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Raimund Theater Wien: “Jesus Christ Superstar” 2007

Walter Lochmann Superstar

“Jesus Christ Superstar” regiert derzeit am Wiener Raimund Theater. Die Vorstellungen vom 6. und 7. April 2007 sind geschlagen, noch einmal geht der Vorhang auf, und zwar am 9. April 2007 um 19:30. Ein paar Beobachtungen zu den beiden ersten Vorstellungen im Folgenden.

Ich bin Purist. Zumindest, wenn es um “Jesus Christ Superstar” geht. Ich möchte “Gethsemane” so hören, wie es Ian Gillan und noch viel intensiver Ted Neeley Anfang der 1970er Jahre für alle Zeiten geprägt haben. Vorbilder, an denen jeder scheitern muss? Na sicher nicht. Drew Sarich hat 2005 eine verdammt gute Version von “Gethsemane” im Wiener Ronacher auf die Bühne gezaubert, Yngve Gasoy Romdal im Jahr davor ebenso, auch Rob Fowler, 2006 im Wiener Raimund Theater. Manchmal ist es gescheiter, verlockende Angebote nicht anzunehmen, und ich bin mir nicht sicher, ob Rasmus Borkowski (geboren 1980) 2007 nicht gut daran getan hätte zu sagen: “Leute, vielen Dank für das Angebot, aber die Rolle spiele ich vielleicht in zehn Jahren, wenn überhaupt.”
Um den Jesus zu spielen, braucht man eine Stimme, die man im entscheidenden Moment der Show, im entscheidenden Moment des Songs “Gethsemane” frei lassen muss, zumindest scheinbar frei lassen muss, für den Zuhörer unbemerkbar kontrolliert. Die Stimme muss vor Verzweiflung gequält in den Himmel steigen. Nichts sonst zählt in dieser Show, überspitzt formuliert. Kaum ein anderer Musicalsong ermöglicht so viele Möglichkeiten der Interpretation. Es ist die entscheidende Szene im ganzen Musical. “Gethsemane” ist eine Nummer, bei der der Darsteller völlig allein gelassen ist, er allein hat es in der Hand, mit seinem Können aus dem Abend etwas Besonderes zu machen, an das man sich noch Jahre danach erinnert. So war es bei Gasoy Romdals Version, so war es bei Drew Sarich, weniger schon bei Fowler, und Borkowskis Version ist bereits am Tag danach vergessen.
Es ist ja nicht so, dass die Master-Interpretationen aus Jux und Tollerei derart gestaltet wurden. Die Leute haben sich schon etwas dabei gedacht. Wenn man die Höhen, die “Gethsemane” verlangt, nicht hat, soll man doch einfach die Finger von der Rolle lassen. Das wusste Steven Seale unlängst in Amstetten nicht zu beherzigen und Rasmus Borkowski 2007 im Raimund Theater auch nicht. Putzig sind dann immer wieder die Verteidigungsversuche der Fans, die meinen, dass ihre Idole eben genau das singen würden, was “in der Partitur steht”. Selbst wenn das so wäre, würde es nicht reichen, nicht mal bei “Heidi” oder “Schneewittchen”. Einfach zu singen, was steht, einfach zu sprechen, was im Text steht, das geht nicht mal bei einer Schüleraufführung. Die Zeit freilich ist auf Seiten der “Fans”. Mit zwölf oder vierzehn Jahren hat man “Gethsemane” vermutlich noch in keiner anderen Version gesehen oder gehört, und die Devise lautet “Trau keinem über 20″, also ist Borkowski eh schon praktisch Vaterfigur. Aber das gilt eben nur für die Hardcore-Fans.
Rasmus Borkowski gestaltet, neben den stimmlichen Gegegebenheiten, seinen Jesus als verinnerlichten Traumtänzer, er betritt nicht die Bühne, er tappst auf die Bretter des Raimund Theaters, versucht Fuß zu fassen und scheitert doch in jedem Moment. Die Probezeit scheint zu kurz gewesen zu sein, um die Figur Jesus mit mehr Charakter zu füllen, um mehr an Mimik zu entwickeln, einfach der Figur Glaubwürdigkeit zu verschaffen. So positiv Rasmus Borkowski bei “Mozart!” überrascht hat, so negativ hat er das bei “Jesus Christ Superstar” getan.
Stefan Cerny als Kaiphas hätte sicher Chancen, als Motiv für die ulkigste Postkarte der Welt, gleich nach dem Mann, der seine Nase in den Mund nehmen kann, gecastet zu werden. Was er in dieser Rolle für eine blasierte Mimik aufsetzt, wohin er seine Augenbrauen verzieht, das ist reif fürs “Guiness Buch der Rekorde”. Mit Schauspielkunst hat das wenig zu tun.
