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Archiv - Bücher

Starlight Express GmbH: Auf Rollschuhen zum Welterfolg – 20 Jahre Starlight Express Live in Bochum

Eigentlich eine gute Idee, eigentlich – nach 20 Jahren Spielzeit – auch nur logisch, dass man das Juiläum »Starlight Express 1988–2008« mit einer ebensolchen Publikation feiert. Gelungen ist das Vorhaben allemal. Ein knallbunter A4-Band, der Einband aus matt cellophaniertem, starkem Karton, durchgehend vierfärbig, gedruckt auf gutem Papier, übervoll mit Bildern, nicht allzu viel Text, eine leicht lesbare fast übergroße Schrift, knappe Infos für die größten Fans, die im Theater (oder auch im Buchhandel) neben der obligaten Tasse und dem Schirm auch diese Publikation erwerben werden. Viel fürs Auge und zum Erinnern an eigene Besuche in Bochum.
Was ein bisschen verwirrt: Die Darsteller von »Starlight Express« spielen in diesem Band ein wenig die zweite Geige. Zwar finden sich jede Menge Darsteller abgebildet und es gibt auch nette Übersichten über die diversen »Electras«, »Rustys« und »Pearls« im Wandel der Jahre in den immer wieder leicht abgeänderten Outfits, aber beschriftet sind die meisten Fotos in diesem Buch nicht. So steht eher die Rolle im Vordergrund und nicht der Darsteller, vielleicht auch gar nicht so zufällig.
Recht interessant zum Durchblättern ist die Dokumentation der einzelnen Spieljahre, hier findet man jede Menge Fotos Prominenter, die sich mit der Cast fotografieren ließen – von Sepp Maier, über Helmuth Kohl und Michael Schumacher bis Rudi Völler, Bilder von Promotion-Auftritten im Fernsehen, da kommt schon einiges zusammen.
Blicken hinter die Kulissen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das sich mit der Bühnentechnik, der Beleuchtung, der Tonregie und dem Orchester, der Ausstattung und der Maske beschäftigt. Spätestens da wünscht man sich doch etwas mehr Information als beispielsweise der folgende Text zu »Ton und Orchester« bietet: »Stimmgewaltige Künstler und das STARLIGHT EXPRESS-Orchester, das in einem Raum unter der Bühne sitzt und somit für die Zuschauer nicht sichtbar ist, präsentieren die einzigartigen Musical-Songs. Damit ein optimaler Klang gewährleistet werden kann, sorgen Tontechniker dafür, dass der unvergleichliche Sound mit einer Gesamtleistung von 40.000 Watt in das Auditorium gespielt wird, Hörgenuss pur!« Das wars zu diesem Kapitel, mehr ist an Informationen nicht im Buch enthalten. Das entspricht dann vom Text-Niveau wohl eher einem Lehrgang »Wie schreibe ich einen Marketingtext«, 1. Semester, 1. Stunde. Das 20-jährige Jubiläum wird abgefeiert und man erfährt nicht mehr, als dass das Orchester unter der Bühne sitzt, und bekommt 40.000 Watt als Hinweis. Viel hat sich das sechsköpfige Konzept- und Redaktionsteam dieses Buches da nicht einfallen lassen. Gegen Ende des Bands geht’s dann ins BRAVO-mäßige, wenn Lovestorys hinter den Kulissen geschildert werden und die Geschichte eines Zahnarztes erzählt wird, der es zum Rusty-Darsteller brachte, aber lassen wir’s gut sein. Als Fanbuch geht das mit Sicherheit durch.

STARLIGHT EXPRESS GmbH (Hrsg.): Auf Rollschuhen zum Welterfolg – 20 Jahre Starlight Express Live in Bochum. Klartext, Essen 2008, 160 S.; (Hardcover) ISBN 978-3837500011. € 19,95. www.klartext-verlag.de

Bud Coleman, Judith A. Sebesta (Herausgeber): Women in American Musical Theatre

Es stimmt schon, wenn Zeitungen über Frauen im Musiktheater schreiben, dann sind es meist Darstellerinnen, über die berichtet wird. Wenn dann auch über weibliche Mitglieder der Kreativteams publiziert wird, sind es immer dieselben Namen: Agnes de Mille, Dorothy Fields, Mary Rodgers und Betty Comden, vielleicht noch Lynn Ahrens und in jüngster Zeit Julie Taymor und Susan Stroman. Und nein, das betrifft nicht nur Zeitschriften und Magazine, auch Fachliteratur geht nicht anders vor. Al Kasha und Joel Hirschhorn publizierten 1985 ein viel beachtetes Buch mit dem Titel »Notes on Broadway: Conversations with the Great Songwriters«. Von den 25 Interviews waren nur fünf mit weiblichen Interviewpartnern. 2003 veröffentlichten David Walsh und Len Platt ihre Studie »Musical Theater and American Culture« und schafften es, gar nur eine einzige Frau zu erwähnen: Agnes de Mille. Man könnte noch Dutzende Beispiele dieser Art anführen. Fakt ist: Ein Buch, das sich speziell und ausschließlich mit der Frau im Musiktheater beschäftigt, könnte eine spannende Sache sein, und um es gleich vorwegzunehmen: Bud Coleman und Judith A. Sebesta haben ein aus elf Kapitel bestehendes, sehr spannendes und informatives Sammelwerk zu diesem Thema zusammengestellt, angefangen von den Komponistinnen im Zeitraum von 1866 bis 1943, dem Zeitalter der »Operetta« und »Musical Comedy«, bis hin in die Gegenwart mit ihren Performance Artists wie Meredith Monk, Laurie Anderson und Diamanda Galà¡s. Dazwischen wird das nachgeholt, was in den vielen Lexika nicht zu finden ist: Biographien und Werkanalysen bedeutender Choreographinnen, Autorinnen und Komponistinnen, aber auch Dirigentinnen, Musikalischen Direktorinnen, Designerinnen, Regisseurinnen u. v. a.
Keine Angst, das ist kein »Emanzen-Buch«. Es sind ja oft genug die Männer, die plötzlich zu den wahren Superemanzen mutieren und dann eher belächelte klischeebehaftete Statements abgeben wie Martin Gottfried in seinem Buch: »More Broadway: Since 1980«. Er schreibt über »The Secret Garden«: »On a male-dominated Broadway, »The Secret Garden« was written by women (book and lyrics by Marsha Norman, music by Lucy Simon) and it was directed by a woman, Susan B. Schulman. The resulting musical was not only artistically different but different in sensibility from traditionally «tough” shows.” Das haben die Frauen gerade nicht gebraucht, andererseits ist das eines der wenigen Statements, die in Lexika überhaupt auf Leistungen weiblicher Wesen eingehen. Daher ist dieser Versuch, eine Geschichte der Frau im Musiktheater zu schreiben, auch gar nicht hoch genug einzustufen, in Teilbereichen fast eine Pionierleistung. Die Quellenlage war äußerst mühsam, und es lohnt sich, das Resultat der Forschungsarbeit zu lesen.

Bud Coleman, Judith A. Sebesta (Herausgeber): Women in American Musical Theatre. Essays on Composers, Lyricists, Librettists, Arrangers, Choreographers, Designers, Directors, Producers and Performance Artists. McFarland & Company, Jefferson 2008, 282 S.; (Softcover) ISBN 9780786-433827. $ 45,00. www.mcfarlandpub.com

Wolfgang Greisenegger, Tadeusz Krzeszowiak (Herausgeber): schein werfen – Theater Licht Technik

