Am 13. September 2007 feierte das Musical “Carmen Cubana” in der Halle F der Wiener Stadthalle als Tourproduktion seine Wien-Premiere.
In Anlehnung an die Novelle von Prosper Mà©rimà©e und Georges Bizets Oper erzählt das Stück die Geschichte der verführerischen Carmen, projiziert die ursprünglich in Sevilla spielende Handlung jedoch auf Kuba und den US-Stützpunkt Guantà¡namo.
1994 versuchen mehr als 30.000 Kubaner, mit Booten nach Miami zu flüchten. Unter ihnen ist Carmen, die in Amerika als Sängerin Karriere machen will. Das Floß mit ihr und ihrer Familie kentert, sie werden von amerikanischen Soldaten verhaftet und mit anderen Flüchtlingen nach Guantà¡namo gebracht. Dort verführt sie den schüchternen Soldaten Joe (bei Bizet Josà©), der ihr schließlich aus Liebe zur Flucht verhilft. Zurück auf Kuba verlässt Carmen Joe und lässt sich mit dem Pop-Sänger Escamillo ein, um ihren Traum von der großen Bühne, Berühmtheit und Luxus zu verwirklichen.
“Carmen Cubana” überzeugt am meisten, wenn Bühnenpersönlichkeiten wie Walter Reynolds (Lilas Pastia), Alvin Le-Bass (Sergeant Cooper) oder Dennis Le Gree (Rum) performen. Nehmen wir als Beispiel das groovige “Nothing is for free”, gesungen von Dennis Le Gree - ein Highlight von “Carmen Cubana”. In solchen Momenten hebt das Musical ab und erreicht Qualitäten einer perfekten R’n'B-Show. Hier verlassen sich Beat For Feat auf ihre wahre Stärke: auf das Redesign von Grooves & Sounds. Musterbeispiel für gutes Redesign: “L’amour est un oiseau rebelle”, die berühmte Arie aus Georges Bizets “Carmen”, die auf einer der populärsten Habaneras, “El arreglito”, beruht. Für ein paar Sekunden bauen Beat For Feet da eine Rhythmussequenz ein, die den Weg hätte weisen können und zeigt, was alles möglich gewesen wäre, um dann zwar in eine gute groovige Version einzumünden, aber letztlich doch eher konventionelle Neubearbeitung. “Habanera” hätte etwas wirklich Großartiges werden können innerhalb von “Carmen Cubana”, so ist immer noch ein stimmiges Redesign herausgekommen.
Nicht immer ganz glücklich sind die Versuche geraten, opernhafte Elemente in diese Latin Pop Opera zu flechten. Weder hat Lana Gordon in dieser Hinsicht bestechende Qualitäten, noch passen gesynthesizerte Violinverwaberungen in den dominierenden Latin Rhythm Sound von “Carmen Cubana”. Das könnte man schon machen, aber dann müssten echte Streicher her und eine andere Carmen, die auch klassisch geschult ist. In diesen Passagen klingt Gordon seltsam dünn. Manche Zitate aus Bizets “Carmen” sind nett gemeint, aber letztlich im Rahmen des Gebotenenen dann doch eher Schnickschnack. Musterbeispiel: “Lena”, eine schöne, groovige Nummer, ein wenig im Earth, Wind & Fire-Stil, die kein “Carmen”-Zitat nötig gehabt hätte. Keine schlechte Idee wäre es übrigens gewesen, anzumerken, welche Songs tatsächlich neu für die Show geschrieben beziehungsweise welche Zitate für die einzelnen Songs verwendet wurden. Ein idealer Platz für diese Infos wäre das Programmheft gewesen.
Punkten kann “Carmen Cubana” vor allem auch mit Balladen, selbst wenn diese teilweise zu sehr zu Whitney-Houston-Soundalikes gestaltet wurden. “The Rose Song”, gesungen vom souveränen Rob Fowler, hat seine Qualitäten ebenso wie “If I had to do it all again”, sehr schön von Lana Gordon interpretiert, auch wenn man hier Whitney Houston fast schon mitsingen hört.
Der größte Minuspunkt der Produktion sind die Dialoge. Wenn man die Darsteller bei den in englischer Sprache performten Songs besser versteht als bei den in deutscher Sprache gesprochenen Dialogen, ist etwas schiefgegangen. Es wirkt manchmal so, als würden die Musicalsänger nicht einmal wissen, was die Worte, die sie aufsagen, bedeuten. Sie betonen falsch, haben eine völlig kervehrte Satzmelodie und rauben sich selbst auf diese Weise jeglichen dramatischen Effekt. So wirkt “Carmen Cubana” in den Dialogszenen manchmal wie eine Schüleraufführung. Schade. Das “burst out in song”-Phänomen wird hier in ein “burst out in dialogue”-Phänomen transferiert. Vielleicht hätte man ein bisschen radikaler sein müssen und eine gänzlich englischsprachige Version produzieren sollen. Wenn dann noch, wie in der Schlussszene, die Regie danebengreift, hat das Konsequenzen. Joe ersticht Carmen, ohne dass diese Szene tatsächlich effektvoll gestaltet wurde. Fast hat man den Eindruck, dass sich Regisseurin Kim Duddy an diesem tragischen Ende vorbeischwindeln wollte, um die gute Laune nicht zu massakrieren. Ein paar Sekunden später ist die Show auch schon vorbei und das Publikum ratlos, bis dann eine schmissige Zugabe den Showkarren wieder auf Touren bringt.
