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Wiener Kammeroper: »A Good Man« – die Seele ist ein weites Land

David Durham/© Christian Husar

Musicals in der Wiener Kammeroper sind in den letzten Jahren immer sehenswert gewesen. Musicals in der Wiener Kammeroper, betonen wir mal das “Wiener”, haben in den letzten Jahren auch die Kritiker in der Mehrzahl für gut befunden, sehen wir mal von den üblichen Verdächtigen ab, die im Standard und der Presse nebenbei auch Musicals besprechen. Dass Musicals in Wien gute Kritiken bekommen, ist keine Selbstverständlichkeit. Musicals und Wien, das passt nicht, da ist zu viel Unmut da. Wiener Kritiker und Musicals, das ist wie Rapid gegen Austria. Da fliegen die Wuchteln so tief, dass dem Rasenwart vom Happel-Stadion die Arbeitslosigkeit droht. Kein Mensch kann nachvollziehen, warum das so ist, aber wer kann schon rational begründen, wie es Hans Krankl in die Charts geschafft hat oder Herbert Prohaska zum Kommentator beim ORF. Kaum begibt man sich ein paar Kilometer außerhalb Wiens, wird sogar eine Nonsens-Show wie “Carmen Cubana” als “fast broadwayreif” abgefeiert, während in der Bundeshauptstadt fast nur Ramsch auf der Bühne vor sich hinmusicalt - so die einschlägige Meinung der Musicalmähdrescher. Das ist zwar unverständlich, aber eben nicht zu ändern.

Genug über Wir-mögen-keine-Musicals-Kritiker, wir sind ja eigentlich in der Wiener Kammeroper und erleben die Uraufführung der Show “A Good Man”. Die Handlung des neuen Musicals von Ray Leslee (Musik) und Philip S. Goodman (Buch & Texte) ist im Mississippi des Jahres 1946 angesiedelt. Albert, ein schwarzer Farmpächter, hat es nicht leicht im Leben. Das, was er aus dem Boden, den er bestellt, erntet, ist auf dem Markt immer weniger wert. Er wohnt in einem Haus, das ihm nicht gehört, und hat eine Familie, die er durchfüttern muss. Trotz aller Widrigkeiten liebt Albert sein Leben und das Land, das er bestellt. Als seine Frau Louella nach zehn Jahren noch einmal schwanger wird, möchte er ein Zeichen setzen, er möchte “sein” Haus weiß streichen. Schlechte Idee. Erstens wird ihm vom weißen Landbesitzer John Tittle (überzeugend gespielt von Charles Hensley) erklärt, dass das Haus, in dem Albert wohnt, mit Sicherheit nicht Alberts Eigentum ist. Das um die Ohren geknallt zu bekommen, ist schon mal Erniedrigung genug für einen Tag. Doch John Tittle ist an und für sich nicht das größte Problem. Es sind die “eigenen Leute” und die Nachbarn, die Albert das Leben zur Hölle machen ab dem Tag, an dem bekannt wird, dass ein Schwarzer sein Haus weiß streichen will.

Ein Spiel mit Symbolhaftem, das ist es, was das Kreativteam mit “A Good Man” auf die Bühne gestellt hat. Symbolhaftes finden wir im Text, in der Musik, im Bühnenbild. Man kann, wenn man es so empfindet, manches als allzu klischeehaft gepinselt bezeichnen - wenn man das so empfindet -, ich meine aber, dass man sich auch auf diese Symbolsprache einlassen kann. “A Good Man” lebt von einer auf schwarz und weiß reduzierten Farben- und Set-Design-Sprache, nur dass schwarz und weiß sehr bunt daherkommen. Schwarz und weiß, das kommt im Set Design praktisch nicht vor. Wir haben tiefblau und rot, wir haben dunkle Gelbtöne, der Rest des Spektrums ist ausgeblendet. Es ist eine recht aggressive, reduzierte, gefühlsintensive Farbensprache, in der das um noch eine Stufe reduziertere Set Design knallig, fast comicartig, zur Wirkung kommt. Da reicht dann schon die Andeutung eines Hauses, da reicht eine aus Pappe ausgeschnittene Kuh oder ein aus Pappe ausgeschnittenes Auto, ein kitschiger Mond projiziert auf eine vor Blau nur so glühende Leinwand. Fast möchte man meinen, die Dialoge seien dann noch um eine Stufe reduzierter, reduziert auf die brutalen archaischen Grundzüge des Rassismus und darauf, wie Rassismus alles innerhalb einer Gesellschaft, einer Dorfgemeinschaft, einer Familie, einer Ehe prägt.

