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Das kann Musical. »Next to Normal« in Wien

Wer die Kunstform Musical mag und sich für eine zeitgemäße Variante dieses Genres interessiert, wird noch bis 1. Mai im Wiener MuseumsQuartier mit einem Hit bedient. Auf dem Programm steht die mit einem Pulitzerpreis und drei Tony Awards ausgezeichnete Show »Next to Normal«.
Erstmals in Österreich war eine Inszenierung dieses Musicals vor ein paar Jahren in Linz zu sehen. Und es war eine gute Show in Linz. Allerdings nicht mit dem zu vergleichen, was derzeit im MuseumsQuartier geboten wird. Einer der Gründe, warum die in Wien zu sehende Version so gut ist, ist die Besetzung. Linz hat ein Musicalensemble, aus dem heraus Darsteller bisweilen in Rollen gezwängt werden, die sie nicht packen. Ein Musicalensemble hat eben Vor- und Nachteile. Geschenkt. (Regie, Textbearbeitung waren im Vergleich zur in Wien zu sehenden … auch geschenkt.)
Felix Martin, in der Regie von Titus Hoffmann nun in Wien als Dan zu sehen, bietet dagegen in dieser Rolle so viele packend gespielte Momente, wie ich sie ihm nie zugetraut hätte. Er legt so viel Gefühl in seine Songs, dass es einen körperlich geradezu mitnimmt. Wie er mit Dirk Johnston (als Gabe) die Szene »I am the One (Reprise)« spielt, ist allein den Besuch dieser Show wert. Das kann Theater, das kann auch Musical. Wenn Musicaldarsteller spielen und nicht nur von einer Lichtstimmung in die nächste trampeln. Wenn sie von einem fähigen Regisseur geleitet werden. Pia Douwes gestaltet die bipolare Diana Goodman und ihre Wandlung mit einer Intensität und schauspielerischen Momenten, die man etwa in ihrer letzten Rolle in einer VBW-Produktion, »Der Besuch der alten Dame«, nicht feststellen konnte. Man darf nicht sagen, dass Douwes schlecht war als »alte Dame« (aber sie war schlecht). Die Show war grottenschlecht. Was da den Darstellern und Tänzern für Blödsinn abverlangt wurde, wird noch einmal in einer Musicalgeschichte ausführlich zu behandeln sein. Wenn ein Intendant (gleich welcher) die Musicals, die am Haus aufgeführt werden, auch selbst schreibt, frage ich mich: Wer ist die kritische Instanz, die die Qualität prüft. Und jetzt soll mir bitte niemand kommen und antworten: der Geschäftsführer. Wie Douwes in »Next to Normal« etwa die Abschiedsszene von ihrem Mann gestaltet, glaubhaft, der Tonfall, ganz stark.
Der Zuschauer wird übrigens auch nicht mit Choreografien bis aufs Blut gequält wie etwa beim »Besuch der alten Dame«. – Ich komm nicht los von der »Dame« … diese Show bereitet mir nach wie vor manch schlaflose Nacht, wenn ich mir überlege, wie ein Intendant es zulassen konnte, derartigen Nonsens Theaterwirklichkeit werden zu lassen. Eine derartige Regie. Darsteller mit eigenartigen Vorstellungen vom Beruf des Schauspielers. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ein Ensemblemitglied von »Der Besuch der alten Dame« bei einem Auftritt bei einer Gala auf seine Art geradezu vorexerziert hat, welche Vorstellungen von Schauspiel er hat. Gerade eben sitzt er mit seinen Kollegen noch gemütlich tratschend auf einer Couch. Nun ist er an der Reihe, ein Lied zu performen. Er stellt sein Sektglas aufs Tischchen, geht nach vor an den Bühnenrand, hockerlt sich auf den Boden – und flennt los. Vom Aperol Sprizz zum Abheulen in zwei Sekunden. Eher Pawlow denn Stanislawski.
Die Choreografien in »Next to Normal« passen. Sie sind enorm wirkungsvoll, elegant, etwa wenn Dirk Johnston sich in einer der letzten Szenen das Bühnenkonstrukt hinunter wieder in die Wirklichkeit seiner Eltern schwingt und zwingt. Gänsehautmomente.
Der Sound könnte knackiger sein. Lauter. Rockshow und so, aber die Band gibt Stoff, und gegen die Gegebenheiten einer Halle kann man nicht immer an. Immer noch besser als der Sound im Ronacher, wo man oft in einem muffigen Soundgatsch frustriert nur mehr an eines denkt: Nie mehr geb ich so viel Geld für so was aus.
»Next to Normal« ist das beste Musical, das derzeit in Wien läuft. Wer das verpasst, ist selbst schuld.

Infos gibt es –> hier.