Home RSS Go RED Go BLACK

Archiv - Bücher

Tanja Ogryssek: Les Misà©rables: Buch – Film – Musical – Eine sozialtheoligische Interpretation

Zugegeben, gerade zu »Les Mis« gibt es eine Fülle an Literatur, und ja, eine neuerliche vergleichende Analyse des historischen Stoffs mit den Verfilmungen und dem Musical – ist das nötig? Aber zum einen ist dieser Vergleich hier äußerst gut und kompakt auf rund 30 Seiten ausgefallen, zum anderen ist er nur das Intro zu einer wirklich interessanten sozialtheologischen Interpretation des Musicals, des Romans und der Verfilmungen, isoliert und im Vergleich. Teil dieser Interpretation ist auch eine bis ins Detail gehende Analyse des original Musical-Librettos und dessen Übersetzung. Seziert unter diesem Spezialaspekt arbeitet die Autorin interessante Differenzen heraus zwischen dem englischen Original und der deutschen Übersetzung. Sie bietet mit ihrem Buch eine ganze Fülle von Ansätzen, wie man »Les Mis«, wahlweise als Roman, oder als Film, aber natürlich auch als Musical, zum Thema des Religionsunterrichts machen kann, und anknüpfend an Victor Bobetskys Werk »The Magic of Middle School Musicals« könnten auch Ogrysseks Ausführungen eine Basis sein für einen fächerübergreifenden Unterricht zum Thema Musical. Sympathisch daran ist der neue Zugang, der andere Blick auf ein Musical. Es mag »bloß« eine veröffentlichte Abschlussarbeit im Rahmen eines universitären Lehrgangs sein, aber die extrem eng definierte originäre Zielgruppe (Studierende der Praktischen Theologie sowie Religionslehrer und Katecheten) kann gewiss auch auf alle am Stoff und am Musical Interessierten erweitert werden.

Tanja Ogryssek: Les Misà©rables: Buch – Film – Musical – Eine sozialtheoligische Interpretation. Lit Verlag Dr. W. Hopf, Berlin 2008. 156 S. (Paperback) ISBN 978-3-8258-1724-4. EUR 19,90

Victor V. Bobetsky: The Magic of Middle School Musicals. Inspire Your Students to Learn, Grow, and Succeed

Für die USA ist Victor V. Bobetskys kompaktes Büchlein »The Magic of Middle School Musicals« mit Sicherheit eine kleine Bibel, gleichzeitig ein Leitfaden, wie man ernsthaft und mit Aufwand Musicals an Schulen inszenieren kann. Bobetsky skizziert ein perfektes Umfeld, in dem die »coleagues in instrumental music, visual art, dance, theatre arts, language arts und social studies« gemeinsam mit ihren Schülern an der Verwirklichung einer Musicalproduktion arbeiten. Für Leser in Europa beispielsweise, wo Projekte dieser Art zu oft eher im Reich der Phantasie angesiedelt sind, sollte man eventuell einen anderen Lesezugang wählen. Wir können bei der Lektüre erkennen, wie Amerikaner mit Musicals aufwachsen – oder wo Probleme beziehungsweise Eigentümlichkeiten der Rezeption beispielsweise auch noch im 21. Jahrhundert liegen, manchmal durchaus unerwartete, wenn Bobetsky schreibt: »There are certain musicals that may not be appropriate for middle school students anywhere. An example might be »Grease«, due to its rather salty libretto.« Oder: »I found that the musical ,Damn Yankees‘ appealed to my students because it involved baseball.« Oder: »,Annie get your gun‘ pokes fun at the names of tribal chiefs and contains lyrics and characterizations that could be considered offensive to people of Native American ancestry.« Ein solcherart gewählter Lesezugang macht Bobetskys Buch spannend, wenngleich man auch festhalten muss, dass der Autor es mit Bravour schafft, eine allgemeingültige umfassende Checklist zusammenzustellen, die alle Punkte enthält, die für die Verwirklichung einer Musicalproduktion an einer Schule notwendig sind, angefangen von der Ideenfindung, den Auditions, dem Klären der Rechte bis hin zu konkreten Mustervorlagen für die Bewerbung der Show oder Arbeitsunterlagen für die Analyse des Gesamtprojekts im Rahmen des Unterrichts. Und was ganz wichtig ist. Der Untertitel passt einfach wunderbar: Inspire your studens to learn, grow, and succeed. Ja, das geht auch mit Musicals!

Victor V. Bobetsky: The Magic of Middle School Musicals. Inspire Your Students to Learn, Grow, and Succeed. Rowman & Littlefield Education, Lanham 2009. 156 S. (Hardcover) ISBN 978-1-57886-868-1. $ 24,95

Ronny Rindler: Katzindler – Die verkatzte Welt des Ronny Rindler

Katzen, ein ganzes Büchlein voller Strichkatzen. Was mag das wohl in einem Magazin zu suchen haben, das sich dem Musicalgenre widmet? Nun, diesmal gibt es insgesamt drei Buchtipps, die man am besten mit einer ganz bestimmten Leserwartung angehen sollte.
Beim ersten Buch »Katzindler – Die verkatzte Welt des Ronny Rindler« ist die Sache klar. Leseerwartung dürfen wir da gar keine haben. Es ist kein Lesetext bis auf ein kurzes Vorwort und ein kurzes Nachwort da, und doch ist die Idee, die hinter diesem Buch steckt, so skurril und auch liebenswert, dass man es zumindest mal vorstellen kann.
Ronny Rindler ist Musicaldarsteller und als solcher derzeit bei der Hamburger Ausgabe der Udo Jürgens-Show »Ich war noch niemals in New York« in der Rolle des »Costa« an Bord. Er hat Hunderte von Vorstellungen gespielt und während jeder dieser Shows ist es seine Aufgabe, in einer bestimmten dreiminütigen Szene als »Costa« so zu tun, als würde er sich Notizen machen. Was also tatsächlich tun in dieser Zeit? Nun, Herr Rindler hat sich dafür entschieden, Katzen zu zeichnen. Jede Vorstellung eine Katze. Sobald sich das unter den Kollegen herumgesprochen hatte, waren alle immer ganz wild drauf, die »Katze des Tages« sehen zu können. Eine ausgewählte Typologie an Theaterkatzen, Märchenkatzen, Politikerkatzen und was es da sonst noch an Verkatztem gibt, hat Ronny Rindler in seinem als Book on demand erschienenen Werk »Katzindler« publiziert. Da haben wir zum Beispiel den Katzibitionist, den Fidel Katztro, den Katzanweiser, die Show-Watch-Katze und wie sie alle heißen. Gar manches an Theaterinternem wird hier mit viel Sprachwitz in Strichkätzchen verpackt. Einfach süß.
Neuigkeiten rund um seine Katzen veröffentlicht der Zeichner auf der Website zum Buch www.katzindler.de, und da Web 2.0-Anwendungen wie Facebook für den Absatz auch hilfreich sind, gibt es natürlich auch eine Facebook-Group zum Buch.
In Wien könnte man dieses Konzept doch auch adaptieren. Wie wärs mit Skizzen von Zuckergussformen für Original Wiener Sachertorten? Wenn die VBW mit dem Hotel Sacher einen Exklusivvertrag abschlössen, könnte es schon bald die »Original Wiener Ich war noch niemals in New York Sachertorten« geben, nach den Skizzen von Gianni Meurer, dem Wiener »Costa«-Darsteller, und die isst man dann, natürlich, aber bitte mit Sahne.

