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Archiv - Bücher

Julia Danielczyk (Hg.): Josef Meinrad – Der ideale Österreicher

Mehr als zehn Jahre (mit Unterbrechungen) war der österreichische Schauspieler Josef Meinrad ein Star der Wiener Musicalszene und auch auf Tourneen in Deutschland ein gefeierter Musicaldarsteller. Am 4. Januar 1968 feierte er in der Titelrolle der deutschsprachigen Erstaufführung des Musicals »Der Mann von La Mancha« seine Musicalpremiere. Meinrads Abendgage: 4000 Schilling, zusätzlich bekam er eine Probenpauschale von 35.000 Schilling. Mehr als ein Jahrzehnt später, vom 18. September bis 29. November 1981, spielte Meinrad eine letzte Serie an Vorstellungen dieser Show im Theater an der Wien. Seine Abendgage: 15.000 Schilling.
Genaue Angaben etwa zu Abendgagen von Musicaldarstellern findet man nicht so oft. Julia Danielczyk, Literaturreferentin der Kulturabteilung der Stadt Wien und Herausgeberin des vorliegenden Sammelbandes »Josef Meinrad – Der ideale Österreicher«, konnte sich als stellvertretende Leiterin der Handschriftenabteilung der Wienbibliothek im Rathaus auf beste Quellen stützen: Vor drei Jahren erwarb die Institution einen Teilnachlass des Schauspielers aus Privatbesitz.
Handelt es sich bei diesem Biografieband über Josef Meinrad zwar nicht gerade in erster Linie um eine Aufarbeitung seiner Musicalaktivitäten, so ist man im Musicalgenre doch oft darauf angewiesen, sich puzzleartig Informationen aus den verschiedensten Fach- und Sachbüchern für die Erstellung eines größeren Gesamtbildes zu suchen. In dem Sinne ist das vorliegende Werk auch für Zwecke der Musicalgeschichte relevant. Thomas Aigners (Leiter der Musiksammlung der Wienbibliothek) Beitrag, betitelt »â€š… den Gipfelpunkt meiner schauspielerischen Darstellung erreicht‘ – Josef Meinrad als Mann von La Mancha, sein Abstecher ins Musicalfach«, macht klar, wie wichtig der Schauspieler selbst seinen Einstieg ins Musicalgenre einschätzte: »Als ich hörte, daß das Theater an der Wien wegen der Rechte von Der Mann von La Mancha verhandelte, habe ich mich – vielleicht zum erstenmal in meinem Leben – von mir selbst aus um eine Rolle bemüht.« (Meinrad, 1968). Wie es genau zum Engagement Meinrads durch Rolf Kutschera, den damaligen künstlerischen Leiter des Theater an der Wien, gekommen ist, lässt Aigner offen und schreibt: »Die näheren Umstände, wie Meinrad und Kutschera zu der ‚Mann von La Macha‘-Produktion zusammenfanden, sind nicht bekannt.« Da könnte man aus dem reichen Erfahrungsschatz Robert Herzls, des derzeitigen künstlerischen Leiters der Bühne Baden, schöpfen und ergänzen: International gesehen wird die Hauptrolle in diesem Musical meist mit einem baritonalen Musicalsänger besetzt. In Österreich freilich ist der Erfolg ganz anders verlaufen. Doch warum? Rolf Kutschera erzählte Herzl: Auch in Wien war ursprünglich für die Hauptrolle ein großer Bariton vorgesehen – Hans Hotter. Doch Hotter sagte kurzfristig ab. Was tun? Kutschera kam auf die Königsidee, einen Schauspieler zu fragen – und das war Josef Meinrad. Rund um ihn herum wurde die gesamte Besetzung geändert: Alle großen Rollen waren nun mit Schauspielern besetzt. Fritz Muliar spielte Sancho Pansa, Blanche Aubry kam vom Burgtheater und gab die Dulcinea. Die kleineren Rollen aber waren alle mit Sängern besetzt. Diese Schauspieltradition hat sich in Österreich fortgesetzt. In der Volksoper mit Karlheinz Hackl, in Graz mit Franz Suhrada und in Klagenfurt mit Karl Merkatz.
Mit dem »Mann von La Mancha« konnte sich Meinrad am Theater an der Wien einen derartigen Stellenwert erarbeiten, dass ihm von Rolf Kutschera bei der darauffolgenden Musicalproduktion »My Fair Lady« – Meinrad spielte Higgins – die Möglichkeit eingeräumt wurde, Einfluss auf die Besetzung zu nehmen. Zitiert wird aus einem Brief von Kutschera an Meinrad, in dem es heißt: »Wenn Dir in dieser Richtung bzw. für die übrige Besetzung etwas einfällt, so bitte ich Dich um Deinen Rat und um eine entsprechende Nachricht.« Ein Ensemble, das um Meinrad gruppiert wurde, die Möglichkeit, die Besetzung mitzubestimmen, eine Abendgage von 10.000 Schilling – es sind die vielen Details in diesem Buch, in diesem Kapitel, aber auch in den anderen zur Karriere des Theater- und Filmschauspielers Meinrad, die es so lesenswert machen. Dazu kommen Beiträge (neben den Fachbeiträgen) von Kollegen wie Dagmar Koller deren Mentor Meinrad war, Michael Heltau, Achim Benning, Lotte Tobisch, Michael Bukowsky und Reinhard Urbach. Michael Bukowsky etwa zitiert Rolf Kutschera, der dem damals jungen Schauspieler einen Überbrückungsjob zwischen zwei Engagements im »Mann von La Mancha« mit folgenden Worten anbot: »Das Stück ist bei uns ein Riesenerfolg. Für Sie gäbe es zwar nur eine kleine Rolle, die hat aber ein sehr schönes Lied. Sie bekommen die gleiche Gage wie immer – und Sie können mit dem Meinrad spielen.« Am 18. November 1969 fand die Premiere statt, Gastspiele in Salzburg und Graz folgten. 1973 brachte Kutschera »Helden, Helden« auf die Bühne – statt einer angedachten Musicalfassung von Hermann Bahrs »Das Konzert«. Im »Konzert« hätte vermutlich Meinrad die Hauptrolle gespielt, mit »Helden, Helden« jedoch gelang Michael Heltau sein Durchbruch im Musicalfach, und Meinrad zog sich bis zu seiner letzten »Mann von La Mancha«-Aufführungsserie 1981 komplett aus dem Musicalgenre zurück.
»Josef Meinrad – Der ideale Österreicher« ist ein penibel recherchiertes und mit einem umfassenden Quellenapparat unterfüttertes Porträt zum 100. Geburtstag des Schauspielers geworden. Zitate aus Briefen und Dokumenten aus dem Nachlass, ein Vielzahl an Fotografien sowie eine Auflistung sämtlicher Film- und Bühnenrollen vervollständigen diesen lesenswerten Sammelband.
Als die Rolle seines Lebens, die Traumrolle schlechthin, wertete Meinrad den Mann von La Mancha. In einer seiner Lieblingsrollen, den Theodor aus dem »Unbestechlichen« von Hugo von Hofmannsthal nahm Meinrad am 17. April 1983 Abschied von der Bühne des Wiener Burgtheaters – in einem Stück, das in einem anderen Wiener Theater mit großer Tradition am 16. März 1923 seine Uraufführung erlebt hat: dem Wiener Raimund Theater.

