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Rolf Kutschera: Glück gehabt – Meine Erinnerungen / Peter Weck: War’s das? – Erinnerungen

Rolf Kutschera, geboren 1916 in Wien, und Peter Weck, geboren 1930 in Wien, prägten jeder auf seine Weise das Musicalgenre in Wien nachhaltig. 2010 legten beide ihre Autobiographien vor.
Der Pianist, Textautor, Komponist für Kabarett und von Chansons, Schauspieler und Regisseur Rolf Kutschera übernahm 1965 das herabgewirtschaftete Theater an der Wien, etablierte das Musical als Genre in Wien, revolutionierte hier auf seine Weise den Spielbetrieb und leitete es bis 1982.
Peter Weck putschte alles bisher Dagewesene am Musicalsektor Wiens, und auch im deutschsprachigen Raum. 1983 bis 1987 leitete er das Theater an der Wien, 1987 bis 1992 übernahm er die Generalintendanz der Vereinigten Bühnen Wien, die neben dem Theater an der Wien auch das Raimund Theater und das Ronacher umfassten. Sein größter Erfolg, »Elisabeth«, ist heute noch einer der wichtigsten Geldbringer der VBW.
»Glück gehabt« und »War’s das?«, so lauten die Titel der beiden Biographien der Theatermacher.
Während Rolf Kutschera dem Musical, seiner Arbeit am Theater an der Wien, breiten Raum in seiner Biographie einräumt, 129 Seiten von 285 Seiten, kommt Peter Weck mit, alles eingerechnet ca. 40 Seiten aus (von 344) – die haben es allerdings in sich.
Wecks Biographie ist wohl ausformuliert, tendenziell eher ironisch distanziert als zu gefühlsbetont, in einer Sprache geschrieben, die das Buch perfekt dafür erscheinen lässt, vom Autor vorgelesen zu werden. Man hört fast Wecks Stimme, wie er rezitiert. Das macht das Werk einfach und sehr angenehm lesbar. Das Wunderbare an Weck ist, dass er sich nie ein Blatt vor den Mund nimmt. So liebevoll er im Großteil seiner Memoiren über sein Schauspielerleben und seine Kollegen erzählt, so präzise und scharf wird er vergleichsweise in der Musicalabteilung des Buchs. Da stützt er sich auf exakte Zahlenangaben, zitiert beispielsweise aus einem Kontrollamtsbericht der Stadt Wien, um seinen Erfolg als Intendant zu betonieren: »Insgesamt wurden in den Jahren 1983 bis 2007 bei 20 Eigenproduktionen (…) 10,75 Millionen Karten verkauft (…) Die drei Produktionen ‚Elisabeth‘ (59,58 Mio. EUR), ‚Cats‘ (42,21 Mio. EUR) und ‚Phantom der Oper‘ (42 Mio. EUR) erwirtschafteten 42,9 Prozent der gesamten Kartenerlöse von 335,12 Mio. EUR.« Da wird mit der »roten Ursel«, Kulturstadträtin Ursula Pasterk, und Franz Häußler, nach all den Jahren, beinhart abgerechnet: »Das besonders Bedauerliche war, dass mein direkter Partner in Sachen Theaterleitung, Franz Häußler, nach anfänglicher Loyalität mir gegenüber, geleitet durch seinen vorauseilenden Gehorsam, den er politischen Entscheidungsträgern entgegenbrachte, diesen Personen gegenüber zum Jasager wurde. Soll von mir aus sein, jeder muss seinem Charakter entsprechend handeln. Aber was mich persönlich betraf: Er praktizierte ab einem bestimmten Zeitpunkt keine teambezogene Arbeit mehr in der Geschäftsführung mit mir. So haben sich gegen Ende meiner Zeit mehr und mehr Dinge hinter meinem Rücken abgespielt.