny: Sie sind nun Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Nationaloper Brno. Haben Sie den Bezug zum Musical rein beruflich nun “verloren” oder wollen Sie Projekte in Zukunft auch im Musicalbereich verwirklichen. Wenn ja, welche?

Caspar Richter: Meine neue Aufgabe als Musikchef und Opernchef in Brno füllt mich total aus, mehr als alles vorher. Aber ich habe jetzt schon eine Anfrage, hier die tschechische Erstaufführung von “Jekyll & Hyde” zu machen. Das werde ich auch. Und einzelne Lieblingsideen werde ich auch realisieren.
Aber meine Musicalzeit war wunderbar, ich habe sie geliebt und viel gelernt, auch wieder für die Klassik.

Links
- Caspar Richter: Offizielle Website
- MG-Sound
- Die CD zum Interview: “Musical Forever 2″

7 Kommentare »

  MIC wrote @ Mai 28th, 2011 at 11:18

Oja, da muss ich mich auch anschließen. Man sollte nie und nimmer am Orchester sparen. Bei der diesjährigen JCS-Inszenierung im Ronacher gabs auch große Orchesterbesetzung und eine tolle Soundkulisse.
Zugegeben die Stimmen waren auch genial. Da hat man endlich mal wieder auf Qualität gesetzt. Da zahl ich auch mal gerne etwas mehr für eine Karte…..

  Dominik wrote @ Mai 25th, 2011 at 10:56

@S.Z.
Ich bin da völlig einer Meinung mit dir. :-)

  S.Z. wrote @ Mai 25th, 2011 at 07:30

@ Dominik: geringer besetzt als ein Opernorchester ist ja schön und gut nur wenn ein Opernorchester 50-80 Musiker Aufweist dann kann man finde ich schon ab 28 Musikern aufwärts verlangen! Die VBW haben früher mit bis zu 28 Musikern gespielt, jetzt sind es durchschnittlich 24…
Bei Cats gab es zumindest in Wien Arrangements für 22 Musiker das wäre meiner Meinung nach einen vollen Klang das Mindestmaß! Man könnte jedoch ohne weiteres bei gewissen Stimmen ruhig weitere Musiker dazu setzten, so wie das in der Oper gemacht wird, wo fast jede Stimme Mehrfach besetzt ist!
Für mich einfach unbegreiflich wie man bei Musiktheater am Orchester sparen kann…da würde ich eher den ein oder anderen “Star” der eh nicht mehr die Leistungen bringen kann, NICHT anstellen und mir so auch viel Geld sparen…

  Dominik wrote @ Mai 24th, 2011 at 22:46

Okay, wenn sich die Anzahl noch nachträglich verringert, kann ich das selbstverständlich auch nicht gutheißen. Da bin ich ja glücklich, dass ich noch eine etwas größere Besetzung erleben durfte. Danke für die Info. :-)

  Martin Bruny wrote @ Mai 24th, 2011 at 22:43

Im Pressetext zum derzeit laufenden Teil der Tour ist auch von 10 und nicht von 12 Musikern die Rede. Man wird also sehen, wie viele Musiker es im nächsten Teil der Tour werden.

  Martin Bruny wrote @ Mai 24th, 2011 at 22:30

Es handelt sich dabei um keine Gerüchte. Laut meinen Informationen wird schon demnächst die Zahl der Musiker verringert.

  Dominik wrote @ Mai 24th, 2011 at 22:11

Lieber Herr Bruny,
warum schnappen Sie Gerüchte für ein niveauvolles Interview auf? Bei der aktuellen “Cats”-Tournee spielen 12 und nicht 6 Musiker im Orchester. Okay, auch 12 Musiker sind nicht viel. Doch waren Musicalorchester meistens geringer besetzt als große Opernorchester. Ich habe die aktuelle Tour in Hamburg und Hannover gesehen und kann Ihnen aus bestem Gewissen versichern, dass am Ende nicht nur 6 Musiker zum Schlussapplaus auf die Bühne kamen.

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