Julia Danielczyk: Josef Meinrad – Der ideale Österreicher. Mandelbaum Verlag, Wien 2013. 320 S.; (Broschur) ISBN 978385476-411-3. Euro 24,99. [www.mandelbaum.at]

Anna Blixt: 49-Mal Nein & Ein Mal Ja – Casting- und Künstlercoaching für Schauspieler, Sänger, Tänzer

Anna Blixt, die Gründerin von StagePool, liefert mit ihrem Buch einen knapp gefassten Prep-Guide, eine Mischung aus Motivations-, Checklisten- & Tipps-Büchlein, das Berufseinsteigern ein nützlicher Begleiter der ersten Zeit sein kann. Wie klärt man für sich selbst die wichtigsten Ziele und Pläne, welche psychologischen Tools gibt es, um durchstarten zu können, welche formalen Schritte (Bewerbungsunterlagen, Showreel …) sind notwendig, wie bereitet man sich auf Auditions vor, Selbstmarketing, Anbahnung des Kontakts zu künftigen Arbeitgebern – all das wird behandelt. Jede Perspektive ist für Neueinsteiger von Nutzen, wer weiß, ob nicht gerade in diesem Büchlein für den einen oder anderen genau der entscheidende Karrieretipp enthalten ist.

Anna Blixt: 49-Mail Nein & Ein Mal Ja – Casting- und Künstercoaching für Schauspieler, Sänger, Tänzer. StagePool AB Deutschland, Köln 2013. 84 S.; (Broschur) ISBN 978-3-0004 1041-3. Euro 14,90 [//de.stagepool.com]

Starlight Express GmbH: Starlight Express – Eine Erfolgsgeschichte

Von Mehr! Entertainment kommt zum Jubiläum ein wertig produzierter Bildband. Andrew Lloyd Webber steuerte einige Zeilen als Schlusswort bei, ansonsten beschränkt sich der Textanteil in diesem Buch im Wesentlichen auf eine Inhaltsangabe und Bildunterschriften. Ein nettes Mitbringsel, eine brauchbare Erinnerung. Gut ausgewählte Fotos, gut reproduziert. Kostüme, Set, Promis, Backstage, Onstage – 25 Jahre als Hingucker. Auch so kann man dieses Jubiläum feiern. Für Fans.

Starlight Express GmbH, ein Unternehmen der Mehr! Entertainment GmbH (Hrsg.): 25 Jahre Starlight Express – Eine Erfolgsgeschichte. Klartext Verlag, Essen 2013. 216 Seiten; (Hardcover) ISBN 978-3-8375-0758-4. Euro 15,95. [www.klartext-verlag.de]

Michal Fraley: Zug um Zug – Meine Fahrt im Starlight Express. Erinnerungen eines Skatetrainers

12. Juni 1988: Premiere für Andrew Lloyd Webbers »Starlight Express« in Bochum. 2013: 25 Jahre Spielzeit, 14 Millionen Besucher – warum ist gerade dieses Musical so erfolgreich? Ist es die ständige Arbeit an der Erneuerung – neue Abläufe, Kostüme, Songs – oder das Ziel, Rasanz, technische Finesse der Skateszenen laufend zu steigern? Dieses Buch bietet u. a. einen kleinen Einblick, wie die Arbeit am Skating in Bochum, aber auch bei Produktionen in London und in den USA geplant und durchgeführt wurde. 2011 veröffentlichte Michael Fraley »Zug um Zug« bei der Self-Publishing-Company lulu.com, Ende 2012 ist das Buch in der deutschen Übersetzung von Marcel Brauneis (Bochums Rusty) erschienen.
Im Alter von sieben Jahren entdeckt Fraley seine Leidenschaft für das Rollschuhfahren, seit seinem 19. Lebensjahr arbeitet er als Rollschuhlehrer, mit 26 wird er Trainer der Originalbesetzung von Broadways »Starlight Express«. Bis heute ist dieses Musical sein Beruf. Mehr als 700 Darsteller hat er für zehn Produktionen weltweit trainiert. Bochum war – ist – eine Station.
»Zug um Zug« bedient mehrere Zielgruppen. Auf jeden Fall die an der Skatetechnik Interessierten. Der Autor beschreibt, wie Auditions ablaufen, im Wortlaut findet man Ausführungen und Hinweise, mit denen er bei Trainings dem Ensemble das Grundlegende vermittelt, man erlebt, wie er mit den Darstellern umgeht – en detail, bis hin zum Mittagessen: »Zu Beginn des Trainings versuche ich immer ein wenig unnahbar zu sein. Die vielen Fragen verzehren sonst meine Mittagspause. Erholsam ist es nicht. Außerdem bevorzuge ich es, die Studenten mit ihren Erfahrungen alleine fertig werden zu lassen.«
Fraleys zum Teil tagebuch-, fragmentartiger Stil tut dem Buch gut, viel dreht sich um die oft viel entscheidende mentale Einstellung; für die technischen Passagen nimmt er sich Zeit, auch das ein Plus. Marcel Brauneis’ Übersetzung hätten ein intensives Lektorat gutgetan – der Inhalt macht das wieder wett.
Mitte Oktober 1990 wird Fraley Skatecoach in Bochum, Abendspielleiter, künstlerischer Leiter. Er nimmt ein Upgrading der Produktion vor, gleicht sie dem amerikanischen Level an: »Wir wählten hauptsächlich amerikanische Darsteller aus unseren Auditions in Orlando und New York aus. Ich war glücklich darüber, denn ich glaubte, dass sie eine bessere Arbeitsmoral als ihre britischen und europäischen Kollegen hatten, mit denen ich gearbeitet hatte.« Als künstlerischer Leiter der deutschen Produktion scheitert er. Seine Rückkehr in die Funktion des Skatecoachs: »Schock, Schande, Demütigung, totale Zerstörung meiner Welt.«
Pointiert schildert Fraley die Probleme der Bochumer Produktion in den 1990ern. 18 Millionen Mark lassen sich Stadt und Regierung das Abenteuer »Starlight Express« kosten, um in der Kohlebergwerkstadt Bochum ein kulturelles Symbol zu etablieren. Zehn Jahre ist die Show fast täglich ausverkauft, mit einer durchschnittlichen Auslastung von 97 Prozent. Die Investition der Stadt ist nach zwei Jahren gedeckt. Stella verdient pro Jahr 48 Millionen Mark durch »Starlight«. Stella holt sich Immobilien-Mogul Rolf Deyhle an Bord, der »rein gar nichts wusste über Theater, nur das Eine: dass man dafür eine Karte kaufen musste«. 1991, drei Jahre nach der Premiere, übernimmt Deyhle Stella komplett und beginnt seinen Konzernausbau. Bis 2000 betreibt Stella Shows in sechs Theatern, ist Dachgesellschaft einer Vielzahl von Betrieben, von der Castingagentur bis zum Reisebüro. Wirtschaftskrise, geändertes Besucherverhalten … Stella wird insolvent. Die Deutsche Entertainment AG übernimmt – geht 2002 selbst Pleite.
Fraley schildert, wie er das alles als Mitarbeiter erlebt, wie in der Krise die Arbeit an der Show weitergeht, obwohl Löhne nicht bezahlt werden. Er berichtet von der Stimmung im Haus, als das Gerücht umgeht, Stage Holding (heute Stage Entertainment) würde Stella übernehmen, aber nicht Bochum, weil sich die Summe der Abfindungen, die man bei einer Schließung bezahlen müsste, auf 23 Millionen Euro beläuft. Alternative: Die Show gleich schließen, alle entlassen und nach sechs bis neun Monaten neu beginnen. Es kommt zur Spaltung bei den Mitarbeitern. Die deutschen bestehen auf ihr »Ruhestandspaket«, britische und amerikanische Darsteller wollen auf Abfindungen verzichten. Krauth und Friedrichs übernehmen für einen Euro und die Zusicherung der kompletten Abfindung. 45 Arbeitsplätze werden gekürzt, zum Teil von Mitarbeitern, die zwei Wochen ohne Lohn gearbeitet haben. Da wird das Buch zum Musicalthriller. Lesenswert.