Ronny Rindler: Katzindler – Die verkatzte Welt des Ronny Rindler. Books on Demand GmbH, Norderstedt 2009. 96 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-839-1107-82. EUR 17,90

Friedrich Kurz mit Marcus Mockler: Der Musical-Mann

Es ist eine Art Entzauberung, die man beim Lesen des Buches »Der Musical-Mann«, der Autobiografie von Friedrich Kurz, erfährt. Vor dem Lesen ist das Image des Musical-Machers intakt, die Zeit hat ihren gnädigen Mantel über Niederlagen wie den Broadway-Flop »Carrie« gebreitet. Was zählt: Er brachte »Cats«, »Starlight Express« und »Das Phantom der Oper« nach Deutschland, machte aus Hamburg eine Musicalmetropole und schrieb mit dem Stella-Konzern Geschichte. Die Erwartungshaltung an das Buch ist geprägt von der Hoffnung, mehr darüber zu erfahren, wie diese Erfolgsproduktionen Gestalt annahmen.
Nach der Lektüre bietet sich dem Leser ein entzaubertes Bild. Kurz nutzt die Chance auf Öffentlichkeit für platte Selbststilisierung. Musicaldarsteller werden nur erwähnt, wenn man sich in ihrem Glanz spiegeln kann, Regisseure, anderes kreatives Personal meist mit Zusatz eines Possessivpronomens; nicht die »kreative Arbeit« an Musicalproduktionen steht im Vordergrund, der Manager legt vielmehr viel Wert auf die Schilderung seiner Existenz im Jet Set, seiner exklusiven Flüge mit der Concorde und seines Lebens in einem New Yorker Wolkenkratzer, in dem auch Mick Jagger wohnte. Namedropping ist in diesem Buch das Salz in der Suppe – nein, es ist die Suppe. Keine der wenigen erklärenden Fußzeilen betrifft das Musicalgenre, dem Leser wird vielmehr beispielsweise erläutert, was ein »Mach« ist, also die Kennzahl der Geschwindigkeit. Dies ganz genau zu wissen, um die Exklusivität eines Flugs mit der Concorde zu verstehen, schien den Autoren wohl unvermeidbar.
Das vorliegende Druckwerk ist auf der anderen Seite ein erheiterndes Dokument geschickter Geschichtsklitterung. Natürlich »muss« man nicht ausführlich auf die Wiener Stellung im Zuge von Lloyd Webbers Siegeszug im deutschsprachigen Raum eingehen, wenn man als Deutscher »Cats« in Hamburg etabliert hat, aber … die Wiener Produktionen von »Cats« und »Das Phantom der Oper« waren nun mal Jahre vor den deutschen Erstaufführungen als deutschsprachige Uraufführungen in Wien zu sehen. Wenn man völlig losgelöst von Wien agiert haben will, warum erwähnt man Wien nicht einfach gar nicht? Stattdessen nützt Kurz sein Buch als Anlass für ein spätes, niveauloses Intendantenbashing. Die Fehde, die Kurz nach Jahrzehnten mit dieser Autobiografie in Bezug auf Peter Weck wieder aufnimmt, ist aber nur eine von vielen. Fast hat man den Eindruck, als würde der Gescheiterte nach all den Jahren der Demütigung einfach mal gern nachtreten wollen. Es ist ein klein wenig billig, wenn Kurz über Peter Weck anlässlich einer »Bambi«-Verleihung schreibt: »Am nächsten Abend sah ich dann im Fernsehen, wie Andrew den populären Preis entgegennahm. Ausgezeichnet wurde er für »Cats«. Es tat mir ein bisschen weh, dass Peter Weck aus Wien die Trophäe überreichte. Dort lief »Cats« zur selben Zeit wie in Hamburg, allerdings mit staatlicher Hilfe. […] Weck hatte später jedenfalls viel Ärger, als publik wurde, dass »Cats« in Hamburg enorme Gewinne für die Investoren und die Stadt Hamburg einfuhr, während Wien mit dem Stück riesige Verluste machte. Hier wurde nun meiner Ansicht nach einmal öffentlich, wie schlecht organisiert und wenig profitorientiert Teile der Theaterlandschaft im deutschsprachigen Raum sind. Weck war wenig später nicht mehr Intendant. Persönlich getroffen haben wir uns nie, aber er hatte in der Planungsphase von »Cats« unzählige Lügenmärchen über mich verbreitet […].« Das dann doch Ärgerliche und wenig Erheiternde solcher Passagen? Es werden bewusst Tatsachen verdreht, die Autoren gehen großzügig mit dem Zeit-Raum-Gefüge um und einiges ist, mit dem Wissensstand von heute, einfach falsch. »Cats« lief zwar einige Zeit parallel mit Hamburg, aber seine deutschsprachige Uraufführung hatte das Stück drei Jahre vor der deutschen Produktion in Wien. Dass Kurz den »Cats«-Übersetzer der Wiener Version Michael Kunze in diesem Werk mit keinem Wort erwähnt, hat seinen Grund, spricht man doch in der Fachliteratur davon, dass der Impresario sich einfach die Tantiemen von Kunzes Übersetzung sparen wollte und sie daher von einigen Mitarbeitern abkupfern ließ. Dass das subventionierte Theaterwesen in Wien für die Stadt nicht Verluste einbringt, sondern über Umwegrentabilität satte Gewinne, ist heute allgemein bekannt, zählt für Kurz aber natürlich nicht. Dass er für das Theater, in dem »Cats« in Hamburg lief, keine Miete zahlen musste, rechnet er natürlich nicht zum Kapitel »staatliche Subventionen«, kann er auch schlecht, da er ja dagegen gebetsmühlenartig immer und immer wieder wettert. Dass auch Ute Lemper einen Seitenhieb abbekommt, weil sie an dem Abend der oben erwähnten Preisverleihung zufällig »Memory« gesungen hat, spricht Bände. Kurz: »Ute Lemper […] war als 19-jähriges Talent für das Musical in Wien entdeckt worden. Später klagte sie, was für ein unmenschliches System das gewesen sei. Sie habe unglaublich hart arbeiten müssen – achtmal in der Woche auf der Bühne stehen, singen und tanzen. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.« Dass das Buch stilistisch mehr einer Fortsetzungsreportage für die »Bunte« oder »Das Echo der Frau« ähnelt als einer wohl überlegten und ausformulierten Buchpublikation, Schwamm drüber. Nicht umsonst steht Marcus Mockler als »Mitautor« am Cover des Buches. Schön wäre es gewesen, nicht von all dem Selbstmitleid zu lesen, das Kurz schildert, weil Robert Redford ihm seine Freundin ausgespannt hat – während er gleichzeitig eingestehen muss, selbst fremdgegangen zu sein. Wenn ihm dann schließlich in einem ausführlichen Kapitel Gott in einem Hotelzimmer leibhaftig begegnet – dann spätestens ist es zumindest für mich vorbei mit dem Versuch, verstehen zu wollen.
Fazit: Wir erfahren in diesem Buch letztendlich über die Musicals, die Friedrich Kurz nach Deutschland brachte, nicht mehr, als aus alten Zeitungsberichten und Interviews bereits bekannt war, wir erfahren nichts Konkretes über den »Verkauf« von »Stella«, keine Details. Der Schlusssatz des Buches: »Ewiger Schöpfer, erleuchte die Welt.« Es soll der Schlusschorus eines Musicals sein, das Friedrich Kurz in einigen Jahren in Deutschland zur Aufführung bringen will: »Michelangelo«. Man kann nur hoffen, dass »Der Musical-Mann« als Promotionmaschine dafür keine Fehlzündung war. Amen!

Friedrich Kurz mit Marcus Mockler: Der Musical-Mann. Er brachte Cats, Starlight Express und Das Phantom der Oper nach Deutschland – Ein steiler Aufstieg, ein tiefer Fall und eine Begegnung mit Gott, die alles veränderte. Gerth Medien, Asslar 2010. 224 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-86591-405-7. EUR 14,95

