Home RSS Go RED Go BLACK

Nichts mehr im Griff - auf dem sinkenden Schiff?

Anlässlich der Wien-Premiere der Udo-Jürgens-Show “Ich war noch niemals in New York”, die in ebendiesen Minuten im Raimund Theater über die Bühne geht, strahlte der ORF eine altbekannte, aber etwas aufgefrischte Doku über die Erfolgsgeschichte des Musicalgenres in Wien aus. Lustigerweise setzte ja der richtige Musicalboom in Wien natürlich genau in dem Augenblick ein, in dem für die meisten, die sich als die wahren Experten bezeichnen, das Musical zu sterben begann, nämlich mit dem Einzug des Megamusicals in Gestalt der Webberschen Erfolgsshows wie “Cats” oder “Das Phantom der Oper”.

Was wäre das doch für eine wunderbare Musicalwelt gewesen, hätte es diese Webberschen Shows nicht gegeben. Wir hätten sicher 90 Prozent weniger Musicalschulen, aus Holland würden wir nur Käse kennen, und an der Volksoper würde man vielleicht nach wie vor ohne Mikros singen. Fällt uns sonst noch was ein? Naja, man hätte Heinz Sichrovsky, einen der “geliebten” Wiener Theaterkritiker, für die zuerst der Teufel und danach gleich das Musical kommt, in ebendieser alten, etwas aufgefrischten Sendung vielleicht nicht so viel Platz eingeräumt. Wunderbar sind seine Ausführungen ja aber dennoch, wunderbar um ihres skurrilen Moments, wenn er meint:

Ich halte das Musical für eine kurzfristige, lukrative Verirrung der Kulturgeschichte. Sowas wie die Glockenhose oder die Vogelgrippe. Kurze Zeit verdient jemand sehr gut daran, in kurzer Zeit wird’s das nicht mehr geben. Ich glaube, dass in 20 Jahren das Musical als Form gar nicht mehr existieren wird. Ich muss hinzufügen, ich bezweifle, dass es das Musical überhaupt jemals gegeben hat.
“My Fair Lady” ist meines Erachtens die letzte erstklassige Operette, die geschrieben wurde, “West Side Story” ist ein bedeutendes Opernwerk. Es kam dann der Verfall mit Lloyd Webber, der das Ganze zu einer Maschinerie, zu einer Industrie gemacht hat, der auf eine sehr kalte, professionelle Art Gefühle herzustellen versucht hat. Das ist dann wunderbar gegangen eine Zeit lang. Nur – wenn der fünfte, sechste und siebte Lloyd Webber beginnt Gefühle herzustellen, werden die halt nicht mehr professionell und sehr schlecht und sehr maschinell und ein Wegwerfprodukt

Schön ist, dass Herr Sichrovsky offenbar ein begeisterter Belletristik-Fan ist. In einem seiner für NEWS geschriebenen Artikel bezeichnete er das “Libretto” für die Udo-Jürgens-Show “Ich war noch niemals in New York” als “brillant”. Es ist davon auszugehen, dass Heinz Sichrovsky genau in diesen Minuten der optischen, tänzerischen und gesanglichen Umsetzung des “brillanten” Librettos gebannt lauschen wird, und es sei ihm von Herzen gegönnt.

Aber wie ist das nun, hat es tatsächlich nie ein Musical gegeben? Wurde das Publikum etwa betrogen und hinterrücks mit operettenunterspickten Pseudo-Opern zugedröhnt? Interessant ist die Tatsache, dass man in bezug auf “Ich war noch niemals in New York” Aussagen hört wie das sei “broadwayreif”. Hat jemals schon ein Zuschauer nach dem Besuch einer Vorstellung der Wiener Staatsoper Statements abgegeben wie “Das war …reif?” Wie siehts mit Besuchern des Wiener Burgtheaters aus?

Irgendwas läuft da schief im Staate VBW. Aussagen wie “Nichts mehr im Griff - auf dem sinkenden Schiff” auf beliebten Social-Network-Plattformen lassen erahnen, wohin der Weg führt, den die Frau Kapitän der VBW eingeschlagen hat. Am Ende hat Sichrovsky doch noch recht. Unglaublich!

Kritiken
- TT.com: Kitsch-Orgie und Retro-Charme: Udo-Jürgens-Musical in Wien
- Marler Zeitung: Udos Evergreens begeistern Wien
- KURIER: Udo-Jürgens-Musical: Bejubelter Retrokitsch
- Kleine Zeitung: Jubel um “Ich war noch niemals in New York”
- APA.OTS: Musikalische Seereise: Udo Jürgens-Musical im Raimundtheater
- wienweb.at: Jubel um “Ich war noch niemals in New York”
- puls4.com: Premierenfeier von `Ich war noch niemals in New York`
- derStandard.at: Hitfabrik auf dem Musicaldampfer
- Die Presse.com: Mitreißendes Jürgens-Musical
- WienerZeitung.at: Alter Wein in jungen Schläuchen
- Neues Volksblatt: Mit Udo von Hit zu Hit
- Ahlener Zeitung: Udos Evergreens begeistern Wien
- musicalvienna.at: Galapremiere ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK
- Der neue Merker: WIEN / Raimundtheater: ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK (17. März 2010)
- KURIER: Julian Fritz - Für Udo auf die Bühne
- York Blog: Ich War Noch Niemals in New York
- Wien Holding: Eine Kreuzfahrt mit Pfiff
- Salzburger Nachrichten: Eine Telenovela wird durch Hits geadelt