Noud Hell als Petrus macht einen sympathischen Eindruck. Mehr geht nicht, aber das liegt an der Inszenierung. Mehr hat auch Roman Straka, sein Vorgänger, aus der Rolle nicht herausholen können. “Could we start again, please”, sein Duett mit “Maria Magdalena” Caroline Vasicek, bringt er doch gut über die Rampe.
Caroline Vasicek gibt eine mitfühlende, überzeugende, wohlig klingende Maria Magdelena. Wunderbar gespielt, souverän, bereit, auch tatsächlich mit Jesus zu interagieren, wenngleich Borkowski zu sehr bemüht ist, seinen Gesangspart zu meistern, um auf das Schauspielerische achten zu können.
Andrà© Bauer liefert als Pilatus eine solide Leistung. Jacqueline Braun ist wieder als Soulgirl und vor allem als Herodes flott unterwegs. “King Herod’s Song” ist gut serviertes Entertainment, bühnenfüllend, wunderbar.
Sean Gerard als “Judas” enttäuscht nicht gerade, reicht aber an die großen Vorgänger bei weitem nicht heran, die mit Wucht und Verve ihren Part auf die Bühne zu donnern wussten. Der eine oder andere falsche Ton, die für alle sichtbare enorme Nervosität - aber immerhin, er hat es jedenfalls geschafft, ohne sich groß zu blamieren.
Kommen wir zu den Stars des Abends, Walter Lochmann und Max Volt. Max Volt alias Reinwald Kranner hat seinen Künstlernamen gut gewählt. Gilbert Bà©caud trug den Spitznamen “Monsieur 100.000 Volt” voller Stolz, Reinwald Kranner IST nun Max Volt, Max “100.000″ Volt. Als Simon legt er mit “Simon Zelotes - Poor Jerusalem” eine Performance voller Energie und Drive auf die Bühne und erhält dafür - zurecht - den meisten Szenenapplaus des Abends. Unvergessen ist nach wie vor Pehton Quirantes Version, anno 2004 im Wiener Ronacher, als er durch den ganzen Saal stürmte und das Publikum buchstäblich von den Sitzen riss. Volt schafft das auch. Er hat das Können, sich in einem Song völlig aufzugeben, und doch die Kontrolle zu behalten, während er sich selbst in Ekstase singt. Große Kunst.
Walter Lochmann schließlich, der Dirigent des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien, ist immer schon ein Gesamtkunstwerk gewesen. Er fängt den Sound des Orchesters wie ein Boxer mit herunterhängenden Armen, nur mit seinem Bauch auf. Stets konzentriert, Herr jedes Tons, bietet er seinen Künstlern eine jederzeit taktangebende Instanz, auf die man sich verlassen kann. Die einzige Gefahr besteht darin, sich als Zuschauer zu sehr auf den Dirigenten zu konzentrieren, und darauf, wie er mit seinem Team, dem Orchester und den Darstellern, interagiert - aber auch das ist wert, gesehen zu werden.
Hannes Muik sorgt bei der Produktion 2007 für die Regie, wobei am Original-Staging von Dennis Kozeluh, der in diesem Jahr leider nicht mit dabei ist, nicht umwerfend viel geändert wurde.
Der Sound im Wiener Raimund Theater nähert sich im zweiten Akt gesundheitsgefährdenden Ausmaßen. Ich mag es laut, aber das war nicht nur zu laut, es war viel zu laut.
Wer immer dafür verantwortlich ist, dass die Rampen von der Bühne in den Zuschauerraum so gelegt wurden, wie sie gelegt wurden: ganz schlechte Idee! Auf den Plätzen links und rechts der Rampen, im Cercle, zu 58 Euro pro Platz, sieht man praktisch nichts. Ganz schlimm erwischt es jene Damen und Herren, die links beziehungsweise rechts sitzen und links beziehungsweise rechts von sich nur mehr den Balken im Blickfeld haben. 58 Euro für 5 Prozent Blickmöglichkeit auf die Bühne, wo sich dann 0 % des Geschehens abspielt. Das ist inakzeptabel.
“Jesus Christ Superstar”, Andrew LLoyd Webbers Rockoper, die 1971 ihre Uraufführung erlebte, ist nach wie vor ein Hit. Begeistern in einem Jahr mal nicht alle Darsteller, so sorgt allein die Musik dafür, dass der Saal tobt. Daher ist auch dieses Jahr ein Triumph am Wiener Raimund Theater zu vermelden. Die wenigen Restkarten für die letzte Vorstellung am Montag werden rasch vergeben sein.

