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Wien: “No way to die” - ein Stück Kulttheater, das man gesehen haben muss

No way to die
Wer die Suchwörter “Selbstmord” und “Internet” googelt, kommt auf die erstaunliche Trefferzahl von rund 297.000 Sites. Bei “suicide” & “internet” kommt man schon auf fast 2 Millionen Treffer. “Suicide” und “Chatroom” ergeben 603.000 Treffer. Die jährliche Selbstmordrate (je 100.000 Einwohner, Stand 2005) beträgt in Österreich laut www.who.int bei Männern 26,1, bei Frauen 8,2 (insgesamt: 16,9). In einer europaweiten Statistik liegt Österreich damit auf Rang 14, weit vor Deutschland (Rang 22).

Selbstmord ist nach wie vor ein Tabuthema. Hat das Internet auch nicht dazu geführt, dass es zu einem Anstieg der Selbstmordrate gekommen ist, so hat es doch die Kommunikation von lebensmüden Menschen untereinander wesentlich erleichtert. Es gibt sie, die Selbstmordchatrooms, und sie funktionieren im Wesentlichen nicht anders als normale Chatrooms, nur wird aus einem eventuellen Date meist nicht mehr als eine Verabredung zum gemeinsamen Tod. Kommunikation im Netz ist direkt, oft viel schneller ganz ins Persönliche reichend, als man das im “realen” Leben je zulassen würde. Es ist erwiesen, dass Chatter einander innert kurzer Zeit persönlichste Details anvertrauen, die sie langjährigen Freunden im “realen” Leben nie anvertrauen würden. Aber was ist “real” und was nicht? Was ist Fake und was Leben? Und was passiert, wenn man zwischen Fake und Leben nicht mehr unterscheiden kann? Oder es nie konnte?

Genau das ist das Thema des Theaterstücks “No way to die“, das derzeit in einer der ältesten Kleinkunstbühnen Wiens zu sehen ist, im “Theater Neue Tribüne“, gelegen im Untergeschoss des duchaus bekannteren Cafà© Landtmann.

Julie (20) und August (19) treffen sich in einem Selbstmordchatroom. Sie lernen sich kennen und planen ihren gemeinsamen Tod. Julie zahlt August den Flug zum gemeinsamen Todes-Date. Von einer 600 Meter hohen Felskante wollen sie springen. Ob sie es auch tun? - Das ist, kurzgefasst, die Handlung von “No way to die”, basierend auf Igor Bauersimas Theaterstück “norway.today”, für das der Autor von der Zeitschrift “Theater heute” zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt wurde.

Die beiden Darsteller Jan Hutter und Irà©na Flury, Absolventen der Konservatorium Wien Privatuniversität, haben aus dem Schauspiel “norway.today” gemeinsam mit Regisseur Erhard Pauer, Peter Uwira, der die Musikalische Leitung übernommen hat, sowie Markus Tesch (Choreographie) ein Stück Musiktheater gemacht. Sie reicherten das Schauspiel mit Tanzelementen an und mit Songs, beides Elemente, die das Theatererlebnis zu einem durchaus auch sinnlichen werden lassen. Gleichzeitig nehmen sie damit aus den Dialogen das Tempo und ermöglichen es dem Publikum, das eben Gehörte wirken zu lassen. Durch Musik und Tanz wird der Zuschauer emotionalisiert, empfänglich gemacht. Was auf einen Song folgt, trifft ohne viel Gegenwehr auf das Publikum.

Die Chancen stehen gut, dass man als Zuschauer in “No way to die” öfter lacht als in drögen Musicalblockbustern wie “We Will Rock You”, wobei es durchaus interessant ist, warum man bei “No way to die” lacht. Ist es einfach eine natürliche, gesunde Reaktion, das eben Gehörte, durchaus Schockierende zu verarbeiten beziehungsweise durch lautes Lachen abzuwehren? Zum Teil sicher, denn was man sieht, sind zwei Jugendliche, die sich darauf vorbereiten, Selbstmord zu begehen. Sie inspizieren den Ort der Tat, sie versuchen, sich letzte Zweifel auszureden, nehmen Videogrußbotschaften auf. Aber der Text ist raffiniert gebaut. Er verlockt durchaus auch zum Lachen, dreht dann mit einem Satz die Perspektive von vermeintlich witzig auf todernst, und schon würde das (unangebrachte?) Lachen erfrieren, wenn man so schnell reagieren könnte. Ein Musterbeispiel:

August: Ich hab ernsthafte Versuche unternommen [mich umzubringen]
Ich habe eine Narbe im Gesicht
Ich bin aus dem Bett gefallen
Gleich nach der Geburt
Ich hab mich sozusagen da runtergestürzt
Das war mein erster Reflex
Seit ich denken kann, denk ich daran mich umzubringen
Im Ernst

Julia: Ich hab ne Frage. Wenn du sie mir richtig beantworten kannst, überleg ichs mir.
Vernunft! Was ist das?
August: Was?
Julia: Ja?
August: Ja?
Julia: Das ist die Frage!
August: Achso!
Julia: Lass dir Zeit.
August: Vernunft. Vernuft ist krank. Das weiß doch jeder.
Julia: Ist das alles?

Zum Teil ist es auch Fassungslosigkeit darüber, wie die beiden Lebensmüden sich über ihre Situation lustig machen. Man wird vom Lachen der beiden Todesmüden angesteckt, empfindet sich als Zuschauer mitunter in einer voyeurartigen Situation, ein Lachen beobachtend und aufnehmend, das aus einer Situation heraus entsteht, die eigentlich todernst ist. Was Igor Bauersima in seinem Drama schafft, ist ein sprachlicher Drahtseilakt, stets seine Glaubwürdigkeit bewahrend, nie ins Kalauernde, Aufgesetzte abrutschend.

Jan Hutter und Irà©na Flury beweisen mit “No way to die” ihre Kunst in allen drei Sparten, die ein Musicaldarsteller, durchaus auch jeder Schauspieler, heutzutage idealtypisch beherrschen sollte: Schauspiel, Tanz und Gesang. Sie machen aus “No way to die” Theater, das normalerweise Kultstatus erreichen müsste und eine ganze Zeitlang laufen sollte. Freilich ist das in Wien nicht leicht, Werbung ist teuer, aber wie auch immer. Wenn es ein Stück gibt, das beispielsweise das Theater der Jugend in seinen Spielplan aufnehmen sollte, dann dieses, behandelt es doch ein Thema, das nicht zuletzt auch viele Jugendliche betrifft. Wenn Theater heutzutage vielleicht ein wenig noch verändern kann, dann eventuell so, als Anstoß, als Anregung zur Diskussion und Selbstreflexion.

“No way to die” ist noch am 6. März, am 7. März und am 8. März jeweils um 20 Uhr im Theater Neue Tribüne zu sehen.

1 Kommentar »

  markus wrote @ März 4th, 2008 at 17:27

das stück “norway today” wurde gerade letzte saison am theater der jugend, in der spielstätte theater im zentrum mit den beiden darstellern stefano bernardin und silvia meisterle in einer regie von alexander brill zur aufführung gebracht. infos unter http://www.tdj.at/beamer/archiv/18_2007/index1.htm

dennoch bezweifle ich nicht, dass die vorliegende fassung sehenswert und mitunter noch packender und aussergewöhnlicher ist als das original.

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