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Andino: “Tollplatz” spielt “Trotz aller Therapie” - Thomas Smolej inszeniert

Wiens Off-Theater-Szene lebt. In der jüngsten Ausgabe des Wochenmagazins “Profil” wird Wien als eine im Theatergründungsrausch befindliche Metropole skizziert. Den Herbst des “großen Theateraufsperrens” nannte es der “Falter”. Und tatsächlich tut sich einiges im Off-Theater-Segment. Im Oktober 2009 eröffnete in Meidlung das Kulturzentrum Palais Kabelwerk, seit ein paar Tagen hat der Nestroyhof im 2. Bezirk seinen Spielbetrieb aufgenommen, und das Odeon, ebenfalls im 2. Bezirk, fährt ab sofort zwei neue Veranstaltungsschienen: “Odeon.Tanz” und “Odeon.Musik”. Aber das ist noch nicht alles. Simpl-Chef Albert Schmidleitner startete unlängst im bankrottierten Vindobona eine Comedy-Spielstätte, und am Wiener Petersplatz weicht das traditionsreiche Ensembletheater einem Theaterversuch, Garage X Theater Petersplatz genannt.

Wer derzeit spannendes Theater in der Bundeshauptstadt erleben will, kommt an der “Off-Theater-Szene” nicht vorbei, zum Beispiel an der Show “A Christmas Carol” - seit 25 Jahren eine liebenswerte und mit Hingebung gespielte Weihnachtsproduktion des International Theatre Vienna, 2009 neu inszeniert von Eric Lomas.

Zu der spannenden Off-Theater-Szene gehören natürlich auch all die Freien Gruppen, die eine Idee zur Formation eint und die sich dann für konkrete Projekte geeignete Spielstätten suchen. Wie zum Beispiel die Gruppe “Tollplatz”, die unlängst in Wien Christopher Durangs Komödienschlachtross “Trotz aller Therapie” zur Aufführung brachte.

Der amerikanische Autor und Schauspieler Christopher Durang hatte vor allem in den 1980er-Jahren mit seinen Bühnenstücken großen Erfolg. “Trotz aller Therapie” (”Beyond Therapy”) ist ein solches Kind der 80er. 1981 ging es Off-Broadway an den Start, mit Stephen Collins, Sigourney Weaver, Jim Borelli, Kate McGregor-Stewart, Jack Gilpin, Conan McCarthy und Nick Stannard in den Hauptrollen, 1982 feierte es am Broadway im Brooks Atkinson Theatre Premiere, und auch da mit einer Star-Cast: John Lithgow, Dianne Wiest, Peter Michael Goetz, Kate McGregor-Stewart, Jack Gilpin und David (Hyde) Pierce. Seit diesem Zeitpunkt ist das Stück aus den Spielplänen der Theater weltweit eigentlich nicht mehr wegzudenken. Natürlich war es auch bereits in Wien zu sehen, beispielsweise 1990 in den Wiener Kammerspielen in der Regie von Erwin Steinhauer mit Nicolin Kunz, Marion Degler, Gideon Singer, Andrà© Pohl und Friedrich Schwardtmann.

Auch im Kino landete Durangs Bühnenhit: “Trotz aller Therapie” wurde 1986 von Robert Altman mit Glenda Jackson, Tom Conti und Jeff Goldblum in den Hauptrollen verfilmt.

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Im kleinen Wiener Andino ging im November 2009 eine Spielserie dieses Bühnenulks, gespielt von der der Aktionsgruppe “Tollplatz” unter der Regie von Thomas Smolej über die Bühne. Und während diese Zeilen hier als eine Art Nach-Ruf online gehen, sind die Schauspieler längst über alle Berge, aufgebrochen zu einer abenteuerlichen Reise nach Peru, Bolivien, Chile, Argentinien - anders formuliert: sie sind auf einer Südamerika-Tour, dessen Ziele das Reisen und die Erfahrungen im Zuge des Reisens an sich sind - und “Tollplatz” wird auf dieser Tour Theater spielen. “Trotz aller Therapie” beispielswesie ist als Version für Theater und Cafà©s, aber auch für die Straße und öffentliche Plätze angedacht. Wer am Laufenden bleiben möchte, was die “Tollplatz”-Abenteuer betrifft, findet –> hier immer aktuelle Berichte.