10 Kommentare »

  max volt wrote @ April 23rd, 2007 at 02:15

Ich habe mit Aufmerksamkeit Eure Diskusion mitverfolgt und danke allen für die erbauenden Worte. Hab mich sehr über die positive Kritik, was mich betrifft gefreut. Auch ein Dank geht an Walter Lochmann und Hannes Muik. Es war, wie auch schon im Vorjahr eine schöne Produktion.

  Tom wrote @ April 12th, 2007 at 16:08

Auch ich habe JCS gesehen und war sehr positiv überrascht. Ich habe Rasmus B. schon in mehreren Rollen gesehen und diese Darstellung als Jesus ist wahrscheinlich nicht optimal für ihn gewesen, aber für einen jungen Künstler, der am Beginn seiner Karriere steht und sehr hohe Töne treffen mußte, hat er sich tapfer geschlagen.
Auch vom Temperament her war diese Rolle für ihn nicht so geeignet, weil er eine sehr große Bühnenpräsenz hat und diesmal nicht mit dem Publikum “spielen” konnte. Daher finde ich auch eine so harte Kritik unangepasst und würde es sehr unfair und schade finden, wenn dieser Purist einem so großen Talent weitere Chancen - vorallem auch in Wien - damit vermiesen würde.

  Karla wrote @ April 11th, 2007 at 11:28

Also ich möchte jetzt auch etwas zu dieser Kritik sagen….
Auch wenn sie eigntlich sehr vernichtend ist finde ich sie gut,den eine Kritik kann meiner Meinung nach weder gut noch schlecht sein.
Ich für meine teil habe JCS dieses Mal in Wien 3 Mal gesehen.Auch wenn Rasmus sicher nicht der JESUS ist hat er es doch auf seine eigene Art sehr überrascht. Natürlich ist er jung also kann man nicht von ihm verlangen das er diese Rolle perfekt spielt und beherrscht.Doch ich finde es immer noch besser wenn man kleine Fehler und Unebenheiten in einer Person merkt,auch beim singen und wenn es noch natürlich wirkt als wenn man einen sehr erfahren Künstler wählt der eben die Rolle singt und das ohne Natürlichkeit.
Wirklich überrascht war ich von Sean Gerad.Ich habe mir nie gedacht das er seine Rolle so gut meistert und er hat weiß Gott keine einfache Rolle. Auch wenn es hie und da etwas wackelt ist,finde ich es sehr schön das er auch noch am 3.Abend nicht wie ein erhängtes Huhn klingt.
Natürlich ist es immer Ansichtssache wie das jemand empfindet.

  J wrote @ April 10th, 2007 at 22:27

wer mozart! sah musste rasmus eigentlich lieben, da passte alles, manches “trotzig-besser” als in der orginalfassung

und wer jesus jetzt sah, lügt sich entweder ins hemd oder in die bluse, ich für meinen teil fand ihn nicht schlecht, aber wenn ein jesus neben anderen darstellern verblasst (was ich leider so empfand), is das auch ne info..eine, wo ein performer beurteilen vermag, ob er es performen kann, das ist kein vorwurf an den herrn borkowski, das gehört dazu zum erfahrung sammeln, aber er möge aus erfahrungen lernen..

  Isac B. wrote @ April 10th, 2007 at 15:28

Ich bin über die beinharte Kritik sehr enttäuscht! Wir haben zwar Meinungsfreiheit - aber Angriffe unter die Gürtellinie und mit so viel hasserfüllter Emotion - wäre in so einem öffentlichen Kulturkanal nicht notwendig!! Ihre vernichtende Kritik können Sie wirklich am Wirtshausstammtisch abgeben - aber nicht hier!!
Ich habe die Vorstellung am Montag gesehen und war von dem gesamten Ensemble begeistert. Mit so viel Freude, Engagement und einem stark spürbarem Teamgeist - wunderbar.
Gesanglich ist es vielleicht noch etwas ausbaufähig - aber alle - auch Rasmus - haben ihr Bestes gegeben.
Für mich war es ein stimmungsvolles Konzert mit tollen Darstellern.
Liebe Grüße ISAC

  Mohnika wrote @ April 10th, 2007 at 00:38

Ich darf zu der Kritik gratulieren, die mir aus der Seele spricht. Als Fan von Rasmus Borkowski bin ich über seine Leistung sehr enttäuscht. Es scheint mir, dass er und Jesus einfach nicht zusammen passen. Star des Abends war für mich ebenfalls Max Volt.