Leonhard Czernetzki; Doris Fischer: »150 Jahre Operette in Leipzig«

Am Schnitt-/Berührungspunkt von Operette und Musical balanciert die Buchneuerscheinung »150 Jahre Operette in Leipzig«, herausgegeben von den Freunden und Förderern der Musikalischen Komödie Leipzig e. V. Das Gesamtkonzept für den Band und die Realisierung besorgte Leonhard Czernetzki, den Text verfasste Doris Fischer.
Leonhard Czernetzki war von 1960 bis 2001 erster Konzertmeister des Orchesters der Musikalischen Komödie/Oper in Leipzig, 1972 wurde er zum Kammervirtuosen ernannt. Er ist der Gründer und Leiter des Kammerorchesters der Leipziger Theater. Doris Fischer arbeitet als Regieassistentin, Dramaturgin, Ausstellungs- und Veranstaltungsorganisatorin, Autorin und selbstständige Musiklehrerin.
Einerseits ist »150 Jahre Operette in Leipzig« ein Bildband mit einer wahren Fülle an Abbildungen: Ölbilder, Graphitstiftskizzen, Stiche, Photos beipielsweise der Theater von innen und außen im Laufe der Jahrzehnte, Karikaturen, Zeitschriftenausschnitte, Auschnitte aus Programmheften, Autographen, Plakate, Kostümentwürfe – ein Schatz an Originaldokumenten, die Geschichte des Musiktheaters in Leipzig illustrierend und dokumentierend. So werden wohl die meisten einfach mal die 176 Seiten des Buches zuerst rein bildmäßig durchzugehen, beginnend beispielsweise bei einem Foto des »Comödienhauses«, das nach dem klassizistischen Umbau 1816/17 als »Stadt-Theater« bezeichnet wurde und ab 1868 in »Altes Theater« umbenannt wurde. Beschließen könnte man dann eine solche Bildreise mit einem Szenenfoto aus der Broadway-Revue »Show Biz« von Kay Link mit Andreas Rainer oder einem Szenenfoto aus Jerry Bocks »Der Fiedler auf dem Dach« (»Anatevka«). Atmosphärische Bilder, reproduziert in ausgezeichneter Qualität.
Textmäßig bietet das Buch einen Abriss der Aufführungsgeschichte an den Musikheatern Leipzigs, ohne sich jetzt, salopp formuliert, allzu sehr in Details zu verstricken. Der Text ist leicht lesbar (die Schriftgröße ist geradezu monumental), manchmal ist diese selbstauferlegte Detaillosigkeit freilich ein wenig schade. Die eine oder andere Anekdote wäre interessant gewesen. Was ein bisschen fehlt, sind Schnurren aus dem Theateralltag – die kleinen Krimis, die sich beim Erarbeiten von Aufführungen abspielen. Stoff dafür hätte es sicher genug gegeben, sind doch viele Stars der Zeit in Leipzig aufgetreten, wie Johannes Heesters oder Paul Hörbiger.
Ausführlicher textmäßig behandelt wird die Situation des Kulturlebens in Leipzig während des Zweiten Weltriegs, nach den Bombardements und der Zerstörung der Leipziger Theater. Die Bemühungen, das Theaterleben wieder in Gang zu bringen, die Operette in Leipzig wiederzubeleben, dieser Teil der Geschichte ist exzellent herausgearbeitet. Danach, im Kapitel »Operette und Musical im Haus Dreilinden, ab 1960 Kleines Haus, seit 1968 Musikalische Komödie«, driftet das Werk wieder leicht in Richtung Bilderbuch ab.
Das Musicalgenre spielt sich in Leipzig vor allem im Haus Dreilinden ab, dem einzigen Theater, das während des Zweiten Weltkriegs nicht bombardiert wurde. Im bis zu 1500 Sitzplätze bietenden Varietà©theater, etwas abseits der Stadt gelegen und nach der Zerstörung aller anderen Theater kurzerhand zur Behelfsstätte für Oper und Konzert umfunktioniert, konnte schon 1944 mit Carl Maria von Webers »Der Freischütz« ein neues Bespielungskonzept umgesetzt werden.
1960 nahm das neu errichtete Opernhaus am Augustusplatz (Karl-Marx-Platz) den Spielbetrieb auf. Das Haus Dreilinden wurde in »Kleines Haus« umbenannt (hatte allerdings damals 1193 Sitzplätze). Lag der Schwerpunkt hier zuerst bei der Aufführung von Opern, verlagerte sich das in späterer Zeit hin zu Operetten und musikalischen Lustspielen. 1968 erfolgte die Umbenennung in »Musikalische Komödie«. In eben diesem Theater sollte sich neben der Operette das Musical etablieren.
1965 fand mit Cole Porters »Kiss me, Kate« die erste Aufführung eines amerikanischen Musicals in Leipzig statt. Es folgten erfolgreiche Produktionen von »My Fair Lady«, »Der Mann von La Mancha« und »Cabaret«. Mit »Karambolage«, »Man liest kein fremdes Tagebuch«, zwei Musicals von Conny Odd, etablierte sich in der DDR eine eigene Musicaltradition, in Odds Fall den realsozialistischen Alltag thematisierend, oder aber das reiche Spektrum historischer Stoffe verwendend, wie im Falle von »Das Dekameronical« vom bekanntesten Musical-Komponisten der DDR, Gerd Natschinski.
In den 90er Jahren kam unter anderem »Der Kleine Horrorladen« im Kellertheater des Opernhauses zur Aufführung, während die Musikalische Komödie generalsaniert wurde. Am 20. Mai 1993 feierte in der frisch renovierten Musikalischen Komödie »La Cage Aux Folles« seine Premiere. Überhaupt waren die 90er Jahre ein erfolgreiches Jahrzehnt für das Musical. Klaus Winters Inszenierung von »My Fair Lady« (1988) brachte es im Laufe der Jahre auf über 200 Vorstellungen, »Der Fiedler auf dem Dach/Anatevka« (1991), »Sorbas« (1993), »Der Kleine Horrorladen«, »Linie 1«, »Der Zauberer von Oss«, und »West Side Story« – durchwegs Publikumserfolge. 1998 ging die Uraufführung von Tobias Künzels Musical »Elixier« über die Bühne, und auch »Evita«, »Jesus Christ Superstar« und »The Rocky Horror Show« wurden Erfolge.
Was die jüngere Vergangenheit der Operette und des Musicals betrifft, die letzten zehn, fünfzehn Jahre, so findet man im besprochenen Buch nur mehr grobe Angaben. Was definitiv fehlt, ist eine tabellarische Zusammenstellung aller aufgeführten Stücke, optimalerweise mit Premierendatum und mindestens der Anzahl der Aufführungen. Das alles hätte man recherchieren müssen – und wenn wir ganz ehrlich sind: Wenn schon Musical und Operette einen bedeutenden Stand haben in der Tradition des Musiktheaters von Leipzig, dann hätte man das auch im Titel des Buches signalisieren müssen und so vielleicht noch mehr interessierte Käufer erreichen können.
Fazit: hervorragend produziert, wunderbare Fotos aus den Archiven, sehr zu empfehlen.

Leonhard Czernetzki; Doris Fischer: »150 Jahre Operette in Leipzig«. Edition Leipzig in der Seeman Henschel GmbH & Co KG, Leipzig 2009, 176 S.; (Hardcover) ISBN 978 3 361 00649 2. EUR 25,00 www.edition-leipzig.de

