In der österreichischen Tageszeitung KURIER darf Regisseur Josef Ernst Köpplinger die Werbetrommel für das von ihm an der Wiener Volksoper inszenierte Musical “Hello, Dolly!” rühren. Gute Sache. Gleichzeitig übt er auch Kritik an der Volksoper, noch besser! Denn dass man sich da noch immer nicht traut, einen Schritt weiter in die Moderne zu tappsen, Richtung Sondheim, ist einfach nur lächerlich.
Die Zeit sei reif für Sondheim, meint Köpplinger. Ach wirklich? Sondheim ist 80 geworden heuer, man könnte meinen, die Zeit sei überreif. Selbstverständlich wäre “Sweeney Todd” wunderbar geeignet gewesen für die Volksoper. In Klagenfurt, so Köpplinger, habe man bei 25 Vorstellungen eine Auslastung von 80 Prozent erreicht. 2012/13 hatte Köpplinger für Klagenfurt “A Little Night Music” geplant, nun, da er ja 2012 für sechs Jahre als Intendant ans Gärtnerplatztheater nach München wechselt, wird er das Stück woanders inszenieren.
Ganz sicher nicht am Raimund Theater, im Ronacher oder im Theater an der Wien. Ja, da darf man ganz sicher sein. Und man darf auch sicher sein, dass das nicht an Köpplinger scheitert. Oder, wie es der Regisseur im KURIER formuliert:
Musical haben in Österreich einen durchaus hohen Stellenwert, aber es gehe nicht nur um Kassenfüller. “Das ist jetzt keine Kritik an Kathrin Zechner”, sagt Köpplinger. “Aber ich halte die überteuerten Long-Runs für überaltet und finde es nicht nötig, dass mittelmäßige Stücke mit mittelmäßiger Musik eine Musikstadt wie Wien zwei Jahre langlähmen. Dazu gibt es viel zu gute, ungespielte Musicals.”
“Meine Liebe zum Musical lässt mich einiges vermissen an einer Weltstadt wie Wien”, sagt Köpplinger. “Man müsste im Ronacher Musical-Repertoire spielen, im Raimundtheater die Long-Runs oder neue Stücke, kombiniert mit einer Work-in-Progress-Unterhaltungstheaterwerkstatt etwa im MuseumsQuartier, wo mit Autoren, Komponisten und Dramaturgen Tolles entstehen kann. Das hielte ich für eine gute Abdeckung im Musical-Bereich.”
Keine Kritik an Kathrin Zechner? Wieso eigentlich nicht? Die “Schonzeit” sollte vorbei sein. Selbstverständlich ist die völlig ideen- und konzeptfreie Bespielung der beiden Top-Musicalhäuser in Wien ein Ärgernis. In jeder ernstzunehmenden “Musicalstadt” dieser Welt ist es möglich, dass man einen Sondheim in einem großen Musicaltheater zu sehen bekommt. In den Häusern der VBW wird das allerdings nicht sein. Hier wird in den letzten Jahren eine der peinlichsten Strategien exekutiert, die das Unternehmen je entwickelt hat. Man setzt a) auf altbewährte Musicalhits, die immer und immer wieder, und laufend billiger und schlechter produziert wiederaufgenommen werden und b) entwickelt man um teures Geld Nischenproduktionen, die mit dem Musicalgenre nichts zu tun haben, aber ein sicherer Hit bei den Kritikern sind. Neuester Fall: das erneute Engagement von John Malkovich mit einer Produktion, die nichts mit Musicals zu tun hat und wesentlich besser ins Theater an der Wien mit seiner derzeitigen Programmausrichtung passen würde.
Es fehlt an Mut, es fehlt an Ideen, es fehlt an der Überzeugung, dass man Intendantin eines Unternehmens ist, das Musicals macht. Fehlt die Liebe zu Musicals? Man will das nicht wirklich wahrhaben. Ein Sondheim, ja, das wäre überfällig, ein Ende des Schlagerkarussels, ein Ende der Wiederaufnahmen der Wiederaufnahmen, ein Ende des Anbiederns an Wiener Kritiker mit vermeintlich hochwertigen Produkten, die nichts mit dem eigentlichen Sinn und Zweck des Unternehmens zu tun haben.
Keine Kritik? Schade!