Home RSS Go RED Go BLACK

Tom Santopietro: The Importance of Being Barbra

Ein Tony Award, zwei Oscars, sechs Emmys, acht Grammys, zehn Golden Globes, dreizehn Mehrfachplatin-, einunddreißig Platin-Alben, fünfzig Goldene Schallplatten – über Barbra Streisand und ihre zahlreichen Auszeichnungen kann man dicke Wälzer schreiben. Das hat beispielsweise James Spada in seinem Buch »Barbra Streisand. Die Biographie« gemacht. Basierend auf 200 Interviews, die er mit Kollegen und Freunden der Performerin geführt hat, veröffentlichte er 1996 einen 590-Seiten-Wälzer über die Diva (Verlag Heyne, 1996. 590 Seiten. (Hardcover) ISBN 345311518X).
Aber es geht auch anders: 189 Seiten, kompaktes A5-Format, wunderschön verpackt, das Cover veredelt mit stilvoller Prägeschrift: »The Importance Of Being Barbra«, verfasst von Tom Santopietro, erschienen im Juni 2006 in den USA. Zu den 189 Seiten kommen etliche Seiten eines Kapitels, das der Autor “Career Scorecard” (dazu später mehr) nennt, außerdem ein profundes Quellenverzeichnis und ein ausführliches Register, sehr sauber recherchiert und ausgearbeitet.
Wer mit neuen Details über das Liebesleben der Streisand gefüttert werden will, intimen Details über Affären der Diva mit Prinz Charles, Warren Beatty, Richard Gere, Jon Voigt, Pierre Trudeau und all die anderen – der wird mit diesem Buch ganz schlecht beraten sein. Da müsste man dann zu einem aktuellen Klatschbuch über die Streisand greifen, nämlich Christopher Andersens »The Way She Is« (Verlag William Morrow, 2006. 448 Seiten. (Hardcover) ISBN 0060562560).
Wer über die Gefühle der Streisand mehr erfahren will, beispielsweise, wie sie sich am Abend ihres Broadwaydebüts gefühlt hat – falsche Baustelle. Nicht in Santopietros Buch. Natürlich wird auch die Broadway-Karriere der Streisand abgehandelt, aber den Fakten entsprechend. Und die Fakten stellen sich so dar: «(…) this icon, forever identified with New York City and Broadway musicals, had an extraordinarily brief theatrical career as a professional actress: three shows in four and one half years: 1961–1966. End of story. Over and out. And no more theater work for forty years and counting.”
Santopietro widmet dem Theaterstar Streisand gerade mal acht Seiten. Er geht wie ein Chirurg an das Phänomen Streisand heran und seziert ihre Karriere. Seine Analysen, die er mit Absicht auf keinerlei Interviews oder seitenweisen Zitatschnickschnack von »Weggefährten« basiert, packt er in generell recht kurz gehaltene Kapitel zu den Themenbereichen »Beginnings«, »Recordings«, »Film«, »Television«, »Concerts«, »Theater« und »Politics«. Er beschließt seine Analyse mit einem Kapitel »What about Today?« und fasst dann seine Analysen in einer Scorecard zusammen.
Und diese Scorecard ist wirklich interessant. Der Autor untergliedert sie in die Rubriken »Work«, »Grade« und »Comment«, listet chronologisch den bedeutsamen künstlerischen Output Streisands auf, bewertet diesen nach amerikanischem System von A–F und kommentiert ganz kurz. Die Scorecard startet im Jahre 1962 mit »Wholesale«, das Streisand den Titel »Best Supporting Actress« der NY Drama Critics und eine Tony-Award-Nominierung als »Best Supporting Actress« einbrachte. Bewertet mit »B«, kommentiert mit »Barbra as Broadway Baby«. Der letzte Eintrag stammt aus dem Jahre 2005 und betrifft die Streisand-CD »Guilty Pleasures«, bewertet mit »C«, kommentiert mit »Gold Record. Pleasant but disposable pop fluff«.