Noch bis 12. April 2009 kann man in Wien im Österreichischen Theatermuseum die Ausstellung »schein werfen – Theater Licht Technik« besuchen. Ausstellungsbegleitend ist dazu im österreichischen Christian Brandstätter Verlag ein 160 Seiten starker Band erschienen, der durchaus für sich allein stehen kann und die Geschichte des »Theaterlichts« von der Antike bis in die Gegenwart, von der Fackel bis zum Laserstrahl, beleuchtet. Der Band macht deutlich, welche Funktionen dem Bühnenlicht im Verlauf der Theatergeschichte zugesprochen wurden, wie sich dessen Bedeutung geändert hat und welche Möglichkeiten sich heute mit den neuesten Technologien auftun.
Die Herausgeber sind Kapazitäten in ihren Fachgebieten. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Greisenegger ist Theaterwissenschaftler, Theaterkritiker, Regisseur und Autor sowie seit 2001 Präsident des Österreichischen P.E.N. Clubs. Dipl.-Ing. Dr. techn. Tadeusz Krzeszowiak hat unter anderem als Lichtregisseur bei vielen Produktionen des Theaters an der Wien, des Raimund Theaters und des Etablissements Ronacher mitgewirkt (»Freudiana«, »Elisabeth«, »Cats«, »Das Phantom der Oper«, um nur einige zu nennen).
Sachlich fundierte Artikel bieten auf engstem Raum einen kompakten, mit ausführlichsten Quellenangaben unterfütterten Überblick über die Fortschritte der Technik bis hin zu den neuesten Trends. Spannende Themenausflüge bietet die Autorin und Lichtkünstlerin Brigitta Bödenauer unter anderem in das Gebiet audiovisueller Computerperformances, in Richtungen wie VJing, Color Musik, synästhetische Kunst oder audiovisuelle Performance, die eine Symbiose von Licht und Musik als zentrales Thema in den Mittelpunkt stellen.
Das Buch ist reich bebildert und demonstriert auf der einen Seite aus der Praxis kommend anhand von Szenenaufnahmen vieler Bühnenproduktionen, welche Effekte erzielt werden können. Die dafür verwendeten Szenenfotos stammen unter anderem von diversen Produktionen der Vereinigten Bühnen Wien, des Burgtheaters und aus aller Welt, von Deutschland bis Japan. Auf der anderen Seite bietet ein Technikteil unter anderem Konstruktionsskizzen ebenso wie Fotos des Equipments der Lichttechniker.
Ein Lexikon der Bühnenlichttechnik macht das Buch auch zu einem brauchbaren Nachschlagewerk zum Thema Bühnenlicht.

Wolfgang Greisenegger, Tadeusz Krzeszowiak (Herausgeber): schein werfen – Theater Licht Technik. Christian Brandstätter Verlag/Österreichisches Theatermuseum, Wien 2008, 160 S.; (Softcover) ISBN 978-3-85033-218. € 29,90. www.cbv.at

Denny Martin Flinn: The Great American Book Musical: A Manifesto, A Monograph, A Manual

Denny Martin Flinn (1947–2008) war Tänzer (»Fiddler on the roof«), Choreograph (»Six«, »Sugar«), Schauspieler und Drehbuch- sowie Sachbuchautor. Er schrieb das Musical »Groucho«, das unter seiner Regie am Off-Broadway und danach als Tourproduktion zwei Jahre lief. Er choreographierte Rock-Videosequenzen für Soaps wie »Another World« oder »Search for Tomorrow« und einige Szenen im Filmblockbuster »Ghost« (1990). Als Drehbuchautor schrieb er an »Star Trek VI: The Undiscovered Country« (1991) mit, als Darsteller tourte er eineinhalb Jahre mit »A Chorus Line«. Sein erstes Sachbuch war eine Making-off-Story ebendieser Show mit dem Titel »What They Did For Love: The Untold Story Behind the Making of A Chorus Line«. Es folgten viele weitere Bücher mit meist werbewirksam formulierten Titeln wie «How Not to Write a Screenplay: 101 Common Mistakes Most Screenwriters Make” (1999), «How Not To Audition: Avoiding the Common Mistakes Most Actors Make” (2003) oder «Little Musicals for Little Theatres: A Reference Guide for Musicals That Don’t Need Chandeliers or Helicopters to Succeed” (2005). 2007 starb Denny Martin Flinn an den Folgen einer Krebserkrankung, seine letzten Bücher, »Ready for My Close-Up!: Great Movie Monologues« und »The Great American Book Musical«, erschienen 2007 beziehungsweise 2008 posthum.
Für das hier besprochene Buch »The Great American Book Musical« hatte Flinn drei Untertitel als Auswahl vorliegen: »A Manifesto«, »A Monograph« und »A Manual«. Dass er sich letztlich dafür entschieden hat, alle drei zu verwenden und damit auch die Ansprüche, die diese Titel stellen, erfüllen zu wollen, mag eine Schwäche des Autors oder des Werks sein, denn zumindest als »Manual«, also quasi als Anleitung, wie man ein Book Musical schreibt, taugt das Buch ganz und gar nicht. Zumal das Book Musical, laut Flinn, längst tot ist, und zwar genauso tot wie »Höhlenmalerei und Impressionismus«, so der Autor. Und zumal es für Flinn extrem schwer scheint, den Begriff Book Musical überhaupt zu fassen beziehungsweise die Kriterien dafür zu erstellen, wann ein Book Musical als gelungen zu bezeichnen ist, und wann nicht. Für Flinn beginnt die Ära der Book Musicals 1944 mit »On the town« und endet 1975 mit »A Chorus Line« beziehungsweise 1981 mit »Dreamgirls«. Dass man den Beginn des modernen Musicals eigentlich 1927 mit »Showboat« ansetzt, spätestens 1943 mit »Oklahoma!«, kümmert ihn nicht besonders, er gibt auch keine Gründe für seine Entscheidung an.
»Cats« beispielsweise ist für Flinn, der besonderen Wert auf das Staging legt, kein »echtes« Book Musical, weil die Choreographie alles andere als originär sei. Was hätte aber daraus werden können, wenn ein Bob Fosse oder Jerome Robbins hier federführend gewesen wären, so der Autor. Es sind letztlich solche Passagen, die das Buch eher zu einer Art riesigen Ideeensammlung machen denn zu einem »Manifest« oder einer »Anleitung«.
Es ist ein durchaus sympathischer Ansatz, den Flinn hier skizziert, wenn er meint, »It’s the songs that carry the musical«, und Ira Gershwin zitiert, der sagte: »Words deliver an idea to the head. Music delivers an emotion to the heart. A song delivers an idea to the heart.« Kaum meint man, eine klare Linie in Flinns Argumentationsreigen gefunden haben, bietet er die folgende Anekdote: »Mrs. Oscar Hammerstein was at a party, and overheard someone say, »I just love Jerome Kern’s ‚Old Man River‘« Mrs. Hammerstein replied, »Jerome Kern didn’t write ‚Old Man River‘. Jerome Kern wrote, dum, dum, dum-dum, dum-dum, dum, dum-dum.« Dass bei einem Musical die Lyrics wichtig sind, das Libretto und die Melodie, das hätten wir wohl auch ohne den Autor gewusst, ob die Betonung des Stagings nun den entscheidenden Schritt zum Book Musical macht, ist die Frage.
Im Kern ist Flinns Werk eine Art Liebeserklärung an die Kunst des Stagings, sozusagen das »Herz« des von ihm sizzierten »guten« Book Musicals, neben dem Libretto. Da wird sein Werk dann zur im Untertitel angesprochenen Monographie, wenn er unter dem Motto »Dance is the hidden language of the soul« (Martha Graham) Minibiographien der großen Broadway-Choreographen ausarbeitet wie Robert Alton, Jack Cole, Agnes de Mille, Jerome Robbins, Michael Kidd, Gower Champion, Bob Fosse und Michael Bennett. Da erweist sich Flinn als blendender Anekdotenerzähler und da bietet er auch einiges an interesanten Einblicken in die Arbeitsweise der Choreographen von Shows wie »West Side Story«, »A Chorus Line«, »Company«, »My Fair Lady« und vielen anderen. Ob es nun notwendig war, ellenlange Listen zu schreiben mit den ursprünglichen Stoffen bekannter Musicals wie »Peter Pan«, »Hello, Dolly!«, »Gypsy« und so weiter, bleibt dahingestellt.
Es macht immer Spaß Flinns Bücher zu lesen, man kann sie zumindest meistens als Sammlung lesenswerter Zitate verwenden. Bei diesem seinem letzten Buch könnte es sein, dass der Autor die tatsächliche Bearbeitung noch nicht abgeschlossen hatte, als er am 24. August 2007 starb. Es wirkt in vielen Zügen unfertig, viele Schlussfolgerungen und Kapiteltitel, die provokant gemeint waren, wie »Nur Choreographen sollten auch Regie führen«, sind nicht wirklich schlüssig mit Material unterfüttert. Und letztlich ist ein unterhaltendes Anekdotenbuch noch keine fundierte Analyse. Flinn bietet gute Materialskizzen, keine Frage, schießt aber manchmal übers Ziel und wird ein wenig geschmäcklerisch, beispielsweise, wenn er gegen Ende des Buches zum Schluss kommt: »You gonna have heart: It may be that in a good production of »Les Misà©rables«, we are applauding the fact that the cast got through all that singing; in »Miss Saigon«, the sets; in »Cats«, the virtuoso singing and dancing. In the great American book musical, an ovation is, well … from the heart.” Das ist dann fast schon … platt.

