Was sich wohl alles hinter den Kulissen bei den Produzenten (Martin Böhm, Ludwig Coss und Wolfgang Hülbig) der Doppel-CD “Musical Forever” abgespielt hat, bis man endlich auf Grün schalten, die weiße Flagge hissen und den Tonträger für den Verkauf freigeben konnte …
Nach drei umjubelten Konzerten (19. bis 21. Dezember 2007) der Stars und des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien im Wiener Museumsquartier gab es ein gar nicht so kleines Problem: Die meisten Interpretationen eines der Stars waren in ihrer Live-Version nicht wirklich CD-reif. Wie die Entscheidung gefallen ist, Uwe Kröger von sämtlichen Tonspuren auszuradieren, das muss uns hier nicht weiter kümmern. Was liegt, das pickt - das Resultat zählt.
Wie in einschlägigen Science-Fiction-Filmen, die ihre Spannung dadurch erzielen, dass Handlungen, die die Protagonisten in der Zukunft setzen, auf einmal die Vergangenheit beeinflussen (oder wars umgekehrt), ist Kröger also auf “Musical Forever” nicht zu hören, weder solo noch im Ensemble - so, als wäre er nicht dabei gewesen. Wieso man eines der von ihm interpretierten Lieder im Studio von Thomas Borchert nachsingen ließ, darüber kann man diskutieren. Haben wir eine tausendste Aufnahme von “Das Phantom der Oper” gebraucht? Andererseits, warum nicht? Borchert ist im Vollbesitz seiner vokalen Kräfte, das Lied ist ein Kinderspiel für ihn - lässt man aber die vorhandenen Aufnahmen Revue passieren, liefert der Musicalstar keine eigenständige, in irgendeiner Weise besondere Interpretation, die sich vom Vorhandenen abhebt.
Interessant, dass Krögers Gesangsspur beispielsweise auch bei “Sei hier Gast” gelöscht und - ebenfalls - durch Thomas Borchert ersetzt wurde. Bei der offiziellen Schlussnummer “Wenn ich einmal geh” singt Pia Douwes zusätzlich Krögers Part.
Im Vergleich zu den drei Konzerten vom vergangenen Dezember gibt es diverse Änderungen, Streichungen und Umstellungen auf der Live-CD. Das Medley mit Weihnachtsliedern, das als Zugabe gebracht wurde, hat man gestrichen, die Songreihenfolge im zweiten Teil des Konzerts wurde einigermaßen umgestellt. “Musical Chairs”, der eigentliche Opener, wanderte an die letzte Stelle, quasi als Zugabe, “Totale Finsternis” aus “Tanz der Vampire” reihte man nach vorn. Gestrichen wurden:
1.Akt:
- Die Musik der Dunkelheit aus «Das Phantom der Oper†- Uwe Kröger
- Somewhere aus «West Side Story†- Susan Rigvava-Dumas
- Conga aus «Wonderful town†- Orchester
- Der letzte Tanz aus «Elisabeth†- Uwe Kröger & Ensemble
2.Akt
- Just The Way You Are - Lukas Perman
- Hier in Wien aus «Mozart†- Ensemble
- Wie kann es möglich sein aus «Mozart†- Uwe Kröger
- Zugabe: Weihnachtslieder-Medley
Es ist ziemlich schwierig, bei dieser Aufnahme mit Sicherheit zu sagen, von welchen Songs es die Live-Aufnahmen auf die CD schafften, und welche Nummern das Resultat einer ein wenig tiefergreifenden Nachbearbeitung sind beziehungsweise welche Lieder in Studiosessions sagen wir nachjustiert oder gänzlich neu eingespielt wurden. Nachjustierungen bei Live-Aufnahmen sind nichts Ehrrühriges. Mikros fallen schon mal aus, Gesangsaufnahmen bei Tanzszenen sind auf Tonträger manchmal nicht ganz so akustische Leckerlis, wie man sich das wünschen würde. Insofern ist “Musical Forever” eine “Live”-CD, der man das “Live” nicht immer gar so anhört. Was LIVE tatsächlich bedeutet, hört man am besten bei alten Elvis-CDs aus den 70er-Jahren, da ist die Spannung, die in der Luft liegt, beinah zu greifen, und man hat das Gefühl mittendrin in der Halle zu sitzen. Das ist bei “Musical Forever” nicht ganz so gegeben.
Auf der Bühne und nun auf Tonträger: die “Stars der VBW” - und das, ja das ist so ein richtig schwammiger Begriff, denn auf der Bühne waren natürlich einige weinige Stars der VBW, aber auch im Publikum waren viele “Stars der VBW”, was also sind “die Stars der VBW”? Sicher wäre es schön gewesen, wenn man den Original-Alfred Aris Sas oder auch Conny Zenz im Rahmen dieser Show hätte erleben können. Angelika Milster hätte man ruhig auch einladen können oder Old-Deuteronomy Gordon Bovinet. “Das Beste aus zwanzig Jahren Musical”, da gehören sie und viele andere dazu.
