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Theater Akzent: Seussical [2011]

seussical.pngNicht zuletzt aufgrund von Kooperationen konnte das Performing Center Austria, eine der führenden Musicalschulen Wiens, im aktuellen Studienjahr gleich zwei österreichische Erstaufführungen auf die Bühne bringen. Im Vorjahr war das in der Halle F der Wiener Stadthalle das Tanzmusical “Camp Rock”, für das man externes Marketing-Know-how (Marika Lichter), den Disney-Touch und das Finanzpotential der Wien-Holding bündelte. Herausgekommen ist eine kraftvolle, mitreißende Tanzshow, mit schwachen Schauspielszenen. Da ist es wie mit der Henne und dem Ei. Ja, das Buch war vermutlich nicht besser oder schlechter, als es umgesetzt wurde, aber letztendlich zählt, was auf der Bühne stattfindet, und gerade junge Leute benötigen im Schauspiel Führung, die sie nicht wie Pennäler auf einer so großen Bühne aussehen lässt. Das ist alles machbar, aber lassen wir das Vorjahr Vorjahr sein. Sollte es zu einer weiteren Aufführungsserie kommen, wird man sicher noch einmal an der Natürlichkeit der Schauspielszenen arbeiten, schließlich weiß man, für wen man produziert.

Am 6. und 7. April diesen Jahres schließlich zeigte die Performing Academy, so nennt Alexander Tinodi die Kaderabteilung des Performing Center Austria, aus deren Absolventen zukünftige Musicalstars werden sollen, “Seussical”, ein Musical von Stephen Flaherty (Musik) und Lynn Ahrens (Text). Die Show hat eine Produktionsgeschichte, die fast ebenso interessant wie die Show selbst ist. “Seussical” startete in die Aufführungsphase mit einem Workshop in Toronto, mit Tryouts in Boston und schließlich den Previews in New York.

Die Tryouts im Sommer 2000 in Boston gerieten zum Desaster, auch am Broadway selbst verliefen die Previews alles andere als erfolgversprechend. Show Doctors versuchten zu retten, was zu retten war, einzelne Previews wurden gecancelt, den Premierentermin musste man mehrmals verschieben. Die Kostümdesignerin wechselte man bereits bei den Tryouts aus, auch den Regisseur und den Bühnenbildner tauschte man. Lieder wurden gestrichen, Texte geändert. Und schließlich hatte man sich auch noch mit Begrifflichkeiten herumzuschlagen, denn “Seussical” wurde eher als “Revue” denn als Musical rezipiert.

Größter Kritikpunkt: “Seussical” ist definitiv eine Show, in die fast mit Gewalt so viele Charaktere wie möglich des amerikanischen Märchenerzählers Dr. Seuss (Theodore Geisel) gequetscht wurden. Als die Show am 30. November 2000 schließlich seine Broadwaypremiere feierte, waren die Kritiken durchsetzt. Die New York Times bezeichnete das Musical als “flavorless broth”.

Die Rettung nahte in Form der Ulknudel Rosie O’Donnell. Als Gastgeberin einer phänomenal erfolgreichen Talkshow der damaligen Zeit outete sie sich als Fan des Musicals, platzierte prominent Poster mit Szenen aus der Show im Studio - und übernahm schließlich die Hauptrolle im Musical selbst: Sie spielte den Erzähler, “Cat in the Hat” - für vier Wochen. In diesen vier Wochen war das Haus ausverkauft, klare Sache, und als Rosie fort war, castete man Aaron Carter, den jüngeren Bruder des “Backstreet Boys”-Sängers Nick Carter als “JoJo”. Das alles half für eine gewisse Zeitspanne, den Ticketverkauf anzukurbeln, doch nach 198 Vorstellungen war Schluss.