Denny Martin Flinn: The Great American Book Musical – A Manifesto, A Monograph, A Manual. Limelight Editions, New York 2008, 268 S.; (Softcover) ISBN 978-0-87910-362-0. $ 19,95. www.limelighteditions.com

Dorothee Ott: Shall we Dance and Sing? Zeitgenössische Musical- und Tanzfilme

Das Filmmusical ist derzeit wieder angesagt. In den nächsten Monaten wird die Neuverfilmung von »Fame« ebenso in die Kinos kommen wie die Filmversion von Maury Yestons »Nine«, 2010 steht unter anderem eine neue Version von »Footloose« auf dem Programm und »High School Musical 4« (allerdings als »TV-Musical«), 2011 ein Remake von »My Fair Lady« – und auch Steven Soderberghs Cleopatra-3D-Rock’n’Roll-Musical »Cleo« ist im Entstehen.
Ist nun«Fame« ein Filmmusical oder ein Tanzfilm, wann vermischt sich alles mit Genres wie dem Ballettfilm wie beispielsweise in »White Nights« (USA, 1985) oder »Billy Elliot – I Will Dance« (UK, 2003) oder gar in Herbert Ross’ »The Turning Point« (USA 1977) und Robert Altmans »The Company« (USA, 2003). Wie grenzt man Musiker-, Musik- und Konzertfilm voneinander ab? Das sind einige der Themen, mit denen sich Dorothee Ott im Rahmen ihrer Dissertation im Fach Filmwissenschaft der Universität Mainz auseinandergesetzt hat. 2007 promovierte sie mit dem hier vorliegenden Werk, das 2008 als Buch erschienen ist. Derzeit arbeitet Ott beim Hessischen Rundfunk als Redakteurin.
Was die Autorin bietet, ist eine genaue und genau belegte Analyse der Entwicklung des Filmusicals (bleiben wir jetzt mal ungenau und schließen da sämtliche Gattungen ein) nicht nur im amerikanischen Sprachraum, sondern auch mit Abstechern nach Deutschland (»Rhythm is it!«) und Japan (»Shall we dansu?«) oder Australien (»Moulin Rouge!«) – und auch beispielsweise mit einem spannend zu lesenden Kapitel zum Subgenre des Tangofilms mit seinen prominenten Regisseuren wie Carlos Saura (»Bluthochzeit«, 1981, »Carmen«, 1983 und »El Amor Brujo«, 1986) und Fernando E. Solanas (»Tangos – El Exilio de Gardel«, 1985 und »Sur« 1987).
Dorothee Ott beginnt ihre Ausführungen mit einer genauen Untersuchung der Entwicklung des Musical-und Tanzfilms, beginnend bei der ersten Tonfilm-Revue, Harry Beaumonts »The Broadway Melody« (USA, 1929), beschäftigt sich dann mit der Musik im Film generell und erzählendem Gesang im Musicalfilm, um sich schließlich der dramaturgischen Funktion des Tanzes in Musicalfilmen der 1930er, 1940er und 1950er Jahre zu widmen. In kurzen Kapiteln werden daran anschließend die Krisenjahre, die 1950er und 1960er, untersucht, um schließlich in die Gegenwart einzubiegen mit eigenen Kapiteln zur »West Side Story« (USA, 1961) und zum Einfluss der Popmusik auf Musical- und Tanzfilme der letzten Jahre.
Langsam baut die Autorin ihr Instrumentarium auf und festigt die begrifflichen Grundlagen, als Voraussetzung für den Hauptteil des Werkes, die Untersuchung besonders interessanter Werke für das Genre. Für diesen Hauptteil hat Ott »Dirty Dancing« (USA, 1987), »Strictly Ballroom« (Australien, 1991) und den japanischen Film »Shall we dansu?« (1996) von Masayuki Suo ausgesucht, der zum bis dahin erfolgreichsten japanischen Film in den USA wurde.
Nach einem Kapitel, in dem zeitgenössische Musicalfilme wie »Evita« (USA, 1996), »Everyone says: I Love You« (USA, 1996) und »Dancer in the Dark« (Dänemark, 2000), Animationsfilme (»Snow White and the Seven Dwarfs«, USA 1937 – bis hin zu »Corps Bride«, USA 2005) generell sowie das Bollywood-Kino besprochen werden, folgen ausführliche Auseinandersetzungen mit »Moulin Rouge!« (Australien, 2001), »Chicago« (USA, 2002) und »Rhythm is it!« (BRD, 2004). Insgesamt werden 44 Filme ausführlicher behandelt, angefangen bei Filmklassikern wie »The Jazz Singer« (USA, 1927) über »Swing Time« (USA 1936) und »Sweet Charity« (USA, 1968) bis hin zu »Mad Hot Ballroom« (USA, 2005) und »Take the Lead« (USA, 2006).
Interessant, weil auch in den kommenden Monaten wieder aktuell: Otts Vergleich zwischen aktuellem Filmmusical und Bühnenmusical: »Das zeitgnössische Publikum scheint eher nach der authentischen Bühnenerfahrung – nach dem Live-Erlebnis und der Live-Musik – zu verlangen als nach einer gesungenen Filmerzählung, das zeigt sich an der ungebrochenen Popularität der Bühnenmusicals, die Jahr um Jahr ein Massenpublikum ins Theater locken. Hier finden sich auch professionelle, solide ausgebildete Musicaldarsteller, die auf der Leinwand meistens noch fehlen. Denn mit der Rückkehr zur Formtradition geht im Musicalfilm eines leider nicht daher: das Casten echter Musicaldarsteller für den Film. Während es im zeitgenössischen Tanzfilm meist gelingt, professionelle Tänzer mit ausreichend schauspielerischem Talent einzusetzen (siehe Patrick Swayze oder Paul Mercurio), sucht der zeitgenössische Musicalfilm hauptsächlich unter bekannten Filmschauspielern seine Darsteller, was dem Genre nicht immer gerecht wird. (…) Sollte der Trend zur konventionellen Inszenierung von Musicalfilmen fortbestehen, dann bleibt zu hoffen,dass die Produzenten billantere Musicaldarsteller für die nächsten Filme engagieren als bis dato, damit das Publikum, in Ermangelung innovativer Regie-Ideen, zumindest wieder virtuose Gesangs- und Tanzdarbietungen genießen kann (…) Die Zukunft des Musicals wird auch mit dem richtigen Casting entschieden.«
Fazit: Man lasse sich nicht abschrecken von dem Umstand, dass dieses Buch ursprünglich als Dissertation geschrieben wurde. Dafür ist es nämlich sehr leicht lesbar, aber gleichzeitig basierend auf einem gefestigten Boden von Tatsachen und Fakten. Verwendete Fachbegriffe werden erklärt und so sparsam wie möglich eingesetzt. Das Buch ist bebildert, aber zweifellos textzentriert, ein Quellenverzeichnis sowie eine kleine Internetlink-Zusammenstellung bieten einen guten Überblick über bisher erschienene Literatur zum Thema. Trotz einer Konzentration im Hauptteil auf einige wenige Musicals bietet dieses Buch den wohl besten Gesamtüberblick und die beste Analyse zum Genre des Filmmusicals und Tanzfilms auf dem Gebiet der deutschsprachigen Fachliteratur.