Tom Santopietro ist vom Fach, vom Theaterfach. In den letzten zwanzig Jahren hat er als Stage Manager mehr als zwei Dutzend Broadway-Shows betreut, unter anderem Produktionen von »A Few Good Man«, »Noises Off«, »Marilyn« oder »Someone Who’ll Watch Over Me«. Seine Streisand-Biographie ist erholsames gossip-freies Terrain, das die Diva mit Respekt, aber auch in sehr nüchterner Art und Weise unter die Lupe nimmt. Kein Hehl macht Santopietro in Interviews daraus, dass er Streisand-Fan ist. Sein Buch ist allerdings alles andere als ein Kniefall vor der Performerin. Santopietros Grundthese lautet wie folgt: «From the start, Barbra Streisand had her eye set on stardom, and that meant movie stardom. Like a general planning an invasion – in this case the invasion of Hollywood by a very different-looking, very ethnic girl – Streisand launched an all-stops-out assault on live appearances, records, and theater as a means to do that. Upon obtaining the goal of movie stardom, theater could be jettisoned, but in the beginning, Streisand viewed theater as the way to prove she could act; even then she saw herself not as a singer, but as an actress who sings. In her eyes it was simple. Singing was a gift she possessed, a gift for which she was fairly grateful, but one whose value lay in the fact that it could get her roles in theater, which would lead to starring roles, which would lead to Oz, a.k.a. Hollywood.”
Als Fan wird Santopietro auch zum erbarmungslosen Kritiker seines Idols. Filme wie »The Mirror Has Two Faces« stuft er als reine Zeitverschwendung im kreativen Leben der Streisand ein: »«At its worst, as in The Mirror Has Two Faces, there is no sense of a character being portrayed. It is just Barbra Streisand forcing the audience to consider her beautiful, imposing her will while she continues to work out childhood issues. This is a particularly pointless battle, and has severely hampered her screen legacy (…).”
In unseren Zeiten freilich, wo in Fernsehshows Kids von der Straße in null Komma nichts zu Stars gecastet werden, ohne auf irgend etwas zurückblicken zu können, was man »künstlerisches Schaffen« nennen könnte, scheint es Santopietro ein Anliegen zu sein, gerade die Bedeutung dessen zu betonen, was er »body of work« nennt: 40 Jahre an künstlerischem Backup, unglaubliches Talent auf vielen Gebieten und die Kraft, sich auch dann neu zu beweisen, wenn sich die Kultur, in der man lebt, völlig ändert. Beispielsweise, als Streisand versuchte, im Rockmusik-Genre Fuß zu fassen, Ende der 60er Jahre, aber vor allem Anfang der 1970er Jahre mit ihren CDs »Stoney End« und »Barbra Joan Streisand«. Damals waren die Tin-Pan-Alley-Standards out. Streisand war so alt wie ihre Kollegen im Rock-Business, imagemäßig aber in der Frank Sinatra/Dean Martin-Schublade. Dieser wichtigen Periode im künstlerischen Schaffen der Sängerin widmet Santopietro viel Raum, und er analysiert sie auf sehr spannende Art und Weise.
Was einen wirklichen Star ausmacht, hat Dizzy Gillespie einmal treffend formuliert: “The professional is the guy who can do it twice.” Das hat die Streisand mehrfach gezeigt, und noch so einiges darüber hinaus. Santopietros Barbra-Streisand-Biographie ist ein Beweisstück dafür.

Santopietro, Tom – The Importance of Being Barbra. Thomas Dunne Books, New York 2006. 228 Seiten. ISBN: 0312348797. $ 22,95 (Hardcover) www.thomasdunnebooks.com

»

Ihr Kommentar

Abonniere ohne zu kommentieren

HTML-Tags:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <code> <em> <i> <strike> <strong>