Und doch, Broadway ist die eine Sache, der wirkliche Erfolg eines Musicals wird aber nicht immer am Broadway entschieden. Ja, die amerikanischen Broadwayexperten mögen ihren Kanon danach ausrichten, wer den Längsten am Broadway hat: die meistbesuchte Show, die Show mit den höchsten Einspielergebnissen, den besten Kritiken. Doch “Seussical” schaffte es seit seiner Broadwaypremiere im Jahr 2000 eines der meistgespielten Musicals in Amerika zu werden - und zwar an Schulen. Die Top 10 der meistgespielten Musicals an Highschools im Jahre 2007:

01. Little Shop of Horrors
02. Seussical, the Musical
03. Thoroughly Modern Millie
04. Beauty and the Beast
05. Disney’s High School Musical
06. Grease
07. Fiddler on the Roof
08. Bye Bye Birdie, Oklahoma! (ex aequo)
08. Anything Goes, Guys and Dolls (ex aequo)
(Quelle: Educational Theatre Association)

So gesehen war also die Wahl des Perfoming Center Austria goldrichtig, “Seussical” zur Aufführung zu bringen. Es gibt von der Show eine Unzahl an Versionen, die in Länge, Anzahl der Lieder, Arrangements etc. variieren. Im Akzent kam eine der gekürzten Versionen zum Zug, zusätzlich noch auf die Bedürfnisse der Performing Academy abgestimmt.

Etwas verwirrend mag der Sprachenmix gewesen sein. Teile der wenigen Sprechtexte wurden im englischen Original belassen, andere Teile wurden ins Deutsche übersetzt. Das macht aber doch Sinn, da gerade dieses Stück von den Texten und ihrer Komposition, ihrem Versmaß leben. Natürlich hätte man dann eine durchwegs klare und deutliche Aussprache erwartet.

Besetzt wurden die Hauptrollen mit dem Abschlussjahrgang der Performing Academy, also dem 3. Jahrgang. Das war das Finalprojekt der Studenten, unterstützt wurden sie dabei vom 1. und 2. Jahrgang. Hervorstechend aus der Cast: Michael Höfner als Horton, der Elefant. Geradezu eine Idealbesetzung, die beweist, wie wichtig es für einen Musicaldarsteller ist, die richtigen Rollen zu wählen, wählen zu dürfen (oder in diesem Fall wohl einfach richtig besetzt zu werden). Ohne dabei noch einmal ausführlicher auf “Camp Rock” eingehen zu wollen, in “Seussical” war Höfner all das, was die Rolle verlangt, auf eine natürliche, gewinnende Weise, glaubhaft, ohne gekünstelt zu wirken. Zwischentöne, Mimik, Timing, sehr schön, und immer klar verständlich.

Astrid Gollob konnte als JoJo (am Broadway unter anderem von Aaron Carter gespielt) all das an Burschikosem herausholen, was sie in sich hat, und erledigte das sehr gut. War es für sie eine “ideale Rolle”? Nein.

Ganz starke Momente hatte Anna Carina Buchegger als Cindy Lou Who/1st Bird. Da war ganz deutlich das zu sehen, was Rita Sereinig kürzlich in einem Interview als die wesentlichen Qualitäten eines Musicaldarstellers angesprochen hat: Authentizität, ein gewisses Strahlen und Persönlichkeit. Ganz viel Strahlen war da zu sehen.

Das Staging der Songs war großteils sehr bühnenwirksam, eine funkelnde Stepnummer, eine sehr gefühlvolle, auch sehr schön choreographierte und ausgeleuchtete Tanznummer von Peter Knauder, auch er ein “Strahler”, und Eva Prenner, da hielt sich die Anzahl der weniger ausgestalteten Szenen in einem sehr engen Rahmen.