Dorothee Ott: Shall we Dance and Sing? Zeitgenössische Musical- und Tanzfilme. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2008, 362 S.; (Softcover) ISBN 978 3 86764 045 9. EUR 39,00 www.uvk.de

Robert Viagas: The Playbill Broadway Yearbook – June 2006–May 2007

Es ist das klassische Geschenkbuch für jeden Broadway-Fan. Auf 516 Seiten bietet das »Playbill Broadway Yearbook« zu allen 67 Produktionen, die in der Saison 2006/2007, also von Juni 2006 bis Mai 2007, am Great White Way zu sehen waren, ausführlichste Bild- und Textinformationen – zu neuen Musicals wie »Spring Awakening« oder »Curtains« genauso wie zu Dauerbrennern wie »Wicked« oder »Chicago«, Sprechstücken wie »The History Boys” oder »The Lieutenant of Inishmore«. Das Buch ist reich bebildert, und das ist noch untertrieben. Man muss es selbst gesehen haben. Robert Viagas hat buchstäblich tausende Fotos zusammengetragen, auf manchen Seiten bis zu 35. Abgebildet sind, zumindest mit Porträtfotos, alle Darsteller, Produzenten, Designer, Musiker, Maskenbildner, ja auch die Bühnenarbeiter und Billeteure der 67 Broadway-Shows. Alle bei Broadway-Produktionen Beschäftigte sind eingeladen, bei dieser Publikationsserie mitzumachen, und die Akzeptanz ist schon jetzt sehr groß. Die vorliegende dritte Ausgabe enthält, rein zahlenmäßig betrachtet, Informationen zu insgesamt 10.000 Menschen, die an den Broadway-Shows der Saison beteiligt waren – entsprechend umfangreich ist das Register ausgefallen. Sogenannte Korrespondenten liefern witzige Facts und Backstageberichte. Das können dann auch durchaus mal Musicalstars selbst sein, wie Victoria Clark, Darstellerin der Margaret Johnson in »The Light in the Piazza«, die von der emotionsgeladenen Derniere der Show erzählt und auch den Abdruck ihrer Rede anlässlich der letzten Vorstellung freigegeben hat. Andere Korrespondenten tragen lustige Facts zusammen wie Erzählungen über Backstagerituale, eine Auflistung der schnellsten Kostümwechsel oder Angaben zu den Spitznamen der Darsteller. Kris Koop Oulette, Mitglied des Ensembles von »The Phantom of the Opera«, erzählt von jenen Plätzen im Theater, an denen sich die Beschäftigten am liebsten treffen oder auch über den schönsten Moment in der Show. Im Anhang werden ausführlich Special Events wie »Broadway Bares«, »Broadway Under the Stars« und Preisverleihungen wie die Outer Critics Circle Awards« oder die »Tony Awards« dokumentiert.
Kurz zusammengefasst ist »The Playbill Broadway Yearbook« auf der einen Seite eine wertvolle Informationsquelle sowie Offline-Bilddatenbank und auf der anderen Seite eine amüsante Lektüre und ein Blick hinter die Kulissen. Das Ganze in Topqualität produziert und gebunden – und, was bei dieser Publikation vor allem auffällt – mit sichtlicher Begeisterung für das Theater zusammengestellt. Ein Buch, das man auch gerne immer wieder mal wie ein Erinnerungsalbum durchblättert. Playbill ist damit ein großer Wurf gelungen. Hat man einmal einen Band gekauft, ist man mit Sicherheit versucht, keinen mehr zu versäumen.

Robert Viagas (Herausgeber): The Playbill Broadway Yearbook – June 2006–May 2007. Third Annual Edition. Playbill Books, New York 2007, 516 S.; ISBN 978-1-55783-732-5. $ 35. www.playbill.com

Christoph Wagner-Trenkwitz: »Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper

Der neue Direktor der Wiener Volksoper
Einen Relaunch in Pomp und Gloria erlebte die Wiener Volksoper am 1. September 2007. Es war der Tag der Inauguration von Robert Meyer als neuer Volksoperndirektor. Zum Start seiner ersten Saison lud der Herr Direktor zu einem Tag der offenen Tür und plante dessen Ablauf akribisch: »Kurz vor zehn Uhr werde ich, begleitet von einem Hornquartett und bei hoffentlich schönem Wetter, mit einer alten Straßenbahngarnitur vom Schottentor die Währinger Straße zur Volksoper herauffahren. Dann ertönt vom Balkon eine Fanfare.«
Die Wachablöse auf Direktionsebene (seit 1996 hat kein Volksoperndirektor die volle Amtszeit abgedient) wurde von kleineren Neuerungen an Nebenfronten flankiert: Die Website der Volksoper (www.volksoper.at) ist jetzt auch optisch für jedermann klar erkenntlich in die vier Säulen Operette, Oper, Musical und Ballett getrennt, auch bei der neuen Außenbeleuchtung der Wiener Volksoper spielen die vier Farben nun eine maßgebliche Rolle. Die bedeutendste Neuerung ist jedoch der Aspekt der Kundenverbindlichkeit, verkörpert durch Robert Meyer. Der Direktor des Hauses hat sich in den ersten Wochen seiner, man möchte fast sagen (wir sind ja in Wien) Regentschaft, zu einem volksnahen Kaiser der Volksoper stilisiert, da ist Mörbisch mit Herrn Serafin nur ein Sommerlüfterl dagegen. Meyer war im Vorfeld der Eröffnung in allen Medien präsent und beim Tag der offenen Tür für jedermann ansprechbar – man spürt, da ist jemand, der mit Lust an der Aufgabe an die Arbeit herangeht. Am 2. September gab’s ein Eröffnungskonzert, bei dem das Publikum mittels Stimmzettel das Programm bestimmt hatte, und am 10. September schließlich kam das nächste Element im Masterplan Robert Meyers ins Spiel: In der Wiener Volksoper wurde das Buch “”Es grünt so grün …” Musical an der Wiener Volksoper” in Form einer Soirà©e präsentiert.

Soirà©e zur Buchpräsentation
Rund 100 Minuten schwelgte Moderator Christoph Wagner-Trenkwitz in Erinnerungen an die gute alte Zeit. TV-Clips und Wochenschaubeiträge wurden auf eine Leinwand projiziert, Norman Stehr versuchte sich an »I got plenty o‘ nuttin‘« aus »Porgy and Bess«, Erwin Windegger bewies mit einem »La Cage aux Folles«-Medley, dass Karlheinz Hackl unerreichbar als Zaza ist, und Stargast Michael Heltau plauderte vor allem über all die Musicalrollen, die er nicht angenommen hat. Auf die Frage »Es heißt, Harold Prince wollte Sie für die Titelrolle im »Phantom der Oper«« erzählte Heltau: »Das stimmt. Ich unterhielt mich lange mit ihm darüber, aber er konnte mir meine Zweifel nicht nehmen. Schließlich, nach sechs Wochen des Hin und Her, sagte ich: »Hal, gib mir einen Grund, nicht viele, sondern einen, warum ich das Phantom spielen soll.« Er antwortete: »Du bist eine Stunde vor Beginn der Show im Theater. Und wenn du aus der Maske kommst, erkennt dich keiner mehr.« Damit war die Sache für mich erledigt. »Hal ich arbeite ein Leben daran, dass mich die Leute erkennen. Ich bin nicht der Richtige für diese Rolle.« Da lachte er, umarmte mich und gab auf.« Diese Anekdote ist auch im Buch »Es grünt so grün …« abgedruckt, und es sind solche Momente, die Soirà©en dieser Art auf seltsam sentimentale Weise sympathisch machen. Heltau kann noch so sehr seinen Sermon gegen all die modernen Musicals dieser Welt ablassen, die alle »zu viel Tanz und zu wenig Scherze« haben (ein Zitat von Billy Wilder, der so den Misserfolg des Musicals »Das Appartement«, basierend auf seinem gleichnamigen Film, begründet hatte), man hört ihm dennoch gerne zu. Zum Abschluss der Soirà©e sangen Adrineh Simonian, Karl-Michael Ebner, Mathias Hausmann und Stefan Cerny ein jazziges »My Fair Lady«-Medley, erstklassig arrangiert von Bà©la Fischer.

