Es war einmal ein Brötchen. Wir in Österreich sagen ja Semmel dazu. Das Brötchen, von dem wir reden, war keine normale Semmel, es war eine Kaisersemmel, der absolute Star unter den Brötchen. Vor vielen Jahren, als es in einer berühmten Bäckerei mit traditionsreicher Geschichte kreiert wurde, sorgte es Furore. Wenn der Bäcker seine Brötchen aus dem Ofen hob und sie heiß und duftend auf der Palette in den Korb rutschten, warteten die Kunden schon sehnsüchtig auf ihre Kaisersemmeln. Einige hätten sich fast umgebracht, wenn sie nicht mehrmals wöchentlich ihr Semmerl bekommen hätten. Sie schrieben dem Bäcker Briefe, in denen sie damit drohten, sich mit Kandisin das Leben zu nehmen - alles, nur um an ihre Brötchen zu kommen.
Der gute Ruf der Brötchen sprach sich schnell herum, und der Bäcker konnte sich bald aussuchen, wo er seine Backkünste vollbrachte. Schnell wurde seine ganz spezielle Kaisersemmel in Gourmet-Umfragen zur europaweiten Nummer 1 gewählt, und das viele Jahre hintereinander.
Eines Tages passierte dem Bäcker ein Missgeschick. Eine ganze Partie an Brötchen geriet ihm zu dunkel. Die Semmeln waren bestellt, er musste liefern, keine Chance, die Kunden zu vertrösten. Voller Sorge beobachtete er, wie die ganze Lieferung ein wenig zu dunkel geratener Kaisersemmeln an die Kunden verkauft wurde. Und siehe da: Niemand beschwerte sich. Alle waren zufrieden. Niemand wollte sein Geld zurück. Ein schwerer Stein fiel dem Bäcker vom Herzen. Niemals sollte ihm das nochmals passieren, schwor er sich und ließ seinen Backofen generalüberholen.
Lange Zeit ging alles wieder glatt, auch wenn sich der Bäckermeister immer wieder eingestehen musste, nur noch mit viel Glück an seinen ehemaligen Standard heranreichen zu können. Ab und zu kam es vor, dass eine ganze Partie an Brötchen tiefdunkel aus dem Ofen kam. Mittlerweile dachte er freilich nicht mehr daran, die Brötchen etwa wegzuwerfen, nein, er verwendete nun in der Auslage ganz spezielles Licht, um seine Brötchen künstlich heller aussehen zu lassen. Wow, das klappte echt gut. Als das Ganze immer schlimmer wurde und seine Brötchen immer dunkler, engagierte er eine Marketingagentur und präsentierte seine Ware in speziellen designten Körben mit der Aufschrift “Die besten Kaisersemmeln Europas - seit 20 Jahren”. Die Kunden waren begeistert. “Die besten Kaisersemmeln”, das war genau das, was sie wollten. Sie dachten sich zwar manchmal, dass diese Semmeln doch ziemlich verbrannt, zumindest aber zu dunkel waren, aber hey, es waren immerhin “die besten”. Irgendwann begannen sie sich zu fragen, ob nicht die anderen, hellen Brötchen die schlechten, und die dunklen die wirklich guten wären. Wenn sie die Semmeln ihren Freunden servieren wollten, lehnten diese zwar schon lange es ab, so etwas auch nur kosten zu wollen, aber die Fans der “besten Kaisersemmel” blieben ihrem Brötchen treu, selbst auf Kosten so mancher Freundschaft. Sie gründeten Clubs, organisierten Brötchen-Verkostungsabende und luden den Bäcker zu Vorträgen über die Kunst des Brötchenbackens ein.
Eines Tages verbrannten dem Bäcker seine Brötchen völlig. Sie waren nicht mehr dunkel, sie waren kohlrabenschwarz. Was sollte er machen? “Da musst du durch”, sagte er sich, “die fressen doch eh alles, was ich mache.”
Und ist er nicht gestorben, so bäckt der Bäckermeister auch heute noch seine Kaisersemmeln, die besten in ganz Europa.