Das Institut für Schauspiel und Schauspielregie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien trägt den Namen Max Reinhardts, unter dessen Leitung ein staatliches Hochschulseminar für Schauspiel und Regie im Schlosstheater Schönbrunn eingerichtet wurde. Angestrebt wird – wie von Max Reinhardt in seiner Eröffnungsrede von 1929 bereits programmatisch gefordert – eine möglichst umfassende Erarbeitung sprachlicher, theoretischer, körperlicher und musikalischer Fähigkeiten, die sich in der zentralen Arbeit an Rolle und Stück realisieren sollen. Ziel des vierjährigen Studiums ist eine Ausbildung, die den angehenden SchauspielerInnen und RegisseurInnen handwerkliches Können, künstlerische Handlungsfähigkeit und intellektuelle Kompetenz verleiht. Die Verbindung von Praxis und Theorie soll eine Persönlichkeit des Studierenden befördern, die sich im Theaterbetrieb mit Selbstbewusstsein und Intellektualität zu behaupten weiß. Ein Spezifikum am Max Reinhardt Seminar ist die gemeinsame Ausbildung von Schauspiel- und Regiestudenten, die der Vorbereitung auf die realen Theaterverhältnisse entspricht.
Soweit das Programm, die Parole, das Ziel. Überprüfen kann man die Erfolge bei der “umfassenden Erarbeitung sprachlicher, theoretischer, körperlicher und musikalischer Fähigkeiten” derzeit im Schlosstheater Schönbrunn, wo noch bis zum 24. Mai eine Reinhardt-Seminar-Produktion des Musicals “Little Shop Of Horrors” (Alan Menken/Howard Ashman) gegeben wird - ausschließlich und exklusiv für das Theater der Jugend.
Gemischte Gefühle sind es, die man, vielleicht auch nur als Erwachsener, hat, wenn man das Theater nach der Vorstellung wieder verlässt. Zum einen hat man eine Show gesehen, die ganz sicher dazu geeignet ist, die Phantasie der Kinder anzusprechen. Kaum je schien ein junges Publikum in einer Aufführung des Theaters der Jugend so fokussiert aufs Geschehen zu sein wie bei »Little Shop of Horrors«. Kein Wunder, geht es doch um Mord, (Sado-)Masochismus, Liebe, Eifersucht - alles schön verpackt, aber doch auch so deutlich, dass man die eine oder andere Mutter am Ende der Vorstellung etwas irritiert zu einer Freundin sagen hörte: »Also ob das wirklich für Kinder geeignet ist?« Ist es natürlich, die Show sollte aber auch als Anlass genutzt werden, sich mit dem Musical näher auseinanderzusetzen, unter anderem dafür sind ja die Produktionen des Theaters der Jugend gedacht - als Anlass, sich mit dem Theater allgemein zu beschäftigen - auch im Unterricht davor und danach.
Das Bühnenbild ist recht karg, aber bunt, verspielt und pfiffig. Das Budget der Produktion wurde nun nicht gerade dafür aufgebraucht, eine High-Tech-Kulisse zu gestalten, aber es ist effektiv und auch liebevoll gestaltet.
Die Band, ja, also die Band gibt es nicht. Auf der Bühne steht ein Klavier/Keyboard und der Pianist greift mitunter auch zur Gitarre. Das ist dann schon ein wenig wenig, gerade bei einer Show wie “Little Shop of Horrors”. Man sollte doch annehmen, dass es nicht allzu schwer ist, eine zumindest kleine Band für eine Musicalproduktion aufzustellen. Positiv dagegen ist wiederum, dass man sich nicht darauf eingelassen hat, zusätzlichen Sound vom Band einzuspielen. Es wirkt tatsächlich alles live, und das ist auch gut so.
Was ich ja gar nicht mag, ist, nicht zu wissen, wer gerade auf der Bühne spielt. Bei den Darstellern handelt es sich ja nicht gerade um die Hintertupfinger Laienschauspieltruppe, sondern um Studenten am Max Reinhardt Seminar, und das ist nach wie vor eine der bedeutendsten Kaderschmieden auf dem Gebiet des Schauspiels - von hier erwartet man sich Schauspieler, die in einer Liga mit Brandauer und Co. spielen. Da kann man sich als Publikum erwarten, einen Programmzettel vorzufinden, auf dem man auch Porträts der Studenten sieht, dem man entnehmen kann, wer gerade spielt. Das ist ohne großen finanziellen Aufwand zu bewerkstelligen, das schaffen die meisten anderen Schauspielschulen. Aber vielleicht ist das Studium am Max Reinhardt Seminar mit Absicht wie eine Art Verpuppungsstadium aufgebaut. Erst am Ende, wenn der Schmetterling schlüpft (oder wie man sich das vorstellen mag), wandert ein Porträt der “fertigen” Schauspieler in die Galerie der “Absolventen”. Bis dahin sind die Studenten No-Faces.