Das Buch
50 Jahre Musical an der Volksoper, das klingt nach einer geradezu berauschenden Anzahl von Produktionen, doch man kann sie fast an zwei Händen abzählen. Es sind 14, nicht mehr und nicht weniger. Insgesamt 1461 Musicalvorstellungen gingen bis 30. Juni 2007 über die Bühne der Wiener Volksoper. Zu sehen waren: «Kiss me, Kate”, ”Wonderful Town”, «Annie, Get Your Gun”, «Porgy and Bess”, «West Side Story”, «Show Boat”, «Karussell”, «My Fair Lady”, «Hello, Dolly!”, «La Cage aux Folles”, «Der Mann von La Mancha”, «Gigi”, «Anatevka” und «The Sound of Music”. Mehr als die Hälfte dieser Produktionen kann man als erfolgreich bezeichnen, der Rest floppte und genießt dennoch Legendenstatus: »Karussell« (1972) brachte es gerade mal auf 15 Vorstellungen, »Annie, Get Your Gun« (1957) auf 18, »Gigi« (1999)auf 20, »”Wonderful Town« (1956) auf 26, »Show Boat« (1971) auf 30, »Hello, Dolly!« (1984) auf 45.
Der Autor des Buches »Es grünt so grün …«, Christoph Wagner-Trenkwitz, mäandriert durch die österreichischen Medien einerseits als ironischer Seitenblickegesellschafts-Berichterstatter (beispielsweise als Moderator des Wiener Opernballs), andererseits war er Pressechef der Staats- und Volksoper und Chefdramaturg der Wiener Staatsoper. Seit 2003 ist er Direktionsmitglied der Volksoper und tänzelt mit von ihm moderierten Soirà©en auf den Spuren Marcel Prawys, wissend, dass die Erfolge des Großmeisters aus den 1950er und 1960er-Jahren heute schwer getoppt werden können.
»Es grünt so grün …« kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten »konsumieren«. Nehmen wir die 160 Fotos aus 50 Jahren Musical an der Volksoper. Hier sind es vor allem Momentaufnahmen aus den Anfängen, die am meisten Atmosphäre vermitteln. Beispielsweise jene von der Schallplattenpräsentation der »West Side Story« mit einem enthusiasmierten Marcel Prawy im Hintergrund, stimmungsvolle Bühnenfotos von den großen Stars jener Jahre wie Brenda Lewis, Olive Moorefield, Peter Minich, Fred Liewehr, William Warfield, Julia Migenes, Adolf Dallapozza oder Dagmar Koller.
Sehr gelungen ist der Statistik-Teil des Buches. Auf 20 Seiten konzentriert bietet dieses von Felix Brachetka zusammengestellte Aufführungsverzeichnis sämtliche statistische Daten zu allen Musicalproduktionen. Hier kann man nachschlagen, wann wer welche Rolle gespielt hat, welche Rolle wann nicht (mehr) besetzt war, wer welche Aufführung dirigiert hat – ein wahrer Datenregen, sehr informativ und umfassend.
»Es grünt so grün« ist in 14 Hauptkapitel eingeteilt. Jeder Musicalproduktion ist ein Kapitel gewidmet. Der erste Teil des Buches umfasst alle Shows, die Marcel Prawy bis zu seinem Wechsel an die Wiener Staatsoper Anfang der 1970er Jahre betreut hat. Diese ersten Kapitel sind nicht extra hervorgehoben, aber deutlich vom Rest des Buches zu trennen, vor allem, was ihren Informationsgehalt und Witz betrifft. Prawy, der Pionier des Musicals im deutschsprachigen Raum, hat ein reichhaltiges Archiv hinterlassen, in dem unter anderem auch seine Korrespondenz zu finden ist, mit deren Hilfe Wagner-Trenkwitz spannende und lustige Szenen aus dem Produktionsalltag an der Wiener Volksoper rekonstruieren konnte. Prawys Aufzeichnungen sind teilweise so unterhaltend, dass man damit mühelos einen eigenen Rezitationsabend gestalten könnte. Erinnerungen von Zeitzeugen machen diese Kapitel zusätzlich lebendig. Adolf Dallapozza, Star der »West Side Story«, über den Premierenabend des Werks von Bernstein: »Es war ein Riesenerfolg! Während des Schlussapplauses ist Prawy neben der Bühne herumgesprungen und rief immer wieder: »Wo ist der Eiserne?!« Er wollte unbedingt melden, dass das Publikum nach Fallen des Eisernen noch weitergetobt hat. [Alan] Johnson und Prawy haben die Aufführungen weiter überwacht. Wenn etwas nicht gestimmt hat, wurde sofort eine Probe angesetzt. Prawy hat stets seine berühmten kleinen Notizen in den Garderoben hinterlassen: »Dallapozza – heute wieder sensationell! B besonders schön!« oder: »Deine Rufe »Chino, erschieß mich!« Unvergesslich!«
Die Prawy-Ära endete mit zwei Flops: »Show Boat« und »Karussell«. Als der Meister Anfang der 1970er die Volksoper verließ und Karl Dönch Volksoperndirektor wurde, war es für sieben Jahre vorbei mit Musicals an der Volksoper. Mit dem Jahr 1979 – »My Fair Lady«, 362 Vorstellungen machen es zum erfolgreichsten Musical des Hauses – setzt der zweite Teil des Buches ein. Ab diesem Zeitpunkt stützt sich der Autor vor allem auf Interviews mit den Stars der Produktionen und leider allzu sehr auf Zitate aus den Kritiken der Tageszeitungen, wobei Wagner-Trenkwitz wenig Scheu kennt und von »Die Presse« bis hin zu »Täglich Alles« und dem »Frauenblatt« alles zitiert, auch wenn es keinen Rang und Namen hat.
Ein wenig bedauerlich, wenn auch nachvollziehbar, ist die Tendenz des Autors, Musicalproduktionen der jüngeren Zeit in etwas verklärtem Licht zu präsentieren. So beispielsweise »The Sound of Music«, wo das Problem der stimmklangmäßig uneinheitlichen Besetzung (Popsängerin Sandra Pires versus Operetten- und Opernsänger) als gelöst verkauft wird, dank der »hervorragenden Akustik-Abteilung des Hauses«, die, so Wagner-Trenkwitz, mit Mikroports alles in den Griff bekommen habe. Wer die Show besucht hat, weiß, dass das, gelinde gesagt, eine etwas übertriebene Behauptung ist.
Wo das Buch also abdriftet von der objektiven Zusammenfassung bereits vorhandener Quellen hin zu einer Neu- und Umschreibung der Kritik, wird es inhaltlich angreifbar. So auch, was die latente Rivalität mit den Vereinigten Bühnen Wien betrifft. Wagner-Trenkwitz erklärt beispielsweise an Hand der Volksopern-Produktion »Der Mann von La Mancha« (Premiere 1994, Wiederaufnahme 2007) sein Haus im ewig währenden Kampf gegen die VBW mit folgender Passage zum Rundensieger: »Diese Runde im Konkurrenzkampf mit den Vereinigten Bühnen entschied die Volksoper für sich. In einem »Barometer der Wiener Musicals« verkündete »News« im September 1994: »Die Volksoper produzierte den konkurrenzlosen Hit«, während »Elisabeth«, »das erfolgreiche Relikt aus der oft geschmähten Ära Weck«, sich nur »einigermaßen im Theater an der Wien« behauptete und »My one and only« im Ronacher sowie »Mama, I want to sing« im Austria Center gar unter die »Flops« gerechnet wurde (…)” Bei allem Verständnis für einen gewissen Level an Volksopernpatriotismus, aber eine solche Aussage, formuliert im Jahre 2007, angesichts der Erfolgsgeschichte von »Elisabeth«, verwundert. »Der Mann von La Mancha« brachte es in der Volksoper auf bisher 70 Aufführungen, »Elisabeth« im Theater an der Wien auf 1752.
Die Erfolgsformel der Wiener Volksoper ist gleichzeitig auch ihr größter Hemmschuh. Man sieht sich, zielgruppentechnisch, folgendermaßen: Stellen wir uns das Leben als langen ruhigen Fluss vor. Am Quell dieses Flusses steht die Geburt, an der Mündung ins Meer, der Tod. Die Volksoper fischt den Großteil der Menschen erst im letzten Drittel des Flusses ab und verlässt sich darauf, dass früher oder später einmal jeder an ihr vorbeischwimmt. Der Erfolg in manchem Bereich mag diese Strategie rechtfertigen, nur würde man sich manchmal wünschen, dass Impulse, die das Theater selbst setzt in Richtung jüngerer Zielgruppe, nicht gar so sehr ignoriert würden. So feierte am 4. März 2007 die Produktion »Tanzhommage an Queen« Premiere, ein Ballettabend zur Musik von Queen, der durchaus moderne Musical-Elemente enthält, vielleicht sogar mehr als die musikalische Komödie »Die Weberischen«, eine Produktion der Vereinigten Bühnen Wien, die 2008 ins Volksopern-Programm aufgenommen wird. Christoph Wagner-Trenkwitz hat sich dagegen entschieden, die »Tanzhommage an Queen« in sein Buch aufzunehmen. Das ist natürlich ganz im Sinne des klassischen Musicals, das im Haus am Gürtel regiert, andererseits eine verpasste Chance, die Erfolgsgeschichte des Musicals an der Volksoper noch ein wenig umfangreicher zu gestalten. Vermutlich »zu viel Tanz und zu wenig Scherze«.
Fazit: »»Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper« schildert auf spannende und unterhaltende Weise, wie Marcel Prawy es schaffte, 1956 mit der Volksopernproduktion von »Kiss me, Kate« das erste Musical in Kontinentaleuropa auf eine Bühne zu stellen. Von dieser europäischen Perspektive ausgehend, die das Haus für kurze Zeit kennzeichnete, dokumentiert das Buch dann 13 weitere Produktionen, deren Bedeutung zunehmend als regional und lokal einzustufen ist. Ein Buch voller Anekdoten, stimmungsvoller Momentaufnahmen, vor allem ein Ausflug in eine Vergangenheit voller Publikumslieblinge. Was wird die Zukunft bringen? Robert Meyer in seinem Vorwort: »Musiktheater im Allgemeinen und das Musical im Besonderen ist keineswegs, wie einige meinen, ein abgestorbener Ast. Im Gegenteil: »Es grünt so grün …««

