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Stadttheater Baden 2007: “Les Misà©rables”

Foto: Martin Bruny

Alain Boublils und Claude-Michel Schönbergs “Les Misà©rables” hat sich in den letzten Jahren zu einem Musical entwickelt, das auf praktisch jeder Bühne gespielt wird. 2007 gibt es eine wahre Unzahl an Produktionen im deutschsprachigen Raum. Wenn dieser Trend anhält, wird bald jede mittlere Bühne “Les Mis” im Repertoire haben. Am 17. Februar 2007 war Baden dran: Das Stadttheater brachte seine Premiere von “Les Misà©rables” an den Start.

Die Bühne des Stadttheaters ist eigentlich zu klein für “Les Mis”, es ist praktisch unmöglich, alle Darsteller von der Bühne aus agieren zu lassen, also hat man den “Chor” kurzerhand in die linke und rechte Balkonloge gepackt. Das ist eine Lösung, mit der man das Platzproblem in den Griff bekommt, die aber aus dem “Chor” tatsächlich so etwas wie einen (statischen) Chor macht, und das wiederum ist für den Flow der Inszenierung (Robert Herzl) nicht gerade förderlich. Eine weitere Lösung ist, das Prinzip der Guckkastenbühne aufzuknacken. Und so durchbrechen Darsteller alle paar Minuten die imaginäre vierte Wand, um durch den Zuschauerraum auf- und abzutreten, mal von links, mal nach rechts, mal von der Mitte. Eine Art Catwalk um den Orchestergraben sorgt zusätzlich für eine recht intime Nähe von Zuschauern und Darstellern. Nicht, dass das keine interessante Lösung wäre, aber durch die grelle Beleuchtung dieses Catwalks ist in den ersten Reihen dann doch recht viel an Ablenkung im Raum.

Bühnenerweiternde Elemente also sind es, die massiv eingesetzt werden und das Platzproblem lösen, aber selbst wieder eigene Probleme schaffen. Die intime Nähe führt ab und zu zu lustigen Beobachtungen. So hat sich eine Besucherin in der ersten Reihe während einer dieser Catwalk-Szenen mit ihrem Programmheft davor geschützt, mit eventuellen Flüssigkeiten des einen oder anderen Darstellers in Berührung zu kommen. Auf sowas muss man mal kommen.

Eines der Hauptprobleme jeder Aufführung in Baden ist das Nebeneinander von Profis und Laien. Nichts gegen Statisten auf der Bühne, aber auch dafür bedarf es einer gewissen Begabung. Eine brauchbare Stimme zu haben, aber sonst absolut nicht im Sinne eines Bühnenstücks agieren zu können, ist zu wenig. Man stelle einen unbegabten Statisten neben einen Profi, und die Szene verkommt zum Laienschauspiel, egal wie gut der Profi ist. Und genau das ist das Problem von “Les Mis” in Baden. Ja, es sind viele Rollen zu besetzen, und ja, mag sein, dass man da auf Statisten zurückgreifen muss, aber JA, sie müssen auch schauspielerisch etwas draufhaben, gerade bei “Les Mis”. Und das ist leider bei einem Großteil des Chors des Stadtheaters Baden nicht der Fall. So werden Szenen manchmal zur Lachnummer, so gehen emotionale Momente völlig unter und man wundert sich nur die ganze Zeit, wieso so viele Leute mit so ausdrucksfreier Mimik und Gestik auf der Bühne herumtrotten.

Lustig geht es im Orchestergraben zu, wenn man vom Schlagwerker und dem Mann am Xylophon auf den Rest schließen darf. Der Mann am Schlagzeug ist eine wahre Entertainmentmaschine. Keinen Moment scheint er auf sein Spiel fokussiert, ständig ist er damit beschäftigt, die Arbeit seiner Kollegen mit missbilligenden oder ermunternden Kopf-, Gesichtsmuskel- und sonstigen Bewegungen zu kommentieren. Dann
wieder lobt er den jungen Mann am Xylophon, scherzt mit ihm, lacht pausenlos, zuckt vor sich hin, kurz und gut: So kann man eigentlich kein perfekt musizierendes Orchester erwarten, wenn Leute dermaßen dauerabgelenkt agieren. Dementsprechend ist das auch so eine Sache, das mit den Noten und dem Orchester, ein klein wenig wie Hase und Igel. Man bemüht sich, zwar, alle Noten einzufangen, aber, naja, Schwamm drüber. Weit ärger ist das, sagen wir eigenwillige, Tempo, das von der Musikmaschinerie vorgelegt wird und die gesamte Aufführung in fast zeitrafferartige Momente zwingt.