Alle handelnden Personen in “A Good Man” haben sich in die Strukturen einer rassistischen Gesellschaft eingefügt. Die einfache, plakative Sprache dieses Stückes hat ihre poetischen Momente, aber es ist kein Platz, um über das Problem Rassismus an sich zu philosophieren, um Gefühle miteinander auszudiskutieren. Die Auswirkungen des Rassismus bekommen wir als Zuschauer vor allem durch drastische Effekte, Gefühlsausbrüche vermittelt. Die Ebene der echten Gefühle ist großteils in die Songs und in das nonverbale Spektrum des Schauspielens verlagert. Keines der Lieder ist beispielsweise im Sinne eines Michael Kunze handlungsfördernd, die Songs in “A Good Man” offenbaren vor allem die Gefühle der handelnden Personen.
Wenn David Durham in der Rolle des Albert von einem weißen Haus singt (”White House”, 1. Akt), mit all seiner Stimm- und Darstellungskraft, dann wird innerhalb dieses Songs das Fenster aufgestoßen zu all dem, was in ihm vorgeht. All das Plakative, Beengte, Reduzierte des Set Designs, der Farbensprache weicht dann der unendlichen Weite dessen, was David Durham mit seiner Stimme auszudrücken vermag - gemeinsam mit der Band unter der Leitung von Michael Schnack und der Kunst von Richard Österreicher an der Mundharmonika zeichnet Durham seine Seelenlandschaft, seine Träume von einer besseren Welt in den Zuschauersaal. Man sollte nie den Zauber einer Mundharmonika unterschätzen, und im Score von “A Good Man” spielt dieses Instrument eine gewichtige Rolle. Richard Österreicher wird mit Recht als Meister des Mundharmonikaspiels bezeichnet. Mit seinen Phrasierungen setzt er wichtige Stimmungsakzente. Die Band (Klavier: Michael Schnack, Gitarre: Franz Scharf, E-Bass: Stephan Först, Drums: Oliver Gattringer, Mundharmonika: Richard Österreicher) liefert den perfekten Soundtrack zu Blues, R’n'B, Spirituals, zu Jazz, zu Balladen mit Gospeltouch. Auf diesem Soundteppich kann eine Ausnahmekünstlerin wie Carole Alston als Granny ihr Solo “Prayer”, eines der stilleren Highlights der Show, präsentieren, Stephen Shivers als Priester Tom feiert eine Dreiminuten-Gospelmesse, Amber Schoop (Louella), Lerato Sebele (Lettie), Alvin Le-Bas (Hardway), Cedric Hayman (Augustus) und Quentin Gray (Cooter) vervollständigen das stimmkräftige Ensemble.

Mit “A Good Man” hat die Wiener Kammeroper auch 2006 einen Erfolg gelandet, und, wenn man sich was wünschen darf, so wäre auch mal ein Musical von Jason Robert Brown oder William Finn eine Überlegung wert.

“A Good Man”

Kreativteam:
Musik: Ray Leslee
Buch & Texte: Philip S. Goodman
Basierend auf einer Novelle von Jefferson Young
Musikalische Leitung: Michael Schnack
Inszenierung: Esther Muschol
Ausstattung: Thomas Goerge
Lichtdesign: Lukas Kaltenbäck
Spielleitung und Inspizienz: Wladimir Koshinow
Korrepetition: Sabri Tulug Tirpan
Regiehospitanz: Uta Meyer, Olivia Rode
Technische Leitung: Herbert Herl
Bühnenmeister: Peter Nagele
Beleuchtung und Ton: Gregor Neuwirth
Dekorationswerkstätte: Manfred Regner
Kostümwerkstätte: Christina Pfeifhofer, Gundula Michel
Maske: Elisabeth Stanitz

Cast:
Louella: Amber Schoop
Lettie: Lerato Sebele
Albert: David Durham
Cooter: Quintin Gray
Granny: Carole Alston
Preacher Tom: Stephen Shivers
Augustus: Cedric Hayman
Hardway: Alvin Le Bass
John Tittle: Charlie Hensley

Band:
Klavier: Michael Schnack
Gitarre: Franz Scharf
E-Bass: Stephan Först
Drums: Oliver Gattringer
Mundharmonika: Richard Österreicher

Songs:
Mule Song (Albert)
Long Brown Woman (Augustus, Co.)
White House (Albert)
New Orleans (Louella, Albert)
Pictures (Cooter, Lettie, Granny)
Figurin’ Paint (Company)
Take Me Home (Preacher Tom, Co.)
Prayer (Granny)
I Got A Right (Albert)
Independence Day (Men)
One Man (Lettie)
How The Happy Girl Got Lost (Louella)
A Babe in Jesus’ Arms (Preacher Tom)
Lay-By (Albert)
Rain Man (Cooter, Lettie)
Celebration (Preacher Tom, Co.)
Night Moves (Albert, Louella, Cooter)
The Numbers Game (Hardway)
Raggedy Man (Albert)
Wheel Come Round (Albert)

Aufführungstermine:
Weitere Vorstellungen: 23., 24*., 25., 28., 30. November 2006;
02., 05., 07., 09., 12., 14*., 16., 19*., 21. Dezember 2006
* Theater der Jugend (geschlossene Vorstellung)
Beginn: 19.30 Uhr

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