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dieTheater präsentiert Peter Kerns “Liebesgesänge”: Wenn der Schmerz zur Lust wird

Künstlerhaus Theater  (Foto: Martin Bruny)

Am 29. August 2006 ging im Wiener Künstlerhaus die Premiere von Peter Kerns neuestem Theaterstück “Liebesgesänge 1-2″ über die Bühne. In den Hauptrollen: Oliver Rosskopf (Java, ein Mörder), Andreas Bieber (Lucien, ein Sexualverbrecher), Miriam Goldschmidt (Altstar), Heinrich Herki (Aufseher/Ehemann) und Günter Bubbik (Coco/Beppo).

Liebesgesänge-Plakat  (Foto: Martin Bruny)

“Liebesgesänge 1″ ist ein zirka 15 Minuten kurzes Stück, frei nach Motiven des einzigen Kurzfilms von Jean Genet “Un chant d’amour”, geschrieben von Peter Kern, das gänzlich ohne Worte auskommt, nur aus Geräuschen, Percussion, Gesten, Körperflüssigkeiten, grellem Licht, Sirenen, Sex und Gewalt besteht. Den “Sound” erzeugen zwei Musiker (Toomas Täht: Schlagzeug; Miroslav Mirosavljev: Gitarre), die hoch oben in der Szenerie sitzen. Gespielt wird auf engstem Raum. In einer Gefängniszelle eingesperrt sehen wir drei Männer. Alle drei werden vom Gefängniswärter auf verschiedenste Weise missbraucht, gedemütigt, geschändet; einer der Gefangenen, er kann dem Gefängniswärter nicht mehr sexuell dienlich sein, da er völlig weggetreten die meiste Zeit nur mehr zuckend am Boden vor sich hin röchelt, wird von seinem Peiniger erschossen. Wir steigen mitten in einen typischen Tag der Gefangenen ein, die sich zwar nicht abgefunden haben mit ihrem Schicksal, aber teilweise schon so abgestumpft sind, dass sie die vom Gefängniswärter gewünschten Opferhaltungen, sexuellen Gesten bis hin zu gutturalen Lauten automatisch ausführen beziehungsweise sich an den Qualen, die ihre Mitgefangenen erleiden, aufgeilen. Die Szenerie ist brutal, die Geräusche unangenehm, die Handlung hart und sehr realistisch gespielt, wobei dennoch gewisse Grenzen nicht überschritten werden, freilich wird bei weitem ein realistischeres und sexuell expliziteres Szenario gespielt, als dies etwa an den staatlichen Bühnen normalerweise der Fall ist. Andererseits bewegt sich die Inszenierung im Rahmen des bereits auf Bühnen Stattgefundenen.

Liebesgesänge  (Foto: Martin Bruny)

“Liebesgesänge 1″ endet unwirklich. Der von Andreas Bieber verkörperte Gefangene stößt die Gefängnismauern um, aus der engen Gefängniszelle wird eine Art Strandlandschaft, man hört ein viel angenehmeres Geräusch: Meereswellen. Die Entspannung nach 15 Minuten purer Qual ist körperlich spürbar und perfekt in Szene gesetzt. Andreas Bieber singt das Lied “Die großen weiten Vögel” (Text: Ingrid Caven, Musik: Peer Raben, bearbeitet von M.Mirosavljev). Nahtlos geht es über in “Liebesgesänge 2″. Was sich dann abspielt, wird auf der “dieTheater”-Seite wie folgt beschrieben:

In einem Wiener Beisl sitzt ein berühmter alter Filmstar, umgeben von einem Haufen Zeitungsausschnitten und gesammeltem Abfall des Alltags. Hier liegt ihre Seele, gesammelt und aufbewahrt, verstaubt und getreten. Sie sitzt oft mit ihrem Mann hier und wartet, dass Leute vorbeikommen, die sie erkennen und bewundern, aus vergangenen Tagen. Sie hat in den 60-iger und 70-iger Jahren Hauptrollen in über 60 Filmen gespielt. Heute wurde der Wirt zu Grabe getragen und die Stimmung der beiden ist getrübt. Selbst der Kellner ist heute zu Hause geblieben; niemand da, der bedient. Ihr Ehemann zapft sich das Bier selber. Wieder sind es die alten Geschichten, die sie bewegen. Wie geizig der Moser war, dass er lieber auf Reisen gewesen ist, als dass er Texte gelernt hätte.
Zwei junge Männer, Java, ein Mörder, und Lucien, ein Sexualverbrecher, verirren sich in das Lokal, und damit tritt die Gegenwart in das Leben unseres Altstars. Die Lebensgeschichten der Jungen werden geprägt von Lust und Hass, von Flucht und Durst. Niemand ist da, der sie bedient. Der Junge schreit nach dem Ober und der Star bittet doch um mehr Respekt. Ein Generationskonflikt bahnt sich an. Doch der Konflikt hat keine Chance. Denn unser junges Paar stellt keine Fragen mehr. Die Jungen sehen die Gunst der Stunde: ein Beisl ohne Wirt, zwei alte Reiche ohne Glück?
So fangen sie ein Spiel von Schuld und Sühne an. Die Jungen sind die Schuld und die Alten können endlich rächen, was sie solange am Leben gehalten hat. Dabei entdecken die Jungen, dass die Welt aus Dreck und Zeitungsausschnitten besteht und die Alten nur das Werkzeug und die Handlanger der Lügen waren. Die beiden Alten wartend auf Zuneigung und Bewunderung erkennen nicht die Gefahr. Die Jungen lassen die Alten spielen. Jetzt darf der Altstar wieder singen. Irgendwann ersticken die Jungen an dem Dreck, der sie umgibt. Die Alten decken sie mit ihrem Müll, den Geschichten von Ordnung, Recht, Zusammenleben und Lügen zu.