Folkwang Hochschule (Hrsg.): »20 Jahre Folkwang Musical«

»20 Jahre Folkwang Musical« – als Buchtitel klingt das zuerst einmal nicht besonders spektakulär. Und mit Begriffen wie »spektakulär« ist dieses Printprodukt, eine Idee des Studiengangs Musical der Folkwang Hochschule, die gemeinsam mit Prof. Patricia Martin und Prof. Gil Mehmert entwickelt wurde, auch nicht bewertbar – aber es ist ein wichtiges Buch für den Ausbildungssektor des Musiktheaters. Nicht etwa, weil hier geheime Erkenntnisse der Lehre preisgegeben werden, sondern weil Bücher wie dieses essentielle Marketingtools jeder Ausbildungsstätte sein sollten – und es doch so selten sind.
Irgendwann, etwa nach 20 Jahren, nach zehn Jahren, alle fünf Jahre oder aber permanent stets aktuell und umfassend online, sollte jede Schule auf diesem Gebiet darangehen, das eigene Standing möglichst öffentlichkeitswirksam darzustellen, die eigene Position schriftlich festzuhalten und beispielsweise über alle jene Produktionen Auskunft zu geben, die man gemeinsam mit den Studenten erarbeitet hat. Mit allen Studenten – auch mit jenen, die nicht die große Karriere machen, mit denen man sich als Schule nicht imagemäßig schmücken kann. Ein Buchprojekt wie das der Folkwang Hochschule holt die Studenten etwas aus dem verschulten halbanonymen Puppenstadium heraus, in dem sich doch einige von ihnen befinden, während sie studieren (und in dem so manch einer auch danach noch eine Zeit verharrt). Sucht man auf den offiziellen Websites der Musicalschulen nach Informationen über die Studenten, findet man oft erstaunlich wenig. Ab und an ergreifen die jungen Künstler selbst die Initiative und coden eigene Sites – dann allerdings kommt es gar nicht mehr so selten vor, dass diese Bemühungen von den Schulen nicht so gerne gesehen werden. Sinnvolle Begründungen dafür gibt es nicht.
Das hier besprochene Buch ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein weiterer wäre vollbracht, wenn Marketingexperten der Musicalschulen jedem einzelnen Studenten ein Plätzchen im Web zur Verfügung stellten, inklusive einer Mindestausstattung wie einem Blog und einer kleinen Einschulung, was man zu tun hat, um die Website mit Inhalt zu befüllen (oder befüllen zu lassen). Selbstvermarktung ist alles, und das Netz ist dabei heute nicht mehr wegzudenken. Die Realität sieht freilich anders aus. Sucht man auf den offiziellen Websites der Schulen unter dem Stichwort »Absolventen«, kommt man an abstruseste Angaben. Auf einmal tauchen mitten im Web Excel-Sheets zum Download auf, die nichts weiter als die Namen der Absolventen und Angaben zum Abschlussjahr enthalten. Wieder andere Lehranstalten versuchen sich mit Bilderrätseln, indem sie auf einer Site acht Passbilder und irgendwo anders die dazugehörigen Namen posten. Die seit rund 85 Jahren bestehende Folkwang Hochschule geht hier einen eigenen, guten Weg.
1989 richteten die Verantwortlichen der Folkwang den »Studiengang Musical« ein, und bereits im ersten Jahr traten die Studenten gemeinsam mit Gästen vom Broadway mit einem selbst erarbeiteten Programm an die Öffentlichkeit: »Broadway meets Musical«. Seit 1989 bietet diese Ausbildungsstätte Jahr für Jahr interessante Shows, beispielsweise »Jaques Brel Is Alive And Well And Living In Paris« (1993), »Company« (1994), »On The Town« (1995), »Into The Woods« (1998) mit Ramesh Nair als »Aschenputtels Prinz« und Cornelia Drese als »Hexe«, »The Apple Tree« (2000) mit Thomas Klotz als »Der Produzent« und Thomas Schweins als »Flip«, »Girl Crazy« (2002) mit Stefan Strara als »Danny« und Serkan Kaya als »Sam«, »Merrily We Roll Along« (2003), »How To Succeed In Business Without Really Trying« (2004), »The Wild Party« (2005), »Bat Boy« (2006), »Pinkelstadt« (»2007), »Rent« (2008) und »Into the Woods« (2009) mit Gaststar Guildo Horn als »Erzähler«.
Im Folkwang-Buch berichten am Institut Lehrende des Fachbereichs Musical über mitunter recht Amüsantes aus der Praxis, beispielsweise Bernd Paffrath (seit 2001 Lehrbeauftragter für Stepptanz): »Und es sollte eine Ausnahme bleiben, dass eine ehemalige Studentin in großer Panik eine sms (in Großbuchstaben) mit der Frage versandte: »SCHNELL. BIN AUF EINER AUDITION FÜR Anything Goes. WAS IST NOCHMAL EIN WING??? BRAUCHE EINE SCHNELLE ANTWORT.« Ich gebe zu, dass meine Antwort etwas gemein, aber der Situation durchaus angemessen ausfiel: »Ein Wing ist eine asiatische Hülsenfrucht!« Leider habe ich vergessen, ob die betreffende Person den Job doch noch bekommen hat.« Ein Thema, das in fast allen Artikeln vorkommt: die triple threats, die Alleskönner, oder anders formuliert: die drei Säulen der Ausbildung: Tanz, Gesang und Schauspiel – das, was Musicaldarsteller auszeichnet. Doch wie sehen Studenten diese Mehrfachbegabung – Segen oder Fluch? Matthias Davids, Gastregisseur an der Folkwang: »Abends nach der Probe in der nahe gelegenen Pizzeria. Meine jungen Darsteller diskutieren heftig, wie sie die zwei Versionen ihrer Bewerbungsunterlagen gestalten sollen. Ich bin irritiert – zwei? »Ja, die eine fürs Musical, die andere fürs Schauspiel«, lautet die lakonische Antwort. Bei einem Schauspielensemble empfehle es sich, die Ausrichtung des Studiums auf das Musicalgenre zu verschweigen, ansonsten verbaue man sich von Anfang an die Chance auf ein Engagement. Ich bin sprachlos. »Und was sagen eure Dozenten dazu?«, frage ich ungläubig und ernte mitleidige Blicke. »Es fängt doch hier an der Hochschule schon an.« »So mancher Schauspielschüler straft und Musicalleute bloß mit Verachtung.« »Wir gelten als die, die alles etwas, aber nichts richtig können.«« Viel hat sich verändert, und vieles so gar nicht. In recht freier Definition auch die besondere Qualität der Folkwang-Studenten. Derek Williams (Professor für Jazzdance und Choreographie) sieht den Schwerpunkt jener Absolventen, die einen Job finden, im Tänzerischen; Simone Linhof, Associate Producer bei Stage Entertainment, ortet den Ruf der Folkwang-Absolventen im Bereich der »Allrounder, Alleskönner, ohne spezielle Schwerpunktsetzung«.
Sehr klug hat die Redaktion (Dr. Wolfgang Jansen, Kommunikation & Medien, Folkwang Hochschule, Maike-Ilke Groß und Wiebke Busch) Unterhaltsames, Persönliches und Informatives gestreut, die Photos sind durchwegs erstklassig und das Design des Buchs (Henning Schlegel) ist modern-pfiffig.
Fazit: Vorbildlich und höchst nachahmenswert.

Folkwang Hochschule (Hrsg.): »20 Jahre Folkwang Musical«. Folkwang Hochschule, Essen 2009. 180 Seiten. EUR 10,–. Zu bestellen über den Online-Shop der Folkwang Hochschule: www.folkwang-hochschule.de/

Ulrich Müller: Andrew Lloyd Webbers Musicals (unter Mitarbeit von Peter Back-Vega)

Alle Musicals Andrew Lloyd Webbers auf kompakten 128 Seiten im handlichen Kleinformat abgehandelt – und mehr braucht man auch nicht darüber zu wissen … so könnte man das Büchlein »Andrew Lloyd Webbers Musicals – Ein musikalischer Werkführer« von Ulrich Müller in ein paar Worten umreißen. Man würde dabei aber der Intention des Autors nicht gerecht, dem gerade diese abwertende Haltung einem/dem (finanziell) erfolgreichsten Musicalkomponisten der Gegenwart gegenüber fern liegt. Vielmehr ist Ulrich Müller um eine sachliche Haltung bemüht und definiert das gleich auf der ersten Seite des Buches in seiner Einleitung: »Um es von vornherein klarzustellen: Mein Verhältnis zu den Werken von Andrew Lloyd Webber ist durch kritische Sympathie geprägt (…) Ich sehe in diesem Interesse keinen Gegensatz zu meiner Liebe zu anderen Gattungen des Musiktheaters, von Mozart bis Wagner, von Johann Strauß, Oscar Straus und Richard Strauss bis György Ligeti und und (sic!) Karija (sic!) Saariaho.« Abgesehen von den zwei Fehlern in nur einem Satz: Wie weit ist es eigentlich gekommen in diesem Genre, dass man sich am Beginn eines Sachbuches quasi dafür entschuldigen muss, es geschrieben zu haben.

In aller Kürze sehen wir also die Musicals von Andrew Lloyd Webber abgehandelt. Man könnte sich vorstellen, dass Schüler, die sich einen raschen Überblick verschaffen wollen oder ein Referat vorbereiten, damit gut bedient sind, oder auch Musicalbesucher, die, Gott weiß wo, zum ersten Mal eine der Webber-Shows sehen und sich vorab informieren möchten. Ulrich Müller bietet zu allen Webber-Musicals die »Handlung«, einen Einblick in die »Entstehungsgeschichte und Einspielungen« sowie eine »Charakterisierung« der Werke. Das klappt ganz ausgezeichnet und ist in der Tat sehr informativ. Der Leser wird auch mit einer kurzen Biographie des Komponisten versorgt und erfährt en dà©tail, ob nun »Andrew Lloyd-Webber« oder »Andrew Lloyd Webber« beziehungsweise »Baron Andrew Lloyd-Webber of Sydmonton Court« die korrekte Schreibweise für den Namen des »Cats«-Komponisten ist – oder ob das am Ende egal ist und man alle Variationen verwenden kann.