« Weck nützt seine Biographie, um – knapp – die Umstände darzulegen, unter denen er als Intendant agieren musste, wie man ihm unter anderem seine Erfolgsproduktion »Cats« im Ronacher abgeschossen hat, trotz ausverkaufter Vorstellungen bis zum Schluss und einer »Kostendeckung von über 100 Prozent«, er findet auch klare Worte, was die Schließung des »Tanz-Gesang-Studio Theater an der Wien« betrifft: »Es hieß von kulturpolitischer Seite – unterstützt von der kaufmännischen Leitung des Hauses –, es koste zu viel. Ein weiteres Argument lautete. ‚Wir werden doch nicht Musicaldarsteller ausbilden, die dann ins Ausland und nach Deutschland gehen …‘ So einen Unsinn muss man sich erst einmal einfallen lassen Aber man sieht, welche profunden Theaterleute die Geschicke nach mir übernommen haben. Mit einem Weitblick für die Sparte Musical, der dann dort hingeführt hat, wo man jetzt steht.” Wahre Worte, die die Biographie zur messerscharfen Analyse der Entwicklung bis heute machen. Diese Schärfe hat seine Berechtigung, war der erfolgreiche Weck doch während seiner Amtszeit ein von vielen Angefeindeter, der letztlich seine Konsequenzen zog und sich via Medien mit dem legendären Satz verabschiedete: »Ich gehe nicht im Bösen, aber ich werde freier atmen, wenn ich die Heuchelei nicht mehr ertragen muss.« Für alle Fans des ehemaligen Sängerknaben, verhinderten Dirigenten, (Theater-)Schauspielers und Regisseurs ist »War’s das?« ein ungemein unterhaltsames Werk geworden, in dem sich sehr wirksam und kurzweilig herausgearbeitet Anekdote an Anekdote reiht, Berührendes, Lustiges, Trauriges und Überraschendes, viele Blicke hinter die Kulissen der Theater-, Film- und TV-Landschaft, unterstützt durch eine hervorragend Bildauswahl.
Vor allem eines haben Peter Weck und Rolf Kutschera gemein: Beiden sagte man voraus, sie würden mit ihren Wiener Musicalplänen scheitern. Im Falle von Weck war das sein Vorhaben, Longrun-Produktionen in Wien zu etablieren, bei Kutschera das ehrgeizige Bestreben, das Theater an der Wien zu einem erfolgreichen Musicalhaus zu entwickeln. In den 32 Kapiteln des Musicalteil seines Buches spannt Kutschera den Bogen vom 21. Dezember 1965, der Premiere von »Wie man was wird im Leben, ohne sich anzustrengen«, bis zum 8. Dezember 1981, der Premiere von »Jesus Christ Superstar«. Kutschera schildert von jeder Produktion spannende und berührende Erlebnisse in einer Emotionen auslösenden Weise. Man spürt, wie sehr er bei der Auswahl, den Vorbereitungen und der Produktion jeder einzelnen Show emotionell beteiligt war. Das im Titel erwähnte »Glück«, das hatte Kutschera in Form eines glücklichen Händchens bei der Auswahl seiner Shows und Darsteller so manches Mal. Die Schnurren aus dem von der Wiener Bürokratie oft beeinflussten Theateralltag und über Eitelkeiten, Freuden und Niederlagen so mancher Wiener Publikumslieblinge sind herrlich – ein Blick zurück in die goldene alte Zeit, die für Kutschera so endete: »â€˜Jesus Christ Superstar‘ war das erste Musical in meiner Direktionszeit, wo alle Schauspieler mit Mikroports und Verstärkern sangen. […] Mit ‚Jesus Christ Superstar‘ und den weiteren Werken von Andrew Lloyd Webber begann die Zeit des elektronischen Musicals, wodurch sich ein vollkommen neuer Darstellungs- und Gesangsstil entwickelte. Meine Zeit des Musicals mit direktem Spiel und Gesang der Schauspieler, ohne elektronische Tonverstärkung, war vorbei.«
An der Sprache wurde bei Kutscheras Biographie weit weniger gefeilt als bei jener Wecks, doch dafür wirkt alles viel emotioneller, direkter. Letztlich sind beide Werke Mosaiksteine in einer Geschichte des Wiener Musicals und höchst lesenswert.

Rolf Kutschera: Glück gehabt – Meine Erinnerungen. Aufgezeichnet von Birgit Thiel. Mit einem Vorwort von Michael Heltau und einer Nachbetrachtung von Ernst Stankowski. Styria Verlag, Wien-Graz-Klagenfurt 2010. 288 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-222-13311-4. EUR 24,95.
Peter Weck: War’s das? – Erinnerungen. Mitarbeit: Felicitas Wolf. Amalthea Verlag, Wien 2010. 344 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-85002-721-2. EUR 22,95.

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