Michal Fraley: Zug um Zug – Meine Fahrt im Starlight Express. Erinnerungen eines Skatetrainers. Michal Fraley/LuluPress Raleigh 2012. 442 S.; (Broschur) ISBN13 978-1-3004-0814-7. Euro 24,34. [www.lulu.com]

Dennis Russell Davies, Thomas Königstorfer, Rainer Mennicken (Hg.): Am Volksgarten 1 – Musiktheater im Aufbruch

Mit einem gigantischen Werbeaufwand wurde im April 2013 das neue Linzer Musiktheater der Öffentlichkeit präsentiert, die ersten Premieren gingen über die Bühne. 30 Jahre hat es gedauert, bis dieses Bauvorhaben, das eine Entflechtung von Schauspiel und Musiktheater am Landestheater durch einen Neubau ermöglicht, verwirklicht werden konnte. Allein dieser Zeitraum deutet an, dass es eine Vielzahl an Problemen gab, bis hin zu einer Volksabstimmung, in der sich 60 Prozent der Linzer gegen den Neubau ausgesprochen haben. Der Theaterbau – ein Politikum.
Ein Tdil der Promotionarbeit im Zuge der Eröffnung des Theaters ist das im Pustet Verlag erschienene Buch »Am Volksgarten 1 – Musiktheater im Aufbruch«, herausgegeben von Dennis Russell Davies (Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz), Thomas Königstorfer (Vorstandsdirektor der Theater und Orchester GmbH sowie der Musiktheater GmbH; er zeichnet für den Neubau des Linzer Musiktheaters verantwortlich) und Rainer Mennicken (Intendant des Landestheaters Linz). Mit dieser reich illustrierten und wertig produzierten Publikation wurde ein Spagat zwischen Werbeschrift, Informationsbroschüre und Sachbuch versucht.
Man findet in dem Werk auf der einen Seite etwa ein Interview mit Josef Pühringer, dem Landeshauptmann von Oberösterreich (ÖVP), der sich massiv für das Projekt stark gemacht hat, andererseits erzählt, in einem der interessantesten Beiträge, die Literaturkritikerin Elke Heidenreich von der »Tür ins Offene – Oper für Kinder« – ihren ersten Erfahrungen mit dem Operngenre: »Wie hätte ich wissen sollen, was Oper ist? Ich hatte eine Ahnung, denn bei uns zuhause lief das Radio immer dann besonders laut, wenn Opern gespielt wurden, und meine Mutter, sonst eher hart und verschlossen, taute auf, sang und dirigierte mit und strahlte mich an. Ich bekam einen ersten Eindruck davon, was Musik mit Menschen machen kann: Sie erreicht unser Herz.« Heidenreich berichtet von den Anstrengungen u. a. der Kölner Oper, mit Hilfe der Kinderoper junge Menschen für Musik zu begeistern. Und auch in Linz wird die Kinderoper einen wichtigen Stellenwert haben. Wie auch das Musical. Sieht man sich die neuen Produktionen der kommenden Saison im Bereich Musical an – »The Wiz«, »Babytalk«, »Next to Normal« und »Show Boat« –, kann man durchaus von einem spannenden Mix sprechen.
»Perspektiven des Musicals« hat Theaterwissenschaftler, Kulturmanager und Autor Wolfgang Jansen seinen Beitrag betitelt. Interessant ist die Art und Weise, wie Jansen das Musicalgenre einordnet, nämlich als Nachfolger der Operette, was die Popularität betrifft: »Nach der Jahrhundertwende galt die Operette als das beliebteste Genre innerhalb der darstellenden Künste überhaupt. Ihre Inszenierungen erwiesen sich für Jahrzehnte als Garant für volle Häuser. Erst nach 1945, nach dem Ende der Operette als Gattung, verloren die Produktionen an Zug- und Bindekraft. Lange war unklar, was an ihre Stelle treten könnte. Erst im Musicalboom der 1980er-Jahre verflog die Ungewissheit: Das Musical ist die Zukunft des populären Musiktheaters. Folgerichtig etabliert das Landestheater Linz (…) jetzt das Musical als feste, eigenständige Sparte im Spielplan. Im Kanon der Gattungen und des Spielplanangebots bekommt es jene Position zugeschoben, die einst die Operette besaß. Der große Zuspruch, den das Musical seit nun mehr als zwei Jahrzehnten erfährt, rechtfertigt diesen Schritt hinlänglich. Trotzdem brauchte es eine Portion Mut: In Österreich ist die Einführung der Musicalsparte ein Novum.« Darüber kann man freilich diskutieren. Man könnte hinterfragen, ob die Operette nicht bereits 1938 tot war und nicht erst mit dem Ende der Nationalsozialisten. Auch wird der Musicalboom der 1980er Jahre nach wie vor überschätzt; zumindest in Wien setzte der »Boom« in der Zeit Rolf Kutscheras am Theater an der Wien ein; ob das Musicalgenre tatsächlich erfolgreich sein wird am Linzer Musiktheater, wird man wohl abwarten müssen, die Operette ist nach wie vor vertreten und könnte jederzeit wieder »übernehmen« – und eine eigene Musicalsparte haben auch in Österreich durchaus andere Theater. Wenn man von einem mutigen Schritt sprechen will, ist es wohl vor allem der Entschluss, mit einem eigenen Musicalensemble anzutreten. Das betont auch Jansen und schildert die Vorteile einer solchen Ensemblebildung – etwa als Chance für das Publikum, die Darsteller in ihrer Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg kennenlernen zu können. Freilich gab es eine Ensemblebildung auch bereits am Theater an der Wien unter Kutschera, allerdings eben nicht in einem durchgängigen Mehrspartenbetrieb. Etwas sehr optimistisch wird Jansen am Ende seiner Ausführungen, wenn er schreibt: »Vielmehr gehört es zu den vornehmsten Aufgaben eines öffentlichen Mehrspartenhauses, wenn es bei der Stückauswahl den Kulturauftrag im Auge behält, d. h. auch bei der Aufstellung des Musicalrepertoires das Publikum immer wieder zur Beschäftigung mit sperrigen Themen auffordert.« Das freilich sollte zur Aufgabe jedes hochsubventionieren Musicalbetriebs gehören, nur gemacht wird es nicht immer.
22 Beiträge, 25 Autoren – ein interessantes Buch, in dem man in Wort und Bild in die Planungs- und Baugeschichte des Linzer Musiktheaters eingeführt wird und mit Hilfe der Vielzahl an Illustrationen auch einen guten Einblick in die Architektur des Hauses bekommt. Praktisch jeder Aspekt wird behandelt – bis hin zum kulinarischen. Toni Mörwalds Erkenntnis: »Das klassische Repertoire muss ebenso gepflegt werden, wie neue Wege gegangen werden sollen. Es wäre doch Unsinn, Beuschel, Wiener Schnitzel und Linzer Torte aus dem kulinarischen Repertoire zu streichen oder Beethovens Neunte nicht mehr zur Aufführung zu bringen, nur weil das eine uninspiriert klingt und die Symphonie schon oft gespielt wurde bzw. als Klingelton für Handys angeboten wird.«