Christoph Wagner-Trenkwitz (Mitarbeit: Felix Brachetka): »Es grünt so grün …« Musical an der Wiener Volksoper. Mit einem Vorwort von Robert Meyer. Amalthea Signum Verlag, Wien 2007, 184 S.; ISBN: 978-3-85002-632-1. € 29,90 (Hardcover). www.amalthea.at

Thomas Siedhoff: Handbuch des Musicals – Die wichtigsten Titel von A bis Z

Ein »Handbuch des Musicals« in deutscher Sprache, 732 Seiten stark, randvoll mit Informationen zu den “wichtigsten Titeln von A bis Z” – was kann sich ein Musicalinteressierter mehr wünschen? Dem Pressetext zum Werk ist zu entnehmen: »Das Buch ist eine Antwort auf die Frage »Was ist Musical?« und behandelt alle Facetten des jüngsten Genres des Musiktheaters. Es beschreibt im internationalen Kontext und zum ersten Mal in diesem detaillierten Format die Entstehung, die Blüte, das enorme Geschäft, die Flops und die Chancen des Musicals.« Wird ja immer besser, ich freue mich auf die Analyse der Werke von beispielsweise Jason Robert Brown, William Finn, Bill Russell oder gar Adam Guettel! Mitten im als »Opening« betitelten Kapitel »Was ist Musical? Versuch einer Antwort aus deutscher Sicht«, auf Seite 22, dann folgende Passage:
»Es gibt durchaus Momente, die am eigenen Engagement für dieses Metier zweifeln lassen, wenn zu erkennen ist, dass man sich vor argen Fehlentwicklungen zu fürchten hat. Etwa vor dem Missverständnis, aus dem Leben eines Menschen, der, anders als Kaiserin Elisabeth von Österreich, nicht mit seiner Biographie, sondern durch seine Musik zu unsterblichem Ruhm gelangte, ein Musical anzubieten, dessen ohrenbetäubende, nur oberflächlich Stimmungen andeutende Musik nicht mehr als eine Beleidigung für Mozart! [sic!] ist.«
Nicht nur stilistisch ist das ein Satz, der nicht passt. Nicht nur die Schreibweise “Mozart!” ist falsch, gemeint ist ja der Komponist und nicht das Musical, auch inhaltlich ist diese Aussage nicht haltbar. Oder um es mit Oscar Hammerstein II. (oder wahlweise Jerome Kern, auch ihm wird das Zitat zugeschrieben) zu formulieren: »Ein Musical kann alles sein, was es will, es muss nur eines haben: Musik!« Es gibt unter den kreativen Menschen dieser Welt wohl nur wenige, die sich der von Siedhoff vertretenen Ansicht anschließen würden, man dürfe zum Beispiel über einen Komponisten kein Musical schreiben. Auch das von Siedhoff gefällte Urteil über die Kompositionen Sylvester Levays kann man nur verwundert schmunzelnd zur Kenntnis nehmen. Levay steht, soviel ist sicher, auf der Abschussliste des Autors. So findet sich auf Seite 21 folgendes Zitat:
»Levay und Kunze setzten für die deutschsprachige Szene mit (…) »Elisabeth« in der Inszenierung von Harry Kupfer ein sehr bemerkenswertes Signal, mit einem stringenten, wirkungsvollen Buch, aber mit einer Musik, die den Charakter der Konfektion kaum abstreifen kann, der ein wirklich eigenes kompositorisches Profil fehlt. Derart prominent eingeführt und damit einen Welterfolg hervorgebracht habend, folgten die nur noch routinierten Nachfolger dieses Gespanns mit MOZART! und REBECCA.”
»Elisabeth« reiht der Autor dann doch überraschenderweise in die seiner Meinung nach rund 250 wichtigsten Musicals ein. Freilich nicht ohne, stilistisch wieder problematisch, zu vermerken: »Levay erfand für die Titelfigur ein schlichtes durchgängiges Thema, quasi als Pop-Konstante, das ihre Balladen »Ich gehör’ nur mir« und »Ich will dir nur sagen«, aber auch Rudolfs »Wenn ich dein Spiegel wär’« beherrscht. Luchenis aggressiv skandierende Ballade »Kitsch!«, deren Duktus mit geringerem Tonumfang in »Mein neues Sortiment« aufgegriffen wurde, gehört ebenso zu den wenigen musikalischen Höhepunkten wie die zynischen Kommentare des Wiener Hofstaat-Ensembles »Sie passt nicht« und dem gespenstischen Marsch der Kaffeehausbesucher in der »Fröhlichen Apokalypse«. Dramatische Steigerungen werden in der bisweilen eindimensionalen Instrumentation leider allzu häufig nur durch Lautstärke suggeriert, weniger durch wirkliche Melodieerfindungen.«
Das »Handbuch des Musicals« ist für alle jene enttäuschend, die sich gerade in Bezug auf die jüngsten Entwicklungen dieses Genres eine tiefergehende Analyse erwartet haben. Vom Zeitraum 1998 bis 2007 haben es gerade mal zwölf Musicals in das Buch geschafft, aus den Jahren 1988 bis 1997 25. Insofern gibt es wenig neue Erkenntnisse, sind doch die Werke vor 1987 längst von diversen, auch deutschsprachigen, Werken von verschiedensten Gesichtspunkten aus durchleuchtet worden. Nicht ganz nachvollziehbar sind die Auswahlkriterien des Autors, so pickte er beispielsweise aus sämtlichen Premieren der Jahre 1988/89 die Musicals »Ragtime«, »Der Glöckner von Notre Dame« und »Contact« heraus, ignorierte aber »Hedwig and the Angry Inch«, »Mamma Mia!«, »Mozart!«, »Parade« oder »Fosse«, um nur einige zu nennen. Thomas Siedhoff hat sich weiters dazu entschlossen, kein einziges Werk von William Finn (»A New Brain«, »Falsetto«-Trilogie, »25th Annual Putnam County Spelling Bee«, »Elegies – A Song Cycle«) aufzunehmen, nicht einmal in eine als »Chronologie« bezeichnete Übersicht, die neben den rund »250« wichtigsten noch weitere wichtige Premieren auflistet. Kein Werk von Jason Robert Brown hat Eingang gefunden in dieses Buch, keines von Adam Guettel. Bill Russell (»Elegies for Angels, Punks and Raging Queens«, »Side Show«) wird nicht einmal in seiner Funktion als Komponist erwähnt. Aus den Jahren 2004 bis 2007 hat Siedhoff nur ein einziges Musical aufgenommen: »Spamalot«. Nicht vertreten sind zum Beispiel »Spring Awakening«, »Grey Gardens«, »The Drowsy Chaperone«, »Jersey Boys«, »The Color Purple«, »The Boy from Oz« oder »Taboo«. Was man stattdessen im Buch findet: Ausführungen zu »Im Weißen Rössl«, »Linie 1«, »Helden, Helden« oder »Ludwig II. Sehnsucht nach dem Paradies«.
Zu jedem der ausgewählten Werke bietet Siedhoff Angaben zu Werktitelei (gebräuchliche Titel in der Originalsprache, alternative originalsprachliche Titel, gebräuchliche Übersetzungstitel und leider auch eigentlich völlig unnötige wörtlich übersetzte Titel), Komponist, Autor der Gesangs- bzw. Liedtexte, Autor der Dialoge und des Szenariums, Choreografie, Tryouts, Uraufführung, Verfilmungen, Musiknummern, Inhalt, Rollenbezeichnungen, Stimmfachbezeichnungen, Cast und Orchesterbesetzung, Inhaber der Rechte, Literaturangaben, Hinweise zu Notendrucken und Textbüchern und zu erschienenen Tonträgern (CDs, DVDs). Weiters einen Kommentar, der mitunter verzopft formulierte und sehr eigenwillige Wertungen der besprochenen Musicals enthält. Im Anhang findet sich ein »Verzeichnis der wichtigsten Werke der Musicalgeschichte« und ein Nachweis der verwendeten Literatur, eine Beschreibung der wichtigsten choreografischen Erscheinungsformen des Musicals, eine Liste der »wichtigsten und zuverlässigsten Internetadressen«, wobei es ruhig ein paar mehr hätten sein dürfen. 24 Stück sind nicht ausreichend, und es ist auch nicht wirklich nachvollziehbar, warum der Link zu einer Sondheim-Site angegeben ist, aber sonst keine Hinweise auf Websites anderer Komponisten und Autoren vorhanden sind. Lückenhaft auch die Auflistung der Anschriften der »wichtigsten Rechtsinhaber«.
Im Buch sind zwei Bildteile zu je 16 Seiten vorhanden. Die Bilder sind alle in Schwarzweiß und zum Teil von entsetzlich schlechter Qualität. Die Beschriftung ist zum Teil falsch. So ist das stiefmütterlich behandelte Levay/Kunze-Musical »Elisabeth« auch im Bildteil Opfer einer gewissen Lieblosigkeit geworden: Abbildung 14 zeigt laut Bildlegende »Pia Douwes als Elisabeth und Uwe Kröger als Tod”, zu sehen sind aber Maya Hakvoort als Elisabeth und Leon van Leeuwenberg als Franz Joseph. Als Musterbeispiel, wie man es einfach nicht machen sollte, kann Abbildung 35 gelten. Zu sehen ist eine Szene aus »Les Misà©rables« – völlig verschwommen und unscharf. Bei vielen Abbildungen fehlt die Angabe der Darsteller gleich ganz. Auch bei der Konzeption des Buches für den Buchbinder ist einiges schiefgegangen. Der Einband bricht schon beim ersten Aufbiegen. Schlussendlich hat man das Buch dann im hinteren Bereich fast als Einzelblätter vorliegen.
Auf dem Cover des Buches sehen wir ein Szenenfoto aus «Wicked”. Man sollte sich allerdings nicht täuschen lassen und etwa davon ausgehen, dass ausgerechnet dieses Musical bei Thomas Siedhoff Gnade findet: »Bei der Lektüre des Buchs, das Vieles aus einer sprachlich bewusst alltäglich gehaltenen Märchenwelt in die heutige Zeit zu bringen vermag, gewinnen die Figuren manches Leben. Hört man die Musik, bleiben sie durch das Ausbleiben aller märchenhafter Assoziationen eindimensional, und, mit Ausnahme der exzentrischen Madame Morrible, zudem verwechselbar.« Es wäre nur logisch gewesen, wenn der Autor für das Cover beispielsweise eine Szene aus »Kiss me, Kate« oder »Das Wirtshaus im Spessart« ausgewählt hätte, da hat man sich aber wohl dann doch von Verlagsseite dazu entschieden, etwas Modernes zu nehmen. Und während sich die deutschen Produzenten begreiflicherweise dazu entschlossen haben, den Titel «Wicked« nicht ins Deutsche zu übersetzen, kann man bei Thomas Siedhoff nun nachlesen, was »Wicked« auf Deutsch heißt, nämlich »Verwünscht«. Abgefahren!