Es gibt Kollegen von der Presse, die es tatsächlich lobenswert finden, wenn Schauspieler keine Homepages haben, wenn sie Pages ins Internet stellen, die außer einem Porträt nichts außer einem Hinweis auf jene Agentur zeigen, von der sie vertreten werden. Ich halte das Sich-dem-Web-Verweigern nun nicht gerade für eine Tugend, aber ein Porträt und der Hinweis auf die Agentur ist immerhin etwas. Es sollte der Mindeststandard sein. Nicht, dass es Schauspieler nötig hätten, unbedingt im Netz vertreten zu sein, nicht, dass man von ihnen verlangen würde, dass sie nun anfangen Kinderfotos zu posten - aber eine gewisse Öffentlichkeit dürfte keinen Schaden zufügen. Im Gegenteil. Möchte ich beispielsweise erfahren, bei welchen Hörbüchern XY als Sprecher mitgewirkt hat, so ist das mit einiger Googelei zwar eruierbar, einfacher wäre es, diese Informationen vom Künstler selbst auf seiner eigenen Homepage zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Wie machen sich nun die Schauspielstudenten als Musicaldarsteller? Mal gut, mal weniger gut, würde ich es formulieren. Es ist ein deutlicher Unterschied in den Performances der beiden Besetzungen zu bemerken. Da ich keinen blassen Schimmer habe, wann ich bei meinen zwei Besuchen die erste bzw. wann die zweite Besetzung gesehen habe, und auch Googeleien zu nichts geführt haben, kann ich nur sagen, dass auch die Stimmung im Theater bei der von mir als besser empfundenen Show applausfreudiger war. Die gesamte Cast wirkte einmal etwas amateurhafter, schwerfälliger, überbemüht und noch weniger gesanglich begabt - im Vergleich zur anderen Besetzung. Man kann “Mushnik” natürlich mit übertriebener körperlicher Behinderung darstellen, keine Frage, nur, man kann es auch übertreiben. Als “Pflanze” Audrey 2 bräuchte man doch ein gewisses stimmliches Vermögen, um “Mean Green Mother From Outerspace” wirkungsvoll über die Rampe zu bekommen. Solche Nummern, die geile Performer brauchen, können zum Knackpunkt einer ganzen Aufführung werden, zu Momenten, da eine (semi)professionelle Aufführung nahtlos in Peinlichkeiten abdriftet. Sicher, gerade bei dieser Inszenierung ist es nicht leicht, bei der Schlussnummer zu glänzen, wenn man nur über beschränkte gesangliche Fähigkeiten verfügt und plötzlich den Rocker geben soll. Man hat keinen süffigen Sound einer Band, der manches kaschieren würde, nur das Piano, das Keyboard und einen Chor, der selbst wieder aus Schauspielstudentinnen besteht, die manchmal die herrlichsten Probleme haben, gewisse Stimmhöhen zu erklimmen. Kein Wunder, dass gerade bei dieser Knackschlussnummer der größte Unterschied auch stimmungsmäßig zu bemerken war. Einmal klatschte das Publikum begeistert mit, einmal saß es ruhig da und … wartete auf den Schluss. Wobei es nicht nur an der Stimme allein gelegen hat. Eine der Besetzungen hatte es einfach drauf, mitreißend über die Rampe zu kommen, die andere nicht.
Ähnliche Performanceunterschiede lassen sich auch beim sadomasochistischen Zahnarzt Orin festmachen, wobei sich da der Unterschied primär auf die schauspielerische Leistung bezieht. Bei Seymour wäre noch anzumerken, dass die “bessere” Besetzung der beiden Darsteller bei seinen Sprechszenen eine dermaßen schöne Sprachmelodie hat, ein angenehmes samtenes Timbre, dass eben diese Sprechszenen fast schon allein wie Musik waren, eine ganz große Begabung.
Insgesamt bietet das Reinhardt-Seminar, in welcher Besetzung auch immer, eine unterhaltsame Show für Kinder, effektvoll inszeniert, im wunderschönen Ambiente des Schlosstheaters Schönbrunn. Allein die Location wäre es wert, für die verbleibenden Vorstellungen noch schnell mal eine Restkarte über das Büro des Theaters der Jugend zu besorgen. Es erwartet die Zuschauer eine sanfte Einführung in das Gebiet des Musicals. Ein spannender Plot, melodiöse Songs und fast schon eher Schauspiel mit Gesang als umgekehrt.
Little Shop of Horrors (Der kleine Horrorladen)
Vorlage nach dem gleichnamigen Film von Roger Corman
Musik nach Alan Menken, Buch und Gesangstexte von Howard Ashman. Deutsch von Michael Kunze
Leading-Team
Musikalische Leitung: Klaus Erharter
Bühnenbild und Kostüme: Marie-Luise Lichtenthal
Choreographie: Grant Mc Daniel
Regieassistenz: Jerome Junod, Christina Muschol
Bühnenbildassistenz: Nathalie Lutz, Lucie Strecker
Kostümassistenz: Britte Brüggemann
Maske: Kurt Stolzmann
Ton: Martin Klebahn
Inspizienz: Christine Mattner, Sarantos Zervoulakos
Cast
Seymour: Gerrit Jansen / Florian Köhler
Audrey: Emily Cox / Louisa von Spies
Mushnik: Nikolaus Barton / Wolf Gerlach
Orin: Daniel Göller / Alexander Meile
Pflanze: Thomas Meczele / Markus Westphal
Chiffon: Angela Smigoc / Petra Staduan
Crystal: Judith Mauthe / Yohanna Schwertfeger
Ronnette: Sophia Freynhofer / Marion Reiser