“Seussical” bleibt natürlich eine Show, in der jede Menge Handlungsstränge etwas unglücklich verwoben sind, ob alle Rollen tatsächlich gut besetzt wurden, die Frage sollte man nicht stellen. Es gibt wohl keine Show, die zehn Studenten eines Jahrgangs die gleiche Möglichkeit bietet, ihr Können besonders eindrucksvoll zu demonstrieren. Insgesamt war “Seussical” die beste Lösung für eine Musicalschule, das zu zeigen, was der Gegenstand der Ausbildung ist: ein “Musical”, keine Revue, in der man es vielleicht einfacher gehabt hätte, auch das Strahlen, das die anderen Studenten auszeichnet, zu demonstrieren. Und als Ensemble waren sie alle eine starke Einheit.

Ein kleines Problem hatte ich persönlich mit einigen der Kostüme, aber das war immer schon ein Problem der Show. Einerseits unterstützen die Kostüme, gerade bei einem Stoff dieser Art, nur die Phantasie der Besucher, andererseits wirken sie, wenn sie sagen wir etwas plump sind, hemmend auf die Phantasie. Bis ich realisiert hatte, warum das Kleid des Kängurus deswegen so aussah, wie es eben ausgesehen hat, war ich auf dem Heimweg. Es hat in meinem Fall die Performance von Jasmin Andergassen nicht gestützt, sondern gestört, davon abgelenkt. Anderen Besuchern mag es anders ergangen sein. Ein Großteil der Kostüme war aber zweckerfüllend.

Lichtdesign, Bühne, Projektionen großartig, liebevoll die Gestaltung des Programmhefts, der Werbesujets, da spielt auch Leidenschaft und Hingabe, neben Können, eine Rolle, und das ist immer schön zu beobachten.

Ich persönlich habe Jakob Semotan vermisst in der Show, einen Studenten des 2. Jahrgangs, der viele Jahre schon im Rahmen von Shows des Performing Center Austria auftritt. “Seussical” wäre ein Musical wie geschaffen für ihn gewesen. So aber sollte man zumindest auf ein Konzert hinweisen, das er demnächst mit seiner Band, den “Austerities”, am Dienstag, den 3. Mai 2011 im Wiener Lokal B72 (Hernalser Gürtelbogen 72-73, 1080 Wien) von 23 bis 23:45 Uhr geben wird.

Leading Team
Regie/Künstlerische Gesamtkonzeption: Rita Sereinig
Buchadaption/Zwischenmonologe: Rita Sereinig
Musikalische Leitung: Marie Landreth
Choreographien: Sabine Arthold/Susi Rietz/Rita Sereinig
Stagings: Rita Sereinig
Dance Captain: Franziska Fröhlich
“Flight Captain”: Anna Carina Buchegger
Probenkoordination: Eva Tatzber
Kostüme & Requisiten: Gabi Tinodi
Creative Paintings: Thomas Poms
Bühnenbild: Sandor Coti
Licht: Gerhard Scherer
Audiobearbeitung/Videoinstallationen: Tom Debelke
Bühnenmeister: Manfred Puder
Ton/Projektionen: Tibor Barkocy
Executive Producer: PCA - Alexander Tinodi

Cast
Jeaninne Allieri: Mayzie LaBird
Jasmin Andergassen: Sour Kangaroo
Anna Carina Buchegger: Cindy Lou Who/1st Bird
Astrid Gollob: JoJo
Markus Hareter: The Cat in the Hat/3rd Monkey
Michael Höfner: Horton the Elephant
Peter Neustifter: Mr. Mayor/1st Monkey
Thomas Poms: General Genghis Khan Schmitz/2nd Monkey
Eva Prenner: Mrs. Mayor
Julia Wenig: Gertrude McFuzz

sowie:
1. Jahrgang: Melanie Böhm, Clara Karzel, Michael Mayer, Johanna Mucha, Tiziana Turano, Michà¨le Blättler
2. Jahrgang: Claudia Artner, Franziska Fröhlich, Peter Knauder, Angelika Ratej, Anetta Szabo, Judith Jandl

Link
- Performing Academy
- The Austerities @Facebook

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