Thomas Siedhoff: Handbuch des Musicals – Die wichtigsten Titel von A bis Z. Schott Music GmbH & Co KG, Mainz 2007, 732 S.; ISBN 978-3-7957-0154-3. €29,95. www.schott-music.com

Alfons Haider – geliebt. verteufelt. Die Autobiografie. Aufgezeichnet von Walter Pohl

Alfons Haider ist im Österreichischen Fernsehen im Fasching Mr. “Opernball”, im Winter Mr. “Dancing Star”, im Herbst Mr. “Musical! Die Show!« Seit 1998 ist er Künstlerischer Leiter der Stockerauer Festspiele, wo er neben seiner leitenden Funktion auch jeweils die Hauptrolle des gerade angesetzten Musicals übernimmt (2008 die Zaza in “La Cage aux Folles”). Nebenbei ist Haider bei Neuproduktionen seiner alten Musicalerfolge immer wieder mit dabei, wie zum Beispiel ab Mai 2008 im Innsbrucker Landestheater als König in “The King and I” von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II.
In Österreich ist Haider ein Star von äußerst professioneller US-amerikanischer Prägung – eine Marke, die er im Laufe der letzten Jahre mit viel Kraftaufwendung kreiert hat. Haider ist als Entertainer ein Mann der Seitenblickegesellschaft, nicht negativ gemeint, sondern feststellend, – in dem Sinn, dass er diese professionell bedient. Wenn jemand eine Homestory möchte und den Inhalt von Haiders Kühlschrank featuren will, wird dieser Wunsch vermutlich in Erfüllung gehen, so das Medium kein unbedeutendes ist. Ein Beitrag in einer Fernsehklatschsendung wie “Seitenblicke” (ORF) bringt zirka 1000 verkaufte Tickets der aktuellen Produktion. (O-Ton Haider)
Was für den Entertainer zählt, ist die Quote, das hat er im Laufe seines Lebens gelernt. Und Quote in großem Ausmaß erzielt man im Fernsehen. Oder um es anders zu formulieren. Alles andere außer dem Fernsehen hat im gegenwärtigen Stadium der Karriere des Entertainers dem Fernsehen zu dienen. Haider hat sich vor zirka zehn Jahren entschlossen, im Brotberuf “Moderator” zu sein. Die Folgen merkt man deutlich auch an seiner im Ueberreuter erschienenen Autobiografie. Denn obwohl Haider einen Gutteil des Jahres als Musicaldarsteller und Entertainer, der sehr stark musicalhafte Elemente in seinen Shows einsetzt, auf der Bühne verbringt, füllen die Zeilen über seine Erfahrungen im Musicalbusiness kaum eine Seite.

Stilistisch betrachtet ist Haiders Autobiographie wie ein Interview angelegt, aus dem man die Fragen ausgeblendet hat. Aus 127 Stunden und 42 Minuten Tonmaterial hat Walter Pohl, Gründungsmitglied und einer der Chefredakteure des österreichischen Wochenmagazins NEWS ein Buch zusammengefügt, das wie ein überlanges Interview wirkt. So könnten die einzelnen Abschnitte durchaus auch als Folgen in einer Zeitschrift erscheinen. Das hat Vor- und Nachteile. Positiv kann man bewerten, dass Haiders Autobiographie dadurch sehr authentisch wirkt. Ja, so würde er tatsächlich bei Interviews rüberkommen. Andererseits haben Haider und Pohl dadurch ein Buch auf den Markt gebracht, das sich dem Storytelling eher verweigert. Kleine Anekdoten, die von wenigen Sätzen bis maximal einer halben Buchseite reichen, erzeugen beim Leser einen hastigen, gerafften Eindruck. Der Interviewstil ist einer, der möglichst rasch auf den Punkt kommen will, um die Aufmerksamkeit des Zuhörenden nicht zu verlieren. Hier aber sind wir, die Konsumenten, Lesende, und wären bereit, auch über viele Seiten hinweg Gedankengänge nachzuvollziehen.
Durch die, so wirkt es, nahezu ungebrochene und wenig bearbeitete Transkription des mündlichen Vortrags in die schriftliche Sprache ist Haiders Autobiografie auf jeden Fall sehr leicht lesbar, wie geschaffen, um als Audiobook auf den Markt zu kommen, eigentlich perfekter als Vorlage für ein Audiobuch geeignet denn als literarisches Produkt. Die Umfokussierung vom Interview auf einen Erzähltext erfolgt großteils nur durch nachträglich eingefügte Füllpartikel wie “geneigter Leser”, die wie Fremdpartikel aus dem Buch hervorragen.