Liebe in allen ihren Facetten, Masochismus, Sadomasochismus, Homosexualität, Voyeurismus, Verzweiflung - Java und Lucien singen gemeinsam (”Scheiss mich zu”; Text: Peter Kern, Musik: M.Mirosavljev, gesungen von Andreas Bieber und Oliver Rosskopf), sie verletzen sich, schlagen sich, geilen sich auf, lieben sich. “Each man kills the thing he loves” singt der Altstar (Text: Oscar Wilde, Musik: Peer Raben, bearbeitet von M.Mirosavljev, gesungen von Miriam Goldschmidt) und stellt damit das Motto des Abends. Lucien, der Masochist, braucht den Schmerz, um sexuelle Erfüllung zu finden (”Ich bin die Hure an der Bar”; Text: M. Enzensberger, Musik: Peer Raben, bearbeitet von M.Mirosavljev, gesungen von Andreas Bieber). Andreas Bieber spielt Lucien mit bemerkenswertem Körpereinsatz und Intensität, Oliver Rosskopf lernt im Laufe des Stückes als dominanter Java seinem Lucien nicht nur die begehrten körperlichen Qualen zu bereiten. Er fordert von Lucien einen Mord als Liebesbeweis, er deckt Luciens Lebenslüge auf, würgt, stranguliert ihn - schneidet ihm bei lebendigem Leib sein Herz aus dem Körper, inszeniert als orgiastischer, verzweifelter Höhepunkt - Java selbst stirbt, vergiftet vom Altstar und ihrem Diener. Übrig bleibt der Altstar, vergeblich nach der längst verlorenen Liebe der Fans gierend.
Peter Kern hat mit “Liebesgesänge 2″ ein packendes Drama geschrieben und inszeniert, mit Zitaten von Edmund White, Jean Genet und Werner Schwab. Er lässt seinen Text um Rassismus und Medienhohn kreiseln, speist diese Themen aber nur als Absurditätsbrocken in die Handlung ein.
Es wäre schön, wenn Andreas Bieber bald wieder die Herausforderung (Sprech-)Theater annehmen würde. Er beweist auch in dieser faszinierenden Rolle, dass er nicht auf die Rolle des Musicalhäschens reduzierbar, sondern ein charismatischer Vollblutschauspieler ist. Oliver Rosskopf wird seinen Weg hoffentlich auch weiter am Wiener Theater finden. Miriam Goldschmidt glänzt verstörend in diesem Schauspiel, das zwar in einem Wiener Kaffeehaus spielt, aber so gar nichts Wienerisches an sich hat - andererseits, so absurd und morbid wie dieses Stück, das ist dann vielleicht doch das Wienerische an Kerns “Liebesgesängen”.

Liebesgesänge  (Foto: Martin Bruny)

Songs:
“Die großen weiten Vögel”
Text: Ingrid Caven, Musik: Peer Raben, bearbeitet von M. Mirosavljev
gesungen von Andreas Bieber

“Scheiss mich zu”
Text: Peter Kern, Musik: M.Mirosavljev, gesungen von Andreas Bieber

“Each man kills the thing he loves”
Text: Oscar Wilde, Musik: Peer Raben, bearbeitet von M. Mirosavljev, gesungen von Miriam Goldschmidt

“Ich bin die Hure an der Bar”
Text: M. Enzensberger, Musik: Peer Raben, bearbeitet von M. Mirosavljev, gesungen von Andreas Bieber

“Gehen sie nicht, sie fallen nur”
Text: Peter Kern, Musik: M. Mirosavljev, gesungen von Günter Bubnik, Miriam Goldschmidt und Toomas Thät

Eine Verein Kulturpolizei i. Gr. - Produktion
Geschäftsführung: Peter Kern
Produktionsdurchführung: Theater Kulturpolizei, im gemeinnützigen Auftrag

Regie: Peter Kern
Regieassistenz: Wilma Calisir
2. Regieassistent: Josef Prenner
Bühnenbild & Kostüm: Peter Baur, Jakob Neulinger
Bühnenbildassistent: Waltraud Brauner
Schlagzeug: Toomas Täht
Toningenieur: Baltasar Fischer
Gitarre: Miroslav Mirosavljev
Fotografin: Caroline Heider
Grafik, Flyer, Plakat: Elisabeth Laimer
Presse CD/Programm CD: Wolfgang Makula
Pressearbeit: Mag. Bina Köppl

“Liebesgesänge”, zu sehen von 29.08. bis 08.09. und 19.09. bis 23.09.06. Ticketreservierungen direkt auf der Homepage von dieTheater.

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