Dennis Russell Davies, Thomas Königstorfer, Rainer Mennicken (Hg.): Am Volksgarten 1 – Musiktheater im Aufbruch. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2013. 176 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-7025-0711-4. 29 Euro. [www.pustet.at]

Louise FitzGerald; Melanie Williams (Hg.): »Mamma Mia! The Movie« – Exploring a Cultural Phenomenon

Zugegeben, der Titel des Buches – »Exploring a Cultural Phenomenon« – klingt etwas übertrieben. Das ist doch dieser Film mit den vielen Verrissen und mauen Kritiken? Ein Streifen, der immer wieder für seine technischen Fehler kritisiert wurde, Stichwort Dubbing, und der, was das Casting betrifft, äußerst fragwürdig scheint; ein Film, dessen Hauptdarsteller eher recht weit von respektablen Gesangsleistungen entfernt scheinen?
Doch betrachten wir den Film mal rein vom Einspielergebnis her: »Mamma Mia! The Movie« startete im Sommer 2008 in den Kinos und fand sich wenige Monate später in der Hitparade der weltweit erfolgreichsten Filme des Jahres 2008 auf Platz fünf, in Australien war er der zweiterfolgreichste Film des Jahres, und in England, dem Erscheinungsland des vorliegenden Buches, war »Mamma Mia! The Movie« nicht nur der erfolgreichste Film des Jahres 2008, sondern zu jenem Zeitpunkt auch der erfolgreichste Streifen aller Zeiten. An die 70 Millionen englische Pfund spielte die Filmversion des ABBA-Musicals bis heute in Großbritannien ein und liegt damit nach wie vor auf Platz 5 in der Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten in diesem Land.
Rund 610 Millionen Dollar spielte »Mamma Mia! The Movie« weltweit bis heute ein und erwies sich bei Produktionskosten von 52 Millionen Dollar als eines der profitabelsten Projekte der Filmfirma Universal. Die DVD übertraf mit fünf Millionen verkauften Einheiten den Rekord, den »Titanic« aufgestellt hatte. Und auf die Frage, welches der erfolgreichste Musicalfilm aller Zeiten ist, lautet die Antwort nach wie vor (Stand: März 2013): »Mamma Mia! The Movie” – auch wenn Universal hart daran arbeitet, mit der Verfilmung von »Les Misà©rables« (derzeit knapp über 400 Millionen Dollar Einspielergebnis weltweit), »Mamma Mia!« auf den zweiten Platz zu verweisen.
Es gibt also gute Gründe, ein Buch über dieses »Cultural Phenomenon« zu veröffentlichen, einen Sammelband mit Beiträgen, die von den verschiedensten Blickrichtungen aus jene Gründe untersuchen, die den Film für bestimmte Zielgruppen so attraktiv erscheinen lassen.
Louise FitzGerald und Melanie Williams, die beiden Herausgeberinnen, konnten für ihr Buch zwölf Kollegen aus dem Universitätsbetrieb Englands, Frankreichs, Griechenlands und der USA gewinnen. Folgende Erfolgsfaktoren konnten sie ermitteln: Der Film kam in der gleichen Woche wie »Batman – The Dark Knight« in die Kinos, der vor allem das typisch junge, männliche Publikum anzog, während »Mamma Mia!« eher die weiblichen (und auch älteren) Zuschauer anlockte. Der Gender-Aspekt ist also der erste offensichtliche Punkt, und so beschäftigt sich Malcolm Womack in seinem Beitrag mit »Gender and ventriloquism in the songs of ‚Mamma Mia!‘ on stage and screen«, Melanie Williams untersucht »â€šMamma Mia’s!‘ female authorship«, Caroline Bainbridge nähert sich diesem Aspekt mit ihrem Beitrag »â€šKnowing Me, Knowing You’: reading ‚Mamma Mia!’ as feminine object«, während Betty Kaklamanidou über »The power of sisterhood: ‚Mamma Mia!’ as female friendship” schreibt.
Der Film wurde von männlichen Kritikern mehrheitlich verrissen und von weiblichen gelobt. Dass es gar nicht so einfach ist, zu begründen, warum man den Film hasst, demonstriert I. Q. Hunter in seinem Essay »My, my, how did I resist you?«, und Ceri Hovland versucht das Ganze so zu fassen: »Embracing the embarassment: ‚Mamma Mia!’ and the pleasures of socially unrestrained performance«. Eine These dieser beiden Artikel läuft darauf hinaus, dass es etwas geben muss, das Zuschauer an dem Film fasziniert, obwohl sie wissen: »If you love it, you have to prove how intelligent you are.« So gesehen kommt der Humor in all den Beiträgen, die jeweils mit einem Materialteil fundiert sind, nicht zu kurz.
In diversen Filmzeitschriften waren zum Filmstart Werbesujets zu »Mamma Mia!« und »Batman« auf gegenüberliegenden Seiten zu sehen. Hie der brachial- & bronchialgewaltige Batman, da Meryl Streep. Inwieweit die 17 Mal für den Oscar nominierte und drei Mal mit einem Oscar ausgezeichnete Schauspielerin zum Erfolg beigetragen hat, untersucht Deborah Mellamphy in ihrem Beitrag »See that girl, watch that scene: notes on the star persona and presence of Meryl Streep«.
Das Alter des Zielpublikums ist ein weiterer Faktor, der für den Erfolg von »Mamma Mia!« ausschlaggebend war. Claire Jenkins untersucht diesen Aspekt und nennt ihren Artikel »Not too old for sex? ‚Mamma Mia!’ and the ‚older bird’ chick flick«. Dem Thema Vater/Mutter widmen sich Sarah Godfrey und Louise FitzGerald in ihren Beiträgen »The hero of my dreams: framing fatherhood« und »What does your mother know? ‚Mamma Mia’s’ mediation of lone motherhood«.
Bleiben noch zwei Ansatzpunkte, um die Anziehungskraft des Blockbusters zu begründen. Der eine davon ist der Feelgood-Faktor. Die Verfilmung von »Mamma Mia!« war dermaßen erfolgreich, dass sie einige Male in der riesigen O2-Arena vor tobendem Publikum gezeigt wurde. Wer am ehesten für den Feelgood-Charme empfänglich ist, untersuchen Kate Egan und Kerstin Leder Mackley in »The same old song? Exploring conceptions of the ‚feelgood’ film in the talk of ‚Mamma Mia’s!’ older viewers”. Georges-Claude Guilbert bringt in seinem Essay noch eine letzte Zielgruppe ins Spiel: »Dancing queens indeed: when gay subtext is gayer than gay text«.
Von abfälligen Urteilen wie »Super Pooper« bis zu Statements wie »I met a woman the other day whose business was going belly-up, it was her birthday, she was bursting into tears – and her sister rushed in and said, ‘What can we do?’ This women cried out, ‘Just take me to Mamma Mia!‘« – mit diesem Buch werden »Mamma Mia!«-Fans ebenso eine Freude haben wie allgemein an Musicalverfilmungen Interessierte Diskussionsbeiträge zu einem Film finden werden, der nicht wirklich gut ist und doch für viele ein Hit. Sehr lesenswert.

