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Dennis Russell Davies, Thomas Königstorfer, Rainer Mennicken (Hg.): Am Volksgarten 1 – Musiktheater im Aufbruch

Mit einem gigantischen Werbeaufwand wurde im April 2013 das neue Linzer Musiktheater der Öffentlichkeit präsentiert, die ersten Premieren gingen über die Bühne. 30 Jahre hat es gedauert, bis dieses Bauvorhaben, das eine Entflechtung von Schauspiel und Musiktheater am Landestheater durch einen Neubau ermöglicht, verwirklicht werden konnte. Allein dieser Zeitraum deutet an, dass es eine Vielzahl an Problemen gab, bis hin zu einer Volksabstimmung, in der sich 60 Prozent der Linzer gegen den Neubau ausgesprochen haben. Der Theaterbau – ein Politikum.
Ein Tdil der Promotionarbeit im Zuge der Eröffnung des Theaters ist das im Pustet Verlag erschienene Buch »Am Volksgarten 1 – Musiktheater im Aufbruch«, herausgegeben von Dennis Russell Davies (Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz), Thomas Königstorfer (Vorstandsdirektor der Theater und Orchester GmbH sowie der Musiktheater GmbH; er zeichnet für den Neubau des Linzer Musiktheaters verantwortlich) und Rainer Mennicken (Intendant des Landestheaters Linz). Mit dieser reich illustrierten und wertig produzierten Publikation wurde ein Spagat zwischen Werbeschrift, Informationsbroschüre und Sachbuch versucht.
Man findet in dem Werk auf der einen Seite etwa ein Interview mit Josef Pühringer, dem Landeshauptmann von Oberösterreich (ÖVP), der sich massiv für das Projekt stark gemacht hat, andererseits erzählt, in einem der interessantesten Beiträge, die Literaturkritikerin Elke Heidenreich von der »Tür ins Offene – Oper für Kinder« – ihren ersten Erfahrungen mit dem Operngenre: »Wie hätte ich wissen sollen, was Oper ist? Ich hatte eine Ahnung, denn bei uns zuhause lief das Radio immer dann besonders laut, wenn Opern gespielt wurden, und meine Mutter, sonst eher hart und verschlossen, taute auf, sang und dirigierte mit und strahlte mich an. Ich bekam einen ersten Eindruck davon, was Musik mit Menschen machen kann: Sie erreicht unser Herz.« Heidenreich berichtet von den Anstrengungen u. a. der Kölner Oper, mit Hilfe der Kinderoper junge Menschen für Musik zu begeistern. Und auch in Linz wird die Kinderoper einen wichtigen Stellenwert haben. Wie auch das Musical. Sieht man sich die neuen Produktionen der kommenden Saison im Bereich Musical an – »The Wiz«, »Babytalk«, »Next to Normal« und »Show Boat« –, kann man durchaus von einem spannenden Mix sprechen.
»Perspektiven des Musicals« hat Theaterwissenschaftler, Kulturmanager und Autor Wolfgang Jansen seinen Beitrag betitelt. Interessant ist die Art und Weise, wie Jansen das Musicalgenre einordnet, nämlich als Nachfolger der Operette, was die Popularität betrifft: »Nach der Jahrhundertwende galt die Operette als das beliebteste Genre innerhalb der darstellenden Künste überhaupt. Ihre Inszenierungen erwiesen sich für Jahrzehnte als Garant für volle Häuser. Erst nach 1945, nach dem Ende der Operette als Gattung, verloren die Produktionen an Zug- und Bindekraft. Lange war unklar, was an ihre Stelle treten könnte. Erst im Musicalboom der 1980er-Jahre verflog die Ungewissheit: Das Musical ist die Zukunft des populären Musiktheaters. Folgerichtig etabliert das Landestheater Linz (…) jetzt das Musical als feste, eigenständige Sparte im Spielplan. Im Kanon der Gattungen und des Spielplanangebots bekommt es jene Position zugeschoben, die einst die Operette besaß. Der große Zuspruch, den das Musical seit nun mehr als zwei Jahrzehnten erfährt, rechtfertigt diesen Schritt hinlänglich. Trotzdem brauchte es eine Portion Mut: In Österreich ist die Einführung der Musicalsparte ein Novum.« Darüber kann man freilich diskutieren. Man könnte hinterfragen, ob die Operette nicht bereits 1938 tot war und nicht erst mit dem Ende der Nationalsozialisten. Auch wird der Musicalboom der 1980er Jahre nach wie vor überschätzt; zumindest in Wien setzte der »Boom« in der Zeit Rolf Kutscheras am Theater an der Wien ein; ob das Musicalgenre tatsächlich erfolgreich sein wird am Linzer Musiktheater, wird man wohl abwarten müssen, die Operette ist nach wie vor vertreten und könnte jederzeit wieder »übernehmen« – und eine eigene Musicalsparte haben auch in Österreich durchaus andere Theater. Wenn man von einem mutigen Schritt sprechen will, ist es wohl vor allem der Entschluss, mit einem eigenen Musicalensemble anzutreten. Das betont auch Jansen und schildert die Vorteile einer solchen Ensemblebildung – etwa als Chance für das Publikum, die Darsteller in ihrer Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg kennenlernen zu können. Freilich gab es eine Ensemblebildung auch bereits am Theater an der Wien unter Kutschera, allerdings eben nicht in einem durchgängigen Mehrspartenbetrieb. Etwas sehr optimistisch wird Jansen am Ende seiner Ausführungen, wenn er schreibt: »Vielmehr gehört es zu den vornehmsten Aufgaben eines öffentlichen Mehrspartenhauses, wenn es bei der Stückauswahl den Kulturauftrag im Auge behält, d. h. auch bei der Aufstellung des Musicalrepertoires das Publikum immer wieder zur Beschäftigung mit sperrigen Themen auffordert.« Das freilich sollte zur Aufgabe jedes hochsubventionieren Musicalbetriebs gehören, nur gemacht wird es nicht immer.
22 Beiträge, 25 Autoren – ein interessantes Buch, in dem man in Wort und Bild in die Planungs- und Baugeschichte des Linzer Musiktheaters eingeführt wird und mit Hilfe der Vielzahl an Illustrationen auch einen guten Einblick in die Architektur des Hauses bekommt. Praktisch jeder Aspekt wird behandelt – bis hin zum kulinarischen. Toni Mörwalds Erkenntnis: »Das klassische Repertoire muss ebenso gepflegt werden, wie neue Wege gegangen werden sollen. Es wäre doch Unsinn, Beuschel, Wiener Schnitzel und Linzer Torte aus dem kulinarischen Repertoire zu streichen oder Beethovens Neunte nicht mehr zur Aufführung zu bringen, nur weil das eine uninspiriert klingt und die Symphonie schon oft gespielt wurde bzw. als Klingelton für Handys angeboten wird.«

Dennis Russell Davies, Thomas Königstorfer, Rainer Mennicken (Hg.): Am Volksgarten 1 – Musiktheater im Aufbruch. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2013. 176 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-7025-0711-4. 29 Euro. [www.pustet.at]

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