Foto: Martin Bruny

Eine der größten Schwächen dieser Produktion ist die Rollengestaltung und -umdeutung des “Marius”. Mit Zoltà¡n Tombor hat man an sich leider einen etwas blass agierenden Darsteller engagiert, der in keinem Moment vermittelt, dass seine Rolle nicht gerade die unbedeutendste in diesem Musical ist. Das wahre Problem ist jedoch die Art und Weise, wie die Szene von Marius und Eponine auf der Barrikade umgedeutet wird. Als Eponine schwer verletzt zu Marius kommt, verzieht er angeekelt sein Gesicht und zuckt zurück, um nur ja kein Blut abzubekommen. Eponine stürzt zu Boden und stirbt, ohne dass Marius ihr zu Hilfe kommt. Das ist doch eine massive Rollenumdeutung, die man sich hätte sparen können. Sparen hätte man sich auch die diversen Änderungen und Streichungen können. Gestrichen unter anderem die komplette Hochzeitsszene, die Reprise von “Trink mit mir”, gestrichen weiters einzelne Zeilen … alle Textänderungen aufzuzählen würde keinen Sinn machen, genausowenig wie die Textänderungen selbst.

Foto: Martin Bruny

Mit Katrin Fuchs als Cosette verhält es sich so wie zwischen den Laien und den Profis auf der Bühne: die Homogenität fehlt. Katrin Fuchs hat so etwas von keiner Musicalstimme, dass man sich fragt, wie man auch nur auf die Idee kommen kann, sie für die Rolle der Cosette zu casten. Fuchs singt normalerweise Opern- und Operettenpartien, eine Fehlbesetzung, nicht mehr, nicht weniger.

Claudia Rohnefeld ist eine wunderbare Schauspielerin und Musicaldarstellerin, allein, sie ist kein kleiner Bub, die Rolle des Gavroche läuft also ebenso unter dem Titel Fehlbesetzung. Es gibt keine akzeptable Begründung dafür, Gavroche mit einer Frau zu besetzen.

Foto: Martin Bruny

Darius Merstein-MacLeod ist ein Valjean, der einen glaubwürdigen Alterungsprozess zu gestalten weiß. Das ist schon mal viel wert. Ich persönlich habe mit Merstein das Problem, dass bei Liedern mit vielen “L” seine Interpretationen für mich in den Schlagerbereich zu driften drohen, aber vielleicht hab ich ein latentes Karel-Gott-Syndrom, das bekanntlich als unheilbar einzustufen ist. Merstein ist jedoch zweifellos ein guter Valjean, auch wenn es ihm nur selten gelingt, zu berühren.

Chris Murrays Performance ist ganz und gar von Overacting geprägt. Wenn man von der Bühne weiter entfernt sitzt, mag das nicht sonderlich stören, sitzt man näher am Geschehen, ist die Mimik Murrays nicht weit von der Groteske entfernt. Stimmlich überzeugt er.

Wunderbar Patricia Nessy als Fantine, Johanna Arrouas als Eponine und Aris Sas als Enjolras. Vor allem Sas beweist, wie man mit Bühnenausstrahlung, glänzender Stimmtechnik und Schauspielkunst aus einer Rolle das Maximum herausholen kann.

Die Thà©nardiers (Franziska Stanner und Helmut Wallner) bleiben leider unterdurchschittlich. Sie schaffen es nicht, die volle Bandbreite an Ausgelassenheit, Frechheit, Vulgarität, Bosheit und was noch alles in diesen Glanzrollen steckt, auszuspielen. Schade drum.