Louise FitzGerald; Melanie Williams (Hg.): Mamma Mia! The Movie – Exploring a Cultural Phenomenon. I. B. Tauris & Co. Ltd. London 2012. 248 S.; (Hardcover) ISBN 978-1-84885-941-8. £ 55,72. [www.ibtauris.com]

Anthony Bunko: Hugh Jackman – The Biography

Gerade rechtzeitig zum Start des geplanten Musicalfilm-Blockbusters »Les Misà©rables« brachte der Verlag John Blake Publishing eine nicht autorisierte Biographie des Valjean-Darstellers Hugh Jackman auf den Markt, geschrieben von Anthony Griffiths (verfasst unter seinem Pseudonym Anthony Bunko). Griffiths wurde 1962 in Merthyr Tydfil (Südwales) geboren und ist unter anderem als Autor von Kinder- und Jugendbüchern tätig, die er im Eigenverlag herausgibt; bei John Blake veröffentlichte er 2010 eine Biographie von Hugh Laurie.
Um es gleich vorwegzunehmen: Wer sich kluge Kommentare oder Statements zu »Les Misà©rables« von diesem Buch erwartet, wird enttäuscht. Das Buch wurde zwar im Oktober 2012 veröffentlicht, man hätte also erwarten können, dass sich der Autor dieses Themas annimmt, aber die Ausführungen beschränken sich auf einige Zeilen; mehr als das bereits bekannte Marketinggetöse gibt es nicht.
Das ist auch gleichzeitig das Grundproblem des Buches: Man erfährt, wenn man sich mit der Biographie des Schauspielers Hugh Jackman schon einmal beschäftigt hat und seine Fernsehinterviews kennt, kaum Neues. Die Biographie beginnt mit einem Ereignis des Jahres 2009. Jackman bekommt seinen eigenen Stern am Walk of Fame vor dem legendären Grauman’s Chinese Theater, genau zwischen jenen von Marilyn Monroe und John Wayne. Nur zwölf Jahre zuvor war er das erste Mal mit seiner Frau als Tourist nach L. A. gekommen, und die erste Station des Besuchsprogramms damals war natürlich der Walk of Fame. Etwas mehr als 2000 Stars sind hier verewigt, nicht allzu viele Australier: Cate Blanchett, Nicole Kidman und Olivia Newton-John, aber nicht Mel Gibson oder Russell Crowe. Auch das wissen wir schon, es wurde in den Berichten damals im Detail ausgeführt.
Das Buch basiert offensichtlich auf Interviews mit Hugh Jackman, ob allerdings auch der Autor selbst Interviews mit dem Schauspieler geführt oder sich nur auf allgemein Zugängliches gestützt hat, ist dem Buch nicht zu entnehmen. Was man sagen kann: Bunko kratzt nur an der Oberfläche. Jackman hatte eine nicht ganz unbeschwerte Kindheit. Seine Mutter bekam nach seiner Geburt Depressionen, verließ die Familie, der Vater hatte fünf Kinder aufzuziehen. Eigentlich ja Stoff genug, um hier einiges an Schilderungen, Reflexionen zu liefern, aber wir erfahren: »Even to this day, he doesn’t know how his father manages to keep it all together and still have the time to come and cheer him on at sporting events.« Das ist plump und etwas wenig.
Weder entwickelt Bunko in diesem Buch eine interessante Erzählersprache, noch erkennt man, wie, in welchem Stil Jackman über sein Leben gesprochen haben könnte, zu zerfleddert sind die Originalzitate eingestreut. In hastigem Stil werden die Facts geliefert, mit Zielrichtung auf knackige Pointen am Ende eines Abschnitts/Kapitels. Das ist an und für sich nichts Schlechtes, aber nur selten hat man das Gefühl, tatsächlich ein »Buch« zu lesen, meistens glaubt man, es mit einer überdimensionierten Prominenten-Berichterstattung von »Gala«, der »Bunten« oder einem anderen Glitzerblättchen zu tun zu haben.
Mit fünf Jahren stand Jackman in »Camelot« auf der Bühne in der Pymble Public School, er spielte 1985 an seiner Schule die Hauptrolle in »My Fair Lady« – Facts, nicht allzu viel mehr. An den Schwerpunkten, die der Autor setzt, erkennt man ziemlich klar die Zielgruppe, die er beim Konzipieren des Buches im Auge hatte: In einem eigenen Kapitel wird ausführlich geschildert, wie Jackman seine Frau Deborra-Lee Furness kennenlernte, wie sie sich verliebten und heirateten, ein eigenes Kapitel ist der Adoption seiner beiden Kinder gewidmet. Adoption? Ja kann er denn nicht, will er denn nicht, ja was ist denn da los? Und natürlich widmet sich der Autor ausführlich den Anstrengungen der beiden Ehepartner, es doch mit harter Sexarbeit zu schaffen, eigene Kinder zu bekommen. Arbeit, die Jackman zeitweise so angestrengt haben soll, dass er zu seiner Frau meinte: »Deb, can I have a break?« Noch ausführlicher? Okay, kein Problem: Damals hatte ein Arzt Frau Jackman empfohlen, für einen Zeitraum von zehn Tagen täglich Sex zu haben. – Die Frage ist, ob man derartige Details in einer Biographie schreibt, und auch, wie man sie beschreibt.
Nachdem die Jahre bis 1999 in einem Mix aus Pointen, Interviewfetzen und knappen Hauptsatzschilderungen abgehandelt wurden, landen wir bei den »Wolferine«-Kapiteln, in denen alles Bekannte zusammengefast wird, was jemals in Gossip-Magazinen zu lesen war, von Jackmans Körpergröße (er war eigentlich zu groß für die Rolle, das sei Fans aufgefallen, die sich dann im Internet darüber beschwert hätten), bis zu den 700 Paar Wolferine-Klauen, die man für den Film getestet hat.
Es geht noch knalliger, etwa in Passagen über den Film »Passwort: Swordfish«, in dem es über die Dreharbeiten mit Halle Barry heißt: »Along with the pleasure of working alongside film veteran John Travolta, Hugh also got to share an outdoor scene with the beautiful Berry which features her topless. When asked how he handled the scenario, aside from claiming his eyes never left her face, he said, ‘To be honest I was probably more embarrased than she was.‘« – und das ist nur der Auftakt zu zwei Seiten an Schilderungen von sexy bis Sexszenen.
Natürlich gibt es bei der Fülle an Geschichtchen aus Jackmans Karriere auch witzige, etwa jene aus seiner Zeit als Peter Allen in »The Boy from Oz« am Broadway: »Hugh’s performance came as a massive shock for many fans, especially the Wolferine ones who arrived to see the macho Logan and were presented with a very different persona, particularly in the scene where he kisses another man. There was one famous performance when someone stood up and shouted as Hugh was about to lock lips with the other male actor, ‘Wolferine … no, don’t do it!‘«
Informatives über das Musicalbusiness? Da kommen wir nicht viel weiter als etwa in folgender Passage: »On 10 May 2004, he woke up to find out that his new film, Van Helsing, was the No. 1 movie in America and he had received his first Tony nomination. […] ‘My wife walked in and said, ‘The studio’s on the phone. You just got nominated for a Tony and your movie’s over $50 million.’ I just thought, I should record this and put it on the alarm clock and I’ll wake up to this every day.« […] As a matter of fact the opening of ‘Van Halsing’ had ten times the viewing audience of the entire run of ‘The Boy from Oz’. ‘And that’s a year’s work,’ observed a stunned Hugh.«
Hoffen wir, dass Jackman in 25 oder 30 Jahren Lust bekommt, sich selbst mit seiner Biographie schriftstellerisch zu beschäftigen. Diese hier ist entbehrlich.