Hervorragend und mitreißend die Tanzszenen, bei denen Kim Duddy in ihrer Funktion als Choreographin ihre Qualitäten voll ausspielen kann. Man spürt die Energie des Ensembles, und das könnte theoretisch sogar ansteckend sein, allerdings sind wir in Wien, und da sitzt man doch eher auf seinem Sesselchen und schaut anderen beim Tanz zu. Aus dem Tanzensemble hervorstechend: Josà© Wanderley. Er ist in den meisten Szenen purer Tanz, wie man es sehr selten erlebt. Sprühend im Ausdruck und äußerst präzise, ein Ausnahmetalent. Am Schluss hält es an doch niemanden in den Sitzen: Standing Ovations!
Für eine Tourproduktion sind die Kulissen sehr ordentlich und multifunktional ausgefallen, Andrew Follers Lichtdesign sorgt für viel Abwechslung und interessante Nuancen.
“Carmen Cubana” ist in der Halle F der Wiener Stadthalle zu sehen. Die Halle F dient seit Anfang 2006 als Alternativlocation zur großen Halle D der Wiener Stadthalle. Bietet die Halle D bis zu maximal 16.000 Besuchern Platz, hat man in der Halle F für rund 2000 Zuschauer eine Showbühne geschaffen, die wenig bekanntere Pop- und Rock-Acts heutzutage füllen können. Sicher ist diese Halle auch für Musicals geeignet, allein man müsste zwei Dinge beachten. Der Ton müsste besser ausgesteuert werden. Wie, ist mir als Konsument egal. Von einer modernen Halle erwarte ich mir, dass der Sound glasklar ist und nicht schlechter als im Happel-Stadion. Ich möchte keinen Hall bei Sprechszenen und keine Trommelfellverletzung bei den Songs (insofern enthalte ich mich beim Sounddesigner von “Carmen Cubana”, Andreas Frei, der Stimme).
Zweitens müsste die Ticketpreisgestaltung adaptiert werden. Sowohl die ganz rechte als auch die ganz linke Tribüne sind zumindest in den ersten Reihen Positionen mit Sichtbehinderung. Diese Plätze der teuersten Kategorie zuzuordnen, ist fahrlässig. Man hat in den ersten Reihen eine “Säule” vor sich, und wenn man Pech hat, einen Fotografen, der tatsächlich glaubt, direkt an der Bühne stehen zu müssen. Das ist, mit Verlaub, eine Zumutung, vor allem, wenn man weiß, welche Anweisungen Fotografen erhalten. Sitzt man ganz rechts beziehungsweise ganz links, hat man auch keine Möglichkeit, die ganze Tiefe der Bühne zu erfassen. Man nimmt also alles bruchstückhaft auf. Da müssen sich die Verantwortlichen sicher mal Gedanken machen, ob das Sinn macht, den vollen Preis abzukassieren.
Fazit: Alle, die bei Tourproduktionen normalerweise mit allergischen Reaktionen zu kämpfen haben und die eine oder andere dieser Shows schon mal fluchtartig verlassen haben, können sich an “Carmen Cubana” vielleicht kurieren. Das Level ist recht hoch, die Darsteller zwar keine Household Names, aber immer für eine Überraschung gut. Und, was nicht unwesentlich ist: Nach all den Dramen, die man in Wiener Musicals oft geboten bekommt, ist man am Ende dieser Show mit Sicherheit besser gelaunt als am Anfang.
Carmen Cubana - a latin pop opera
Nach der Novelle von Prosper Mà©rimà©e und der Oper »Carmen« von George Bizet
Kreativteam
Buch: Kim Duddy
Musik: Martin Gellner & Werner Stranka
Regie & Choreographie: Kim Duddy
Musikalische Leitung Martin Gellner & Werner Stranka / Beat 4 Feet
Dt. Buch: Mike Majzen
Bühne: Walter Vogelweider
Kostüme: Robert Schwaighofer
Lichtdesign: Andrew Voller
Tondesign: Andreas Frei
Produzent: Peter Fröstl / mc events & musicpromotions Gmbh
Produktionsleitung: Ulrike Bruckner / mc events & musicpromotions Gmbh
Cast
Carmen: Lana Gordon
Joe: Rob Fowler
Escamillo: Ruben Heerenveen
Lilas Pastia: Walter Reynolds
Francesca: Kudra Owens
Mercedes: Jacqueline Braun
Rum: Dennis Le Gree
Sergeant Cooper: Alvin Le-Bass
Morales: Pehton Quirante
Chuck: Steven Seale
Sam: Dominik Hofbauer
Jimmy: Andras Simonffy
Gabriella: Kenia Bernal Gonzales
Rum’s Girl: Michelle Marier
Rum’s Girl: Karen Henry
Rum’s Girl: Ines Hengl-Pirker
Rum’s Girl/Dance Captain: Lorna Dawson
Alicia: Laura Fernandez
Margarite: Carla Weissmann
Cousin Carlos: Brian Carmack
Juan: Hugo Cortes
Barato: Jose Wanderley
Band
Gitarre: Martin Gellner (Musical Director), Ariel Ramirez, Pedro Tagliani
Bass: Peter Schönbauer, Mathias Petereit
Keyboards: Martin Payr, Bernie Eder
Drums: Shayan Fathi, Florian Holoubek