16 Kommentare »

  Martin Bruny wrote @ März 20th, 2010 at 17:16

Wenn sich also an Musicals generell Interessierte über verschiedene Shows “aufregen”, sollten sie sich nun nicht über die Jürgens-Show beschweren. Und wieso? Ich sehe da immer noch keine Logik, es sei denn, Sie meinen, das sei die Höchststrafe und die hätten diejenigen nun verdient.

Was meine Anprangerung betrifft, so haben Sie sicher die völlige Kehrtwendung am Ende des betreffenden Artikels bemerkt und ich habe die Ausführungen sogar als “wunderbar” bezeichnet. Es mag sein, dass Sie solche Formulierungen nicht schätzen, das ist jedem unbenommen. Ich ziehe das aber immer noch dem Netzwerker-Slang der Udo Jürgens-Clique vor.

  Elisabeth wrote @ März 20th, 2010 at 16:49

was ich damit sagen wollte war folgendes: es wurde über The Producers geschimpft, es wurde über Rudolf geschimpft, man hat FE nicht angenommen, warum regt man sich jetzt über IWNNINY auf? Gibt es denn irgendein Stück bei dem nicht mindestens 50% der freaks sagen dass sie es eh nicht wollen- mal abgesehen von TdV oder Elisabeth?
Im übrigen ist für mich die Ausdrucksweise “gequirtler Schlagermist bei dem man sich genieren muss” der Aussage “das Musical wäre eine Verirrung wie die Vogelgrippe” der hier ziemlich angeprangert wurde schon ziemlich gleichzusetzen. Das hat mit seriöser Kritik imho absolut nichts mehr zutun.

  Martin Bruny wrote @ März 20th, 2010 at 16:10

Tschuldigung, aber der Satz ist sinnleer. Wo ist da der Sinn dahinter? Nur weil etwas keinen Erfolg hat, nimmt man dann gequirlten Schlagermist, bei dem man sich genieren muss? Na, jedem nach seinem Gusto. Wenn mal wer ne saure Leberknödelsuppe serviert bekommt, wird ihm der Wirt sicher auch das nächste Mal sagen: Na die Schöberlsuppe und die Muschelsuppe hams nicht wollen, und jetzt beklagen Sie sich über die Leberknödelsuppe? Seins froh, dass Sie überhaupt was bekommen, Sie Nudlaug!

  Elisabeth wrote @ März 20th, 2010 at 16:01

Na Rudolf, Frühlingserwachen und The Producers wollte man hier ja offensichtlich auch nicht-sonst hätten sich die Stücke ein wenig länger am Spielplan gehalten. Also warum sich dann über Udo beklagen??

  Martin Bruny wrote @ März 20th, 2010 at 10:41

Das ist ja eines der grundlegenden Probleme, dass sich das Musicalgenre bei “eingefleischten” Wiener Fans zwischen Sisi, Wolferl und Krolock abspielt. Immerhin, jetzt haben wir ja noch Udo.

  Elisabeth wrote @ März 20th, 2010 at 10:23

egal ob es den eingefleischten Musicalfreaks gefällt oder nicht aber es scheint sich nun mal ein Erfolg abzuzeichenen und das wird man zur Kenntnis nehmen müssen. Ich seh darin nicht den Untergang der abendländischen Kultur sondern hoffe dass die VBW mal ein wenig aus den roten Zahlen “schippern” um dann wieder ein etwas innovativeres Stück produzieren zu können- damit die Presse was kriegt das nach Herzenslust in der Luft zerreissen kann :-)).
Übrigens ist das Jahr 2012 nicht mehr allzu weit und dann können wir ja vielleicht endlich wieder unsere geliebte Kaiserin in Wien begrüßen und damit sind dann hoffentlich alle zufrieden.

  ferenz jozsef csaszar wrote @ März 19th, 2010 at 21:17

@mischi

danke für dein ehrliches posting ich hoffe das der run auf die karten nur die anfänglichen euphorie ist welche wir bei beihnahe allen stücken beobachten konnten und wir bald(ende des jahres) von diesem möchtegern musical erlöst werden

  Manuela wrote @ März 18th, 2010 at 15:58

@Elisabeth - es gibt einen Herrn Baumann, der schrieb auf “Wake up” eine Musical Hymne und heute hebt er IwnniNY in den Musical Himmel.

Aber ich gebe dir Recht, dass Theaterdiektoren/Intendanten in Wien kein leichtes Leben haben.

  mischi wrote @ März 18th, 2010 at 13:01

also ich war gestern auch in der premiere von IWNNINY und ich bin in der pause nachhause gegangen!
ich muß mir ja nicht jeden scheiß anschauen!
und musical ist das in meine augen nicht!
eine Schlagerrevue und nicht mehr!