Ein Kapitel des Buches schrieb Peter Back-Vega, Dramaturg der Vereinigten Bühnen Wien. Unter dem Titel »Andrew Lloyd Webbers Auftritt auf dem Kontinent« analysiert er, wie die Shows des englischen Komponisten von Wien aus in Europa Fuß fassten. Auf engstem Raum (acht Seiten) stellt er dar, wie, angefangen mit »Evita« und »Jesus Christ Superstar«, Webber der Grund war für eine tiefgreifende Änderung der Produktionsbedingungen an den Musicalhäusern – und letztlich indirekt auch bei den Ausbildungsmöglichkeiten für Musicaldarsteller. Back-Vega schließt seine Ausführungen mit der Erwähnung der Gründung des »Tanz-Gesang-Studios Theater an der Wien«, in dem Darsteller der ersten Webber-Jahre in Wien unterrichtet haben. Back-Vega: »Die Choreographen und Dance Captains, die in den großen Produktionen gelernt haben, bestreiten heute noch die Mehrzahl der Musical-Inszenierungen im deutschsprachigen Raum. Im Musicalbetrieb gibt es noch künstlerische Stammbäume, und wie manche ihre Wurzeln bei Jerome Robbins haben, so haben sie andere in den Musicals von Andrew Lloyd Webber.«
Man sollte noch den unrühmlichen Rest hinzufügen: Als eine der ersten Handlungen der Intendanz Rudi Klausnitzer erfolgte die Schließung des »Tanz-Gesang-Studios Theater an der Wien«, aus Kostengründen. Auch das ist eine spannende Geschichte, die man einmal ausführlich erzählen sollte.

Ein Lektor hätte dem Buch übrigens ganz gut getan, es ist eher unüblich, einen solchen Haufen an Tippfehlern auf so wenigen Seiten zu finden. Nichtsdestotrotz: Für eine allererste Einführung in die Musicals Andrew Lloyd Webbers ist dieses Büchlein durchaus empfehlenswert, einzige Ausnahme: Der Vergleich Webber–Sondheim im Kapitel »Zussammenfassung (sic!) und Ausblick« ist zu verknappt und – mag sein ungewollt – tendenziös, schlicht und einfach nicht haltbar. So wie sich dies in diesem Büchlein liest, könnte man meinen, der Ruf Sondheims wäre primär auf die Meinungsmache eines Grüppchens Intellektueller der New York Times und anderer Zeitungen zurückzuführen. Bezugnehmend auf »Pacific Ouvertures« und »Assassins« liest man auf Seite 113: »Eine solche scharfsinnige Analyse von Gesellschaft und Politik, durchaus wirkungsvoll verpackt in verschiedene Musical-Formen, erklärt zum beträchtlichen Teil auch den fast legendären Ruf Sondheims, der durch eine in den Medien höchst einflussreiche Gruppe von Intellektuellen (insbesondere in der sogenannten Qualitätspresse) verbreitet und propagiert wird (…)” Da warten wir dann doch lieber auf einen Beck’schen Band zu Stephen Sondheim – sollte je einer publiziert werden.

Ulrich Müller: Andrew Lloyd Webbers Musicals – Ein musikalischer Werkführer (unter Mitarbeit von Peter Back-Vega). Verlag C. H. Beck, München 2008, 128 S.; ISBN: 978-3-406-44814-0. € 7,90 (Paperback). www.beck.de

Wolfgang Jansen: Cats & Co. –Geschichte des Musicals im deutschsprachigen Theater

Mit »Cats & Co.« legt Wolfgang Jansen, Theaterwissenschafter, Kulturmanager, ein profunder Kenner der Theaterlandschaft und Verfasser von zahlreichen Publikationen zum musikalischen Unterhaltungstheater, die erste Gesamtschau der Entwicklung des Musicals im deutschsprachigen Theater vor – eine Pionierleistung, ist doch der Umfang an Fachliteratur, die sich theater-, musik- oder kulturhistorisch mit der Entwicklung des Musicals in Deutschland, Österreich und der Schweiz beschäftigt, erstaunlich gering. In fast zehnjähriger Recherche wertete der Autor eine Unzahl an Unterlagen aus, seine Analysen beruhen zudem auf persönlichen Erinnerungen an Hunderte besuchte Aufführungen und auf unzähligen Gesprächen mit Darstellern, Regisseuren, Autoren und Produzenten.
Rein optisch ist »Cats & Co.« eine Wucht. Durch die Bank, von der ersten bis zur letzten Seite, faszinierende Fotos, Musicalplakate, spannende Szenenausschnitte, Porträts, rare und atmosphärische Aufnahmen aus den Anfängen des Musicals im behandelten Zeitraum bis zu den fröhlich bunten Fotos aktueller, belangloserer Shows, gedruckt auf sehr gutem Papier, jedes Foto genau beschrieben.
Das Layout detto, die einzelnen Kapitel des Buchs sind im unteren Bereich der Seiten mit jeweils einer eigenen Signalfarbe kenntlich gemacht. Wenn man ein bestimmtes Kapitel ansteuern will, muss man nicht erst mühsam nach Seitenzahlen suchen, man hat ein sehr gut durchdachtes optisches Hilfsmittel an der Hand. Gedruckt ist das Buch in Top-Qualität, auch bei der Produktion hat man nicht gespart. Softcover plus Fadenbindung, da bricht nichts, das hält, auch wenn man es aufbiegt.
Was Satz und Gestaltung betrifft, so gefallen die kleinen schmematischenTänzer-Figürchen, die das Schriftbild am unteren Seitenrand etwas auflockern, das ist alles wirklich durchdacht, leicht verspielt, die Schrifttype leicht lesbar. ABER: Wer optisch gut und übersichtlich strukturierte, in sich gegliederte Texte zum besseren Verständnis und leichtem Wiederfinden bevorzugt, ist mit “Cats & Co.” etwas weniger gut bedient. Unterteilt ist das Buch in sechs große Kapitel, die in sich nicht weiter gegliedert sind. Manchmal hat man geradezu den Eindruck, dass all die möglichen Untergliederungen beim Umbruch rausgeflogen sind, um Seiten einzusparen. Liest man das Buch, so hat man es schwer, interessante Stellen auf Anhieb wiederzufinden, Unterüberschriften fehlen hier doch sehr. Es sind 304 Seiten zweispaltiger Blocktext (natürlich durch die Vielzahl an Bildern aufgelockert), das ist eine wirklich enorme Ladung an Information.
Beginnend mit der vergessenen deutschsprachigen Erstaufführung von »Porgy and Bess« wenige Wochen nach Kriegsende in der Schweiz behandelt Jansen chronologisch die Jahre 1945 bis 1960, die sechziger, siebziger, achtziger, neunziger Jahre und Musicals nach 2000,. Insgesamt sieben kleine Listen wurden für das Buch erarbeitet, sechs davon sind Zusammenstellungen der Produktionen ausgewählter Musicalspielstätten (das Theater an der Wien in den siebziger Jahren, Schweizer Musicalaufführungen der siebziger Jahre, deutsche Musicalgroßproduktionen der neunziger Jahre, Aufführungen, die Klaus Wagner in den neunziger Jahren am Stadttheater Heilbronn herausbrachte, und eine Auflistung der Produktionen der Sommerfestspiele Amstetten in den neunziger Jahren), eine ist ein Firmenstammbaum der Stella Musical AG. Das Problem dabei ist ein wenig die Beliebigkeit. Tabellen dieser Art sind sicher nette Einsprengsel, aber relevant wäre es dann schon gewesen, statistisch ausgewertete Daten dieser Art über einen längeren Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Auch hätte man viele Themen des Buches auf diese Art und Weise optisch etwas auflockern können, ach was, man hätte einen ganzen hochinterssanten Statistikteil für dieses Werk erarbeiten können. Freilich muss man bedenken, dass hier ganz offensichtlich der dafür nötige Aufwand im Rahmen dieses Bands zu groß gewesen wäre.
Am Ende der Lektüre hat man eine Art historischen Fleckerlteppich, der sich nicht ganz leicht zu einem Gesamtbild zusammensetzen mag. Ein stärker gegliedertes Konzept hätte es den Lesern sicher einfacher gemacht, im Text Brücken zu bauen, ABER: Wolfgang Jansens Geschichte des Musicals ist ein profundes Werk, der Autor holt aus fast jeder Epoche und aus fast jeder Spielstätte ein paar Fakten zusätzlich heraus, die so noch nicht im Rahmen einer Gesamtschau verknüpft waren. Das Buch hat seine stärksten Momente immer dann, wenn sich der Autor beispielsweise ausführlicher der Geschichte eines ausgewählten Theaters oder einer Theaterpersönlichkeit widmet, so unter anderem dem Theater des Westens unter Helmut Baumann. Hier fungiert »Cats & Co.« dann als reiche Quelle von Hintergrundinformationen – nicht nur zur Aufführungsgeschichte der behandelten Stücke, sondern auch zu den Personen vor und hinter der Bühne, Komponisten, Darstellern, Autoren, Regisseuren, Intendanten, sowie auch zur Entwicklung der Infrastruktur, die für den Aufschwung des Genres in den letzten Jahrzehnten unerlässlich war.
Die im Buch besprochenen Musicals unterzieht Jansen einer spannenden inhaltlichen Analyse. »Cats & Co.« hebt sich dadurch von anderen Werken ab, die oft einen rein handlungsbezogenen Schwerpunkt setzen.
Wolfgang Jansens Anliegen war es, nicht bloß eine Geschichte der Musicalgroßproduktionen zu skizzieren, sondern sich auch ausführlich der engagierten Sommertheater-Szene, den ambitionierten Stadttheatern und auch Freien Gruppen zu widmen, wie beispielsweise Hoffmanns Comic Teater – einer Gruppe, der Rio Reiser angehörte und für deren Produktion »ROBINSON 2000« der damals erst siebzehnjährige Reiser die Musik und einen Teil der Songtexte beisteuerte, zu einem Werk, das 1967 als erste »Beat-Oper« seine Uraufführung feierte (mit Schlagersänger Peter Horten in der Hauptrolle).
Im Anhang des Werks finden sich ein Personenregister, ein Register der Bühnenwerke, ein Quellenverzeichnis und reichhaltige Anmerkungen.
Fazit: Wolfgang Jansen bietet ein Standardwerk, das, wenn man den gegebenen Umfang in Betracht zieht, ein Optimum an Information liefert – ein Buch, das man jedem, der am Musicalgenre interessiert ist, empfehlen kann.