Ja, die VBW haben kein fixes Ensemble, wer aber mit “seinen Stars” wirbt, hat de facto eben doch eine Art von Ensemble und sollte es auch schätzen - und auch casten. Warum war beispielsweise Rob Fowler nicht auf der Bühne, warum nicht Mate Kamaras. Es gibt vergleichbare Shows dieser Art, in der gerade das Großaufgebot an Stars den Musicalliebhabern einen besonders beeindruckenden Abend beschert hat. So muss man sagen, dass eine Chance verpasst wurde, wie auch beim Programm, das großteils an das angeknüpft hat, was man alljährlich beim Donauinselfest zu hören bekommt - dort allerdings bei freiem Eintritt.
Natürlich ist die vorliegende CD technisch praktisch einwandfrei produziert. Die VBW und MG-Sound verbindet nun schon eine langjährige kreative und erfolgreiche Partnerschaft, kaum ein Musicalunternehmen produziert derart viele Tonträger wie die Vereinigten Bühnen Wien. Witzigerweise sind am Anfang der Ouverture von “Freudiana”, während die Bläser spielen, ganz leise Gesprächsfetzen, Nebengeräusche und ein Summen zu hören. Aber wer wird sowas bemängeln, ist das (und der eine oder andere nicht wirklich astreine Ton, und ein ganz falscher) doch eben der beste Beweis, dass von dieser Nummer tatsächlich die Live-Aufnahme verwendet wurde.
Was bei einem Titel wie “Das Beste aus zwanzig Jahren Musical” etwas merkwürdig anmutet, ist der eine oder andere Song. Aus welchem Musical ist nochmal gleich “All by myself”? Susan Rigvava-Dumas singt ihn atemberaubend, das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien spielt natürlich nicht 365 Tage im Jahr NUR Musical, aber, wenn man schon ein Programm “Das Beste aus zwanzig Jahren Musical” nennt, warum dann nicht … naja, einfach Musical? Wieso ein Song von Queen, aber keiner aus HAIR, zumindest hat man bei HAIR nicht nur das Theater vermietet.
Eines der Highlights der CD ist Marjan Shakis “Nur für mich” (”Les Misà©rables”), das entdeckt man quasi im Nachhinein beim Hören dieses Mitschnitts. Ob da nun die Liveaufnahme verwendet wurde oder nicht, egal - das ist das, was, die Amerikaner als “pure” bezeichnen, makellos schön. Wieviele schöne Lieder man da aus “Les Misà©rables” anschließen hätte können, und es kommt ausgerechnet “Ich bin Herr im Haus”, das schon im Set auf der Bühne völlig untergegangen ist und auf der CD sicher eines der Tiefpunkte ist. Witzig ist nur der kleine Texthänger, den Thomas Borchert hatte. Ja, diese Nummer ist ganz offensichtlich live auf Tonträger gewandert.
Instrumentales Highlight der CD ist das von Caspar Richter arrangierte Leroy Anderson-Medley, das man von den begeisternden Weihnachtskonzerten der Vereinigten Bühnen Wien kennt. Bei “Totale Finsternis” hat man Thomas Borcherts Vocals dorthin abgemischt, wo sie auch hingehören, etwas in den Hintergrund. Er ist, keine Frage, ein begnadeter Musicalsänger, aber bei den Konzerten hat er den Tonmeistern wohl so die Ohren zugebrüllt, dass sie vergessen haben, dass der Song ein Duett ist. Auf CD hört man nun tatsächlich auch Marjan Shaki, und auf einmal klingt alles auch gleich viel besser.
Fazit: “Musical Forever” ist natürlich eine sehr empfehlenswerte CD. Die Stars und das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien liefern zum Teil wunderbare Interpretationen und bieten im Idealfall auch schon mal Songs, die nicht aus ihrem typischen Repertoire stammen. Zugabe!
Tracklist:
CD 1
01. Ouverture - Orchester der Vereinigten Bühnen Wien
02. Sei hier Gast - Ensemble
03. Memory - Pia Douwes
04. Macavity - Pia Douwes, Maya Hakvoort, Ensemble
05. Nur für mich - Marjan Shaki
06. Herr im Haus - Thomas Borchert, Carin Filipcic, Ensemble
07. Phantom der Oper - Thomas Borchert & Pia Douwes
08. Leroy Anderson - Medley - Orchester der Vereinigten Bühnen Wien
09. Nimm mich wie ich bin - Thomas Borchert, Maya Hakvoort
10. Dies ist die Stunde - Thomas Borchert
11. Close Every Door - Lukas Perman
12. Any Dream Will Do - Lukas Perman
13. Lonely Town - Thomas Borchert
14. I Can Cook Too - Carin Filipcic
15. Nicht, nichts, gar nichts - Maya Hakvoort
16. Ich gehör nur mir - Pia Douwes
CD 2
01. Totale Finsternis - Thomas Borchert, Marjan Shaki
02. Somebody To Love - Marjan Shaki
03. All By Myself - Susan Rigvava-Dumas
04. Gold von den Sternen - Carin Filipcic
05. Warum kannst du mich nicht lieben - Lukas Perman
06. Kuss der Spinnenfrau - Maya Hakvoort
07. Escapades - Orchester der Vereinigten Bühnen Wien
08. All That Jazz - Pia Douwes
09. Liebe - Marjan Shaki, Lukas Perman, Ensemble
10. Siehe da sie liebt - Carin Filipcic
11. You Are The One That I Want - Marjan Shaki, Lukas Perman
12. Rebecca - Susan Rigvava-Dumas
13. Wenn Ich Einmal Geh - Ensemble
14. Musical Chairs - Ensemble