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Das “Vorhangverbot” am Wiener Burgtheater

Wir schreiben das Jahr 1983. Unterrichtsminister Helmut Zilk beschäftigt sich mit dem Wiener Burgtheater. Auf seiner Agenda steht das sogenannte “Vorhangverbot”, ein “Verbot”, das zum damaligen Zeitpunkt bereits 200 Jahre lang seine Gültigkeit besaß.

1778 erließ Joseph II. ein Statut über das “Verhalten der Mitglieder” des in eben jener Zeit gerade zum Nationaltheater erhobenen Wiener Burgtheaters, mit dem Inhalt …

… daß keiner der Mitglieder, wenn ihm Beifall gespendet wird, während des Actes oder nach demselben noch einmal erscheinen dürfe, um sich zu bedanken, weil dadurch der Eindruck der darzustellenden Handlung gestört würde …

Vor den Vorhang zur Verbeugung durften nur Gäste und Debütanten (bei ihren ersten drei Rollen), nicht aber die Ensemblemitglieder.

Den Schauspielern war das teilweise durchaus recht. Werner Kraus etwa meinte:

Dieses Hausgesetz mit Nicht-verbeugen-Müssen oder –Dürfen, das fand ich so himmlisch, weil es schändlich ist und die größte Prostitution für einen ernsten Schauspieler, wenn er zum Beispiel als toter König Lear aufstehen und sich verbeugen muß. Das fand ich nach wie vor schrecklich, obwohl es natürlich Schauspieler innerhalb des Theaters gibt, die gern das Hausgesetz aufgehoben hätten. Aber das wäre ein Untergang, denn da käme dann die Claque wie in der Oper.

Um 1800 war Applaus als solcher umstritten. So kann man im “Theater-Kalender” von 1792 nachlesen:

Es ist wahr: das Klatschen hat die Menge der Schauspieler hervorgetrommelt, das Klatschen hat die Unternehmer in Schulden gebracht, das Klatschen hat die Schauspieler verdorben und aus manchem bescheidnen Gliede, welches, in Mißtrauen auf sein Talent, fleißig gearbeitet hat, einen unbesonnenen Verschwender und Prinzipalenplage gemacht, das Klatschen hat zu Ausschweifungen veranlaßt, das Klatschen hat alle Theaterintriken verursacht, das Klatschen hat alle Sitten verdorben und das Theater herabgebracht.

Mehr zur Geschichte des Beifalls hat Alexander Lechner in seiner Diplomarbeit “Applaus. Publikumskundgebungen vom Affekt zur Konvention. Fragmentarische theaterhistorische Untersuchung des Beifalls” zusammengetragen. [Download]

1 Kommentar »

  Nina wrote @ Juni 2nd, 2011 at 21:16

Diesbezüglich muss ich an mein sehr irritierendes Erlebnis in Budapest denken, als ich mir die dortige (sehr gute) Phantom-Inszenierung ansah. Die Ungarn (so versicherte mir eine ebenfalls anwesende Einheimische) klatschen anders als wir - also generell, nicht nur bei jener bewussten Aufführung. Das gesamte Publikum beginnt einstimmig und sehr langsam zu applaudieren, steigert sich dann immer mehr und immer schneller, um am Höhepunkt wieder geschlossen langsam zu werden. Es ist also kein wildes Durcheinandergeklatsche wie bei uns, sondern hat etwas sehr Militärisches an sich.
So irrelevant das sein mag, ich fühlte mich dadurch unbefriedigt. Für mich war das zu wenig emotional, es klang gar bedrohlich. Man soll nicht glauben, wie etwas scheinbar Irrelevantes wie Applaus einem die Stimmung beeinträchtigen kann. Und ich frage mich, wie es einem Ungarn umgekehrt gehen mag, wenn er erstmals mit unserem ungezügelten Klatschen, Pfeifen und Bravo-Rufen konfrontiert wird.

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