Caspar Richter, der langjährige musikalische Direktor der Vereinigten Bühnen Wien, feiert. Er hat mehrere Anlässe dazu. Einer davon: 30 Jahre ist das Musicalgenre ein Teil seines künstlerischen Wirkens. 1987 war er Gründungsmitglied der Vereinigten Bühnen Wien und wurde ihr Musikdirektor. Er baute das Orchester der VBW für drei Theater auf: das Theater an der Wien, das Raimund Theater und das Ronacher. In den folgenden Jahren studierte und dirigierte er bei den VBW über 30 Musicals, daneben etablierte er erfolgreiche Aufführungsserien wie »Musical Christmas«, konzertante Aufführungen von »Jesus Christ Superstar«, »Mozart!« und vieles andere mehr. Am 27. Juni 2010 verabschiedete sich Richter mit dem Konzert »Musical Forever 2« von den VBW. Offiziell. Von der Außenperspektive aus gesehen schien spätestens ab dem Jahr 2006 schleichend künstlerische Lähmung von der Spitze des Unternehmens aus um sich zu greifen. Indem man etwa Richters kreative konzertante Schiene budgetär kastrierte und dann abstellte – jenes Musical Cleansing, also kleine feine Produktionen, mit dem sich, wenn man das so formulieren will, die künstlerisch Verantwortlichen beim Publikum für den Schwachsinn entschuldigten, den sie bisweilen zeigten. Als bei einem Bernstein-Special nicht alle Plätze verkauft wurden, schien das den Verantwortlichen wie gerufen, um Anspruchslosigkeit nachdrücklich zum Mantra zu erheben. Kathrin Zechner meinte einmal zu mir, was eine der Musical-Cleansing-Produktionen betraf: Die leisten wir uns jetzt einfach. Das war wohl die Zeit, als sie mit Herrn Drozda bei ihren »Jour-fixe«-Terminen »zu 90 Prozent« über Themen gesprochen hat, die »nicht unmittelbar mit dem Musicalbereich zu tun hatten« (das Zitat über den Inhalt der Jour-fixe-Termine kann man –> hier nachhören) und sie noch das Sagen hatte. Wäre es doch dabei geblieben und hätte die Buchhaltung nicht das künstlerische Ruder übernommen.
Was ich an Richter geschätzt habe, war seine unverblümte Art, auch offiziell, schriftlich, ins Mikro zu sagen, was er sich denkt. So meinte er 2010 (siehe hier) auf meine Frage:
Martin Bruny: Im Booklet zur CD »Musical Forever 2« schreiben Sie vom »Mangel an guten, gehaltvollen Musicals«. Beschreiben Sie doch bitte, wie Sie den Musicalmarkt in Österreich sehen und was Sie gerne ändern würden. Gab es eine Musicalproduktion der VBW, bei der Sie am liebsten mit Arbeitsverweigerung gedroht hätten oder auch gedroht haben.
Caspar Richter: Man hat es versäumt, rechtzeitig neue Autoren und Komponisten zu fördern, in Workshops etc. Das ist einfach abgelehnt worden, und nun ist fast nichts Gutes nachgewachsen. Ideen dafür hätte ich genügend gehabt. Eine Produktion, der ich mich am liebsten verweigert hätte, gab es eigentlich nicht wirklich, bei »Freudiana« war nur die Umsetzung eines tollen Stücks noch nicht entwickelt und nicht gut genug. Auch »Wake Up« hätte ein gutes, krasses Musical werden können, wenn man einen richtigen Regisseur gehabt hätte. Da gab es einige Fehlentscheidungen.
Das sind Statements, die man in der Zeit nach 2010 nie wieder in einem Interview mit einem Angestellten der VBW hören konnte. Ich erinnere mich noch gut an ein Interview mit einem Mitglied des Leading Teams von »Sister Act«. Das Interview war mit den VBW vereinbart, es fand im Auftrag einer Zeitschrift statt, die VBW durften also von einer größeren Geschichte ausgehen, dementsprechend hatte ich mich darauf vorbereitet. Und wie heißt es so schön bei Clickbait-Artikeln: Sie werden nicht glauben, was dann passierte. Nicht nur, dass man dem Interview in etwa 30 bis 40 Minuten gab, saß auch eine Mitarbeiterin der Presse-Abteilung mit am Tisch und observierte das Gespräch, spielte mit ihrer Uhr. Kurz: störte. Interviews ohne Zeitdruck oder mit Darstellern, ohne vorher die VBW einzubinden? Keine Chance. Die Absurdität wurde Normalzustand.
Das alles lag da schon längst hinter Caspar Richter, und obwohl er anlässlich seines Abschieds von den VBW angekündigt hatte, auch das Musicalgenre hinter sich lassen zu wollen, hat er ganz im Gegenteil 2012 gemeinsam mit Markus Olzinger und Elisabeth Sikora ein Musical-Festival, den »Musical Frühling in Gmunden«, begründet. 2015 ging mit »Blutsbrüder« die erste Produktion über die Bühne, 2016 folgte »Der geheime Garten«, und 2017 ist noch am 21., 22. und 23. April die österreichische Erstaufführung des Musicals »Sofies Welt« zu sehen. Caspar Richter dazu:
1987 und jetzt 2017 sind zwei magische Zahlen für mich, da es sich mit SOFIES WELT in Gmunden wieder um eine österreichische Erstaufführung handelt, und das wieder mit einem eigens für den Musicalfrühling in Gmunden gegründeten 20 Mann starken Orchester. Es handelt sich um Musiker der drei besten Brünner Institutionen, Opernhaus, Philharmonie und Stadttheater, drei Häuser, an denen ich schon seit Jahrzehnten arbeite und die ich für ihre hohe künstlerische Qualität schätze.
Die Zusammenarbeit mit dem jungen und innovativen Team des Musicalfrühlings, Markus Olzinger und Elisabeth Sikora, ist besonders reizvoll, weil hier Idealismus über Kommerz steht. Wir spielen nun in Gmunden Werke, die künstlerisch höchst wertvoll sind, in Österreich aber noch nie bis selten gespielt wurden. Besonders SOFIES WELT, ein Stück bei dem ich bereits die Welturaufführung dirigierte, ist sowohl inhaltlich als auch musikalisch eine Herausforderung. Es kommt aber sehr gut an. Standing Ovations und ein mehr als zufriedener Komponist und Autor, was will man mehr.
Idealismus statt Kommerz. Das ist mal eine Ansage.
Weitere Infos zum »Musical Frühling in Gmunden« unter: musical-gmunden.com
Foto: Rudi Gigler