Wolfgang Jansen: Cats & Co. Geschichte des Musicals im deutschsprachigen Theater. Henschel Verlag in der Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Berlin 2008, 304 S.; ISBN: 978-3-89487-584-8. € 20,50 (Softcover). www.henschel-verlag.de

Carol de Giere: Defying Gravity – The Creative Career of Stephen Schwartz from “Godspell” to “Wicked”

Jahrelang arbeitete Carol de Giere als Bibliothekarin in Mason City, USA, bis sie den Drang verspürte, auch selbst kreativ tätig zu werden. Sie studierte “professional writing” und startete eine neue Karriere als Freelancer-Autorin für lokale und regionale Publikationen. Eines Tages wurde sie damit beauftragt, für eine neu gelaunchte Website Texte über Musiker zu schreiben. Und zwar über Musiker, deren Namen mit einem “S” beginnen. »John Schneider«, »Diane Schuur« – »Stephen Schwartz« … Dieser Name kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie recherchierte im Netz, loggte sich bei www.StephenSchwartz.com ein und war von seiner Biographie beeindruckt. Ihr Lieblingsmusical “Godspell” hatte ja er geschrieben! Sie beschäftigte sich eingehend mit den Texten, die Schwartz auf seine Homepage gestellt hatte und war fasziniert, wie eingehend sich der Komponist und Texter mit den Fragen seiner Fans auseinandersetzte, wie glaubwürdig seine Antworten waren, wie gekonnt er eines beschreiben konnte: den kreativen Prozess des Komponierens und Textens, des Erarbeitens einer Show.
Und genau das ist der Punkt, der diese Biographie so lesenswert macht. Wer im Musicalbereich versucht, abseits der üblichen Fragen etwas tiefergehend den Entstehungsprozess von Shows zu ergründen, wird oft einerseits einem gewissen Misstrauen begegnen, und andererseits auch oft der Unfähigkeit, diese Prozesse zu kommunizieren. Zu sehr setzen Produzenten darauf, ihre Shows zu mystifizieren, ja nicht zu viel vom Entstehungsprozess nach außen zu tragen. Fragt man Komponisten/Texter nach ihrer Arbeitsmethode, nach dem kreativen Prozess des Komponierens oder Textens, kommen des Öfteren nebulose Leerformeln und ein abschließendes “Musik muss man hören”. Nur ganz wenige sind in der Lage, ihre Arbeitsmethode anderen vermitteln zu können.
Stephen Schwartz ist ein Künstler, der bereit ist, den kreativen Prozess nicht nichtssagend als “Magie – Tadaaa” zu mystifizieren, sondern detailliert alle Aspekte des Arbeitens auf dem Gebiet des Musiktheaters zu analysieren und zu erklären. Er tut dies in der hier besprochenen Biographie unter anderem ausführlich mit immer wieder eingestreuten »Creativity Notes«, quasi Tipps aus der Praxis. Alleine diese Hinweise und Analysen sind es wert, sich mit diesem Buch auseinanderzusetzen. Oft werden höchst komplizierte Prozesse am Ende der Ausführungen auf einen simplen Nenner gebracht. Zum Thema Songwriting meint Schwartz : »What I’ve learned as a writer is that the more I can get to my own emotional truth, the more a song is actually about me, thinly disguised as an Indian princess or the hunchback of Notre Dame or other characters, oddly enough, the more it communicates universally. For the most personal songs I’ve ever written, I’ve had people come up to me and say, «How could you possibly have known that? I felt like you read my diary.” It’s really an interesting phenomenon, and of course it makes our job as songwriters a lot easier. I have this joke where people ask, «How do you write a song?” and I say, «Tell the truth and make it rhyme.” But that’s really it. The more you can tell your truth, the more it resonates for others. Of all the lessons about songwriting I’ve learned over time, that’s been the most revelatory for me. I didn’t actually go in knowing that. I had to learn it from experience.”
Carol de Giere (geboren 1952) ist kein «Hardcore-Musicalfan”. Ihre erste Show hat sie im Alter von 49 Jahren gesehen. Sie war und ist von der kreativen Persönlichkeit Schwartz’s fasziniert, und schon bald wurde aus dem einen Text für ihren Auftraggeber der Plan, eine autorisierte Biographie über den Komponisten zu schreiben. Im Jahr 2000 begann sie ihre Arbeit, 2008 wurde »Defying Gravity – The Creative Career of Stephen Schwartz from “Godspell” to “Wicked”« von Applause Books publiziert, ein 536 Seiten-Riegel, der so spannend und faszinierend ist wie ein guter Krimi. Ein Buch, das in jeder Hinsicht gelungen ist.
Beispielsweise ist es klug und leserfreundlich gegliedert, in 3 Akte (1948 bis 1974, 1974 bis 1991, 1991 bis 2003), sowie die Kapitel “Wicked” und “Extras”. Jeder Akt ist in sich wieder logisch gesplittet in Unterkapitel. Wenn man in diesem Buch Passagen nach dem ersten Lesen sucht, wird man sie auch finden. Das Layout ist durchdacht, links und rechts des Satzspiegels findet sich Platz für Abbildungen und eine Unmenge an Zitaten von und über Schwartz.
Die Biographie ist mit 200 Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Leben Stephen Schwartz’s reich bebildert. Die Auswahl der Bilder ist durchdacht, viele stehen für Wendepunkte im Leben des Künstlers und werden zu Impulsgebern für Geschichten. Beispielsweise ein Foto, entstanden auf einer Bootsfahrt in Hawaii, bei der Holly Near Stephen Schwartz von einem Buch erzählte, das ihr besonders gut gefallen hat: Gregory Maguires Roman “Wicked”. »In an instant, Schwartz’s imagination flashed through the implications of a backstory for »The Wizard of Oz« told from the perspective of the unpopular witch. It was the best concept for a musical he’s ever heard. As soon as he returned to his L. A. apartment, he called his attorney in New York, inquiring Maguire’s 1995 novel. […] «Okay, this book has been out for a while, so somebody has the rights. I need you to find out who has them. Meanwhile, I’m going to get the book and read it, because I think I want to do this.” Es sollte ein langer Trip werden, bis zur Premiere, und eigentlich hatte Schwartz schon vor seinen Disney-Erfolgen mit dem Broadway und dem West End abgeschlossen. Nach dem Flop von »The Baker’s Wife« in London ging er in Therapie und spielt mit dem Gedanken, Psychologie zu studieren und den Rest seines Lebens etwas ganz anderes zu machen – nur keine Musicals mehr.
Detaillierte Analysen der Entstehungsgeschichten von »Godspell«, »Pippin«, »The Magic Show«, »The Baker’s Wife«, »Working«, »Children of Eden« zur Disney- & DreamWoks-Phase und natürlich “Wicked” machen das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk für alle, die sich mit den Musicals von Stephen Schwartz beschäftigen wollen, aber auch für alle jene, die generell an der Arbeitsweise eines Komponisten/Texters interessiert sind.
Das Buch ist auch ein Fundus witziger Anekdoten: Schwartz’s schwierige Zusammenarbeit beispielsweise mit Bob Fosse bei “Pippin”, oder das Chaos, das Topol bei der Produktion “The Baker’s Wife” verursachte. Aber nicht nur mit Topol gab es bei dieser Show Probleme, auch John Berry, ein Produzent der Aufführungsserie in Washington 1976, war ein Schlitzohr der besonderen Art:
“Merrick especially despised “Meadowlark” and wanted it replaced. Schwartz resisted. In Washington, D.C., the producer tried another track. Reports differ on what actually happened. Bob Billig remembers a matinee when, after Patti Lupone sang the piece and the first act curtain went down, he got a call on his headset in the orchestra pit. It was the stage manager saying, “Mr. Merrick is here. Her would like you to collect the orchestra parts of “Meadowlark” and bring them up here right now.”
Billig collected the music from the musicians and walked up the stage manager’s desk. “I handed the parts to the stage manager, he handed them to Mr. Merrick who put them in his briefcase, locked it, and walked out the door. I said “Oh God, what the hell are we going to do? How are we going to make the dramatic high point of the act to happen?” We had a show to do that night.”
Billig called Schwartz. “You have to know what just happened,” he explained the situation, upon which Schwartz said he would pull the score and close the show if it wasn’t restored, again invoking the Dramatists Guild contract he had used to save “King of Woman” in “Pippin”.
Publicity director Josh Ellis remembers being in the stage manager’s office backstage when someone stormed in regarding the pilfered music. He believed it was Schwartz (although Schwartz claims not to have been in Washington D.C. at that time). Merrick told whoever was there fussing over the removed music, “… don’t worry, we’re in Washington, D.C., home of the FBI. They will find our little Meadowlark. It’s clear it wasn’t stolen. The Meadowlark just flew away.” By the next performance, the music was back in Billig’s hands and the song remained in the show.”
Am Ende der Reise und des Buchs, nach diversen negativen Kritiken für »Wicked«, und nach den Tony Awards 2004, die für »Avenue Q« die begehrten Auszeichnungen für »Best Score«, »Best Book« und »Best Musical« einbrachten, steht die Conclusio des Komponisten: »When I was a kid [..] this was going to be my «corner of the sky”: I wanted to make a contribution to musical theatre, maybe help to advance it in some way or expand its boundaries like […] Richard Rodgers, and Stephen Sondheim, and Bock and Harnick, and Kander and Ebb and all these other people. That was my dream. And I think concomitant with that dream was an acceptance by the Broadway establishment. […] And that’s what, for whatever reasons, didn’t happen for me. I won’t even say it’s a disappointment anymore, because at this point I’ve accepted it. It’s simply a fact of life. I’ve had to accept the fact that it’s a dream that didn’t come true. And that’s okay, because so many other things have come true and have exceeded my expectations.”
Carol de Gieres «Defying Gravity” ist natürlich keine werkkritische Auseinandersetzung mit dem Schaffen Schwartz’s. Sie hat eine von tiefer Sympathie geprägte Biographie geschrieben, Musikwissenschafter sind ihre Hauptzielgruppe nicht (schließlich soll sich das Buch ja verkaufen). Dennoch bietet sie ein breitgefächertes Datenmaterial: Auszüge aus vielen Original-Liedtextentwürfen, Partiturauszüge, genaue Entstehungsgeschichten vieler Songs, einen der ersten »Wicked«-Entwürfe aus dem Jahr 1998, negative Rezensionen von Kritikern sowie positive von Fans, spannende Schilderungen, wie man bei Disney Musicaltrickfilme konzipiert, entwickelt und vermarktet, und natürlich einen Ausblick auf neue, kommende Projekte des Texters/Komponisten. Und auch wenn Stephen Schwartz die New Yorker Kritiker nicht überzeugen kann, bleibt ihm eines: der Erfolg beim Publikum. Seit Juli 2008 ist er der einzige Komponist/Texter, der es auf drei Broadway-Shows (»Pippin«, »The Magic Show« und »Wicked«) mit mehr als je 1900 Vorstellungen gebracht hat.