Worum gehts in “Trotz aller Therapie”?

Bei einem Blind Date in einem Restaurant treffen die Journalistin Prudence und der bisexuelle Anwalt Bruce das erste Mal aufeinander. Über eine Kontaktanzeige von Bruce haben sich die beiden kennengelernt, hinter dieser Art der Kontaktaufnahme stecken die Therapeuten der beiden, zwei Menschen, die sich selbst äußerst hilflos und therapiebedürftig anstellen. Stuart, der Therapeut von Prudence, entpuppt sich als eifersüchtiger, sexbesessener Macho-Lustmolch, Charlotte, die Therapeutin von Bruce, als vergessliche, umtriebige Psycho-Nudel, die ihre Patienten anbellt, mit Kuscheltieren herumläuft und ihren Frust gerne ganz laut rausschreit. Bruce, der Anwalt, ist bisexuell und lebt in einer Beziehung mit Bob, der Tunte. Gemeinsam mit seiner Mutter torpediert Bob alle Versuche von Bruce, seine bisexuellen Neigungen auszuleben. Eines eint alle: Sie sind auf der Suche. Nach echter Liebe, ihrem Ich, ihrer Libido. Die Grenzen zwischen Therapeut und Patient sind kaum wahrzunehmen. Irr sind sie defnitiv alle, und liebenswert.

Die “Andino”-Version von “Trotz aller Therapie” erweist sich als Volltreffer, in vielerlei Hinsicht. So macht es beispielsweise großen Spaß, zu beobachten, wie eine Laiengruppe (vier der fünf Schauspieler haben keine Schauspielausbildung) mit dieser lustbetonten, geilen Screwballcomedy umzugehen versteht. Sehr geschickt hat Regisseur Thomas Smolej es verstanden, Timing zur Maxime der Aufführung zu machen. Kein Problem, wenn der Stoff und die Dialoge oft einen Bogen zum Klischee ziehen, solange dann der Schauspieler die Pointe einputtet. Bei einem Stück, das so körperbetont und lustbetont ist, gab es viel zu tun, um Authentizität auf die Bühne zu bringen. Manche der Schauspieler von “Tollplatz” sind für die Bühne gemacht, manch einer vielleicht weniger, ein Mitglied der Gruppe ist professionell ausgebildete Schauspielerin (Lydia Nassall). Sie spielt Charlotte, die hemmungslose Psychotherapeutin, die, man glaubt es kaum, gar nicht mal so übertrieben wirkt, innerhalb des völlig surrealen Charakters, der ihr vom Autor gegeben wurde. Da könnte man sogar noch einen Tick mehr rausholen aus dieser Figur. Da ist manchmal noch gespielte Hemmungslosigkeit zu sehen statt hemmungsloser Hemmungslosigkeit, total vertrottelte Blödheit können halt die großen Komiker am besten auf einer Bühne zum Leben bringen, mit aller Körperlichkeit, perfekter Gestik und Mimik. Überbordend und doch kontrolliert. Aber genau der Versuch, diese Körperlichkeit mit den Schauspielern umzusetzen, ist das große Plus dieser Inszenierung. So wie bei “Tollplatz” die Reise durch Südamerika das Ziel ist, muss bei der Erarbeitung des Bühnenstücks auch die Arbeit an der Umsetzung für die Schauspieler eine wichtige Erfahrung gewesen sein. Man sieht stets die Intention der Regie, man erkennt, was gemeint ist, und bei gelungenen Szenen ist die Umsetzung tatsächlich ein herrlicher Spaß. Es ist ein Unterschied, ob sich zwei Leute ein Glas Wasser ins Gesicht kippen, weil es im Skript steht, oder ob sie es “wirklich” tun. Es ist ein Unterschied, zu wissen, hoppla, ich werde gleich nass, oder ob man mitten in der Rolle ist und diese Aktion lebt. Schauspiellaien Natürlichkeit in “tagtäglichen” Verhaltensweisen auf der Bühne “beizubringen”, eine unkapriziöse, ehrliche Art bei Umarmungen und vielen anderen Details, ist schwer. Da muss man sich nur mal eine Musicalaufführung in Baden ansehen, wo eines immer zu beobachten ist: Wenn einer mit völlig ausdruckslosem Gesicht ohne alle Körperspannung auf die Bühne schlurft, ist es ein Statist - um das zu sehen, muss er noch gar nicht richtig die Bühne betreten haben. Und es ist ausschließlich in diesem Fall Aufgabe der Regie, das zu vermeiden. Manchmal gelingt es, so wie bei “Trotz aller Therapie” in der Mehrzahl der Szenen, manchmal sieht man die Anstrengungen und kann verstehen, dass es schwer war.