  Andreas wrote @ März 18th, 2010 at 09:51

Durfte gestern bei der Premiere dabeisein!

Lustig finde ich, dass alle von Musical sprechen. Das ist und bleibt eine Art “Revue”, eine Aneinanderreihung von Udo Jürgens SCHLAGERN, die erschreckend banal, emotions- und gefühllos “gesungen” werden.

Die Hauptdarsteller haben eher dürftige Gesangsqualitäten, hat mich zum Teil an den Film Mamma Mia erinnert, wo man nicht wirklich feststellen konnte, ob die das “ernst” meinen oder das ganze eigentliche nur eine Persiflage ist.

Und ja, die Leute haben sich “gut unterhalten”, Udo war ja da. Also zeigt man sich solidarisch und klatscht. Und ja, es werden jede Menge Tickets verkauft. Soll so sein.

Man kann nur wirklich hoffen, dass nach diesem Stück wieder was Neues kommt, und man sich nicht von den angeblichen (und wirklichen) Flops irritieren lässt.

  Dave wrote @ März 18th, 2010 at 09:00

Waren Evita oder JCS im Theater a. d. W. eigentlich keine Musicals?

  Rudolf war doch gut wrote @ März 18th, 2010 at 01:17

ich komme gerade von der premiere von IWNNINY, bin schon auf die kritiken morgen neugierig, aber subjektiv meine ich, es kam sehr, sehr gut an beim publikum. in den nächsten monaten sollten auch keine vernünftigen, zusammenhängenden karten mehr zu bekommen sein … klar, der tiefgang bleibt aus, aber wenn man die breite masse ansprechen will, und das musical auch durch tickets finanzieren muss, bleibt wohl keine andere wahl. IWNNINY bietet unterhaltung, fällt in die kategorie “gute laune”- musical, was anderes darf man sich nicht erwarten, keine frage.

  Elisabeth wrote @ März 17th, 2010 at 22:03

PS: und kommen Stücke wie The Producers oder Frühlingserwachen dann interssiert’s kein Schwein und man spielt vor leerem Haus. Wer würde sich schon MA, Avenue Q oder Hairspray ansehen??

  Elisabeth wrote @ März 17th, 2010 at 22:00

Ich glaube nicht dass das Genre Musical in Wien je von irgendeinem Kritiker für Ernst genommen oder nicht belächelt wurde. Elisabeth war “Kaiserinnen-Schmarrn”, Tanz der Vampire eine schlechte Parodie auf einen tollen Film, ich hab noch nir gehört dass ein Text nicht als “reim dich oder ich schlag dich” abgetan wurde. Ich geh seit 1984 ins Musical und glaube nicht dass es sowas wie die “gute alte Zeit” des Musicals hier gegeben hat. Wird ein Stück neu herausgebracht muss sich der Intendant beschimpfen lassen weil es ein Kas ist (Egal ob Wake Up, Barbarella, Rudolf oder was auch immer denn allen gefällt es ja doch nie), macht er was auf Nummer sicher wie die WA der Vampire oder vielleicht Elisabeth in 2 Jahren kann er nix Neues auf die Beine stellen. Ich würde weiß Gott NICHT mit Frau Zechner tauschen wollen und glaub auch nicht dass ich ihrern Job besser machen tät!!

  Me wrote @ März 17th, 2010 at 21:42

Schade auch, dass neue Stoffe wie Marie Antoinette zwar in Japan, aber nicht in Wien gezeigt werden. Dass in Wien wahre Broadwayerfolge (Spring Awakening) nicht beworben werden, und dass eine Compilationshow der neue Renner bei Wien Ticket ist. Irgendwas läuft schief!?!?

Ach ja, und dass das “Neue Ronacher” die Feuersicherheit offensichtlich nicht ganz so ernst nimmt, das wunderschöne Theater an der Wien beinahe jeden Tag nicht bespielt und somit geschlossen bleibt und man wenn man sich doch ins Ronacher wagt mit quietschenden Klappsesseln und Karten zu 60 Euro im 2en Rang in der letzten Reihe besch***ummeln lassen muss. Bravo Wien. Was ist aus uns geworden? :-(

  Rochester wrote @ März 17th, 2010 at 20:23

Ach, das waren noch Zeiten, als Wien zusammen mit New York und London als Musicalstadt genannt wurde….

Lang, lang ist es her und ich hoffe, dass das bald wieder der Fall sein wird.

Angesichts des eingeschlagenen Kurses der VBW (Barbarella, Wake Up, die aktuelle halbbesetzte Tanz der Vampire Billigsparvariante und die künstlerisch anspruchslose Show IWNNINY samt Schiffsbug vor dem Raimundtheater und der “dezenten” Deko im Foyer) kann man leider all zu gut nachvollziehen, warum das Genre Musical in Wien nicht mehr wirklich ernst genommen und eher belächelt wird.

Ihr Kommentar

Abonniere ohne zu kommentieren

HTML-Tags:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <code> <em> <i> <strike> <strong>