Am 14. März 2009 geht in St. Gallen die Uraufführung eines neuen Musicals von Frank Wildhorn und Jack Murphy über die Bühne. “Der Graf von Monte Christo” heißt es und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Alexandre Dumas. Vorab veröffentlichte der Komponist gemeinsam mit der Wiener Plattenfirma Hitsquad/MGSound im Rahmen des neu in Wien gegründeten Labels MWB (Music Without Borders) eine Cast-CD. Genauer eine Pre-Cast-CD, denn wie “Der Graf von Monte Christo” tatsächlich einmal auf der Bühne klingen wird, kann man jetzt noch gar nicht sagen.
Eine Pre-Cast-CD hat Vor- und Nachteile. Zweifellos ist es ein Vorteil, sich die Interpreten unabhängig von der in ein paar Monaten startenden Bühnenfassung aussuchen zu können. Es spielt keine Rolle, ob man sie für die Show entweder nicht bekommen konnte oder gar nicht wollte. Wichtig ist, dass sie einen zugkräftigen Namen haben und dass man die Breitenwirkung eines Starensembles so plant, dass alle Publikumsschichten mit eingeschlossen werden - von der Oma, die in Alexander Goebel vernarrt ist, bis zum Fangirlie, das beim Anblick Jesper Tydens noch rot wird.
Das klingt nun alles, als wäre diese CD in erster Linie eine Geschäftsangelegenheit. Ist es natürlich nicht nur, aber selbst wenn, warum auch nicht, diese Punkte sind ein Faktor bei der Planung einer Cast- oder auch Pre-Cast-CD.
Mit einer Spielzeit von 42:22 Minuten ist es eine fast schon sparsame Auswahl aus einer Show, die sicher mehr als zwei Stunden dauern wird, aber das ist eben einer der Nachteile einer Pre-Cast-CD. Es sind nach den Working-Demos und den Demos die ersten Aufnahmen, die auch tatsächlich an eine breitere Öffentlichkeit gelangen. Vermutlich fehlen noch ein paar der wichtigsten Songs oder es werden noch einige weitere “Highlights” dazukomponiert. Das dürfte auch notwendig sein, denn der ganz große Knaller fehlt noch oder ist noch nicht so arrangiert, dass er als solcher erkennbar ist. Natürlich darf man nicht von jeder Wildhorn-Show eine bigger-than-life Ballade nach der anderen erwarten.
Ein weiterer Nachteil einer Pre-Cast-CD: Die Interpreten können sich nur schwer in ihre Rolle einarbeiten. Nicht nur, weil sie die Rolle noch nicht gespielt haben und vielleicht auch nie spielen werden, sondern weil es die Rollen genau genommen noch gar nicht gibt (von den zeitlichen Limitierungen mal ganz abgesehen. Studiozeit ist teuer). Keine Guideline vom Regisseur, kein Zusammenspiel mit den Kollegen, keine Auseinandersetzung mit einer noch gar nicht vorhandenen Schlussfassung der Partitur. Das scheint einigen Herren auf der vorliegenden CD Schwierigkeiten bereitet zu haben, wobei ich vor allem und insbesonders von Track 3 “A Story Told” spreche, auf dem Patrick Stanke, Mark Seibert und Mathias Edenborn zu hören sind und mit der englischen Sprache fighten. Das ist nett gesungen, aber neben Artikulationsproblemen ist es vor allem ein Umstand, der diesen Track kennzeichnet: Man erkennt die Stimmen der Herrschaften ja nicht einmal, wenn man nicht weiß, dass sie dieses Lied gesungen haben sollen. Mathias Edenborn kann seine Stimme in viele Richungen tunen, keine Frage, aber auf diesem Track hat er sie ins Nirwana der Unkenntlichkeit gedröselt. So haben wir zwar eine Nummer mit drei beliebten Darstellern, aber um welchen Preis?
Tracks wie “I Will Be There” wirken noch einigermaßen Demo-mäßig. Thomas Borchert haucht mehr als zu singen, setzt nicht hundertprozentig exakt ein, doch dann rettet Brandi Burkhardt den Song, da passt (logischerweise) die Artikulation, da merkt man einen gewissen Flow, da singt jemand, der sich an die Musik schmiegt, das ist dann wirklich sehr schön anzuhören. Es finden sich im Booklet der CD keine Angaben zum Orchester. Gerade bei diesem Track synthesizert es mächtig, würde man Musik mit Photoshop zeichnen, wäre mir das zu viel Weichzeichner. Man kann nicht einmal erkennen, ob da nun Streicher zu hören sind oder nur Synthetics. Borchert wabert anfangs recht weit vorne und sinkt dann in den Klangbrei ab.