Carol de Giere: Defying Gravity - The Creative Career of Stephen Schwartz from “Godspell” to “Wicked”. Applause Theatre & Cinema Books – An Imprint of Hal Leonard Corporation, New York 2008, 536 S., ISBN: 978-1-55783-745-5. $ 24,95 (Softcover). www.applausepub.com

Peter Back-Vega: Theater an der Wien – 40 Jahre Musical in zwei Akten mit Prolog, Entr’Acte und Schlussapplaus

Einen »Überblick« über 40 Jahre Musical am Theater an der Wien – das bietet Professor Peter Back-Vega in seinem Buch »Theater an der Wien – 40 Jahre Musical«. Back-Vega ist dafür ein berufener Mann, nach seinem Studium arbeitete er lange Zeit in Deutschland als Dramaturg und Regisseur. Seit 1981 in Wien, war er mehrere Jahre am Burg- und Volkstheater engagiert, bevor er 1989 Leiter der Dramaturgie der Vereinigten Bühnen Wien wurde. Er lehrte Kulturmanagement, Dramaturgie und Geschichte der Bühnengestaltung in Wien, Graz und Salzburg und ist Kolumnist der Kunstzeitschrift »Parnass«.
Im Vorwort erklärt der Autor, was im Rahmen der Ausführungen nicht geleistet werden kann: nämlich eine “Geschichte” des Musicals am Theater an der Wien, und zwar im Sinne einer umfangreichen “Chronik”, zu schreiben. Der Autor will sein Buch nicht als wissenschaftliche Abhandlung verstanden wissen, es gibt keine Fußnoten, keine Anmerkungen, die Zitate entstammen persönlichen Gesprächen und persönlicher Korrespondenz.
Einerseits also beste Voraussetzungen, um eine leicht lesbare, kurzweilige »Geschichte« des Musicals am Theater an der Wien zu bieten, andererseits: Schade um die vertane Chance, ein wirklich umfassendes Werk abzuliefern. Wie viele Theatergeschichten werden schon im deutschsprachigen Raum publiziert? Aber das Buch soll sich ja verkaufen, und die Schlagzeilengesellschaft mag keine dicken Wälzer, auch nicht, wenn sie viele Bilder enthalten – obwohl, auf diesem Gebiet ist das von Back-Vega gebaute Buch sehr befriedigend. Mit Bildern wurde nicht gegeizt. 88 der 176 Seiten sind ganzformatig mit den Musicals am Theater an der Wien bebildert. Zwei bis vier Seiten pro Show (sechs für »Elisabeth«), vollgepackt mit stimmungsvollen Szenenfotos. Und auf den 88 verbleibenden Seiten verteilt nochmal 30 Bilder. Wenn man also in ganz lesefauler Laune ist, kann man die Produktionen des Theaters auch anhand der Photos Revue passieren lassen. Wirkungsvolle, gut ausgewählte und auch gut reproduzierte Aufnahmen, von »Wie man was wird im Leben, ohne sich anzustrengen« (1965) mit Harald Juhnke und Theo Lingen bis hin zur Wiederaufnahme von “Elisabeth” (2003). Die Bilder aus den Produktionen ab dem Ende 60er und während der 70er Jahre dokumentieren, wie sehr man zeitweise dem Starprinzip vertraut hat: Josef Meinrad, Marika Rökk, Freddy Quinn, Vico Torriani, Michael Heltau oder Johannes Heesters füllten die Kassen, und dann kam Andrew Lloyd Webber. Ein Infokasten bietet auf den bebilderten Doppelseiten die Eckdaten: das Datum der Premiere, Angaben zu Regie und Choreographie, zu Kostümen, zur Musikalischen Leitung und zu den Darstellern – und die Anzahl der Vorstellungen sowie die Gesamtbesucherzahl.
Klug gebaut hat Back-Vega seinen Text, wobei das Werk vor allem auch ein Tribut ist an die (General-)Direktoren des Hauses, angefangen bei Frank Klingenbeck, über Rolf Kutschera, Robert Jungbluth, Peter Weck, Rudi Klausnitzer bis zu Franz Häußler. Wie die Direktion die Stückauswahl anlegte, welche Faktoren in den Entscheidungsfindungsprozess hineinspielten, das erklärt Back-Vega sehr schlüssig. So war beispielsweise die Bühnentechnik bzw. ein dringend nötiges Ugrading derselben dafür verantwortlich, dass 1998 »Elisabeth« abgesetzt wurde. Die Sanierung des Schnürbodens stand an und man brauchte eine Produktion, die ohne Schürboden und Unterbühne auskam: »Chicago« war perfekt.
Eines der großen Verdienste Peter Wecks war unter anderem die Gründung der Musicalschule »Tanz-Gesang-Studio Theater an der Wien« im Jahre 1984. Es war der Start einer professionellen Musicalausbildung in Wien und nur so, das erkannte Weck, konnte man sich einen Pool an deutschsprachigen Profidarstellern für die eigenen Produktionen schaffen. Back-Vega: »Die Kosten der Schule waren im Theater an der Wien-Budget mit zehn Millionen Schilling jährlich veranschlagt. Das bedeutet, dass in jeden Darsteller, der daraus erfolgreich hervorging, 1 Million Schilling investiert wurde! Für den nachfolgenden Direktor, den kühlen Rechner Rudi Klausnitzer, ein zu hoher Einsatz. Er sperrte die Schule 1994 wieder zu – nicht ohne durch Kooperationen mit den Performing Arts Studios doch für eine gewisse Kontinuität der Ausbildung zu sorgen.” Leider ist dem unrühmlichen Ende der »Theater an der Wien-Studios« nur diese eine recht knappe Passage gewidmet – den Problemen der Studenten, die mitten in ihrer Ausbildung waren, wird damit nicht gerecht getan, ein wenig zu geglättet ist hier diese Zäsur mit einem Neubeginn verwoben, der unter dem Begriff »Kooperation« vielleicht nicht wirklich in der richtigen Begriffsschublade gelandet ist.
