Home RSS Go RED Go BLACK

Elizabeth L. Wollman: The Theater Will Rock – A History of the Rock Musical, from Hair to Hedwig

Michael Cerveris, Hauptdarsteller in der Uraufführung von “The Who’s Tommy”, wird die Nacht vor der Presseprobe dieses Rock-Musicals wohl nie vergessen. Das Team wollte schon ein wenig vorfeiern. Peter Townshend von The Who, Michael Cerveris und einige andere Mitglieder von Cast und Band gaben eine kleine private Rockshow. Die Presseprobe am Morgen war von Bedeutung. Fernsehteams hatten sich angesagt, zum ersten Mal sollten der Öffentlichkeit einzelne Szenen präsentiert werden. Um zwei Uhr morgens machte sich Cerveris brav dran, sich von Townshend zu verabschieden und sagte zu ihm: “Ich glaube, ich sollte jetzt wirklich gehen.” Townshend darauf: “Weißt du, was du wirklich tun solltest? Ich sollte mit dir die Nacht durchmachen, wir sollten uns betrinken und morgen in der Früh solltest du, fertig, wie du sein würdest, auf die Bühne gehen, fünf Minuten vom ersten Song bringen, die Show abbrechen und sagen: “No, no, no, fuck it, I hate this, I hate you, I hate it all.” Und dann würdest du abgehen. DAS wäre wahrer Rock’n'Roll, aber ich schätze mal, dass du das nicht wirklich machen kannst.” Zumindest ein Teil von Townshend glaubte tatsächlich, dass es genau das wäre, was man hätte tun müssen.
Es gibt wohl keine bessere Geschichte, die die Faszination und die Probleme besser verdeutlicht, die Rock-Musicals auszeichnen. Elizabeth L. Wollman zeichnet in ihrem Werk “The Theater Will Rock – A History of the Rock Musical, from Hair to Hedwig”, ein lebendiges Portrait des Genres Rock-Musical, das am Broadway nach wie vor, mit wenigen Ausnahmen, nicht willkommen ist. Sie beginnt nicht, wie es im Untertitel heißt, bei “Hair”, sondern bei den ersten Anfängen, den ersten Einflüssen, die die Rockmusik auf das “traditionelle” Musical hatte, und auch ein allererstes Musical mit einer Art Rocksong lässt sich festmachen. Der Name des Lieds: “I Don’t Wanna Rock”, das Jahr: 1957. Der Name der Show: die letzte Produktion der legendären »Ziegfeld Follies« – ein Flop, aber der Song von David Rogers und Colin Romoff, gesungen vom 55-jährigen Billy de Wolfe in der Rolle des “Juvenile Delinquent” und dem Chor der “Tenth Street Sheiks” sollte in die Geschichte eingehen. Die Show wurde nie aufgezeichnet, die Noten sind unauffindbar, und so kann man nicht genau nachvollziehen, wie der Rock’n‘Roll das Musical geentert hat, aber es fand 1957 statt.
Auch die nächste Musical-Produktion, die einen Rocksong enthielt, floppte: “The Girls Against The Boys” (Musik: Richard Lewine & Albert Hague; Texte: Arnold B. Horwitt) aus dem Jahre 1959. “Too Young To Live” hieß der Rocksong, gesungen von “a pair of rock and rollers, he in blue jeans, one of those crazy loafer jackets and a T-shirt of blue and white stripes, she in pleated skirt and blue jacket.”
Schließlich, wir schreiben das Jahr 1960, landen Michael Stewart, Charles Strouse und Lee Adams mit einer Show einen Erfolg, die als erstes kommerziell erfolgreiches Broadway-Musical mit Rock’n'Roll-Elementen in die Geschichte eingeht: “Bye Bye Birdie”.
Das ist die Ausgangsbasis von der aus Wollmann in ihrem Werk unter anderem akribisch die Gründe untersucht, warum den Rock und das Musical eine so problematische Beziehungsgeschichte kennzeichnet. Sie gliedert ihre Analyse in die Zeit vor »Hair« und nennt das erste Kapitel »The Birth of the Rock Musical in New York City«, daran anschließend widmet sie sich »Hair and its Imitators«. Es folgen:
- »Rock Concept Albums and the Fragmented Musical of the 70s« [«Dude”, «Via Galactica”, «Rainbow”, «Godspell”, «Jesus Christ Superstar”, «Evita”, «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band on the Road”, «Ain’t Supposed To Die A Natural Death”]
- »Spectacels of the 1980s« [«Little Shop Of Horrors”, ”Dreamgirls”, «Carrie”]
- »Rock Musicians in the Musical Theater: The 1990s« [«The Who’s Tommy”, «Rent”, «The Capeman”, «Hedwig and the Angry Inch”, «Bright Lights, Big City”]
- »Rock Influenced Musicals of the Millennium: The Dawning of the Age of … The Revival” [«The Donkey Show”, «Jesus Christ Superstar Redux”, «The Rocky Horror Show”, «Saturday Night Fever”, «Mamma Mia!”]
Jedem Kapitel ist ein Einschub vorangestellt. Diese »Interludes«, wie Wollman sie nennt, bilden das vor allem theoriebezogene Fundament, auf dem sukzessive die ausführlichen Entwicklungsgeschichten der einzelnen Rock-Musicals aufgebaut werden. Hier geht es um die verschiedenen Definitionsmöglichkeiten von Rock, Pop, Musical, Rock-Oper, Pop-Opera, um die Rezeption von Rock-Musicals im Spiegel der zeitgenössischen Medien, Wollman untersucht auch die Geschichte des Publikums in der westlichen Welt, und die Rollen, die es sowohl bei Rock-Shows als auch bei Musicals spielt. Ein ausführlicher Einschub ist der Veränderung der wirtschaftlichen Grundlagen in der amerikanischen Theaterwelt gewidmet, beginnend mit dem Niedergang der Megamusicals anfangs der 1990er Jahre. Anhand von praktischen Beispielen zeigt die Autorin, wie die steigenden Kosten und die verstärkte Konzentration auf die internationale Vermarktung die Art und Weise beeinflusst hat, wie Musicals entwickelt, aufgeführt und vermarktet werden. In einem weiteren theoretischen Einschub zeigt die Autorin, wie Theaterproduktionen die Ästhetik von Rockkonzerten nützen, um Publikum zu generieren.
Schrittweise erschließt Wollman dem Leser im Wechselspiel von Theorie, Praxis und Analyse der Erfolgsgeschichten und der Lehren, die man aus unzähligen Flops gezogen hat, die Geschichte dieses Genres. Basierend auf Fakten, jeweils auf konkrete Quellen verweisend, mit einem hervorragend recherchierten Anhang mit Anmerkungen, einer sehr umfangreichen Bibliographie und einem Index.
Fazit: »The Theater Will Rock« ist durchaus das, was man für dieses Genre als Standardwerk bezeichnen könnte, und höchst lesenswert.

Elizabeth L. Wollman: The Theater Will Rock – A History of the Rock Musical, from Hair to Hedwig. The University of Michigan Press, Ann Arbor 2006, 272 S.; ISBN 978-0-472-11576-1. $ 29,95. www.press.umich.edu

»

Ihr Kommentar

Abonniere ohne zu kommentieren

HTML-Tags:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <code> <em> <i> <strike> <strong>