Wildhorn hat auf “Monte Christo” scheinbar versucht, einen gewissen neuen Ton zu kreieren, die Frage ist, ob es einer ist, mit dem man sich anfreunden kann. Borchert bei “Every Day A Little Death” zuzuhören ist etwas anstrengend, er klingt mühsam vermollt, mit Burkhardt bekommt die Melodie einen Touch mehr Lebensfreude, aber da stimmt noch einiges nicht, um es als wirklich perfekte Nummer bezeichnen zu können.
Highlights der CD: “When The World Was Mine”, gesungen von Brandi Burkhardt, ein Wildhorn-Klassiker, zeitlos schön, wunderbar interpretiert. Und gleich darauf: “When We Were Kings”, gesungen von Alexander Goebel und Thomas Borchert. Gerade bei diesem Track zeigt sich die Qualität eines guten Musicaldarstellers: Alexander Goebel singt diese Nummer nicht nur einfach runter, er spielt sie, er interpretiert sie mit Nuancen, man sieht ihn geradezu in der Rolle des Abbà© Faria. Das erinnert mich an die letzte “Musical Christmas in Vienna”-Produktion vor zwei Jahren im Wiener Raimund Theater. Am Ende des ersten Teils der Show stand eine Gospel-Version von Händels “Hallelujah” (ein geniales und legendäres Arrangement von Quincy Jones) auf dem Programm. Auf der Bühne wurde schön brav gesungen, im Publikum saßen alle mit verschränkten Armen da - und dann kam Alexander Goebel: personifizierte Energie, reine Spielfreude. Lust am Performen, und sofort ging auch das Publikum mit, und aus fadem Chorgesang wurde eine funkensprühende Soulnummer, so wie sie immer konzipiert war. Und genau das macht den Unterschied zwischen einem Darsteller und einem Star aus. Sollte es ausmachen. Man hört fast, wie Goebel zu Borchert sagt: Komm schon Tommy, gib Gas.” Lieder kann man nicht einfach runtersingen, man muss auch spüren, dass sie interpretiert werden. Auf keinem anderen Track geht Borchert mehr aus sich raus, und kein anderes Lied ist derart emotionell wie dieses. Goebel singt nicht nur, er macht das, was Marika Lichter oft als Ausrede für völlig verpatzte Interpretationen ihrer Schützlinge zitiert: “Opfere einen guten Ton für eine gute Performance” Goebel opfert aber weniger, als dass er bestimmte Passagen einfach nicht auf schön singt, sondern sie mit Emotionsfüllern anreichert, und damit enorme Wirkung und Spannung erzeugt. Der beste Song des Albums.
“Pretty Lies”, gesungen von Pia Douwes, ist ein Lied, das in einschlägigen deutschsprachigen Foren gern als eine sehr an Sondheim erinnernde Nummer bezeichnet wird. Wie auch immer, der Song ist etwas entrückt, etwas sentimental, er hätte sich ein besseres Arrangement verdient.
Für eine Show, die, so sagt man, für Thomas Borchert geschrieben wurde, kommen die für ihn komponierten Songs nicht als wirklich als Showstopper daher. Die - verhältnismäßig - Big Ballads hat Brandi Burkhardt, Borchert scheitert bei dem Versuch, Spannung in die auf Spannung konzipierten Lieder wie “The Man I Used To Be” zu zaubern. Man merkt, wie er sich bemüht - und versagt, wie ein Boxer, der einen K. O.-Schlag vorbereitet und vorbereitet und vorbereitet — und dann ins Leere boxt. Man merkt, wie vieles von der Energie verpufft. Teilweise ist es auch die Abmischung, die ihm die Wirkung raubt. Aber es ist noch Zeit bis zur Premiere, das wird schon noch.
Anspieltipps
- “When the World was mine” (Track 6)
- “When we were kings” (Track 7)
- “All this time” (Track 12)
facts
titel: the count of monte cristo/Der Graf von Monte Christo
artist: Thomas Borchert – Brandi Burkhardt - Patrick Stanke - Mark Seibert - Mathias Edenborn - Jesper Tyden - Pia Douwes – Alexander Goebel
label: hitsquad records
ean: 9120006682916
catalogue: 668291
PC: MG 270
packaging: Digipack
release: 12. Dezember 2008
Arrangements: Koen Schoots
Orchestrierung: Kim Scharnberg