Da ist sie wieder, die Zeit des Theatersommers, der Festspielzeit, die Zeit, in der man an Wiens Theatern glaubt, die Läden dichtmachen zu müssen, weil die Wiener ja allesamt ans Meer fahren und gar keiner an die Kultur denkt. Beziehungsweise die Zeit, in der Theater ihre Mitarbeiter nötigen, ihre Urlaubsansprüche aufzubrauchen, weil man nicht überlegt hat, das Ganze anders zu managen.
So fahren die Wiener halt - die, die Theater auch bei 40 Grad brauchen - aufs Land, in Burgen, an Seen, an Tümpel, Ruinen, in klimatisierte Tennishallen … Kultur anschaun. Viele davon nach Niederösterreich, weils halt so nah ist.
Und unter dem Label “Niederöstereichischer Theatersommer” hat sich eine Vielzahl dieser Burgen, Seen, Hallen, Wirtshäuser und Hauptplätze bespielenden Veranstalter zusammengefunden, um gemeinsam stark zu sein. Manchmal hat man dann in der Hitze des Gefechts im Sommer zwar den Eindruck, dass manche der Intendanten eher Mitglieder der legendären Lord Jim Loge sind, die als Motto “Keiner hilft keinem” ausgegeben hatte, da wird miteinander gestritten, geätzt und ausgerichtet, aber was solls, das is eben ein Teil des Theaterdonners oder -sommers, den man sich Jahr für Jahr geben kann.
2011 kann man den Niederösterreichischen Theatersommer in eingedampfter Fassung ohne Probleme auch in Wien erleben, das Wiener Kabarett Simpl hat noch bis Juli die Produktion “Niederösterreichischer Theatersommer* - alle Stücke an einem Abend! *unter besonderer Berücksichtigung des Burgenlandes” auf dem Programm.
“Warum solls nur in Wien großes Theater geben? Auch die Niederösterreicher haben ein Recht auf Kultur. Auch sie wollen überhöhte Eintrittsgelder zahlen. Auch sie wollen nach einer misslungenen Inszenierung verstört das Theater verlassen. Oder im 2. Akt eines Klassikers gelangweilt einschlafen …”, so beginnt der Übervater Niederösterreichs, der in dieser Produktion nur mehr Gottvater höchstpersönlich verantwortlich ist und über alles wacht und entscheidet, die Show zu den Klängen von Sylvester Levays “Elisabeth”-Intro. Alles, was er will, ist Gottes Segen zum Theaterfestival der Niederösterreicher. Dafür ist er zu allem bereit.
Eine scharfe Revue hat man nicht wirklich auf die Beine gestellt, im Simpl, scharf in dem Sinn, dass man befürchten müsste, die Parodierten könnten sich auf den Schlips getreten fühlen. Gezwickt wird ein bisserl, und ein bisserl mehr hätt’s schon sein dürfen. So ist es ein kleines Panorama der Merkwürdigkeiten, das Susanna Hirschler, Ariane Swoboda, Roman Frankl, Otto Jaus, Thomas Smolej und Roman Straka auf die Bühne bringen [Buch: Hannes Muik und Werner Sobotka, Beiträge von Roman Frankl und Fritz Schindlecker].
Schauspiel und Musical, Operette und Oper, jede Form des Theatersommers bekommt ihr Fett weg, manches ist ungemein unterhaltend, manches ein wenig repetitiv. Es mag ja stimmen, dass das Bemerkenswerteste an den Mörbischer Festspielen die Ansprache von Harald Serafin ist, und Roman Frankl vermag ihn gut zu parodieren, aber einen Gag zehn Mal mit kleinen Nuancen zu wiederholen, ist ein Gag, der acht Mal zu viel wiederholt wurde. Da muss es doch ein bißchen mehr geben, allein, wenn man Serafin Junior nur mit einbezogen hätte, das wäre dann eine richtige Lachnummer geworden, allemal!
Der Weg, den einige Sketche nehmen, ist durchaus lustig, doch es gibt eine Tradition im Simpl, die Schlusspointen in absolutem Nonsens aufzulösen oder ganz im eher Unlustigen verpuffen zu lassen. So erleben wir in der ersten Nummer eine Familie, die mit ihrer All-Inklusive-Festivalkarte des Niederösterreichischen Sommertheaters nicht und nicht zu einer Eintrittskarte kommt, weil alles schon ausverkauft ist - und am Schluss geht man in den Zoo. Was so witzig ist, in den Zoo zu gehen - irgendwer wird sich was gedacht haben.