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“Trotz aller Therapie” wird auf amerikanischen Bühnen meist auf Wunsch des Autors in einer explizit auf die 80er Jahre verweisenden Fassung gegeben, mit einer Unzahl an Hinweisen auf typische Produkte, auch multimedialer Art, der Zeit. Für die “Andino”-Fassung hat Thomas Smolej beispielsweise Referenzen in den Musical-Bereich eingebaut. So ist Marika Lichter, das virtuelle Mutterschiff all jener Musicalsehnsüchte, die kaum jemand für möglich hält, auf der Bühne in Form eines Fotos präsent. Sie “spielt” als Abbildung ihrer selbst sozusagen die Schwiegermutter des bisexuellen Bruce, beziehungsweise die Mutter von Bruces Lebensabschnittspartner Bob. Und sie ist auch Mittelpunkt einer der verrücktesten Szenen des Stücks, in der vorexerziert wird, was “break out in a song” tatsächlich meint. Am Telefon singt sie, was wir als Zuschauer nicht hören und nur indirekt erfahren, ein Lied aus “My Fair Lady” und wechselt dann in das Titellied von “The Sound of Music”, was wir auch nicht hören. Was wir sehen und hören, sind Prudence, die Freundin in spe des bisexuellen Bruce, die das erste Mal bei ihrem potentiellen Lover zu Gast ist. Dort trifft sie auf Bob, Bruces tatsächlichen Lover, der mit allerlei Psychotricks Bruce dazu bringen will, seiner potentiellen Freundin den Gstieß zu geben. In dieser irrwitzigen Szene versuchen Bob und Bobs Mutter (am Telefon) mit hemmungslos outrierten Hysterieanfällen und Eifersuchtsschüben inkl. Suizidscharmützeln Prudence aus der Wohnung zu ekeln - bis, ja bis alle in den Song “The Sound of Music” einstimmen.

Clever gewählt: der Soundtrack zur Show, eine Mischung aus Jazz, Pop und Klassik. Die Einstimmung erfolgt mit Jazz-Tunes, der Moment, in dem Bruce Prudence die Tür öffnet, wird von “Hello sunshine” (gesungen von den Super Furry Animals) untermalt. Das sind schon sehr schöne Ideen, die die Stimmung lenken, Atmosphäre erzeugen.

Angedeutete Stimmungen und halbversteckte Pointen lassen das auf Vollgas gedrehte Lustspiel facettenreich erscheinen. Wenn Bruce, der Bisexuelle, der seinem Freud eben verklickert hat, dass er heiraten möchte - eine Frau -, plötzlich selbst eifersüchtig wird auf Bob, der grad einem Kellner nachgiert, dann hat das schon was. Dass eine solche Szene nicht ins rein Komödiantische abdriftet, sondern im Tragikkomischen sackt, ist wieder auf gelungenes Schauspiel und ebenso gelungene Regie zurückzuführen, wie auch zum Beispiel die hireißenden Momente, in denen Prudence verschämt Handschellen (verziert mit rosa Plüsch aus dem Event-Inventar von Bob) loszuwerden versucht, die sie in Bobs Gemach gefunden hat, und irrtümlich um ihr Handgelenk hat klicken lassen. Geschickt inszeniert, gut gespielt.

“Trotz aller Therapie”, ein Hit im Andino, und vielleicht kommt es ja zu einer Wiederaufnahme nach der Südamerika-Tour von “Tollplatz”.

Trotz aller Theraphie
Team
Regie Thomas Smolej
Produktionsassistentinnen: Carmencita Nader, Miriam Kunodi

Darsteller
Bruce: Philipp Blume
Prudence: Erika Büttner
Charlotte: Lydia Nassall
Stuart: Oliver Gross
Bob: Stephan Werner (in Wien), Johannes Stubenvoll (in SA)

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