Back-Vegas Buch ist ein starkes Plädoyer für das Musical-Genre. Längst fällig war eine sarkastische Abrechnung der VBW mit den Kritikern der Tagesjournaille. In einem Werk, geschrieben vom Chefdramaturgen des Hauses, darf man daher Passagen wie die folgende auch als offizielles Statement auffassen: »Schade, dass die Wiener Presse, speziell das Feuilleton, sich in all den vierzig Jahren kaum mit dieser Qualität anfreunden konnte. Das Theater an der Wien sollte »gerettet« werden, sollte – in noch schlimmerer Diktion – »musicalfrei« (wie ungezieferfrei) gemacht werden. […] Die vielen Menschen, die aus den Bundesländern oder gar aus dem Ausland anreisten, um in Wien einen schönen Musiktheater-Abend zu erleben, ohne in die Oper zu gehen, wurden menschenverachtend als letztklassig verspottet. […] Man tat so, als würden jährlich 300.000 bis 500.000 Zuschauer mit der Peitsche ins Theater getrieben. Es lässt sich ja noch verstehen, dass ein Journalist über Theater, das er jahrelang nicht neu besprechen kann, die Nase rümpft und durch pure Polemik versucht, Inhalte und Qualitäten des Musicals zu »verreißen«. […] Noch erschreckender ist allerdings, mit welcher Häme und zum Teil Niedertracht das Musical und sein Publikum pauschal angegriffen wurden, indem auf das »Synthetic-Gedröhne« geschimpft und die auch von vielen Theaterleuten bewunderten, großartigsten Bühnenaufführungen auf die lächerlichste Weise zerpflückt und niedergemacht wurden.«
Wo es beim abrupten Ende der Musicalschule des Theater an der Wien an Exaktheit und Transparenz mangelt, da ist eine Offenheit bei der Aufschlüsselung der Subventionen vorhanden, die das Theater im Laufe der 40 Jahre erhalten hat. Aus der Defensive in die Offensive strebend liefert der Autor konkrete Zahlen, bis hin zu einer genauen Aufschlüsselung der Tantiemen, die Andrew Lloyd Webber, Regisseure, Bühnenbildner und Kostümbildner, Licht- und Sounddesigner sowie Produzenten bei einer Show wie »Cats« erhalten haben. Gut herausgearbeitet wird das Subventionswesen im Vergleich zu den Produktionsbedingungen am Broadway. Einen weiteren Schwerpunkt legt der Autor auf die Vermarktung der Musicals, bis hin zur Entwicklung des Merchandisings, beispielsweise des »Elisabeth«-Fächers: »Den Fächer für »Elisabeth« und das ganze damit zusammenhängende Artwork, vom Programmheft über die Souvenirs bis zu Ferienflieger-Prospekten hat Loys Eggs Grafikabteilung allein entwickelt. Die grafische Präsenz war ein äußeres Zeichen dafür, dass sich da etwas etabliert hatte.« All diese Details sollen klar machen, dass das Musical in Wien keine sinnlose Geldvernichtungsmaschinerie ist, sondern letztendlich ein Geschäft für die Stadt: »Die Stadt Wien hat ihre »Subvention«, die man richtiger »Investition« nennen sollte, schon durch indirekte Steuern der Theaterbeschäftigten und der Firmen, die für das Theater tätig sind, zurückerhalten! Durch die lang laufenden, qualitativ gleich gut bleibenden Aufführungen wurde gleichzeitig die Attraktivität eines Wienbesuchs in einer Weise gesteigert, dass der Stadt zusätzliche Einnahmen in derselben Höhe der zur Verfügung gestellten Summer erwuchsen. Wien hat also von jedem ins Theater an der Wien gesteckten Schilling deren zwei zurückbekommen.«
In einer Art Anhang schildern u. a. einige Darsteller ihre »innere« Verbindung zum Theater an der Wien und zum »weltweit längst dienenden Theaterdirektor« Franz Häußler. Die Auswahl jener Darsteller, die man hier antrifft, mutet ein wenig zufällig an: Es fehlen Namen wie Mà¡tà© Kamarà¡s, Rainhard Fendrich, Luzia Nistler, Dennis Kozeluh, Rob Fowler, Peter Faerber, um nur einige zu nennen – und es fehlt Sylvester Levay, während Michael Kunze die Bedeutung des Theaters an der Wien in seinem Leben ausführt. Mehr zu Sylvester Levay fehlt generell in diesem Buch. Immerhin ist »Elisabeth« das erfolgreichste Produkt der VBW bisher und hat »bis heute fast so viele Besucher rund um die Welt erreicht wie in vierzig Jahren alle Musicals am Theater an der Wien zusammen!« Dass Levay also in diesem Buch fast nur als »Name« Erwähnung findet (ganz im Gegensatz zu Michael Kunze), ist etwas befremdlich.
Fazit: »Theater an der Wien – 40 Jahre Musical« bietet neben einem Schnelldurchgang durch 40 Jahre Musical auch bislang weniger Bekanntes sowie eine Standortbestimmung des Theaters an der Wien im internationalen Umfeld und viele interessante Blicke hinter die Kulissen des erfolgreichen Theaterbetriebs. Sehr empfehlenswert!

Peter Back-Vega: Theater an der Wien – 40 Jahre Musical in zwei Akten mit Prolog, Entr’Acte und Schlussapplaus. Amalthea Signum Verlag, Wien 2008, 176 S., ISBN: 978-3-85002-664-2. € 29,95 (Hardcover). www.amalthea.at

« zurueck · vor »