Distanz ist eines der Keywords im Medienleben Haiders. So offen er sich der Seitenblickegesellschaft gibt, so sehr ist diese Offenheit auch eine exzellent konstruierte und dosierte, von ihm bewusst gesteuerte. Haiders Autobiografie ist somit ein ideales Mittel der Selbststilisierung. So wie die Fiaker in Wien ihre Pferdchen durch die historischen Straßen lenken und nur auf Ausgewähltes hinweisen, schildert sich Haider als Star in der Carnegy Hall, als internationaler Star einer Fernsehsoap, analysiert aus wohlüberlegter Selbstdistanz auch die Tiefpunkte seiner Karriere. Packend sind durchaus jene Passagen des Buches, die die schwierigste Phase seiner Karriere behandeln: jene nach seinem Outing 1997 im Theater Akzent auf offener Bühne und die Folgen für ihn privat und beruflich.

»geliebt. verteufelt« nennt Haider sein Buch und widmet ein Kapitel den Medien, von denen er sich ungerecht behandelt fühlt: »Ja, ich habe ein Problem mit den Medien, und es ist seit Jahren immer das gleiche: Die sogenannte intellektuelle Presse will mich entweder nicht wahrhaben, oder, was eigentlich schlimmer ist, sie verspottet oder verteufelt mich.« Haiders Medienschelte ist ein Tiefpunkt des Buches, nicht, weil man seinen Ansatz nicht verstehen will, sondern weil er genau das macht, was er seinen »Mediengegnern« vorwirft: Er pauschaliert klischeehaft: »Viele Vertreter dieses Berufes, das wissen wir ja, haben in frühen Jahren Theaterwissenschaften studiert. Fertig oder halbfertig oder sonst wie was.« Er spricht von »journalistischen Kleinkrämern« und von »gnadenloser Jagd« durch die Yellow Press. Vielleicht ist dieses Kapitel andererseits das ehrlichste des Buches, in dem der Entertainer in einem Moment des Angriffs die Deckung fallen lässt und Einblick gewährt in eine verletzte, oftmals unverstandene Persönlichkeit.

Fazit: Alfons Haiders Autobiografie ist sehr leicht zu lesen, reich illustriert (65 der 240 Seiten sind bebildert), im Anhang gut recherchiert (hier findet man eine Chronologie aller Bühnen-, Film- und Fernsehauftritte) und als Merchandisingartikel für Fans bestens geeignet. Alfons Haider, der Musicaldarsteller, kommt in »geliebt. verteufelt« praktisch nicht vor. Mit Musical macht man wohl keine Quote. Schade, denn es ist bekannt, dass Haider das Musicalgenre ein Anliegen ist und er hinter den Kulissen, beispielsweise an den Wiener Musicalschulen, sei es nun das Performing Center Austria oder die Konservatorium Wien Privatuniversität Wien, immer wieder eine Rolle spielt.

Alfons Haider: geliebt. verteufelt. Die Autobiografie. Aufgezeichnet von Walter Pohl. Ueberreuter, Wien 2007, 240 S.; ISBN: 978-3-8000-7288-0. € 22,95 (Hardcover). www.ueberreuter.at

Ken Bloom: The Routledge Guide to Broadway

»Broadway may only be a street to some people, but to some of us it’s a religion« – mit diesem Zitat von Eddie Foy Sr., dem legendären Schauspieler, Komödianten und Tänzer (1865–1928), startet Ken Bloom in seine Einleitung zu dem, was er Broadway-Guide, also Führer, Orientierungshilfe oder Leidfaden, ganz wie man es auffassen möchte, nennt. Ursprünglich konzipiert für Studenten der Theaterwissenschaften, der Regie, des Schauspiels, ist dieses Buch im Prinzip für alle eine höchst informative Lektüre, die sich näher mit den wichtigsten Broadway-Begriffen beschäftigen wollen, wobei mit dem Wort »Begriffe« hier gemeint ist: Komponisten, Autoren, Darsteller, Theater, Awards.
Autor Ken Bloom ist eine Autorität, was die Geschichte des Broadways, des Musicals, des Theaters betrifft. Er hat mittlerweile zu Klassikern avancierte Bücher verfasst wie »American Song: The Complete Musical Theatre Companion«, in dem jedes Lied, das für das amerikanische Theater geschrieben wurde, aufgelistet ist. Oder »Hollywood Song«, in dem er Informationen zu Songs von über 7000 Kinofilmen bietet. Das von ihm und Frank Vlastnik verfasste Werk »Broadway Musicals: The 101 Greatest Shows of All Time« wurde zum veritablen Bestseller. Neben seiner Karriere als Autor ist Bloom seit einem Jahrzehnt als Berater für Decca Broadway tätig, und auch als Autor macht er von sich reden. Gemeinsam mit Barry Kleinbort schrieb er das Off-Broadway-Musical »A Brief History of White Music«.
Für all jene, die in nächster Zeit vielleicht zum ersten Mal eine Broadwayshow besuchen und sich vorab informieren wollen, beispielsweise über das Theater, in dem die Show gegeben wird, bietet Ken Bloom unter anderem auch sehr ins Praktische gehende Passagen. So schreibt er im Eintrag über das Minskoff Theatre: »Though the walk to the auditorium is well designed, the theater is not. The balcony overhangs too far from the front of the stage and the uppermost seats are also too distant. The orchestra area has what is called continental seating – no center aisles, only two aisles on either side of the seats. Row T, for example, is fifty-two seats wide. Patrons who have tickets in the center of the row must cross over the feet of twenty-five people to get to their seats. On a matinee day, when many audience members have shopping bags, this can be extremely difficult. In its favor, however, the Minskoff was the first New York theater to be fully accessible to handicapped patrons.” Bloom hat ein richtiges Buch zum Schmökern verfasst. Die Auswahl der im Guide enthaltenen Komponisten und Darsteller ist eher konservativ gestaltet. Die legendären Klassiker sind dabei, Größen wie Sondheim, Bernstein, die Gershwins natürlich, nicht aber Jason Robert Brown oder Frank Wildhorn. Darstellerlegenden wie Maude Adams, die Barrymores, nicht aber aktuelle wie Patti Lupone oder Nathan Lane. Die Gliederung des Buches ist alphabetisch, es gibt keine Kapitel, keinen Index, kein Quellenverzeichnis, aber man vermisst das alles auch nicht. Hier schreibt jemand, dem man das, was er erzählt, auch abnimmt. Vielleicht resultiert das auch ein wenig aus der Erzählerperspektive. Es geht Bloom nicht darum, das abzuqualifizieren, was für ihn nicht zu dem gehört, was er »Broadway key figures« nennt, sondern mit Empathie all das zu vermitteln, was den Broadway zur Legende werden ließ. Wenn er die Geschichte eines Theaters auf wenigen Seiten Revue passieren lässt, dann erzählt er auch die eine oder andere Anekdote über die Hits und Flops des Theaters, und er tut dies in einem typisch amerikanischen Stil: lebendig, sehr kompetent, ohne den verbissenen Drang, die Musicalgeschichte umdeuten zu wollen nach eigenem Gutdünken oder Theoriegebäude skizzieren zu wollen. Am Ende setzte sich wie von selbst aus all den Puzzlesteinen eine Art von Musicalgeschichte der letzten 100 Jahre zusammen. In diesem Buch lebt der Broadway – sehr empfehlenswert.

Ken Bloom: The Routledge Guide to Broadway. Routledge – Taylor & Francis Group, New York 2007, 290 S.; (Papaerback) ISBN 978-0415973809. $ 22,95. www.routledge-ny.com

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