  J wrote @ April 10th, 2007 at 00:18

posten hier nur weibaleid?

  Sabine P. wrote @ April 9th, 2007 at 19:40

Ich bin keine 12 oder 14, und auch kein Hardcore Fan, wie Sie das so schön ausdrücken in Ihrer Kritik, aber ich finde man sollte auch jungen Darstellern eine Chance geben, und nicht nur negativ bewerten, weil sie wie Sie sagen an die Originalinterpreten nicht herankommen. Ich finde, daß Rasmus Borkowski, sowie auch Sean Gerard und alle anderen Ihre Sache sehr gut gemacht haben, vor allem wenn man auch bedenkt, daß nur sehr kurz geprobt wurde.

Mit freundlichen Grüßen
Sabine P.

  E.Pregartbauer wrote @ April 9th, 2007 at 12:08

Es wundert mich wirklich, dass diese Kritik bis jetzt kommentarlos geblieben ist!
Ich gehöre nicht zur Tennie-Fangemeinde von Rasmus Borkowski, dafür bin ich zu alt, er könnte locker mein Sohn sein. Trotzdem bin ich mit dieser niederschmetternden Kritik an ihm absolut nicht einverstanden!
Jesus Christ Superstar ist ein Musical das mich schon fast mein ganzes Leben lang begleitet und das ich schon oft gesehen und gehört habe.
Was ich nicht verstehe ist die Tatsache, dass man bei den Darstellern, in diesem Fall dem des Jesus, immer Schablonen anlegen muss. Und wenn dann einer etwas mehr der Schablone nicht entspricht ist er auch schon schlecht!!! Ja wo bleibt denn da die vielgerühmte Freiheit der Kunst?
Rasmus Borkowskis Jesus ist zerbrechlich, verletztbar und hat sehr wohl jede Menge Charisma und Tiefe! Wahrscheinlich orientiert er sich da mehr an seiner Rolle als an seinen Vorgängern - was ja nicht so schlecht sein dürfte!!!
Der unsinnige Anspruch an Musicalsänger je lauter und schriller desto besser entspricht doch der lächerlichen Jagd nach dem
hohen C bei den Operntenören!
“Gethsemane” von Rasmus zeigte Verzweiflung, Angst und Resignation die unter die Haut gingen. Auch oder vielmehr trotzdem seine Stimme eine (übrigens wunderbare) Färbung hat die nicht der “Schablone” entspricht!

In diesem Sinne - Rasmus Borkowski ist eine wunderbarer Künstler und auch in der Rolle des Jesus großartig!!!!
Mit freundlichen Grüßen
Elfi Pregartbauer

  Andrea Grubisic wrote @ April 9th, 2007 at 11:31

Sie sind offenbar nicht nur Purist, sondern auch ein intoleranter, grantiger, müder Kritiker, der pensionsreif ist. Wahrscheinlich waren Sie stinksauer, an einem Freitag vor einem langen Wochenende ins Theater gehen zu müssen. Dass Sie sich an Aufführungen von 1971 orientieren, zeigt dies schon sehr deutlich. Aber jungen Künstlern eine verdiente Chance zu lassen, ist Ihnen, sehr geehrter Herr Kritiker, offenbar fern. Ich bin weder 12, noch 14, habe schon genug Musicals in meinem Leben gesehen und auch schon Rasmus B. in mehreren Rollen. Offenbar haben Sie Spaß daran, den Versuch zu unternehmen, einem jungen Sänger keine Chance zu lassen.
Vielleicht sollten Sie beim nächsten Mal über den Besuch einer Museumseröffnung schreiben . Auch Sie tun gut daran, in Zukunft jungen Kritikern den Vortritt zu lassen und nicht selbst mit wackeligen Beinen und dieser hochnäsigen Arroganz dieses Theater zu betreten.
Liebe Grüsse A.G.

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