Das Bühnenbild (Manfred Waba) ist eine Art Labyrinth aus Stiegen, kastenartigen Räumen, alles recht eng verschachtelt, aber mit ein wenig Phantasie dann doch als zweckmäßige Kulisse wahrnehmbar, die durch Projektionen recht interessant an die jeweiligen Szenen angepasst wird. Der Einsatz von Leinwänden, die ebenfalls mit Projektionen zu Kulissen werden, macht dieses Element zu einem bühnentauglichen Konstrukt. Bühnenumbauten gibt es keine. Das “Konstrukt” wird durch Projektionen, Leinwände etc. jeweils angepasst.

Passabel der Sound, auch wenn im hinteren Bereich des Theaters der Sound den Ticketpreisen maßgeschneidert angepasst erscheint.

Fazit: Musical in Baden ist ein Erlebnis, das man in den ersten Reihen des Theaters mit allen Sinnen genießen kann. Die Begeisterungsfähigkeit aller Mitwirkenden darf nicht unterschätzt werden, auch wenn man manchmal auf und unter der Bühne nichts davon mitbekommt. “Les Mis” auf die Bühne zu bekommen und die gesamte Laufzeit Wochen im Voraus auszuverkaufen, das ist eine Leistung, zu der man dem Team in Baden nur gratulieren kann.

Les Misà©rables - Ein Musical von Alain Boublil und Claude Michel Schönberg. Nach einem Roman von Victor Hugo.

Kreativteam:
Musik: Claude-Michel Schönberg / Buch: Alain Boublil, Jean-Marc Natel / Gesangstexte: Herbert Kretzmer / Deutsche Übersetzung: Heinz-Rudolf Kunze / Zusätzliches Material: James Fenton / Orchestrierungen: John Cameron
Musikalische Leitung: Franz Josef Breznik / Inszenierung: Robert Herzl / Ausstattung: Manfred Waba / Choreographie: Rosita Steinhauser / Choreinstudierung: Oliver Ostermann / Regieassistenz: Christa Ertl / Inspizienz: Denise Kaller / Technische Leitung: Ewald Baliko / Bühnenmeister: Franz Habres / Beleuchtung: Johann Quarda, Florian Neuber / Ton: Christoph Streicher / Sounddesign: Martin Mayer / Tonassistenz: Cornelia Ertl

Cast:
Johanna Arrouas (Eponine) / Katrin Fuchs (Cosette) / Darius Merstein-MacLeod (Valjean) / Chris Murray (Javert) / Patricia Nessy (Fantine) / Claudia Rohnefeld (Gavroche) / Aris Sas (Enjolras) / Zoltà¡n Tombor (Marius)
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Margarete Aron (Frau) / Beppo Binder (Bamatabois, Lesgles) / Elisabeth Drach (Kleine Cosette) / Mario Fancovic (Claquesous) / Franz Födinger (Seemann, Babet, Major Domus) / Zuzana Gyürky (Junge Hure) / Robert Herzl (Bauer, Joly) / Josef Kirschner (Wirt) / Galina Klingenberger (Wirtin) / Christina Köppl (Junge Hure) / Gabriele Marett (Frau) / Thomas Nestler (Brujon) / Artur Ortens (Vorarbeiter, Zuhälter, Combeferre) / Anna-Sophie Prosquill (Kleine Eponine) / Bettina Reifschneider (Alte Frau, Alte Bettlerin) / Walter Schwab (Polizist, Arbeiter, Seemann, Montparnasse) / Dietmar Seidner (Zuhälter, Courfeyrac) / Therese Spiegel (Kleine Eponine) / Franziska Stanner (Madame Thà©nardier) / Anghelusa Stoica (Hure) / Max Volt (Bischof, Jean Prouvaire) / Dessislava Valeva-Philipova (Fabrikmädchen, Hure, Madeleine) / Helmut Wallner (Monsieur Thà©nardier) / Stephan Wapenhans (Knecht, Arbeiter, Seemann, Grantaire) / Elisabeth Zeiler (Kleine Cosette) / Monika Zirngast (Hure) / Christian Zmek (Fauchelevant, Polizist, Feuilly)
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Sträflingskolonne, die Armen, Farbrikarbeiterinnen, Polizisten, Schaulustige, Huren und Hochzeitsgäste: Chor und Ballett des Stadttheaters
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Es spielt das Badener Städtische Orchester

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