Anthony Bunko: Hugh Jackman – The Biography. John Blake Publishing. London 2012. 286 S.; (Hardcover) ISBN 978-1844549047. £ 17,99. [www.johnblakepublishing.co.uk]

Jonathan Cott: Leonard Bernstein – Kein Tag ohne Musik

Jonathan Cotts Buch »Leonard Bernstein – Kein Tag ohne Musik« ist die Idealform, wie ein ausführliches Interview mit einem Künstler publiziert werden kann, und sei es 23 Jahre, nachdem das Interview selbst stattgefunden hat. Am 20. November 1989, elf Monate vor Bernsteins Tod, führte der damals 46-jährige Cott mit dem Künstler ein zwölfstündiges Gespräch. Man hörte gemeinsam Platten, nahm ein Abendessen ein, trank – redete über Gott und die Musik. Eine Kurzversion des Gesprächs (achttausend Wörter) erschien wenige Wochen danach im Magazin »Rolling Stone«, das den Auftrag an Cott erteilt hatte, das Interview zu führen.
Die ungekürzte Version, die nicht nur die Fragen und Antworten enthält, sondern auch die Szenerie beschreibt, in der das Ganze stattgefunden hat, die Gefühlslage von Cott und was Bernstein in jedem Moment des Interviews gemacht hat, erschien vor wenigen Wochen in deutscher Sprache und wird im Januar 2013 unter dem Titel »Dinner with Larry: The Last Long Interview with Leonard Bernstein« als Publikation der Oxford University Press auf den Buchmarkt kommen.
Jonathan Cott wurde 1944 geboren und war viele Jahre als Redakteur für Magazine wie »Rolling Stone« oder »The New Yorker« tätig. Er verfasste Bücher zu Literatur, Musik und Kunst und ist bekannt für seine Interviews, die er unter anderem mit Bob Dylan, Glenn Gould, Henry Miller, Werner Herzog, Elizabeth Taylor oder John Lennon führte.
Gerade in Zeiten, in denen Interviews, nicht zuletzt auch im Musicalbereich, oft jeglicher Sinnhaftigkeit beraubt sind, ist es aufbauend zu lesen, wie es sehr wohl Künstler gibt beziehungsweise in diesem Fall gegeben hat, die nicht fürchten, mit ihren Statements eventuell ihre »Klientel« zu verletzen. Es kommt ja heutzutage nicht selten vor, dass Interviews als reines Marketingtool gesehen werden. Die Marketingabteilung plant maximal 60 Minuten, aus denen im letzten Augenblick 45 werden, man bekommt manchmal nicht mal die Gelegenheit, mit dem oder den zu Interviewenden alleine zu sprechen – erraten, die Marketingabteilung passt auf, ein Fräulein sitzt daneben, spielt mit dem Handy, geht mal kurz raus und kommt mal kurz wieder rein, und bevor das Interview dann in Druck gehen darf, natürlich, liest auch die Marktingabteilung die Ausführungen, es könnte ja … man sollte doch … Bei einem solchen Vorgehen, bei einer solchen Inszenierung, weiß man bald nicht mehr, ob hier tatsächlich ernsthaftes Interesse an einem Interview besteht oder ob nur platte Werbung erwünscht ist.
Jonathan Cott konnte mit Leonard Bernstein ein Vier-Augen-Gespräch führen, ohne die Anwesenheit von kontrollierenden Zuhörern, der Leser des Interviews bekommt keine gefilterte Restmeinung zu lesen, keine Harmlosigkeiten, die manchmal haarscharf an der Lüge vorbeischrammen. Natürlich, und auch das wird in diesem Buch beschrieben, im dritten Teil, dem sogenannten »Postludium«, gab es nach diesem Interview vieles zu klären an Bezügen, verwirrenden Bemerkungen und so weiter, und so fand am 3. Dezember 1989 zwischen Cott und Bernstein ein Telefongespräch statt, in dem dieser Rest an Unklarheiten beseitigt werden konnte. Es wurden aber keine Teile des Gesprächs gelöscht oder gar zensuriert.
Was dieses dritte Kapitel so interessant macht, ist die Art und Weise wie Cott seine sagen wir mentale Lage beschreibt, in der er sich befand, als er Bernstein erneut »belästigen« musste, also die Thematisierung der Rolle des Interviewers. Es ist ihm nicht peinlich, seine Unsicherheiten und Befürchtungen (unbegründete Befürchtungen, wie sich herausstellt) mit seinen Lesern zu teilen. Auch dieses Telefongespräch wird im Wortlaut und kommentiert wiedergegeben.
Bernstein nahm sich die Zeit, das Interview (die Kurzversion) nicht nur schriftlich zu autorisieren, sondern auch mit erklärenden Anmerkungen zu versehen. Und genau das ist der Punkt: Ein Interview macht nur dann wirklich Sinn, wenn es beide Gesprächspartner ernstnehmen, wenn sie davon überzeugt sind, dass der Inhalt des Gesprächs relevant ist.
Das eigentliche Interview findet sich im zweiten Kapitel des Buchs abgedruckt unter dem Titel »Dinner mit Lenny«. Auf rund hundert Seiten schafft es Cott mit seinen Fragen ein faszinierendes Porträt von Leonard Bernstein, seiner musikalischen Welt, seinen jüdischen Wurzeln, seiner Philosophie zu skizzieren. Er lässt dieses Interview lebendig werden durch die Art und Weise, wie er auch alle Begleitumstände der Unterhaltung auf hohem Niveau beschreibt, indem er den Ort, an dem das Interview stattfindet, beschreibt, das Dinner und so weiter.
Im Rahmen des Interviews erleben wir einen Bernstein, der über seine Träume spricht, über den Zauber der Musik, den Klang eines Orchesters, immer wieder auch über die Wiener Philharmoniker – sogar ganz erstaunliche Anekdoten erzählt er über sein Verhältnis zu diesem ganz besonderen Klangkörper –, er erklärt die Möglichkeiten eines Dirigenten, referiert über die Kunst des Dirigierens: »Ich schlage nicht den Takt, und ich erlaube es meinen Studenten nicht, das zu tun. Tatsächlich sage ich ihnen im Unterricht, sie sollen nicht diese diagonale Abwärtsbewegung auf dem dritten Schlag machen, wie es die sogenannten Dirigierlehrer tun – das ist, als würde man ein totes Pferd peitschen.« Bernstein erzählt von seinem Umgang mit Kritik, es gibt sehr spannende Passagen, in denen er über das richtige Casting etwa für die »West Side Story« spricht und darüber, wie er seine Plattenfirma Columbia Records mühsam davon überzeugen musste, eine Aufnahme des Musicals zu produzieren. Letztendlich wurde diese LP zum Renner und für Columbia die Rettung, die sie vor dem Bankrott bewahrt hat.
Bernstein erweist sich als blitzgescheiter, schlagfertiger Gesprächspartner, der eine Vielzahl von Zitaten, ganze Gedichte auswendig in das Gespräch einzubringen vermag: »Es gibt eine innere Geografie des Menschen, die von der Musik eingefangen werden kann, und von nichts anderem«, sagt Bernstein zu Jonathan Cott, »das ist der tatsächliche Zauber der Musik.«
Ein großartiges Buch, das man nicht mehr aus den Hand legen mag, wenn man einmal angefangen hat, darin zu lesen.

Jonathan Cott: Leonard Bernstein – Kein Tag ohne Musik. Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann. München 2012. 158 S.; (Hardcover) ISBN 978-3-570-58037-0. EUR 17,99. [www.edition.elke-heidenreich.de]

