Atmosphäre in einen doch recht kühlen, arenaartigen Raum wie in jenen der Wiener Urania zu zaubern, das können die Schauspieler und der Regisseur, das ganze Leading Team der “Volkstheater in den Außenbezirken”-Produktion “La Strada”.
Sie schaffen eine Stimmung, die zwischen italienischem Film und einem Gefühl, das der französische Schriftsteller Philippe Djian in Romanen wie “Betty Blue” so wunderbar vermittelt, mäandriert. Für die Schauspieler ist der Prozess des Erzeugens dieser speziellen Stimmung, dieses, wie Fellini über seinen Film “La Strada” gesagt hat, “schwebenden Tons, der in mir das Gefühl unendlicher Traurigkeit weckte”, jeden Abend eine neue Herausforderung - denn die Produktion spielt fast wöchentlich in einem anderen Raum, und jeder Raum, in dem die Darsteller Station machen, ist auch anders, ganz anders. Im persönlichen “La Strada” der Protagonisten von “La Strada” gibt es mal eine Bühne, dann wiederum ist nicht mal für die ganze Deko Platz, die Auftritts- und Abgangsmöglichkeiten variieren. So kommt keine Routine auf, jeder Abend ist eine kleine Premiere.
Man tritt zum Großteil vor dankbarem Publikum auf, das mit dieser Produktionsschiene des Volkstheaters Theaterabende direkt in den Bezirk geliefert bekommt. Das darf man nicht unterschätzen. Hier werden Barrieren gekippt - du musst nicht zum Theater kommen, das Theater kommt zu dir, man will extra für dich spielen. Ein Großteil läuft auf Abo-Basis zu vernünftigen Preisen, mit denen man Publikum gewinnen und nicht vergraulen will, das Durchschnittsalter des Publikums ist ein etwas gehobeneres, und wer sich einmal gut unterhalten hat, kommt vielleicht auch öfters ins Haupthaus.
“La Strada - Das Lied der Straße” ist ein Schauspiel von Gerold Theobalt nach einem Drehbuch von Frederico Fellini, Tullio Pinelli und Ennio Flaione.
Der Schausteller Zampano braucht eine neue Assistentin. 10.000 Lire zahlt er für Gelsomina, ein einfaches, ein bisschen zurückgebliebenes Mädchen. Nun zieht sie mit ihm von Ort zu Ort, spielt den Clown, sammelt das Geld ein, kocht und wäscht für ihn. Zampano ist brutal, jähzornig, rücksichtslos und unfähig Gefühle zu zeigen. Er schlägt sie, schläft aber auch hin und wieder mit ihr und betrügt sie mit anderen Frauen. Sie hängt trotzdem an ihm. Dann lernt sie den Seiltänzer Il Matto kennen. Er spricht mit ihr, hört ihr zu und nimmt sie ernst. Von ihm lernt Gelsomina auch die kleine Melodie, die sie auf der Trompete spielt. Als er nicht aufhört, Zampano zu verspotten, kommt es zur Katastrophe …
Ein schwebender Ton, ein Gefühl unendlicher Traurigkeit, das sich in der wechselseitigen Abhängigkeit von Gelsomina und ihrem brutalen Zampano spiegelt, aber auch in der Beziehung zwischen Zampano und Il Matto, dem Seiltänzer, sowie Zampano und seinen Damenbekanntschaften, dieser schwebende Ton ist es, der bei dieser Produktion alles andere, auch die Handlung an sich, dominiert.
Doris Weiner gibt das einfache, etwas zurückgebliebene Mädchen nicht als ver-rückte Studie, sondern zeichnet es als liebenswert ent-rückt, auf eine ganz bezaubernde Weise. Es lebt in seiner eigenen Welt und in diese Welt dringt der Alltag so wie wir ihn alle kennen nur gefiltert ein. Andy Hallwaxx (Regie) setzt eine Vielzahl an Stilmitteln ein, um die Gefühlswelt der Gelsomina zu skizzieren. Er spielt mit Zeit und Realität, mit der Welt der Akrobatik, setzt einen ausgeklügelten Sound- und Musikteppich wie eine Art Underscore ein - alles scheint ineinander zu verfließen, die Zeit an sich wird unwesentlich. Die clownesquen Kunststückchen Gelsominas liefert Weiner manchmal mit einer Charlie Chaplinesquen Attitude, sie sind Teil ihres Wesens, nicht unbedingt als “Zirkuseinlagen” interpretierbar. Die vielen Brechungen in dieser Rolle, beispielsweise dass Weiner natürlich schon lange kein “kleines Mädchen” mehr ist, die traumartigen Sequenzen, das überragende Timing der Schauspielerin, mit dem sie Zeit und Raum balanciert und stets die völlige Aufmerksamkeit des Publikums auf sich fokussiert, das allein macht diesen Abend zu einem großen Erlebnis.
Zampano, der, so stellen wir uns das vor, muskelbepackte Grobling, wird von Thomas Bauer mit Wucht als Seelenkrüppel und Schwächling interpretiert. Er reagiert nicht mit Worten und Gefühlen, sondern ausschließlich körperlich, mit Gewalt.
Marjan Shaki spielt eine Wirtin, eine Hure und einige Szenen später eine Nonne - ein derartig breites Spektrum verlangt eine nuancenreiche Mimik und Gestik sowie Intonation, und mit all dem verleiht die Schauspielerin souverän ihren Auftritten Wirkung. Von der etwas spleenigen Nonne zur derben, karaokesingenden (”Stand by your man”), quietschigen Hure in wenigen Szenen, und beides glaubhaft dargestellt. Ein schöner Einstieg in die Wiener Sprechtheaterszene, abseits der Musicals.
Die restlichen Nebenrollen, auch jene der Mutter Gelsominas, spielt Reinhold G. Moritz, der im Verlauf der Stücks immer stärker wird und im direkten Aufeinandertreffen von Il Matto und Zampano ein paar glänzende Szenen hat.
Set Design und Lichtregie arbeiten nicht mit dem Aufwand einer Hightech-Bühne, aber wenn es darauf ankommt, welche Wirkung erzielt wird, so schaffen wenige Requisiten, die die Phantasie der Zuschauer anregen, oft mehr als noch so tolle Bühnenlandschaften. Ein paar Möbelstücke, verschiebbare Wände, einige wenige Requisiten, auch da ein poetisches Spiel mit Licht - wunderbar. “La Strada” sollte man gesehen haben. Nur noch wenige Termine sind auf dem Tourplan:
27. Oktober: Haus der Begegnung, Donaustadt
28. Oktober: Haus der Begegnung, Donaustadt
30. Oktober: Da capo (VH Inzersdorf)
31. Oktober: Volksheim Groß-Jedlersdorf
04. November: VHS Hietzing
05. November: VHS Hietzing
La Strada - Das Lied der Straße
Österreichische Erstaufführung
Schauspiel nach einem Drehbuch von Frederico Fellini, Tullio Pinelli und Ennio Flaione von Gerold Theobalt
Zampano: Thomas Bauer
Gelsomina: Doris Weiner
Matto: Reinhold G. Moritz
Wirtin/Hure/Nonne: Marjan Shaki
Regie: Andy Hallwaxx
Bühne: Judith Leikauf/Karl Fehringer
Kostüme: Erika Narvas
Dramaturgie: Hannah Lioba Egenolf
Regieassistenz/Souffleuse/Inspizienz/Abendspielleitung: Elisabeth Balog/Katja Knebel