Lustig, der Seitenhieb aufs Regietheater, die Verarsche einer Hamlet-Inszenierung als Rap nachgetextet und getanzt. Sehr kurzweilig. Lustige Gags auch, was das Wetter (inkl. Gelsenplage) und das Sommertheater betrifft, ein Thema, das vor allem im Vorjahr dominant war, als praktisch jede Premiere ins Wasser gefallen ist. Da kommt auch viel Wahres ans Licht, zum Beispiel die Taktik vieler Theater, bei Regen und Unwetter möglichst bis zur Pause zu spielen, weil dann erst die Versicherung zahlt und die Zuschauer, wenn man bis zur Pause gespielt hat, keinen einzigen Cent vom bezahlten Eintrittsgeld zurückbekommen.
Im Programm auch diverse Nummern, die mit dem Theatersommer an sich nicht unbedingt etwas zu tun haben. Zuschauer bei einer Opernpremiere, die von nichts eine Ahnung haben und sich aufführen wie Rüpel, das haben wir auch in den Wiener Theatern im Winter. Ein lustiges Reim-Spielchen rund um Product-Placement, nett gemacht, aber nicht wirklich etwas, was zwingend Sommertheater-spezifisch wäre.
In vielen Zügen ist das Simpl-Programm fast eine Huldigung Erwin Prölls. Dass der Landesvati von der Show bei der Premiere, der er natürlich beigewohnt hat, begeistert war, liegt auf der Hand. Großartig von Werner Müller in der Show verkörpert, wird er eher stilisiert als parodiert.
Jedenfalls sehr unterhaltsam: die “Pröll-Version” des Barry-Manilow-Schlagers “One voice”, umgetextet zu “Als Erwin, will ich überall sein” zum Finale des 1. Akts [Musikalische Leitung: Erwin Bader]. Pröll klont sich, damit er auch ja bei allen Festen und Premieren des Festsommers dabei sein, bei allen Wahlen antreten und alle Medien kontrollieren kann.
Schön schrill die Simpl-Version von Chopins Minutenwalzer, in dem eine gepeinigte Sängerin ihr Leid klagt. Sie will interpretieren, muss aber gegen dreiste Aussagen eines Inspizienten kämpfen wie: “Bei uns ist der ÖBB-Fahrplan Theatergesetz” und “Das Einsingen wird überwertet”. Schöne Idee, könnte man natürlich noch ad infinitum ausbauen. Der Kürzungswahn mancher Intendanten, was Stücke betrifft, kennt kein Ende. Oberstes Ziel scheint es oft tatsächlich zu sein, dass die Besucher noch die Chance haben, den letzten Zug nach der Vorstellung zu erwischen. Vielleicht ist ja das der wahre Grund, warum das alljährliche Hallenspektakel in Amstetten heuer ausfallen muss. Vielleicht konnte man kein Stück auftreiben, das kurz genug war, um den Besuchern die Chance zu geben, nach der Show noch den letzten Zug Richtung Wien zu erwischen.
Ganz am Ende der Show gehts dann so richtig ums Musical, und die Satire kommt in Fahrt. Gott meint: “Ich bin nicht sicher, ob ich für sowas meinen Segen geben kann. Viele meiner Schäfchen sehen es als niedere bis gar keine Kulturform an. Ich bekomme täglich hunderte Beschwerde-Stoßgebete, das Musical doch endlich zur Hölle fahren zu lassen - von einem Rumänen, der in Österreich lebt, sich aber Holender nennt. Ich selbst hab vorher nie von ihm gehört. Er sagt, Musical sei keine Kultur …” Echte & scharfe Satire im Finale der Simpl-Show, sehr schön. Da merkt man, wie böse Werner Sobotka sein könnte, wenn er möchte. Amstetten, Staatz und Herr Haider in Stockerau … darüber lässt sich gut lästern. Und so bekommt Landespapa Pröll nur dann den Segen für das NÖ Theaterfestival, wenn er verspricht, sich jedes Jahr die Musicalpremiere in Stockerau anzusehen … Als Abschluss und Krönung folgt eine Alfons-Haider-Parodie, großartig gemacht. Nur leider ist dann die Show auch schon vorbei.
Wenn man sich also was fürs nächste Jahr am Simpl wünschen dürfte, dann wärs eine “Forbidden Musical”-Show ohne Tabus.
Link
- Kabarett Simpl