Thomas S. Hischak: Off-Broadway Musicals Since 1919

Am Anfang könnte eine Enttäuschung stehen. Wer sich etwa erwartet, in diesem Buch mit seinen 472 Seiten um den doch stolzen Preis von 75 Dollar sämtliche Off-Broadway-Musicals seit Beginn der Geschichte penibel aufgearbeitet zu finden oder gar alle diese Shows aufgelistet mit Premierendatum, Anzahl der Vorstellungen und so weiter, der wird – natürlich – enttäuscht. Dafür würde der Platz bei weitem nicht reichen, und die Frage ist, ob eine reine Auflistung aller Produktionen auch Sinn machte. Ein solches Unterfangen, das am ehesten Statistik-Fans gefallen würde, ist auch gar nicht das Anliegen des Autors Thomas S. Hischak. Denn Hischak ist kein reiner Datensammler, er hat etwas zu sagen, er urteilt, fasst Urteile zusammen, analysiert und erzählt, und das mit spürbarem Enthusiasmus. Der Preis, man mag ihn für überzogen halten – doch ist die Anzahl derer, die sich für Sachbücher über den Off-Broadway erwärmen können, offenbar ja so gering, dass es praktisch kaum Werke zu diesem Thema gibt. Insofern ist eben dieser recht hohe Preis wiederum auf eine gewisse Weise gerechtfertigt, denn allzu hohe Auflagen wird man mit derlei Büchern nicht fahren können, und es bleibt letztlich die Frage, ob sich ein Kauf lohnt.
Thomas S. Hischak ist Professor für Darstellende Künste an der Cortland State University, Autor von 16 Sachbüchern mit den Schwerpunkten Theater, Film und populäre Musik sowie Verfasser von 20 Theaterstücken. Seine bekanntesten Sachbücher: »The Oxford Companion to the American Musical: Theatre, Film, and Television« (2008), »Theatre as Human Action: An Introduction to Theatre Arts« (2005) und »Through the Screen Door: What Happened to the Broadway Musical When it Went to Hollywood« (2004).
Hischak analysiert in seinem Buch die Entwicklung des Off-Broadways anhand von 375 ausgewählten Musicals (im weitesten Sinne), beginnend bei »Greenwich Village Follies«, einer Revue aus dem Jahre 1919, endend bei »The Toxic Avenger« aus dem Jahre 2009. Für jede dieser Shows liefert er die Basisdaten wie Uraufführungsdatum, Anzahl der gespielten Vorstellungen (auch am Broadway, so ein Transfer stattgefunden hat), Angaben zum Leading Team, zu den Darstellern, zum Theater, in dem gespielt wurde – und zu jeder dieser Shows bietet er einen Artikel, der sich eingehend mit der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Produktion auseinandersetzt. Er liefert grobe Inhaltsangaben und bespricht die wichtigsten Songs. Hischaks Angaben sind vor allem bei jenen Shows wertvoll, über die man heute nur sehr schwer an Informationsmaterial kommt. In das Buch aufgenommen wurden ganz und gar nicht nur die Hits des Off-Broadways. Auch den Flops, die nur wenige Vorstellungen erlebten, wie etwa »Valmouth« von Sandy Wilson, wird viel Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Sicherheit hat Hischak ein Faible fürs Kuriose, so nimmt er sich Zeit, genüsslich den Inhalt dieses England-Imports zu schildern, der für 40.000 Dollar 1960 im York Playhouse auf die Bühne gebracht wurde und genau 14 Vorstellungen durchhielt. Eine Show, dessen Rezeptionsgeschichte Hischak nach längeren, äußerst amüsanten Ausführungen so zusammenfasst: »The press was more confused than outraged. Several did praise the score, and the cast was roundly applauded, but just explaining the show in the reviews was enough to frighten audiences away.« Verweise auf den Score, auf die Songs, auf die Londoner Cast-CD, die immerhin mit einem Weltstar, Cleo Laine, aufwarten konnte – Hischaks Liebe für das Musicalgenre und sein Geschick, Fakten auf spannende Art und Weise zu vermitteln, machen dieses Buch lesenswert.
Eine These Hischaks, die sich quer durch einige seiner Bücher zieht und in dem hier besprochenen auch mit Zahlen und Fakten belegt wird: Es ist zwar möglich, das »typische Off-Broadway-Musical« zu charakterisieren, doch werden heutzutage immer weniger »echte« Off-Broadway-Musicals produziert. Was ein »Off-Broadway-Musical« ist, versucht der Autor so festzumachen: »Broadway musicals are bigger than life and offer outsized emotions expressed in large theatres; Off-Broadway musicals are smaller in scale and explore emotions that are more life-size as they are enacted in more intimate venues. When Broadway offers musical comedy, the songs, the dancing, the laughs, even the tears are big enough to fill a large and elaborate theatre. Off Broadway cannot afford such a scale and instead offers simpler productions and a more direct kind of music, dance, and comedy. (…) Broadway is about fame, glory, and success. Off Broadway is about smart, sharp, little shows that make a personal impact. Many actors, writers, and directors first find critical acclaim Off Broadway, but only Broadway can make stars and super showmen.«
Wurden früher Musicals explizit für den Off-Broadway produziert, so ist der Off-Broadway heute immer mehr eine Vorstufe, um es von da zum Broadway zu schaffen. So nennt Hischak auch das Kapitel, das sich mit den Musicals des Off-Broadway von 2000 bis 2009 beschäftigt »Fodder for Broadway«. Zwölf Produktionen haben in dieser Zeit den Wechsel vom Off- zum Broadway gewagt, mehr als in jeder Dekade davor. Doch ein Erfolgsrezept ist diese Strategie nur bedingt, denn fünf dieser Shows sind gefloppt, teils trotz großartiger Kritiken. Beispiele: »Caroline, or Change«: 106 Vorstellungen Off-Broadway, 136 Vorstellungen am Broadway. Hischak: »Had the show remained Off-Broadway, it is likely it would have run and run because it was the kind of musical that flourished on word of mouth, not critical acclaim.« Gefloppt auch: »Grey Gardens« (Off-Broadway: 63 Vorstellungen, Broadway: 307 Vorstellungen), »Passsing Strange (56 Vorstellungen Off-, 165 Vorstellungen Broadway) – »a Broadway show that wasn’t Broadway in spirit, attitude, score, or satisfaction«. Hischaks These, warum es manche Off-Broadway-Shows dann doch schaffen, auch am Broadway Erfolg zu haben, ist im Prinzip simpel, aber nachvollziehbar. Musterbeispiel: »Rent« ging zwar vom Off- zum Broadway, doch »without losing any of its intimacy and power«. Man war zwar als Zuschauer am Broadway, hatte aber »Look and Feel« einer Off-Broadway-Show. Dasselbe trifft auf diverse andere erfolgreiche Transfers zu, wie beispielsweise »Spring Awakening« oder »Avenue Q«.
Zurückkommend auf die Eingangsfrage: Lohnt sich der Kauf? Ja!

Thomas Hischak: Off-Broadway Musicals Since 1919. From »Greenwich Village Follies« to »The Toxic Avenger«. Scarecrow Press, Inc., Plymouth 2011. 472 S.; (Hardcover) ISBN 978-0-8108-7771-9 / ISBN 978-0-8108-7772-6 (E-Book). $ 75,00.

Ruth Benjamin and Arthur Rosenblatt: Movie Song Catalog

Ruth Benjamin ist Romanautorin, ihr Ehemann Arthur Rosenblatt ist Architekt. Was die beiden dazu brachte, dieses Lexikon der Songs von 1460 amerikanischen und englischen (Musical-)Filmen, die im Zeitraum von 1928 bis 1988 in die Kinos kamen, zusammenzustellen? Die Liebe war’s – zum Film, zur Musik, zu den Künstlern. 1993 ist das Buch erstmals erschienen, nun liegt ein Reprint dieses Werks vor.
Für jeden Film gibt es die vollständigen Produktionsangaben, Filmtitel, Entstehungsjahr, Entstehungsland, Infos zu den Orchestern und Bands, die man in den Filmen hört und sieht sowie Angaben zu den Background-Vocals. Man erfährt, welche Sänger zu sehen sind und ob diese Sänger auch dann tatsächlich zu hören sind oder gedubbed wurden. Für jeden Film werden Regisseur, musikalischer Leiter, Komponist etc. aufgelistet. Zitate aus Filmkritiken aus der »Variety« und der »New York Times« sowie kleine Hinweise auf die besondere Bedeutung des einen oder anderen Films runden das Buch ab. So erfährt man über »High, Wide and Handsome« (USA, 1937): »The only musical Hammerstein and Kern ever wrote specifically for the screen.«
Recherchierbar ist das Werk entweder alphabetisch nach den Filmnamen oder durch drei verschiedene Indizes (Performer, Songwriter, Song). Kompakter findet man die Daten zu diesen Filmen kaum wo. Schön wäre es, wenn jemand sich die Mühe machen würde, ein Update für den Zeitraum ab 1989 zu erarbeiten.

Ruth Benjamin and Arthur Rosenblatt: Movie Song Catalog. Performers and Supporting Crew for the Songs Sung in 1460 Musical and Nonmusical Films, 1928–1988. McFarland, Jefferson 2011. 352 S.; (Softcover) ISBN 978-0-7864-6721-1. E-Book: 978-0-7864-8769-1 $ 30,00. [www.mcfarlandpub.com]

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